Sonntag Sexagesima
„Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt.“ (Offb. 3, 15)
Geliebte Gottes!
Der Herr kommt im heutigen Gleichnis vom Sämann auf vier verschiedene Bodenarten zu sprechen, deren unterschiedliche Beschaffenheit einen sehr großen Einfluß auf die jeweilige Fruchtbarkeit hat: Es ist die Rede vom Weg, dem felsigen Grund, von dem mit Unkrautsamen verunreinigten Boden und vom guten Erdreich. Während das „gute Erdreich“ ein Bild für die Seele ist, welche ganz aufgelockert, d.h. losgelöst von sich selbst, empfänglich für Gottes Wille und von der Gottesliebe durchdrungen ist, steht im Gegensatz dazu „der Weg“ als ein Bild für die Seele des Todsünders, der in seiner ungeordneten Eigenliebe ganz verdichtet, verhärtet und unzugänglich für Gottes Gnadenwirken geworden ist. Dazwischen steht sowohl der steinige Boden als auch die mit Unkrautsamen kontaminierte Erde. Beide sind ein Bild für die Seele des lauen Christen. Der laue Christi ist nicht heiß und ist nicht kalt (vgl. Offb. 3, 15). Er entbrennt nicht in selbstloser Gottesliebe, doch ist sein Herz auch noch nicht gänzlich in der Kälte der Todsünde erstarrt. Wie wir am vergangenen Sonntag gesehen haben, besteht die Lauheit ihrem Wesen nach in der Hemmung der Gottesliebe aufgrund einer ungeordneten Anhänglichkeit an geschaffene Güter, welche jedoch nicht so schwer wiegt, daß sie eine Todsünde wäre. Die Anhänglichkeit an geschaffene Güter findet sich im heutigen Gleichnis in dem steinigen Boden und in den Unkrautsamen veranschaulicht. Die dünne Ackerkrume, die dünne Schicht religiösen Wissens und religiöser Praxis einerseits, sowie die ins Kraut schießenden Sorgen, Reichtümer und Genüsse der Welt andererseits halten das Wachstum der Gottesliebe auf Sparflamme und ersticken es leicht.
Als Ursache für die Lauheit im religiösen Leben haben wir vergangenen Sonntag eine Art „geistliche Unterernährung“ ausgemacht. Jedes Leben, auch das übernatürliche Leben der Gottesliebe, braucht Nahrung: Gebet – Lesung – Gewissenserforschung. Wer zu wenig geistliche Kost zu sich nimmt, wird schwach und krank. Lassen Sie uns heute eingehender die Anzeichen der Lauheit ins Auge fassen sowie ihre gefährlichen Folgen, um schließlich noch kurz auf die Mittel zu ihrer Bekämpfung zu sprechen zu kommen. Jeder prüfe sich dabei selbst. Bevor wir die Anzeichen der erkaltenden Gottesliebe nennen, sei vorausgeschickt, daß nicht jedes der genannten Anzeichen für sich allein genommen schon ein eindeutiges Indiz für eine vorliegende Lauheit gelten kann. Es ist eher das Zusammentreffen mehrerer Anzeichen bzw. deren anhaltende Dauer, welche auf die Krankheit der religiösen Trägheit bzw. Lauheit der Gottesliebe hinweisen. Welche Zeichen sind dies nun konkret?
