Begriff und Geschichte des Opfers

Geliebte Gottes!

Der katholische Glaube ist das Fundament der christlichen Religion. Ohne Glaube kann man Gott nicht wohlgefallen (vgl. Heb. 11, 6). Ohne Glaube kann man nicht gerettet werden (vgl. Mk. 16, 16). Wenn der katholische Glaube das Fundament unserer Religion ist, dann ist das hl. Meßopfer ihr Höhepunkt. Es ist derjenige Akt, durch welchen Gott die Ihm gebührende Ehre und Verherrlichung auf vollkommenste Weise erwiesen wird. Die hl. Messe beinhaltet in ihren Worten und Handlungen, in ihren Gebeten und Zeremonien den Glaubensschatz der katholischen Kirche; sie ist, wie die Päpste immer wieder hervorhoben – gebetetes Dogma. Die genaue Kenntnis des heiligen Meßopfers ist für jeden Katholiken unerläßlich. Deshalb schärft der Römische Katechismus, welcher auf Veranlassung des Konzils von Trient herausgegeben wurde, den Seelsorgern ein: Sie sollten das hl. Meßopfer dem gläubigen Volk sorgfältig erklären. Dies wollen wir in den kommenden Wochen mit möglichster Kürze, aber doch in der nun einmal dazu notwendigen Ausführlichkeit tun. Wenn nun also die Seelsorger nach dem Willen der Kirche die Pflicht haben, dieses Geheimnis sorgfältig zu erklären, so können andererseits die Gläubigen nicht von der Pflicht freigesprochen werden, diese Erklärung aufmerksam und andächtig anzuhören und – was noch wichtiger ist – auch zu beherzigen. Wir sind ja verpflichtet, diesem heiligen Opfer an allen Sonn- und Feiertagen beizuwohnen, sooft uns die Möglichkeit dazu offensteht. Wie wichtig ist es deshalb, über das hl. Meßopfer gut Bescheid zu wissen! Wer den Wert, das Wesen, den Zweck und die Teile der hl. Messe kennt, der wird nicht nur gerne seine Sonntagspflicht erfüllen; er wird diese Pflicht als Privileg, als besondere Ehre auffassen und dieselbe besser erfüllen können. 

Wir wollen heute zwei grundlegende Punkte betrachtet, die zuerst klar sein müssen, ehe wir uns eingehend mit der hl. Messe selbst befassen können. Diese Punkte sind 1. der Begriff des Opfers. Was ist das, ein Opfer? Was versteht man darunter? – und 2. die Geschichte des Opfer. Wie und warum haben Menschen vergangener Zeiten Opfer dargebracht?

