Vom Kindermord zu Bethlehem

Geliebte Gottes!

Am Weihnachtstag haben wir aus dem Johannesprolog die Worte gehört: „Und das Licht leuchtete in der Finsternis, doch die Finsternis hat es nicht begriffen. Er kam in Sein Eigentum, doch die Seinen nahmen Ihn nicht auf.“ Nicht alle haben den göttlichen Erlöser aufgenommen. Einige haben sich vom Licht des Glaubens erleuchten lassen, sind gnadenhaft aus Gott geboren und zu Söhnen Gottes, zu „Kindern des Lichts“, geworden. Andere verharrten in der Finsternis des Unglaubens und haben den Heiland von der Türschwelle ihrer Häuser und Herzen abgewiesen.

Schon vom ersten Moment Seines irdischen Lebens scheiden sich an Christus die Geister. Und das ist auch nicht verwunderlich. Jeder Große gewinnt Anhänger und weckt Widerspruch. Als Gottmensch ist Jesus Christus der Erlöser des Menschengeschlechts und das Oberhaupt der ganzen Schöpfung. Er ist der Allerhöchste. Er gewinnt den größten Anhang und weckt den schärfsten Widerspruch. „Siehe, Dieser ist gesetzt zum Falle und zur Auferstehung vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird“ (Lk. 2,34), weissagte der greise Simeon vierzig Tage nach der Heiligen Nacht bei der Darstellung im Tempel.

Nein, Weihnachten ist kein Idyll, sondern der Beginn des Erlösungswerkes. Und wir wissen, daß das Werk der Erlösung im Opfer gipfelt und am Kreuzesholz vollendet wird. Weihnachten ist der Beginn des schwersten Lebens, das je auf dieser Erde gelebt wurde. Und wir, die wir durch das Erlöserleben des Heilands zu Kindern des Lichts werden sollen, sind in diesen Strudel von Scheidung und Entscheidung hineingezogen, ob wir es nun wollen oder nicht. Es gibt da keine Neutralität. Schon von der Krippe tönt das Wort des Heilandes: „Wer nicht mit Mir ist, der ist gegen Mich. Und wer nicht mit Mir sammelt, der zerstreut.“ Jeder wird genötigt, Stellung zu beziehen. Das führt uns keine andere Begebenheit aus der Kindheit Jesu deutlicher vor Augen als der Kindermord von Bethlehem. Betrachten wir die Beteiligten:

Die Greueltaten des Königs Herodes

Gleichsam als Inbegriff der Finsternis, welche im Begriffe ist, alles Licht zu verschlingen, steht da die düstere Gestalt des Königs Herodes. Er war zwar König der Juden. Doch haftete seiner Regentschaft ein schwerer Makel an. Er war nämlich nicht von jüdischer Abstammung. Seine Mutter war eine Nabatäerin. Sein Vater Antipater war ein Idumäer. Damit war Herodes der erste Nichtjude auf dem Thron Davids.

Ein Zeitgenosse faßte die Stationen seiner Herrschaft zusammen in dem Wort: „Herodes stahl sich seinen Thron wie ein Fuchs, er regierte wie ein Tiger und er starb wie ein Hund.“

a) Der Fuchs

Im Jahre 40 v. Chr. eroberten die Parther Jerusalem und setzten den letzten Hohenpriester aus der Königsdynastie der Hasmonäer, Johannes Hyrkanus II., ab. Herodes‘ Vater Antipater war Berater dieses Priesterkönigs und hatte seinem Sohn einen Posten in der Verwaltung verschafft. Während die Parther Palästina besetzten, floh Herodes nach Rom und erlangte dort durch ein intrigantes Manöver die Gunst des Cäsars Octavianus, des späteren Kaisers Augustus. Drei Jahre später wandte sich Herodes mit römischer Militärunterstützung zurück nach Palästina, eroberte Jerusalem und schlug die Parther zurück. Dafür wurde er von Augustus als König eingesetzt.