Die Erkä(a)ltung
Für gewöhnlich ist der laue Katholik ziemlich sorglos im Hinblick auf seine Frömmigkeit. Er bemüht sich nicht, um im Gebet Zerstreuungen zu vertreiben. Er strengt sich zu wenig an, die innere Sammlung beim Gebet zu bewahren. Er betet vielleicht, aber sein Gebet ist voll „freiwilliger“ Zerstreuung. Wohlgemerkt! Die Zerstreuung an sich vermindert nicht den Wert des Gebetes – solange die Zerstreuung nicht „freiwillig“ ist! „Freiwillig“ ist die Zerstreuung, wenn sie einfach zugelassen und nicht bekämpft wird. Wenn wir etwa beim Beten plötzlich bemerken, daß nur noch der Mund betet, die Gedanken aber gar nicht bei der Sache sind, und es trotz dieses Bewußtseins weiterhin zulassen, daß die Gedanken umherschweifen, dann ist die Zerstreuung zu einer „freiwilligen“ geworden. – Wenn wir hingegen das Gebet mit guter Absicht beginnen und uns unbeabsichtigter Weise zerstreuen, dann leidet der Wert unseres Gebetes aufgrund der guten Absicht nicht darunter. Wenn wir uns bemühen, sobald wir eine Zerstreuung bemerken, wieder konzentriert weiter zu beten, dann war die Zerstreuung unbeabsichtigt. Alles, was ohne Absicht geschieht, ist keine Sünde. Ein Zeichen des Eifers der wahren Gottesliebe besteht eben aber darin, daß wir uns von der Zerstreuung losreißen, sobald wir das Abschweifen der Gedanken bemerken. Für den lauen Beter hingegen wird das Gebet, und erst recht das betrachtende, innerliche Gebet, mehr und mehr zu einer einzigen, andauernden Zerstreuung.
Ein weiteres sehr deutliches Anzeichen für das Erkalten der Gottesliebe besteht in der Abkürzung der Gebetszeit. Man betet weniger als früher. Oder aber man betet schneller, ja fast schon hastig. Man betet so schnell wie möglich. Warum? Um das Gebet so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, um dann wieder frei zu sein für die „interessanteren Dinge des Lebens“, also für all das, was der Eigenliebe mehr zusagt. Es gab vor dem 2. Vatikanum Priester – und man findet sie auch heute im traditionalistischen Klerus –, die sich anstrengen die hl. Messe so schnell wie möglich zu lesen. Man hat fast den Eindruck, sie wollten die Zelebration der hl. Messe wie eine lästige Pflicht so schnell wie möglich hinter sich bringen. Das war der Grund, warum nach dem Konzil die „Neue Messe Pauls VI.“ so freudige Aufnahme fand. Es geht viel schneller. Man kann die Neue Messe auf 15 Minuten „schaffen“. Und dann ist man frei für viel „aufregendere“ Dinge wie Einkaufen, Leute besuchen, mit den Menschen Gespräche führen, planen, organisieren oder – sich ausruhen. Das sind alles Dinge, die nicht notwendigerweise schlecht und in sich sündhaft wären – aber sie sind eben doch weltlich. Das Problem ist nicht die einzelne Sache, sondern die Anziehungskraft, die sie auf uns ausübt bzw. die übersteigerte Bedeutung, die wir den weltlichen Beschäftigungen auf Kosten der Verehrung Gottes bemessen. So vereinnahmt, wird das persönliche Gebet auch bei Laien immer kürzer und kümmerlicher. Es kommt soweit, daß man alleine so gut wie gar nicht mehr betet, sondern höchstens noch in Gemeinschaft. Also nur noch, wenn andere einen zum Gebet animieren oder anschieben. Für einen lauen Katholiken ist das absolute Minimum an Gottesverehrung die „tägliche Norm“. Das Nachlassen des Gebetseifers ist zweifelsohne ein deutliches Anzeichen der einsetzenden Lauheit.