Der Begriff des Opfers

Zunächst aber die grundlegende Frage nach dem Begriff des Opfers. Was ist ein Opfer? Der Katechismus nennt kompakt in einem einzigen Satz alle wesentlichen Merkmale, die ein Opfer ausmachen: „Ein Opfer besteht darin, daß man Gott eine sichtbare Gabe darbringt, um ihn als den höchsten Herrn zu ehren und anzubeten.“ – Man braucht diese Antwort nur ein wenig zu überdenken, und man wir finden, daß zu jedem Opfer drei Dinge gehören. Diese drei Dinge machen das Wesen eines jeden Opfers im strengen Sinn aus. Welche drei Dinge sind das? – Zu jedem Opfer gehört zunächst eine „Gabe“. Oder für wen das verständlicher klingt, ein „Geschenk“. Und zwar ein sichtbares Geschenk. Die sichtbare Opfergabe ist das erste Wesensmerkmal eines Opfers. Zweites: Dieses Geschenk wird keinem Engel und keinem Menschen, ja überhaupt keinem Geschöpf, sondern allein Gott dargebracht. Der Adressat des Opfers ist allein Gott. Das ist das zweite Wesensmerkmal. – Schließlich muß noch erklärt werden, zu welchem Zweck und in welcher Absicht die sichtbare Gabe Gott dargeboten wird. Warum versammeln wir uns um den Altar? Warum opfern wir? – Um Gott als den höchste Herrscher über alles Geschaffene anzuerkennen. Um Ihn als den obersten Herrn über uns selbst, als den obersten Herrn über unsere Familien, über unseren gesamten Besitz, über alles, was wir sind und haben, ja, um Ihn als den obersten Herrn über die ganze Schöpfung anzuerkennen. Indem wir opfern, erklären wir, daß wir uns Gott ganz unterwerfen, daß wir ganz von Ihm abhängig sind, daß wir Ihm alles verdanken. Wir legen Ihm alles zu Füßen, nicht weil wir Ihm etwas zu bieten hätten, sondern weil Ihm all das von Rechts wegen zusteht; weil Ihm alles gehört. Gott und Gott allein ist Ursprung und Ziel unseres ganzen Daseins. Bei jedem Opfer bekennt der Mensch: „Du allein bist der Heilige! Du allein der Herr! Du allein der Höchste!“ Du hast absolute und totale Verfügungsgewalt über mich, über alles was ich bin und habe, ja, über jedes Geschöpf, über alles, was nicht Gott ist. Diese Abhängigkeitserklärung Gott gegenüber hat eine besondere Bezeichnung – man nennt sie Anbetung. Jedes Opfer dient dem Zweck der öffentlichen Anbetung Gottes. Das ist das dritte Wesensmerkmal des Opfers, die Anbetung!

Fassen wir nochmals kurz zusammen: Was gehört zu einem Opfer? – 1. eine sichtbare Gabe. 2. Diese Gabe wird Gott dargebracht um damit 3. Gott als den höchsten Herr anzuerkennen, zu ehren und anzubeten. Das sind drei einfache, leichtverständliche Punkte, welche aber das Fundament der Lehre vom hl. Meßopfer bilden. Wir werden des öfteren darauf zurückkommen müssen.

1. Einwand – gegen die Möglichkeit des Opfers

So einfach diese Erklärung ist, so werden doch einige Einwände gegen dieselbe gemacht, welche wir gleich zurückweisen wollen, bevor wir fortfahren. – Der erste wird gegen den Umstand erhoben, daß das Opfer ein Geschenk sein soll. Zwar könne ein Mensch einem anderen Menschen etwas schenken. Aber wie bitteschön will der Mensch Gott etwas schenken? Ihm, dem Schöpfer, dem höchsten Herrn und Eigentümer aller Dinge? Was könnte man Ihm schenken, was nicht schon längst Sein Eigen ist? – Dieser Einwand klingt einleuchtend. Man kann unmöglich jemandem etwas schenken, das ihm längst gehört. Gott sagt aber Selbst im 49. Psalm: „Mein ist der Erdkreis und seine Fülle. Mein ist alles Wild in den Wäldern und das Vieh im Gebirge und in die Rinder.“ Wie also könnten wir Gott dann irgend etwas schenken? – Die Antwort ist einfach. Obwohl Gott der erste und höchste Eigentümer aller Dinge ist und bleibt, so hat Er doch den Menschen eine Art von Eigentum, zwar ein abhängiges Eigentum, aber doch ein wahres Eigentum übertragen. Gott sprach zu den Stammeltern: „Ihr sollt herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alles Getier, das sich auf Erden regt. Seht ich gebe euch alles Grünkraut. ... Und es geschah so“ (Gen 2, 28b-30). Und der Psalmist fügt hinzu: „Die Himmel der Himmel sind des Herrn, die Erde aber hat Er gegeben den Menschenkindern“ (Ps. 113, 16). Weil also die Menschen ein beschränktes aber doch wahres Eigentum an äußeren Gütern haben, so können sie damit Gott eine Gabe darbringen. – Man könnte es in etwa vergleichen mit dem Taschengeld, das die Kinder vom Vater anvertraut bekommen. Der Vater hat das Geld verdient. Deshalb behält er auch über das Taschengeld seiner Kinder weiterhin die Verfügungsgewalt. Aber der Vater gibt den Kindern Anteil über einen kleinen Geldbetrag. Sie sollen lernen, in rechter Weise damit umzugehen und darüber zu verfügen. Obwohl der Vater kraft der „patria potestas“, der „väterlichen Gewalt“, über das Taschengeld seiner Kinder verfügen kann, so können ihm die Kinder damit doch, etwa zu seinem Namenstag oder Geburtstag, ein kleines Präsent kaufen, welches sie ihm dann auch wirklich als „ihr Geschenk“ überreichen können. Ja, der Vater darf es sogar von seinen Kindern erwarten, daß sie ihm zu derlei Anlässen von ihrem Taschengeld ein kleines Geschenk machen.

