Grundlagen der modernen Kultur

Geliebte Gottes!

Kurze Zeit nach der Unterredung zwischen Pilatus und Jesus, die wir soeben gehört haben, in welcher unser göttlicher Erlöser Sein ewiges Königtum der Wahrheit proklamiert hatte, wurden dem jüdischen Volk auf dem Balkon des Prätoriums zwei Männer vorgeführt. Beide waren gefesselt. Der eine war der „König der Wahrheit“; über dem bloßen, von Geißeln zerfleischten Leib trug Er einen roten Soldatenmantel. Ein Schilfrohr diente Ihm als Zepter. Eine Krone von Dornen trägt er auf dem blutigen, zerschlagenen Haupt. – Der andere war der „König der Freiheit“; ein Rebellenführer, an dessen Händen Blut klebte; der im Namen der Freiheit die bestehende Ordnung umstürzen wollte und dabei unter Einsatz von Gewalt, Raub, Feuer und Blut eine irdische Herrschaft nach seinen Vorstellungen begründen wollte. – Beide Männer, Barabbas und Jesus, verkörpern zwei gegensätzliche Modelle der Erlösung. – Unser Herr Jesus Christus verkörpert das übernatürliche Reich der Wahrheit, das nicht von dieser Welt ist. Er ist nur in die Welt gekommen, um vor der Welt für die ewige und unveränderliche Wahrheit Gottes Zeugnis abzulegen, und alle, die auf Seine Wahrheit hören, auf sie horchen, d.h. Ihm gehorchen, um Sich zu scharen und aus dieser vergänglichen Welt in das himmlische Reich Gottes zu führen. – Barabbas verkörpert das gegensätzliche Erlösungsmodell, das auf ein irdisches Reich abzielt und dabei, auf das Mittel der Gewalt bauend, sich seine eigene Wirklichkeit aufbaut, sich seine eigene „Wahrheit“ schafft. – Beide, Barabbas und Jesus, werden „Sohn des Vaters“ genannt. Jesus ist der ewige Sohn des göttlichen Vaters. Er ist der Sohn der ewigen Wahrheit. – Auch der Name des Barabbas bedeutet wörtlich übersetzt „Sohn des Vaters“. Er setzt sich aus dem hebräischen Wort „Bar“, für „Sohn des“ und „Abba“, was bekanntlich „Vater“ heißt, zusammen. Der Vater des Barabbas, der selbst von der Heiligen Schrift ein Mörder und Räuber genannt wird, repräsentiert deshalb den Gewaltmenschen, der den Seelenmörder, den Vater der Lüge und Fürsten dieser Welt, zum Vater hat. – Der römische Statthalter Pontius Pilatus, für den die Frage nach der Wahrheit ungeklärt bleibt, stellt beide Messiasgestalten dem versammelten jüdischen Volk zur Wahl: „Wen wollt ihr, daß ich euch freigebe: Barabbas oder Jesus, der Christus genannt wird?“ (Mt. 27, 17). – Es ist eine Wahl, vor die nicht nur die damals vor dem Prätorium versammelten Juden gestellt wurden, sondern mit der sich die Menschen aller Zeiten konfrontiert sehen. Und immer wieder wiederholt sich das Drama des Karfreitags, daß sich nämlich ein großer Teil der Menschen nicht der Wahrheit öffnet, sondern dieselbe verwirft, wie die Juden es damals getan haben, um sich im Namen der Freiheit eine Welt nach ihren einen Grundsätzen zu bauen. – Die Ursache, warum sich die moderne Welt heute in diesem katastrophalen Zustand befindet, ist eben der, weil sie sich von dem Königtum der Wahrheit abgewandt hat. Selbst von den natürlichen Wahrheiten, den grundlegendsten Wahrheiten, die durch die Schöpfungsordnung vorgegeben sind. Von den Wahrheiten, die in das Menschenherz eingeschrieben sind, wie der hl. Paulus im Römerbrief (vgl. Röm. 2, 15) schreibt, und von denen unser ganzes menschliches Empfinden geprägt wird. – Es sind ein und dieselben Prinzipien, die sowohl das natürliche, menschliche Empfinden als auch den Glauben der meisten Menschen, die wir kennen, verdorben haben. Wir sehen einen falschen Glauben, eine falsche Religion in den ehemals katholischen Institutionen. Die von der katholischen Wahrheit geprägte Welt, die christliche Kultur, ist untergegangen. In der Vergangenheit stellte die katholische Kirche als der in der Zeit fortlebende Christus die für alle Welt eindeutig sichtbare Bastion der sicheren Wahrheit und den Herrschaftsanspruch Gottes dar. Ein Herrschaftsanspruch nicht im Sinne eines politischen Weltreiches – ein solches wird einst der Antichrist, der wahre Bar-Abbas, Sohn des Satans, in Nachäffung des Christkönigtums errichten –, sondern ein geistiges Weltreich, wie es die Präfation des heutigen Festes beschreibt: „Das ewige und allumfassende [katholische] Reich: das Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und es Friedens.“