Ein anderes Merkmal dafür könnte sein, daß jeder religiöse Akt für eine von der Lauheit erfaßte Person eine unerträgliche Last darstellt und deshalb nach jeder sich bietenden Gelegenheit Ausschau gehalten wird, um sich davon zu entschuldigen. – Freilich gibt es berechtigte Entschuldigungen von religiösen Übungen. Notwendige Werke der Nächstenliebe oder die Erfüllung der Standespflichten erlauben, ja gebieten es sogar, das Gebet abzukürzen oder für den Augenblick zu unterbrechen. Eine Mutter kann nicht gleichzeitig beten und ihr weinendes Kind trösten. Insofern Standespflichten oder Werke der Nächstenliebe keinen Aufschub dulden, entschuldigen sie vom Gebet. In diesem Fall haben die Standespflichten Vorrang, weil Gott in diesem Augenblick offensichtlich mehr durch den Dienst am Nächsten verherrlicht werden will, und auch tatsächlich mehr verherrlicht wird als durch das Gebet. Das wäre also eine vollkommen legitime Entschuldigung. – Hingegen liegt keine hinreichende Entschuldigung vor, wann immer man selbst nach einer Ausflucht sucht. D.h. wenn man nach irgendeinen Grund Ausschau hält oder ihn selbst verursacht, um den Werken der Frömmigkeit oder irgendeiner Form geistlicher Betätigung entfliehen zu können.
Der Krankheitsausbruch
Das Erkalten des religiösen Eifers zeigt sich auch sehr deutlich darin, daß man sich keine Mühe mehr gibt, die eigenen Fehler zu erkennen geschweige denn dieselben zu bekämpfen. Wenn einer, obwohl er selten beichtet, nie weiß, was er eigentlich beichten soll, dann ist das ein Anzeichen dafür, daß er sich seiner Fehler kaum bewußt ist. Und wie sollte er dann auch in der Lage sein, sie hinreichend zu bekämpfen? Nicht zu wissen, was man eigentlich beichten soll, ist eine eindeutiges Indiz für „geistliche Unterernährung“. Es mangelt an der täglichen Ration „Gewissenserforschung“. Deshalb ist das geistliche Immunsystem schwach und baut immer weiter ab. – Wie nun eine übertriebene Diät zum Ausbruch schwerer Krankheiten führen kann, genauso ist es bei der geistlichen Unterernährung. – Welche schweren Krankheiten brechen früher oder später aus? Jene, die durch die dreifache Begierlichkeit grundgelegt sind: durch die Augenlust, die Fleischeslust und die Hoffart des Lebens. Die Augenlust, das ist die Habsucht, die Lust an Besitz und Reichtümern. Die Fleischeslust ist das Verlangen nach sexuellen und/oder kulinarischen Genüsse. Und schließlich die Hoffart des Lebens. Darunter versteht man die Ergötzung am eigenen Ich durch Stolz, Ehrsucht und Ehrgeiz. Sie macht sich bemerkbar im ständigen „sich vergleichen“ mit anderen und in der Sorge, was andere Menschen von meiner Person denken. Das sind die drei Begierlichkeiten, die wie ein Virus in jedem von uns schlummern und nur darauf warten, bis unser geistliches Immunsystem soweit geschwächt ist, daß das Virus zum Ausbruch kommen kann. – Die Fleischeslust findet ihren Nährboden im Anschauen von unsauberen oder grenzwertigen Filmen, Bildern oder sonstigen Medien – ohne sich dabei etwas zu denken. Nicht wirklich harte Pornographie natürlich, aber doch Dinge, die als schmutzig oder seicht zu bezeichnen sind. „Das macht mir nichts aus“, sagen Sie. Selbst wenn es so wäre, Gott macht es schon etwas aus! – Auf diese Weise wird die Seele vereinnahmt von ungeheuerlichen Gedanken sexueller Art oder von gesteigerter Neugier gegen derlei Dinge. Der Widerstand des Willens gegen solche Versuchung ist schwach, erfolgt nur langsam und halbherzig.