2. Einwand – gegen die Sichtbarkeit der Opfergabe

Der zweite, häufig von Protestanten und Freikirchlern erhobene Einwand, richtet sich gegen die Sichtbarkeit der Opfergabe. Gott ist Geist. Mit materiellen Opfergaben wisse er nichts anzufangen und deshalb wolle er sie nicht. Statt dessen verlange Er geistige Opfer, etwa den geistigen und damit unsichtbaren Akt der Anbetung im Inneren der Seele: „Gott schaut auf das Herz“ (vgl. 1. Sam. 16, 7), so stehe es geschrieben! Gott ist Geist. Er nähre sich nicht vom Opferfleisch und lösche nicht Seinen Durst am Opferblut. Allein geistige Gaben seien Ihm deshalb wohlgefällig. Der Gehorsam gegen die Worte der Bibel etwa oder ein geistiger Lobpreis, wie etwa das Kirchenlied, das wir zu Beginn der hl. Messe gesungen haben. Und untermauert wird der Einwand dann natürlich noch gerne mit dem Wort des Propheten Samuel, welches wir schon letzten Sonntag gehört haben: „Wertvoller als Opfer ist Gehorsam, Folgsamkeit besser als Widderfett!“ (1. Sam. 15, 22). Keine materiellen Gaben, sondern geistige Opfer! So lautet der Einwand. 

Dabei wird jedoch der tiefere Sinn der Opfergabe übersehen. Die Opfergabe ist ja nicht einfach ein Geschenk, mit dem der Mensch Gott „Freude“ bereiten oder gar Seinen Lebensunterhalt decken will – eine lächerliche, heidnische Vorstellung, die uns Katholiken da untergeschoben wird. Nein, die Opfergabe steht stellvertretend für uns! Wir selbst sollen uns Gott schenken. Eben weil Gott der Herr über alles Geschaffene ist, verdient Er es eigentlich, daß wir selbst uns Ihm hinopfern. Der Mensch besteht aber nicht nur aus einer geistigen Seele. Er hat auch einen sichtbaren Körper aus Fleisch und Blut. Anders als bei den Engeln, die ja reine Geister sind und keinen Leib haben, genügt für den Menschen ein rein geistiger Akt der Anbetung allein nicht. Die Anbetung der Seele muß vielmehr in Verbindung stehen mit der Darbringung der sichtbaren, körperlichen Gabe, die stellvertretend für den ganzen Menschen – mit Leib und Seele – steht. Wie gesagt: Die Rechte Gottes über uns gehen sogar soweit, daß wir Ihm eigentlich unser Leben schulden, daß wir uns selbst eigentlich opfern müßten. Deshalb ordnete Gott im Alten Testament an, daß man Ihm Gaben darbringe, die allesamt stellvertretend für das menschliche Leben stehen: Lämmer, Böcke, Stiere, Getreide, Brot, Wein, Öl, Früchte, etc. Aus all diesen Gaben schöpft der Mensch sein Leben. Ohne sie geht sein Leben zugrunde. Er verhungert und stirbt. In den Opfergaben ist gleichsam das menschliche Leben aufgespeichert. In der Darbringung dieser Gaben, die durch die Flammen des Brandopferaltares in Rauch aufgingen und zum Himmel emporstiegen, hat der alttestamentliche Mensch stellvertretend sich selbst, sein Leben, sein Menschsein, seinen Leib und seine Seele Gott aufgeopfert. In andern Worten: Weil der Menschen außer seiner Seele auch einen Leib hat, deshalb muß seine Opfergabe auch sichtbar und körperlich sein.