Herodes bewies sich als tüchtiger Herrscher. In der Dürre hatte er sein silbernes und goldenes Tafelgeschirr versetzen lassen, um damit in Ägypten Saatgut und Getreide zu kaufen. Er hatte wieder für Ruhe und Ordnung in seinem Land gesorgt. Er hatte seinem Volke die relative Unabhängigkeit von Rom erhalten. Palästina war noch keine römische Provinz wie später unter der Präfektur des Pontius Pilatus, sondern immerhin noch ein Königreich. Die Landwirtschaft blühte, ebenso der Handel und das Gewerbe. Er gründete neue Städte, baute Thermen, Stadien und Paläste, legte brauchbare Häfen an und sicherte sein Reich durch mächtige Festungsanlagen vor feindlichen Einfällen. In dieser Hinsicht kann Herodes der Namenszusatz „der Große“, den ihm die Geschichtsschreibung beigelegt hat, durchaus zugestanden werden: Herodes der Große.

Nichtsdestotrotz wurde er von seinen Untertanen abgelehnt. Er blieb nun einmal ein Fremdling in den Augen des Volkes und wurde von ihm nie als legitimer Herrscher des auserwählten Volkes Gottes angesehen. Da half es auch nichts, wenn Herodes sich mit Mariamne, einem Sprößling des hasmonäischen Königshauses, vermählte und durch den prächtigen Neubau des Jerusalemer Tempels um die Gunst des Volkes buhlte. Schlimmer noch! An Herodes, dem ersten nichtjüdischen König, erfüllte sich eine Prophetie, welche das baldige Auftreten des Messias ankündigte (vgl. Gen. 49,10). Diesen ersehnte das Volk, damit er die Herrschaft übernehme und Israel zu alter Größe führen würde. So lebte Herodes während seiner ganzen Regentschaft in der Furcht vor dem kommenden Messias.

b) Der Tiger

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, daß Herodes erschrak, als die drei Weisen aus dem Morgenland nach dem neugeborenen König der Juden fragten, dessen Stern sie im Osten hatten aufgehen sehen. „Herodes erschrak“, und der Evangelist fügt noch hinzu: „Und ganz Jerusalem mit ihm.“

Aber warum erschrak denn auch ganz Jerusalem mit ihm? Weil es während der vierzig Jahre seiner Herrschaft gesehen hatte, was Herodes bereit war zu tun, um seine Krone zu verteidigen.

Vom ersten Tag seiner Thronbesteigung war er argwöhnisch und grausam, wie ein Tiger. Sein Vater Antipater war bei einem Gastmahl vergiftet worden. Dieses Schicksal wollte er nicht teilen. So säuberte Herodes gleich im ersten Jahr seiner Herrschaft das Synedrium, also den Hohen Rat, von Dissidenten, indem er alle Ratsherren mit Ausnahme von nur 25 Personen kurzerhand einfach hinrichten ließ und die freigewordenen Plätze mit gefügigen Marionetten besetzte. – Sein Mißtrauen machte nicht einmal vor den Mitgliedern seiner Familie halt. Was ihm anfangs als kluger Schachzug erschienen war – nämlich in die königliche Familie einzuheiraten und so seine Herrschaft zu legitimieren –, wurde nun zur Bedrohung. Aus Furcht, sein Schwager Aristobul, welcher das Amt des Hohenpriesters bekleidete, könnte ihn stürzen, arrangierte Herodes für denselben einen „Badeunfall“, den der Unglückliche nicht überlebte. Überall witterte Herodes Ränke und Verschwörungen gegen sich. Er klagte seine Schwiegermutter Alexandra des Hochverrats an und ließ sie öffentlich hinrichten. Ebenso drei seiner Söhne: den Alexander, den Aristobul und den Antipater. Ferner überantwortete er 300 Offiziere dem Schwert, weil diese mit seinen Söhnen befreundet gewesen sein sollen. Auch ließ er 6000 Pharisäer, die sich weigerten, dem Kaiser den Treueeid zu schwören, einfach niedermetzeln. Ja, selbst in der schönen Mariamne, der einzigen seiner zehn Frauen, die Herodes wirklich liebte, selbst in ihr meinte der König eines Tages eine Nebenbuhlerin zu erkennen, die hinterrücks an seinem Sturz arbeitete, und ließ auch sie hinrichten, obwohl ihm dabei das Herz zerriß. Der König wußte, daß ihn das Volk dafür haßte und daß man eines Tages seinen Tod nicht betrauern, sondern feiern würde. Also ordnete Herodes an, beim Herannahen seines Endes die Vornehmen des ganzen jüdischen Volkes in der Rennbahn zu versammeln, um sie nach seinem Verscheiden mit Pfeilen erschießen zu lassen. Nach dem Historiker Flavius Josephus habe Herodes gesagt: „Es soll in meinem Reich keine Familie geben, die nicht einen Toten zu beklagen hat. Dann werden auch bei meinem Tode Trauer- und Klagelieder im ganzen Land zu hören sein.“ (Jüd. Altert. XVII, 6,5). Allein dieses Blutbad kam nicht mehr zur Ausführung.