Mit der Schwächung des Willens geht aber auch die verhängnisvolle Verdunklung des Verstandes einher. Es geschehen Unklugheiten dergestalt, daß man statt die Gelegenheiten zur Sünde zu fliehen, diese Gelegenheiten leichtsinnigerweise aufsucht. Man wird blind für die Gefahr, welche diese Gelegenheiten bergen. Die Zahl der läßlichen Sünde nimmt in einem alarmierenden Ausmaß mehr und mehr zu. Doch das verursacht bei dem von der Lauheit ergriffenen Menschen nur wenige oder schon gar keine Gewissensbisse mehr. „Es ist ja keine Todsünde“, sagt er sich. Sein Verstand ist bereits derart verblendet, daß er dem Trugschluß aufgesessen ist, als wäre alles was nicht Todsünde ist, gleichzeitig schon erlaubt sei.
Eine verblendete Seele wird in der Regel vom Stolz erfaßt. Wer die eigenen Fehler nicht mehr sieht, ist davon überzeugt, keine nennenswerten Fehler zu haben und im Großen und Ganzen alles richtig zu machen. Man vergleicht sich mit anderen Menschen, die noch nachlässiger, noch weltlicher gesinnt sind, die noch schwerere Fehler haben oder noch gravierendere Sünden begehen. Selbstzufrieden sagt sich der laue Christ: „Diese Todsünde begehe ich nicht wie jener. Ich habe keinen so unerträglichen Charakter. Im Vergleich zu diesem bin ich wirklich ein Unschuldsknabe, ja fast schon ein Heiliger.“ Angesichts der Fehler der anderen gibt die Selbstzufriedenheit mit der Zeit ein Gefühl der sittlichen Überlegenheit, woraus schließlich die Selbstgefälligkeit erwächst. Nicht Gott, sondern sich selbst wohlzugefallen – das ist ausgewachsener Stolz! – Gleichzeitig ergreift aber schon die Sorge von der stolzen Seele Besitz. Sie sorgt sich um äußere Erfolge und um ihr Ansehen bei anderen Menschen. Der Stolze ist innerlich unruhig. Ehrgeiz treibt in ihm um. Ehrsucht, Eifersucht, Neid, Kritiksucht, Besserwisserei, Großtuerei, Zorn und ein kalter, harter Umgang mit anderen Personen prägen sein Verhalten.
Schließlich kommt auch die Habgier in irgendeiner Weise zum Tragen, weil die lau gewordene Seele an weltlichen, materiellen Dingen übermäßiges Interesse zeigt. Auch hier kommt wieder eines der „Naturgesetze“ des geistlichen Lebens zum tragen: Im Menschenherzen kann es kein Vakuum geben. Eine steigende Gleichgültigkeit gegen Gott läßt notwendigerweise das Interesse an materiellen Dingen steigen, d.h. an Geld und an dem was man mit Geld kaufen kann. Ein schwindendes Interesse an Gott und geistlichen Dingen läßt notwendigerweise das Interesse an materiellen Dingen ansteigen, d.h. das Interesse an Geld und an allem, was man für Geld kaufen kann. Eine vom Materialismus erfaßte Person wird vielleicht nicht gleich versuchen, mit ihrem Besitz zu protzen oder anzugeben. Jedoch wird sie andere beeindrucken oder sogar übertrumpfen wollen mit dem, was sie hat, oder mit dem, was sie sich leisten kann. Soviel zu den Anzeichen der Lauheit.
Die schädlichen Folgen
Was sind die schädlichen Folgen der Lauheit? – 1. Gott zieht sich zurück. Gott speit den Gleichgültigen aus, wie er in der „Geheimen Offenbarung“ sagt: „Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch warm. Wärest du doch kalt oder warm! So aber, weil du lau bist und weder warm noch kalt, bin ich daran, dich auszuspeien aus meinem Mund“ (Offb. 3, 15 f.).