Der Relativismus

Die Ursache für diese traurigen Umstände, in denen wir leben, ist jene Geisteshaltung, die man Relativismus und Subjektivismus nennt und die das Denken der Menschen wie eine Krankheit befallen und verfälscht hat. Wir haben schon am vergangen Sonntag darüber gesprochen, wollen das Gesagte aber aufgrund seiner Wichtigkeit heute noch einmal erklären und vertiefen. – Der Relativismus ist jene Ideologie, die behauptet: Es gibt keine objektive Wahrheit. D.h. es gibt keine Wahrheit, die für alle Menschen gleichermaßen gültig und verpflichtend ist. Alles ist relativ. D.h. alles ist vom Standpunkt des Einzelnen, von der persönlichen Sicht der Dinge abhängig, nicht von einer allgemeingültigen Norm, die für alle gleich ist. Alles sei wahr, aber eben nur für die betreffende Person, die in dieser Weise denkt oder die bestimmte Dinge in ihrem Denken für wahr hält. Folglich behauptet der Relativismus: Weil es keine allgemeingültige Wahrheit gebe, deshalb dürfe man auch nicht behaupten, daß die Wahrheit festgefügt und unabänderlich sei, daß jeder Mensch zur kritiklosen Annahme bestimmter, zu allen Zeiten gleichbleibender Glaubenssätze verpflichtet sei. Und folglich auch, daß es kein unveränderliches allgemeingültiges Sittengesetz gäbe. Alles, was die Menschen gestern als falsch und verwerflich verurteilt haben, kann heute gut und richtig sein. Alles was gestern Sünde war, kann heute eine Tugend sein. 

Niemand, der den Relativismus annimmt und sich zur Rechtfertigung seines Denkens und Tuns auf seine Grundsätze stützt, kann irgend etwas gegen den allgemeinen moralischen Niedergang tun. Wer selbst das Prinzip des Relativismus gelten läßt, für den gibt es keine vernünftigen Argumente mehr, mit denen er die gegensätzliche Meinung seines Gegenübers stichhaltig widerlegen kann. Keiner kann dann noch die Behauptung wagen, daß es Denkweisen und Handlungsweisen gibt, die prinzipiell falsch und deshalb von allen abzulehnen sind. 

Der Subjektivismus

Der Subjektivismus ist das Fundament des Relativismus. Der Subjektivismus behauptet, daß die Wahrheit nicht darin besteht, daß der Mensch sein Denken anhand der Dinge, die außerhalb seines Geistes sind, ausrichtet und sein Denken in Übereinstimmung mit den äußeren Gegebenheiten bringt, sondern umgekehrt. Nicht die äußere Wirklichkeit ist der Maßstab für die Wahrheit, sondern das Subjekt, das „Ich“ jedes Einzelnen. Nicht die äußere Wirklichkeit ist die Norm für das, was ist und was nicht ist, sondern die persönlichen Ansichten und Überzeugungen. Für den Subjektivismus ist die Sichtweise des Einzelnen die vorrangige Norm für die Wahrheit. Das „Ich“ entscheidet für sich, was wahr und was falsch ist. Und nach dieser subjektiven Entscheidung ist jeder Mensch für sich berechtigt, die äußere Wirklichkeit zu gestalten. Bzw. dieser subjektiven Entscheidung muß sich die äußere Wirklichkeit anpassen. So geschieht es notwendigerweise, daß es am Ende ganz unterschiedliche, ja gegensätzliche „Wahrheiten“ geben kann; „Wahrheiten“, die einander ausschließen. Aber das ist für den Subjektivisten kein Problem. Er sagt: „Was in deinen Augen wahr ist, muß nicht notwendigerweise auch für mich wahr sein.“ Und umgekehrt. Deshalb: Wenn du für dich der Überzeugung bist, daß es in Ordnung ist, was du tust; wenn es sich für dich anfühlt, daß Ehebruch, Empfängnisverhütung oder was auch immer gut und richtig sind, dann ist es okay, wenn du es tust. Dann bist du „okay“. Und ich bin „okay“. Wir alle sind „okay“. – Alle modernen philosophischen Systeme lassen sich auf dieses Prinzip des Subjektivismus zurückführen: Es gibt keine objektive, vom Einzelnen unabhängige Wahrheit, die jeden Menschen verpflichtet. Vielmehr ist jeder Mensch der Schöpfer seiner eigenen „Wahrheit“. Das „Ich“ des Einzelnen sie die unumstößliche Norm, der sich dann die äußere Wirklichkeit anzupassen habe. 