3. Einwand – Gott nimmt keine Gabe an

Schließlich noch ein dritter Einwand, der in Frage stellt, ob Gott ein Opfer überhaupt annehme. Zu einem Geschenk gehört ja nicht bloß, daß eine sichtbare Gabe vorhanden ist; daß der Schenker ein Geschenk überreicht, sondern auch, daß der Beschenkte die Gabe annimmt und behält. Das Geschenk muß von einer Hand in die andere übergehen; vom Schenkenden zum Beschenkten. Wozu sollen aber alle Gaben der Menschen dem höchsten Gott nützen, der doch alle Güter und alle Seligkeit von Ewigkeit her besitzt? Wie wir schon sagten: Gott hat diese Gaben doch gar nicht nötig. Er spricht: „Werde ich das Fleisch der Tiere essen, oder das Blut der Böcke trinken?“ (Ps. 49, 13). – Gewiß, wir können Gott nichts geben, was Er nötig hätte; wessen Er bedürfte; nichts, wodurch Sein Reichtum vermehrt, Seine Seligkeit erhöht, Seine Vollkommenheit vergrößert würde. Daran ist festzuhalten! – Und auch das ist einleuchtend, daß derjenige, welcher ein Geschenk darbringen will, es wenigstens selbst nicht behalten darf. Darum wurde es immer beim Opfer als nötig angesehen, daß die Opfergaben der menschlichen Verfügungsgewalt völlig entzogen werden. Hierfür wurde sie entweder im Tempel aufgehängt, auf den Altar gelegt, geschlachtet, verbrannt, oder sonstwie vernichtet. Wohin also mit der Opfergabe, die Gott nichts nützt und die der Mensch doch nicht behalten kann?

Als Aaron, der erste Hohepriester des Alten Bundes, das erste Opfer darbrachte, da fiel Feuer vom Himmel und verzehrte das Opfer vollständig, und dieses Feuer mußte beständig brennend erhalten werden. – Als später der Prophet Elias den falschen Götzenpriestern die Wahrheit seines Gottes zeigen wollte, ließ er die Götzenpriester auf dem Berg Karmel einen Altar errichten, einen Stier schlachten und dessen Fleisch auf den Altar legen. Er tat dasselbe seinerseits, zog einen Graben um seinen Alter, füllte ihn mit Wasser und begoß den Altar, das Holz und das Opferfleisch mit Wasser. Nun sagte Elias, derjenige soll als wahrer Gott anerkannt und angebetet werden, der vom Himmel Feuer sendet und das Opfer verzehrt. Vergeblich riefen und schrien die Baalspriester zu ihrem Götzen. Als aber Elias betete, fiel Feuer vom Himmel, verzehrte das Opfer, das Holz, die Steine und sogar das Wasser, das im Graben war. So deutlich hat Gott gezeigt, daß und wie Er das Opfer annimmt.

Nur das Beste! Allein für Gott!

Noch zwei Dinge folgen wie von selbst aus unserer Erklärung zum Opferbegriff. Wenn das Opfer eine sichtbare Gabe ist, die Gott dargebracht wird, so folgt daraus, daß das Opfer um so besser und wertvoller ist, je kostbarer die Gabe ist, welche Gott dargebracht wird. Je nötiger sie für denjenigen ist, der sie darbringt; und je mehr das Herz dessen daran hängt, der sie gibt oder der sie empfängt. Je größer der Verzicht dessen ist, der Gott opfert, um so größer leuchtet die Ehrfurcht und Liebe zu Gott aus seinem Opfer hervor. Was nichts kostet, ist bekanntlich nichts wert. Die Wertschätzung des Geliebten spiegelt sich stets in der Gabe wider, die ihm zum Geschenk dargeboten wird.