Die 2. Folge ist das Abstumpfen des Gewissens. Der Laue hat sich die Fertigkeit erworben, d.h. sich das Laster angewöhnt, seine eigenen Sünden zu entschuldigen und sie vor sich mittels Persilschein zu rechtfertigen. – Hier kommt in verhängnisvoller Weise der Sinnspruch zum Tragen, daß man in eigener Sache ein schlechter Richter ist. Wir haben nun einmal alle im allgemeinen die Tendenz dazu, unsere Fehler zu entschuldigen. Freilich gibt es auch Menschen mit einem feinen Gewissen. Aber weil die meisten die Gebote Gottes und die Morallehre der Kirche entweder gar nicht oder nur sehr lückenhaft kennen, ist es die logische Folge, daß ihr Gewissen ungebildet oder gar verbildet ist. Sie haben ein Gewissen, das man ein „laxes Gewissen“ nennt. D.h. sie können gar nicht mehr wahrnehmen, wie schwer ihre Handlungen eigentlich wiegen.
Man unterscheidet bekanntlich drei Arten von Gewissen: Einmal die Fehlbildung des „skrupulösen“, ängstlichen Gewissens. Dieses sieht Sünde dort, wo in Wirklichkeit gar keine Sünde ist. Der Gegensatz dazu besteht im „laxen“, abgestumpften Gewissen. Dieses sieht keine Sünde, obwohl in Wirklichkeit sehr wohl Sündhaftes vorliegt. Zwischen diesen beiden Fehlformen steht das „ausgewogene“, das gebildete Gewissen. Also ein Gewissen, das die Sünde dort sieht, wo sie tatsächlich ist, und keine Sünde sieht, wo auch wirklich keine Sünde vorliegt. Es ist übrigens möglich, daß das Gewissen in einigen sittlichen Fragen skrupulös, also überängstlich ist und gleichzeitig in anderen Bereichen lax und abgestumpft. Das ist der Fall gewesen bei den Pharisäern. Ihnen rief Christus zu: „Ihr siebt die Mücken aus und verschluckt die Kamele“ (Mt. 23, 24). D.h. ihr schreckt vor Unzulänglichkeiten zurück und nehmt es mit geringfügigen Kleinigkeiten übergenau, verübt aber bedenkenlos gravierende Sünden. Auch ein lauer Katholik kann sehr wohl in manchen Dingen übertrieben genau sein. In der Regel wird sein Gewissen im fortschreitenden Krankheitsverlauf, insbesondere auf dem jeweiligen Betätigungsfeld seiner ausufernden Eigenliebe, zu weitmaschig werden und zuviel durchgehen lassen, ohne sich noch anklagend zu melden. Das laxe Gewissen ist ein großer Feind im Kampf um die christliche Vollkommenheit. Ein vom laxen Gewissen geleiteter Christ hat längst das Ideal der Heiligkeit aus dem Blickfeld verloren. Seine Absicht begnügt sich damit, lediglich nicht in die Hölle zu kommen. Das laxe Gewissen zeigt sich außerdem im Sündenbekenntnis. Laue Katholiken gehen meist selten zur Beichte. Vielleicht sogar nur einmal pro Jahr. Denn das ist das Minimum, welches das Kirchengebot unter Todsünde vorschreibt. Und sie rechtfertigen diese Praxis natürlich auch gekonnt mit der Begründung: „Man muß doch nur beichten, wenn man in Todsünde ist. Die Todsünde weise ich ab. Soweit würde ich nie gehen.“ So denken sie sich wenigstens. Wenn sie aber dann vielleicht alle heiligen Zeiten zur hl. Beichte gehen, dann ist ihr Sündenbekenntnis doch auffallend kurz. Das liegt aber nicht etwa daran, daß sie nicht viele Sünden zu beichten hätten. Aber ihr laxes Gewissen erkennt die vielen Sünden, die sie begangen haben, längst nicht mehr.
Die 3. Folge ist die Schwäche des Willens. Wenn man sich in den kleinen Dingen nichts abverlangt, so ist es klar, daß man nicht in der Lage sein wird zu widerstehen, sobald die Versuchungen heftig anstürmen. Die Opferscheu und die Nachlässigkeit in den kleinen, alltäglichen Dingen führen notwendigerweise zu Nachlässigkeiten in großen, bedeutenderen. Kleine Sünden, die nicht bekämpft werden, führen zu größeren. „Wer mit dem Feuer spielt, kommt darin um“ (Spr. 6, 28).