Dieser falsche Grundsatz steht im krassen Gegensatz zum wahren Realismus der scholastischen Philosophie, die für den Grundsatz eintritt: Zuerst ist die äußere Wirklichkeit der Dinge. Diese Wirklichkeit ist, wie sie ist, und nicht anders. Sie ist für alle gleich und völlig unabhängig von der Sichtweise und Erfahrung des Einzelnen. Weil alle Menschen in ein und derselben Wirklichkeit leben, deshalb muß jeder Mensch seine persönliche Sicht mit den äußeren Gegebenheiten der Dinge in Übereinstimmung bringen. Nur dann ist sein Erkennen wahr. Der Einzelne muß sich also an die vorliegende Wirklichkeit anpassen und nicht umgekehrt. Die Wahrheit kann nicht vom Geist des Menschen gemacht werden. Der menschliche Geist muß vielmehr die Wahrheit demütig in Empfang nehmen. Er muß auf die Wahrheit hören, wie Christus zu Pilatus gesagt hat. „Wer aus der Wahrheit ist, der hört auf meine Stimme.“ Wenn es dem Menschen nicht gelingen sollte, sein Denken der äußeren Wahrheit anzupassen, dann ist er im Irrtum. Dann ist sein Denken falsch. Und wenn er dem Irrtum in seinem persönlichen Tun und Lassen folgt, dann handelt er unsittlich und sündigt. Und dann ist dieser Mensch eben nicht „okay“. 

Die Tugend des Liberalismus

Wie aus der Wurzel der unveränderlichen katholischen Wahrheit der weitverzweigte Baum der christlichen Tugenden hervorgeht, so wuchert aus der Wurzel des Relativismus und Subjektivismus ein weitverzweigtes System sogenannter „moderner Tugenden“ hervor. – Die erste davon ist die „Tugend“ des Liberalismus. Der Liberalismus erhebt die ungebundene und selbstbestimmte Freiheit zum höchsten Gut des Menschen. Der Mensch habe einen freien Willen. Folglich seien Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung unveräußerliche und unantastbare Menschenrechte. Sollten also irgendwelche althergebrachte religiöse Glaubenssätze oder sittliche Normen diese Freiheitsrechte einschränken und den Menschen in seiner Selbstentfaltung behindern, dann sei es gut, richtig und sogar notwendig, eben diese Glaubenssätze umzustürzen und solche sittlichen Gesetze zu Fall zu bringen. Wenn das höchste Gut des Menschen die Freiheit ist, dann besteht ganz folgerichtig die einzige Möglichkeit, eine gerechte Welt zu schaffen, darin, daß jeder Mensch ungehindert seine Freiheit ausüben könne, wie er wolle; daß er tun und lassen könne, was ihm gefällt. Gesetze hätten demzufolge nur insofern eine Daseinsberechtigung, daß sie verhindern, daß sich die Menschen gegenseitig in ihrer Freiheit behindern, einander verletzen oder gar umbringen. So konnte es geschehen, daß sich unter dem Einfluß des Liberalismus die Definition einiger Vergehen für die moderne Welt geändert hat, ja daß einige überhaupt aus der Gesetzgebung verschwunden sind.

Unter der Fahne des Liberalismus marschieren ferner Sozialismus und Kommunismus. – Ja, richtig gehört! Ausgerechnet der Liberalismus, welche die Freiheit zum Götzen erhebt, gebiert notwendigerweise irgendwann ein totalitäres Staatssystem. – Warum? Weil sich der Freiheitswahn und die ausufernde Selbstbestimmung zahlreicher in einer Gesellschaft zusammenlebender Individualisten irgendwann zu einem solchen Chaos steigert, daß eine solche Gesellschaft nur noch mit repressiver Gewalt unter Kontrolle gehalten werden kann. 