Eines Tages stand König David im Krieg dem Lager der feindlichen Philister gegenüber. Vom Durst gequält sprach er: „O wenn mir jemand Wasser aus dem Brunnen, der zu Bethlehem neben dem Tor ist, zu trinken gäbe“ (2. Sam. 23, 15). Drei seiner Männer hörten, was der König wohl eher zu sich selbst sagte. Heldenmütig machten sich die drei auf, drangen durch die feindliche Linie, durchquerten das Lager der Feinde, holten und brachten dem König das gewünschte Wasser. Der König aber trank das Wasser nicht. – David goß das Wasser auf die Erde aus, als ein Opfer für den Herrn! Es war eine kostbare Gabe! Warum? Das Wasser war mit Lebensgefahr dreier seiner besten Krieger, mit dem Schweiß und Blut drei seiner tapfersten Recken herbeigeschafft worden. Der König rief aus: „Der Herr bewahre mich davor, dies zu tun! Soll ich etwa das Blut der Männer trinken, die unter Lebensgefahr hingegangen sind?“ (2 Sam. 23, 17). David dürstete sehr danach. Und es war kein anderes Wasser da. Doch zu kostbar erschien ihm das Leben seiner größten Helden, so daß dieses Wasser allein Gott gebührte und sich der König mit demselben durch seinen Verzicht vereinigte.

Schließlich noch ein letzter Schluß, der sich aus dem Gesagten wie von selbst ergibt. Weil das Opfer eine Gabe ist, die dargebracht wird, um die Majestät Gottes, Seine höchste Herrschaft und die absolute Verfügungsgewalt über die ganze Schöpfung auszudrücken, darf ein Opfer im strikten Sinn nur Gott allein dargebracht werden. Denn die durch ein Opfer getätigte Aussage – Du bist der Ursprung und das Ziel meines Daseins – ist einzig und allein im Hinblick auf Gott wahr und allem anderen gegenüber Lüge. Weiße Kühe, die Sonne, der Mond, das Feuer, die Götzen der Heiden, ja selbst die vollkommensten Geschöpfe, die Engel, die Heiligen des Himmel, die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria, sie alle sind nicht Schöpfer, nicht Spender und Herrn über Sein und Leben. Deshalb darf keinem von ihnen, sondern nur Gott allein ein Opfer dargebracht werden.

Die Geschichte des Opfers

Mit dem Begriff des Opfers stimmt schließlich auch die Geschichte des Opfers überein. Denn von Anbeginn der Welt hat es Opfer gegeben. Und aus der Offenbarung wissen wir, daß Gott Selbst im Alten Bund Opfer angeordnet hat. Überfliegen wir kurz im Geiste die vergangen Jahrhunderte, um uns davon zu überzeugen. Überall finden wir in allen Erdteilen, in allen Ländern, bei allen Völkern Menschen, die damit beschäftig sind, der Gottheit Gaben darzubringen, d.h. zu opfern. 

Daß die Heidenvölker opferten, davon legen die Trümmer ihrer Altäre und Tempel Zeugnis ab. Das beweisen die Funde der Archäologen und die Geschichtswissenschaft. Daß die Juden Opfer hatten, davon berichtet uns die Heilige Schrift. Da gab es blutige Opfer und unblutige; Opfer für die Priester, Opfer für das Volk, Opfer für einzelne Personen, Opfer für bestimme Feste und Anlässe, Opfer für bestimme Sünden. Derjenige würde sich als unwissend zeigen, welcher behaupten wollte, Gott hätte diese Opfer nicht selbst angeordnet. Das ganze Buch Leviticus handelt von den Kultvorschriften, die Gott selbst erlassen hat. Daraus wird auch ersichtlich, daß es nicht dem Menschen zukommt, selbst zu wählen, wann und wie er Gott verehren möchte, sondern daß Gott selbst den Kult, der Ihm erwiesen werden muß, vorschreibt. Alles andere ist Menschenwerk und in den Augen Gottes ein Greuel. Religiöse Willkür, Gottvergessenheit und Atheismus waren stets Dekadenzerscheinungen, also typische Merkmale der sittlichen Verkommenheit, welche meist den bevorstehenden Kollaps einer Kultur signalisierten.