Als die drei Weisen aus dem Morgenland nach Jerusalem kamen, wird Herodes gedacht haben: „Dieser neugeborene König, den mir die Weisen angezeigt haben, muß verschwinden, der muß ausgemerzt werden.“ Er wird gedacht haben: Das ist Notwehr, das ist eine Staatskrise, die ihn zu alternativlosem Handeln zwingt. Der Ausdruck ist in der Politik bis heute geläufig, nicht wahr? Alternativlos! Die Staatsräson zwingt ihn, den Nebenbuhler zu töten. Herodes war taub für die Pläne und Absichten Gottes. Nie hatte er sein Herz bereitet für die Ankunft des Messias. In jener Stunde, die auch seine Stunde hätte werden können, nämlich die Stunde der Geburt des Heilandes, in jener Stunde hat Herodes versagt, wurde er als zu klein, zu irdisch, zu haßerfüllt erfunden. Herodes ist der typische Vertreter jener Menschen, die Gott und seinen Gesalbten als Konkurrenten der eigenen Macht und Herrschaft fürchten – und sei es nur als Konkurrenten hinsichtlich der eigenen Selbstbestimmung. Um diese Behauptung zu untermauern, schrecken sie vor keiner Ungerechtigkeit zurück.

c) Der Hund

Welche Ungerechtigkeiten wurden also an dem Tag begangen, als König Herodes den Kindermord von Bethlehem anordnete? – Zuerst verübte Herodes eine Ungerechtigkeit gegen Christus.  Statt sich in die göttliche Vorsehung einzufügen und als Nichtjude dem Erlöser die Wege seines Volkes zu bahnen, verstieg er sich aufgrund seines Unglaubens zu der Vorstellung, er könne Gottes Pläne vereiteln. Herodes legte sich also mit seinem Schöpfer und Herrn, mit dem Lenker aller Dinge, selbst an. Wenn er die Kinder tötete, so glaubte er, Jesus, den Sohn Gottes, zu töten. Letztlich hat er deswegen so viele Kinder umbringen lassen, um damit umso sicherer Gott oder wenigstens dessen Pläne selbst zu treffen. Eine Torheit, aber auch ein großer Frevel an Gott.

Ferner handelte Herodes ungerecht gegen die Kinder. Sie waren die Hauptleidtragenden. „Was haben die kleinen Kinder für ein Verbrechen begangen?“, fragt der hl. Johannes Chrysostomus. Und er gibt die Antwort: „In den Augen des Herodes war ihr einziges Verbrechen die Tatsache, daß sie geboren waren.“ Nur deshalb ließ er sie so kaltblütig ermorden. Nicht Erwachsene, sondern wehrlose kleine Knaben ließ er töten. Ein himmelschreiendes Verbrechen. Nicht nur einige ausgewählte, was allein schon ein schreckliches Verbrechen wäre, sondern alle Kinder unter zwei Jahren. Nicht nur in Bethlehem, sondern in Bethlehem und dem ganzen Umland!