Aber auch geistige Übel gehen aus dem Liberalismus hervor: Die Verbreitung von Irrtümern, Lügen und Verleumdungen, als wäre jeder Mensch frei, zu schreiben und zu sagen, was immer er will, ohne an Wahrheit und Sitte gebunden zu sein. Selbst Blasphemien gegen Gott und die Jungfrau Maria, ja gerade diese darf man heute frei äußern. – Sodann die sog. Religions- und Kultfreiheit, die Trennung von Kirche und Staat, die immer dazu führt, daß der Staat über die Kirche dominiert und sich in die kirchlichen Angelegenheiten einmischt. So hat beispielsweise unlängst in Frankreich der Vorsitzende der „Bischofskonferenz“ geäußert, daß das Beichtgeheimnis über den bürgerlichen Gesetzen stehe. Daraufhin wurde er vom Innenminister einbestellt und „belehrt“, „dass es kein Gesetz über demjenigen der Republik gebe und dies für alle Religionen gelte“. – Die falschverstandene Demokratie: Die Demokratie wurde von der Kirche gutgeheißen, insofern man darunter lediglich versteht, daß sich ein Volk seine Regierung wählt. Aber die Kirche verwirft die irrige Vorstellung von Demokratie, als würde die Macht vom Volk ausgehen. Und als läge die Macht beim Volk. Stattdessen lehrt die Kirche zusammen mit dem hl. Paulus, daß alle Macht von Gott ausgeht. Die richtig verstandene Demokratie bedeutet also: Das Volk wählt die Kandidaten. Die Autorität der Regierenden kommt aber von Gott, dessen Stelle sie vertreten und Dem sie einst Rechenschaft für ihre Regierung geben müssen. 

Eine unbedingte Forderung des Liberalismus ist die uneingeschränkte „Toleranz“, worunter man versteht die Hochachtung und den Respekt gegenüber jeder anderen Überzeugung, sittlichen Lebensweise und Kultur (außer gegenüber der katholischen). Man muß alles nicht nur dulden (was „Toleranz“ eigentlich heißt), sondern wertschätzen. Alles! Immer und unter allen Umständen, solange nur keiner dabei körperlich zu Schaden kommt. Darüber hinaus verlangt der Liberalismus auch, daß wir uns bemühen, den Dingen, die in unseren Augen falsch sind, irgend etwas Gutes und Löbliches, irgend etwas „Positives“ zuzugestehen. Manchmal hören wir Leute sagen: „Ich würde so etwas ja niemals selber tun. Aber wenn es jemand anderes tun will. Bitteschön! Ich würde nichts dagegen sagen.“ – Toleranz ist das oberste sittliche Gebot des Liberalismus: „Du sollt Toleranz üben und den andern in seinem ‚Anders-Sein‘ respektieren. Immer! Egal gegen was!“ Das höchste moralische Vergehen besteht demnach in der Intoleranz, heute „Haß“ genannt. Intoleranz ist in den Augen der Moderne die Sünde schlechthin. Sie ist immer böse und falsch. Der Intoleranz tritt der Liberalismus deshalb auch beherzt mit der zu seinem eigenen Prinzipien im Widerspruch stehenden Forderung entgegen: „Keine Freiheit für die Gegner der Freiheit!“ 

Wir können sagen, daß praktisch die gesamte moderne Gesellschaft aus der sog. „Tugend“ des Liberalismus hervorgeht.

Die Tugend des Pluralismus

Neben den Tugenden des Liberalismus steht sodann die Tugend des Pluralismus. Der Pluralismus möchte uns glauben machen, es sei ein großes Gut, wenn in ein und derselben Gesellschaft die verschiedensten und widersprüchlichsten Meinungen, Moralvorstellungen, Lebensstile, religiösen Überzeugungen und Kulturen zusammenleben. Man sagt uns, daß eine kunterbunte, pluralistische Regenbogengesellschaft etwas Gutes, Bereicherndes und Wünschenswertes sei. Um diesen paradiesischen Zustand zu erreichen. sei es unabdingbar, daß möglichst keine Religion auf die Gesetze Einfluß habe, so daß jeder frei und ungezwungen so leben könne, wie er es für richtig halte – sogar gegen das Naturgesetz. Der Pluralismus behauptet, daß es eine Errungenschaft sei, wenn alle christlichen Gesetze, die dem Menschen zu seinem wahren irdischen Glück und zu seinem ewigen Heil verhelfen würden, endlich beseitigt würden, weil nur unter dieser Voraussetzung Andersdenkende in unserem Land frei leben und sich entfalten können.