4. Diese Willensschwäche führt zu einem verweltlichten Lebensstil. Wenn im Menschen der Wille nicht über die Leidenschaften herrscht, verselbständigen sich dieselben. Der Laue wird zunehmend von seinen Begierden und Launen getrieben. Die Macht des natürlichen Begehrens und der Neigung zur Bequemlichkeit steigt. Der laue Katholik ist schnell bereit, Zugeständnisse an die Bedürfnisse seine Leibes zu machen, solange es nur keine Todsünde ist. Durch die Opferscheu beraubt sich der laue Christ der guten Anregungen und Einsprechungen des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist wirkt ja den ganzen Tag mittels der helfenden Gnade und durch die sieben Gaben auf unsere Seele ein. Nicht, daß Er uns ins Ohr flüstert, aber Er ist die erste Ursache aller Ideen, die uns anregen, Gutes zu tun und Böses zu meiden, unsere Pflichten zu tun und uns selbst zu überwinden. Auch dem lauen Katholiken kommen diese guten Ideen. Deshalb weiß auch der von der Lauheit erfaßte Christ sehr wohl, was eigentlich zu tun wäre. Jedoch leistet er dem Wirken des Heiligen Geistes durch seine Nachlässigkeit Widerstand. Immer wieder sagt er „Nein“, „Das ist zu streng“, oder „Dieses Opfer werde ich später bringen.“ Damit widersetzt sich die laue Seele den Anregungen des Heiligen Geistes. Statt durch die getreue Mitwirkung der Gnade des Heiligen Geistes eine Fertigkeit zu entwickeln, d.h. in einer übernatürlichen Tugend zu wachsen, wird eine Gewohnheit daraus, derlei Anregungen auszuschlagen. Die Folge davon ist verheerend: Die Seele verdichtet sich nach und nach zum Weg. Die Anregungen des Heiligen Geistes werden immer spärlicher. Das zeigt sich auch darin, daß das einzige, was in dieser Lage helfen könnte, nämlich Beschäftigung mit geistlichen Themen, zur Plage wird. Predigten erscheinen langweilig. Die geistliche Lesung als schal. – Freilich: Es gibt langweilige Predigten. Es gibt geistliche Bücher, die sich zäh lesen lassen. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, daß man derlei Dinge, die durchaus Mühe vom Hörer bzw. Leser verlangen, weil sie die Seele nähren, mit einer Art Unterhaltung verwechselt bzw. den „Genuß“ dabei sucht. Als müsse die geistliche Nahrungsaufnahme stets kurzweilig sein und Spaß machen. Die heiklen „Genießer“ verwechseln den Hauptgang mit der Nachspeise. Sie wollen, wenn überhaupt, nur Dessert essen. Dieses muß klein sein, damit man schnell fertig ist. Es muß so zubereitet sein, daß man nicht mehr zu kauten, d.h. nicht mitdenken braucht. Es darf nicht schwer im Magen liegen, also nicht das Gewissen ritzen. Aber es muß schon süß, nämlich „erbaulich“ sein. Das Wichtigste für den „Genießer“ ist: Es darf nichts kosten – weder Zeit noch geistige oder gar sittliche Anstrengung.