Welch ungerechte Grausamkeit gegen die Mütter, die der hl. Augustinus in einer Homilie beschreibt: „Die Mutter raufte sich das Haar, verlor sie doch (mit dem Kindersegen) die Zier ihres Hauptes. Wie schlau suchte sie, das Kind zu verbergen, aber der Säugling verrät sich selbst. Er konnte nicht schweigen, weil er noch nicht das Fürchten gelernt hatte. Mutter und Henker stritten miteinander; dieser suchte, das Kind an sich zu reißen, jene hielt es fest umschlungen. Die Mutter schrie den Würger an: ‚Warum willst du von mir die Frucht meines Schoßes trennen? Mein Schoß hat den Jungen geboren. Soll er mir, da er nun lebt, nicht bleiben? Sollen meine Brüste sich umsonst mit Milch füllen? Mit Muttersorgfalt habe ich ihn getragen, und du schleuderst ihn mit rauher Hand zu Boden?‘ Eine andere rief, da sie den Würger und Räuber nicht bewegen konnte, Mutter und Kind zugleich zu töten: ‚Warum läßt du mich kinderlos zurück? Wenn überhaupt eine Schuld vorliegt, dann ist sie auf meiner Seite. Kann aber von einem Vergehen keine Rede sein, dann vereine uns im Tode und befreie so die Mutter (von ihrem Leid).‘ Eine andere rief: ‚Was sucht ihr? Einen sucht ihr und mordet so viele! Und den Einen werdet ihr nimmer finden.‘ Und wieder eine andere schrie: ‚Komm doch, Erlöser der Welt. Wie lange läßt Du Dich suchen? Du brauchst doch keinen zu fürchten. Erblickt Dich der Kriegsknecht, dann wird er unsere Kleinen nicht morden.‘ So vermischte sich das Wehklagen der Mütter, und zum Himmel empor stieg das Opfer der Kleinen.“ (Serm. 13 de Temp.) Da ging die Weissagung des Propheten Jeremias in Erfüllung: „Ein Rufen hört man zu Rama, viel Weinen und Wehgeschrei: Rachel beweint ihre Kinder und läßt sich nicht trösten, denn sie sind nicht mehr.“ (31,15). Und dieses Wehgeschrei stieg zum Himmel auf, zur Anklage des ruchlosen Königs.

Das Vorbild der Heiligen Familie

Der finsteren Bluttat des Herodes setzte Gott das lichtvolle Verhalten des hl. Joseph entgegen. Im Traum durch den Engel gewarnt zaudert der Nährvater und Beschützer des göttlichen Kindes nicht lange. „Er stand auf, nahm das Kind und Seine Mutter noch in der Nacht und zog nach Ägypten.“ (Mt. 2,14).

a) Das Beispiel Josephs

Welch schönes Beispiel des Gehorsams! Mit Frau und Kind, bei finsterer Nacht, nur mit dem Wenigen, was sich in der Eile zusammenpacken ließ, auf einem unbekannten Weg, durch eine mörderische Wüste, in ein fremdes heidnisches Land fliehen, das war in der Tat keine Kleinigkeit für einen frommen Juden, der in Ägypten nicht nur von seinen Volksgenossen abgeschnitten war, sondern auch seine Religion nicht mehr praktizieren konnte. Diese war ja auf Jerusalem und den Tempel ausgerichtet. Welch heroischer Gehorsam, der selbst die eigenen religiösen Empfindungen und sämtliche Bindungen an Heimat und Familie aufgibt, um den Willen Gottes auszuführen! Dabei gehorchte Joseph ohne Verzug, ohne Widerrede und ohne Hadern mit dem göttlichen Willen. Er handelte aus Ehrfurcht vor dem Engel und aus Liebe zu Gott, dem er ganz und gar vertraute.