Doch schauen wir weiter zurück bis zu der Wurzel und dem Stammvater des israelitischen Volkes. Wir sehen Abraham auf dem Berg Moria. Sein Arm ist erhoben. In seiner Hand blitzt das Messer. Vor ihm auf dem frischgebauten Altare liegt die Opfergabe, sein eigener Sohn Isaak, der Sohn seines Greisenalters, der Sohn der Verheißung. Was will er? Abraham will ein Opfer bringen. – Schauen wir noch weiter zurück bis in die Tage Noes. Er steigt aus der Arche, und auf den Trümmern einer in der Sintflut untergegangen Welt bringt er Gott ein Dankopfer dar. – Und noch weiter, zurück in die Vergangenheit! Was finden wir in der Morgenröte der Menschheitsgeschichte vor? Zwei Brüder. Kain und Abel. Womit sind sie beschäftigt? Sie opfern! Der eine die Lämmer seiner Schafsherde, der andere die Erstlinge der „Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit“. Von wem haben sie gelernt zu opfern? Von ihren Eltern, von Adam und Eva. Wenn es sich aber so verhält, dann haben auch die Stammeltern geopfert, und es liegt nichts näher als der Gedanke, daß die ersten Menschen von Gott selbst über das Opfer belehrt worden sind. Wenn aber Adam und Eva geopfert haben, dann können wir mit Fug und Recht sagen: Das Opfer ist so alt wie die Menschheit, so alt wie die Religion, so alt wie die Schöpfung an sich.

Von dem Opfer Abels, der ein unschuldiges Lamm opferte, bis zu dem Opfer unseres Herrn Jesus Christus am Altar des Kreuzes geht eine lange Linie, eine ununterbrochene Kette von Opfern. Doch auf Golgotha finden wir das vollkommenste aller Opfer, eine Gabe so kostbar, daß sie nicht überboten werden kann – den reinsten Leib und das kostbare Blut des menschgewordenen Gottessohnes! Einen Priester so rein, daß er nicht reiner sein kann! Eine Gesinnung so heilig, daß sie ihresgleichen nicht haben kann! Eine Entäußerung so vollständig, daß der Opfernde nichts für sich behielt! Einen Altar so öffentlich, daß er vor allen Völkern im Angesicht des Himmels und der Erde dastand! Ein Opfer so wirksam, daß sich seine Wirkungen in der Zeit vorwärts und rückwärts erstrecken; so wirksam, daß vor diesem Opfer die Opfer des Alten Bundes überflüssig und unwirksam werden und verschwinden, wie die Schatten und Nebel vor der Sonne verschwinden! Denn die alttestamentlichen Opfer sind nichts anderes als Schatten des einen und einzigen Opfers des Neuen Bundes; es sind nur von Gott vorläufig angeordnete Wegweiser zum Altar des Kreuzes. Wenn man aber erst am Ziel angelangt ist, werden die Wegweiser überflüssig.

Christus hat sich selbst als ein unbeflecktes Opfer Gott dargebracht“ (Heb. 9, 14), lehrt uns der hl. Paulus im Hebräerbrief. So wollen wir uns nun anschicken, in wenigen Augenblicken dieses Opfer zu erneuern. Wir wollen uns dabei selbst mit der vollkommensten Anbetung vereinigen, welche unser Herr Jesus Christus Seinem himmlischen Vater erweist. Wir wollen uns zusammen mit unserem göttlichen Erlöser Gott schenken und bekennen: „Du allein bist der Heilige! Du allein der Herr! Du allein der Allerhöchste!“ Amen.

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