Die Ansteckungsgefahr
Die Lauheit ist im übrigen eine ansteckende Krankheit. Ein lauer Priester erzeugt eine noch nachlässigere Gemeinde. Wir alle kennen die Aufzählung: Heiligmäßiger Priester – eifrige Gemeinde. Eifriger Priester – gewissenhafte Gemeinde; gewissenhafter Priester – laue Gemeinde, lauer Priester – abgefallene Gemeinde. Abgefallener Priester – vertierte Gemeinde. Was man vom Klerus sagt, das gilt auch von Eltern und Einzelpersonen. Die Kinder lauer Eltern werden in der Regel noch gleichgültiger sein als diese. Wenn die Eltern kaum beten oder zur Beichte gehen, woher sollen es dann die Kinder lernen? Zurecht sagt man: Man rettet sich nicht allein. Und man geht auch nicht allein verloren. Man kann nur die Glut der Gottesliebe weitergeben, die man selber hat. Und dabei gibt es wie bei einem Ofen stets einen Wärmeverlust. Der Ofen ist heiß. Er strahlt die Wärme ab in den Raum. Aber die Luft um den Ofen nimmt viel weniger Wärme auf, als sie der Ofen in sich trägt. Jeder von uns muß selbst ein Ofen der Gottesliebe werden, um die anderen in seinem Verwandten- und Bekanntenkreis nach Kräften zu erwärmen. Was ist dazu notwendig zu tun? Welche Mittel gibt es, um der Lauheit vorzubeugen bzw. um sie zu bekämpfen?
Die Heilmittel
Sie wurden eigentlich schon genannt, sollen aber noch einmal kurz aufgezählt werden, weil wir sie gerade in der Vorfasten- und dann erst recht der Fastenzeit zur Anwendung bringen müssen. Als Mittel zur Entfachung der Gottesliebe dienen uns: 1. die häufige Gewissenserforschung und die öftere Beichte. 2. Die Werke der Frömmigkeit: das Gebet, die geistliche Lesung, die Betrachtung, die Vertiefung des Glaubenswissens durch den Katechismus und die wiederholte Weckung der „guten Absicht“, alles für Gott und aus Liebe zu Gott tun und leiden zu wollen. 3. Strenge gegen sich selbst. D.h. der freiwillige Verzicht auf weltliche Einflüsse und auf erlaubte Genüsse, damit unser Wille so gestärkt auch in der Versuchung zum Unerlaubten standhalten kann.
Insbesondere die geistliche Lesung, etwa der „Nachfolge Christ“, der „Philothea“ des hl. Franz von Sales oder vergleichbarer Bücher, sei jedem besonders ans Herz gelegt. Die Lesung geistlicher Schriften hilft sehr, sehr viel, um unser Gewissen in der rechten Weise zu bilden und uns in der Gottesliebe zu erhalten und anzueifern. Sie beinhaltet die tägliche Vitamindosis, die uns an die höchsten Realitäten des Lebens erinnert. Sie nährt unsere Gedanken, macht unsere Seele geneigt zum innerlichen Gebet. Einige geistliche Lehrer gehen soweit zu behaupten, man könne ohne geistliche Lesung gar nicht wirklich betrachtend beten.
Schließlich noch ein letztes Mittel, um den Ackerboden unsere Seele zu entsteinen und das Unkraut niedrig zu halten. Es ist die Pünktlichkeit und Genauigkeit, mit welcher wir die Pflichten unseres jeweiligen Standes verrichten; als Priester, als Eheleute, Kinder, Vorgesetzte, Angestellte, usw. Der hl. Franz von Sales sagt, daß der Weg zur christlichen Vollkommenheit vor allem in der treuen Erfüllung unserer Pflichten besteht. Je mehr wir dabei Gott wohlzugefallen suchen, um so weniger werden wir lau werden. Unsere Seele wird ein fruchtbarer guter Ackerboden für alles, was Gott darauf säen will: ob Glück oder Unglück, ob Freude oder Schmerz, Heiterkeit oder Traurigkeit, Leichtigkeit oder Mühe. Alles wird dann dazu gereichen, Gott „bis zu dreißigfach und sechzigfach und hundertfach“ (Mk. 4, 8) mehr zu lieben, indem wir „Frucht bringen in Geduld“ (Lk. 8, 15). Amen.