Sollte uns eine schwere Prüfung treffen, uns ein Unglück zustoßen, dann wollen wir an die Flucht nach Ägypten denken und an das lichtvolle Beispiel, das uns der hl. Joseph gegeben hat. Dann werden auch wir die Kraft finden, zu gehorchen, mit Ergebung in den Willen Gottes.

b) Das Beispiel Mariens

Auch das Beispiel der Gottesmutter gibt uns Licht für unsere Entscheidung für Christus. Die Flucht nach Ägypten zeigt, wie veränderlich die Schicksale der Menschen hier auf Erden sind. Maria hatte seit der Geburt des Jesuskindes große Freude. Als ihr Kind von den Engeln des Himmels, von den Hirten aus der Gegend Bethlehems und von den Weisen aus dem Morgenland so liebreich verehrt und so demütig angebetet worden war. Aber diese Freude war von kurzer Dauer. Joseph hatte ihr in Bethlehem in einem Häuschen ein neues Zuhause verschafft und nun mußte sie über Nacht alles hinter sich lassen. Die Freude wandelte sich in jähen Schmerz. Als Maria vernahm, daß Herodes ihrem Kind nach dem Leben trachtete, da traf es sie wie ein Schwert mitten ins Herz.

Die Worte des Simeon an die Gottesmutter sind auch an uns gerichtet: „Auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen, auf daß die Gedanken vieler Herzen offenbar werden.“ (Lk. 2,35). Wie Maria dürfen wir uns des Glückes freuen. Doch dürfen wir nicht unser Herz daran hängen, sondern müssen die Zeit der Freude nutzen, um uns auf Widerwärtigkeiten gefaßt zu machen. Wenn wir das wirklich sind, was wir nach Gottes Absicht sein sollen, dann müssen wir damit rechnen, daß auch wir ein Zeichen des Widerspruchs sein werden. Der hl. Paulus sagt: „Alle, die in Christus Jesus fromm leben wollen, werden Verfolgung leiden.“ (2. Tim. 3,12). Alle, die in Christus Jesus fromm leben wollen, werden Verfolgung leiden! Wer gar keine Gegner hat, tut gut daran, ernstlich sein Gewissen zu erforschen. Offenbar hat er am Evangelium allerlei Abstriche vorgenommen. Wenn wir einzig Gottes Wohlgefallen suchen, so empfindet so mancher unseren Eifer als Vorwurf. Und leider gibt es selbst unter Katholiken auch solche, die sich weder selbst bessern wollen noch dulden möchten, daß andere besser werden.

c) Das Beispiel Jesu

Schließlich erteilt uns auch das „Licht der Welt“ selbst wichtige Lehren. Als wesensgleicher Gottessohn hätte Jesus auch als kleines Kind den grausamen Tyrannen leicht in die Schranken weisen können.

Jedoch zog Christus es vor, uns durch Sein Beispiel das zu lehren, was Er später im Wort predigen wird: „Wenn sie euch nun in dieser Stadt verfolgen, so flieht in die andere.“ (Mt. 10,23). Es gibt kein besseres Mittel, sich vor seinen Feinden zu schützen, als sich so weit wie möglich dem Einfluß ihres Hasses zu entziehen. Das geschieht im unmittelbaren Aufeinandertreffen durch die Übung der Demut, der Geduld und der Nachgiebigkeit. In jedem Fall gewinnt der, welcher flieht, mehr, als wer sich widersetzt. Auch später wird sich der Heiland oft vor seinen Feinden zurückziehen und sich vor ihnen verbergen.