Jede pluralistische Gesellschaft hat ihre Konservativen und ihre Liberalen. Beide Seiten glauben an den Pluralismus. Beide sind der Überzeugung, daß die jeweils gegnerische Partei eine Daseinsberechtigung habe. Beide sind der Überzeugung, daß die jeweils andere Partei das Recht hat, ihre Sicht der Dinge auszudrücken. – In einem solchen System dienen die Konservativen jedoch nicht dem Erhalt der Wahrheit, geschweige denn der Wiederherstellung der sittlichen Ordnung, sondern nur dazu, um das Vorwärtsdrängen der Liberalen zu bremsen. Diejenigen, welche die Macht in einem solchen System haben, sind allein die Liberalen. Denn sie allein sind in Wirklichkeit im Besitz der geballten Macht und der Kraft aller liberalen Prinzipien, die wir bisher aufgezählt haben. Die Konservativen hingegen sind deshalb in Wirklichkeit nur „lahme Liberale“. Sie sind der Meinung, daß die Liberalen zu schnell voranpreschen, und hinken ihnen lediglich hinterher. Die Konservativen sind wie die schwerbeladenen Wagen an einem Güterzug. Die Liberalen sind die vorandrängende Lokomotive. Alleine würde die Lokomotive viel schneller vorankommen. Die Wagen bremsen zwar die Lokomotive, machen es ihr schwerer voranzukommen. Aber letztlich werden sie eben doch von der Lokomotive auf dem demselben Gleis hinterher gezogen.

Die Tugend des Ökumenismus

Zu all diesen Tugenden, die vor allem das Leben im Staat beeinträchtigen, gesellt sich auf religiösem Gebiet noch die sog. Tugend des Ökumenismus. Der Ökumenismus ist, wie wir vergangene Woche schon gesagt haben, lediglich die Anwendung des Subjektivismus auf den Glauben. Der Ökumenismus ist deshalb der erbitterte Feind jedes Dogmas. Das einzige Dogma des Ökumenismus besagt: Es gibt kein Dogma. Der Ökumenismus ist der Pluralismus auf religiösem Gebiet. Je mehr verschiedene religiöse Bekenntnisse nebeneinander koexistieren, umso besser. Bekehrung zu einer einzigen Religion ist nicht erwünscht, weil dadurch die bunte pluralistische Vielheit zerstört würde. Deshalb stehen sich der Ökumenismus und die katholische Religion unversöhnlich gegenüber. Der Grund dafür ist, weil der Dreifaltige Gott die absolute Wahrheit selbst ist und darüber hinaus völlig unveränderlich ist. Deshalb muß auch die katholische Religion den Anspruch auf absolute Wahrheit und Unveränderlichkeit anmelden. Denn die Glaubenssätze, die wir bekennen, sind nichts anderes als die Beschreibung des einen und einzig wahren Gottes. Und wie sich Gott nicht ändern kann, so können sich auch die Dogmen, welche Sein Wesen und Sein Handeln beschreiben, nicht ändern.

Der Ökumenismus war der Grund, warum das sog. 2. Vatikanum einberufen wurde. Alle Veränderungen, seit dem sog. 2. Vatikanum wurzeln im Ökumenismus. Alle Dokumente des sog. 2. Vatikanums und alle offiziellen Dokumente der auf diesem Konzil gegründeten Novus-Ordo-Kirche atmen diese Ideologien: den Subjektivismus, den Relativismus, den Liberalismus, den Pluralismus und den Ökumenismus. Deshalb sollen wir offen sein für die falschen Religionen. Wir sollen sie tolerieren und respektieren. 

Die Macht der Kultur

Auch die moderne Welt hat ihre Wahl getroffen und sich wie das jüdische Volk für Barabbas erklärt. All diese kranken Ideen haben unsere Welt erfaßt und das Denken der meisten Menschen verfälscht. Das ist die Ursache für die Traurigkeit, die wir Katholiken so oft empfinden, wenn wir um uns blicken oder wenn wir in die Zukunft schauen. Eine Traurigkeit, die man uns als Pessimismus vorhält. Wir dächten stets „negativ“ und sollten doch statt dessen „positiv“ sein. – Dabei ist unsere Betrübnis zutiefst in der menschlichen Natur verwurzelt. Die vornehmste Fähigkeit des Menschen ist sein Verstand, mit dem er die Wahrheit erkennen kann. Deshalb kann kein vernünftiger Menschen, der nahezu 24 Stunden am Tag mit einer kranken, verrückten Welt konfrontiert ist, in der alle möglichen unversöhnlichen Gegensätze gleichberechtigt nebeneinander stehen, glücklich und zufrieden sein, selbst wenn er alle Güter dieser Welt besäße und genießen würde. Sich daran zu freuen wäre Wahnsinn. Es gibt eine vernünftige und gesunde Traurigkeit. Denn unser Verstand sehnt sich nach der Wahrheit. Dafür ist er geschaffen. Deshalb sehnen wir uns nach der Herrschaft Christi und nach dem Reich der Wahrheit, welches, vom göttlichen Gesetz geordnet und durchherrscht, schön, heilig und vollkommen ist. 