Ferner wollte uns der Heiland mit seiner Flucht nach Ägypten lehren, daß unser Leben als „Kinder des Lichtes“, wie das Seine, eine beständige Wanderung ist; daß wir verhindern müssen, uns auf dieser Erde allzu häuslich einzurichten, uns mit Arbeit, Genießen und Faulenzen zufriedenzugeben. Nein, dieses Leben ist noch nicht das Gelobte Land. Es ist nur eine Durchgangsstation. Folglich müssen wir uns den Gütern dieser Welt gegenüber so verhalten und sie so betrachten, wie ein Wanderer es tut: nur das Notwendige begehren, nur das Notwendige gebrauchen, alles andere als Ballast und Hindernis abstreifen, keine Zeit vertrödeln, das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Ein Sprichwort lautet: „Die Welt ist eine Brücke. Gehe hinüber, aber baue dein Haus nicht auf ihr!“ Genau das meint der hl. Petrus, wenn er sagt: „Ich bitte euch, als Fremdlinge und Pilger, enthaltet euch der fleischlichen Lüste, welche wider die Seele streiten.“ (1. Petr. 2,11).

Die Wege der göttlichen Vorsehung

Das sind Licht und Finsternis, die unversöhnlich aufeinanderprallen. Doch eine Frage steht im Zwielicht: Warum hat Gott, der doch die Liebe und Güte ist und dem kraft Seiner Allmacht alle Mittel und Wege offenstehen, um Ungerechtigkeiten zu verhindern, diese entsetzliche Greueltat des Herodes an diesen vielen unschuldigen Kindern zugelassen? Viele Menschen klagen über die schuldlosen Opfer von Katastrophen, Kriegen oder sonstigen Unglücksfällen. Und diese Klage wandelt sich im Munde Vieler zu einer Anklage gegen Gott. Warum müssen so viele Unschuldige sterben? Warum greift Gott nicht ein? Gott mutete den Müttern von Bethlehem zu, die Ermordung ihrer eigenen Kinder anzusehen. Kann man einer Mutter mehr zumuten? Warum ließ Er das geschehen? Diese Fragen kann man sich stellen. Aber Vorsicht! Nur mit Ehrfurcht im Herzen! Nur unter dieser Voraussetzung können wir versuchen, durch reifliches Nachdenken im Lichte des Glaubens Antworten zu finden. Etwa diese:

a) Die Strafe der Eltern

Die Zulassung des Kindermordes von Bethlehem war eine Äußerung der Gerechtigkeit Gottes. Sie diente zur gerechten Bestrafung der Eltern, also der Bewohner Bethlehems, für ihre Härte, mit welcher sie die Gottesmutter und den hl. Joseph in ihrer Not von ihren Türen abgewiesen hatten So werden noch immer alle jene Eltern, die Jesus und Maria aus ihrem Herzen verstoßen, an ihren Kindern gestraft. Sie wurden gezüchtigt für ihre Gottesverachtung, da sie selbst, als die Weisen aus dem fernen Morgenland kamen, um das Jesuskind anzubeten, keinen Schritt getan haben, um es ihnen gleichzutun.

b) Die Verbreitung der Nachricht von der Geburt des Erlösers

Ferner sollte gerade die Grausamkeit des Verfolgers der göttlichen Vorsehung dienstbar sein, um die Geburt des Erlösers schon so früh in aller Welt bekannt werden zu lassen. Denn da man nicht nur in Palästina, sondern auch im ganzen Römischen Reich von diesem Kindermord erzählte, wurde die Geburt des Messias, die ja der Anlaß für diese gräßliche Bluttat war, überall bekannt.

c) Die Vollendung der Schuld des Herodes

Schließlich machte die Zulassung des Kindermordes auch das Maß der Schuld für Herodes voll. Schon kurze Zeit nach dem grausamen Kindermord wurde er von vielerlei schmerzhaften und abscheulichen Krankheiten befallen. Am Ende gab er, wegen des üblen Geruches, der von ihm ausging, von allen Menschen verlassen, von Würmern und Ungeziefer zerfressen, in wilder Verzweiflung seinen Geist auf. „Herodes stahl sich seinen Thron wie ein Fuchs, er regierte wie ein Tiger und er starb wie ein Hund.“ Am Ende schadet sich der Böse selbst, und der Schaden, den er den Unschuldigen zufügen will, wandelt sich durch Gottes Gnade oft unmerklich und auf geheimnisvolle Weise zu großem Segen. So ist es geschehen an den Unschuldigen Kindern.