Als Pilatus unseren Herrn fragte, ob Er ein König sei, hat er geantwortet: „Ja, ich bin ein König. Dazu bin ich in die Welt gekommen, daß Ich für die Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder der aus der Wahrheit ist, hört auf Meine Stimme“ (Joh. 18, 37).– Seine Königsherrschaft ist verbunden mit der Wahrheit, die Er selbst ist. Der Grund für seine Menschwerdung und der Zweck seines Königtums ist das Zeugnis für die Wahrheit.

Beachten wir deshalb am Ende unserer heutigen Überlegungen die gewaltige Macht, welche die Kultur auf den Menschen ausübt. Als Katholiken glauben und verstehen wir die Falschheit der liberalen Kultur. Aber sobald wir den Fuß über die Schwelle der Kapelle setzen und wieder nach Hause gehen, sind wir dort mit jener Kultur konfrontiert, die aufgeladen ist mit all dem, was wir gerade beschrieben haben. Und die Menschen um uns herum nötigen uns dazu, direkt oder indirekt, Dingen zuzustimmen, denen wir nicht zustimmen können; Menschen, die nach diesen verdorbenen Prinzipien leben. Jede Kultur hat einen enormen Einfluß. Sie verbreitet ein geistiges Klima, in dem der Mensch gleichsam geistig atmet, das er in uns aufnimmt. Eine christliche Kultur hat einen guten Einfluß auf die Seelen. Sie hat früher dafür gesorgt, daß selbst ein durchschnittliches Christentum mit eher mäßigem Eifer ausreichend war, um seine Seele zu retten. Viele Menschen sind ohne übermäßigen religiösen Eifer durch die christliche Kultur mitgezogen worden. Und für die eifrigen war es leicht, ein christliches Leben zu führen. Sie haben die Sakramente empfangen, weil alle es taten, und die Gebote gehalten, weil sie durch Gesetze und gesetzliche Strafen von der Sünde ferngehalten bzw. abgeschreckt wurden. – Heute ist es genau anders herum. Doch auch die anti-christliche Kultur, in der wir leben müssen, hat eine große Macht auf uns. Wir sehen es daran, wie schwer es uns fällt, nicht mit dem mitzumachen, was alle anderen tun. Nein zu sagen und auch unsere Kinder nicht das tun zu lassen, was alle anderen Kinder tun. Wir müssen ständig all den Lockungen und Versuchungen der antichristlichen Kultur um uns herum Widerstand leisten; eine Kultur, die uns ständig dazu drängt, selber Subjektivisten, Liberale und Pluralisten zu werden. Und das kostet viel Kraft. Um die nötige Kraft wollen wir heute unseren König, zu dem wir uns bekennen und dem wir uns weihen, anflehen. – Unsere Kultur muß katholisch sein! Das ist unsere Kultur, die wir bewahren müssen, wie Papst Leo XIII. sagte: „Die Sicherheit des Staates macht es erforderlich, daß wir zu Demjenigen zurückkehren, von dem wir uns hätten niemals trennen dürfen. Zu Demjenigen, der da ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Das ist verlangt, nicht nur für jeden Einzelnen, sondern für die gesamte menschliche Gesellschaft, soweit sie sich erstrecken mag. Christus, unser Herr, muß wieder eingesetzt werden als Herrscher über die menschliche Gesellschaft. Sie gehört ihm insgesamt, genauso wie jedes Einzelne ihrer Glieder.“ Und der Papst fährt fort: „Alle Elemente dieses Reiches, Gesetze, Schulen, eheliches und häusliches Leben, Wirtschaft und Politik, alle müssen sie zu dem Quell kommen, um daraus das ewige Leben zu schöpfen, welches nur aus Ihm entspringt.“ Amen.

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