c) Das Glück der Unschuldigen Kinder

Denn wenn wir schließlich die Kinder selbst mit den Augen des Glaubens betrachten, so müssen wir sie nur glücklich preisen; denn sie haben, indem sie von den Schergen des Herodes ermordet wurden, die ewige Seligkeit erlangt. Und das, ohne an sie zu denken, ohne sie zu wollen, ohne sie zu verdienen! Ohne an die Seligkeit zu denken: Denn diese kleinen Kinder waren ja noch ganz unverständig und unwissend. Ohne sie zu wollen: Denn der selbstbestimmte Wille war in ihnen noch gar nicht erwacht. Ohne sie zu verdienen: Sie waren allein Märtyrer der Gnade, an denen weder ein Engel noch ein Mensch ein Verdienst für diese Auszeichnung finden konnte, wie der hl. Bernhard sagt.

So feiert der hl. Augustinus die hll. Unschuldigen Kinder mit den Worten: „Darum freue sich und frohlocke die Erde, die fruchtbare Mutter dieser himmlischen Streiter und ihres Heldentums. Seht, dieser gottlose Feind hätte den seligen Kindern durch zärtliches Wohlwollen niemals so viel nützen können, als er ihnen durch seinen Haß genützt hat. Denn der heutige Festtag zeigt uns, daß in demselben Maße, als die Bosheit gegen die seligen Kinder wütete, auch Gnade und Segen auf sie herabströmte.“ (Sermo 10 de Sanct.).

Diese Gnade strömte auf sie herab in Form der Bluttaufe. Gott hat sich gewürdigt, für die Seines Sohnes wegen geopferten unschuldigen Kinder das zu tun, was Er durch das Sakrament der hl. Taufe tun wird. An den hll. Unschuldigen Kindern wurde schon wahr, was der Heiland später erst verheißen würde, indem Er erklärte: „Wer sein Leben um Meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ (Mt. 10,39). „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; aber wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es retten.“ (Lk. 9,24). Nun haben aber gerade die Unschuldigen Kinder ihr Leben verloren um Jesu Christi willen. Ja, sie haben nicht nur für den Heiland gelitten, wie alle hll. Märtyrer nach ihnen, sondern sogar an Seiner Stelle den Todesstreich empfangen. Der Schwerthieb, der sie traf, galt ja unmittelbar dem Heiland selbst. Also gilt von den Unschuldigen Kindern umso mehr, was der hl. Augustinus und andere Väter von den ungetauften Märtyrern lehren: „(Das Blutzeugnis) vermag ihnen (den Ungetauften) einen solchen Sündennachlaß zu erwirken, wie wenn sie im hl. Quell der Taufe abgewaschen worden wären.“ (De Civ. Dei 13,7).

Dabei wirkt die Bluttaufe gleichsam aus sich selbst, also durch ihren Vollzug, „quasi ex opere operato“, ähnlich wie das Sakrament. Deshalb wäscht die Bluttaufe auch an der Seele unmündiger Kinder die Erbsünde ab und gießt ihnen das Leben der heiligmachenden Gnade ein. Einzig den Taufcharakter, als das unauslöschliche Siegel, welches die Wassertaufe der Seele einprägt, vermag die Bluttaufe nicht mitzuteilen. Weil die Unschuldigen Kinder jedoch zu einer Zeit gemartert wurden, als noch kein Mensch zur Anschauung Gottes gelangen konnte, wird ihr jährliches Gedächtnis in der Liturgie mit violetter Farbe begangen. Christus war ja noch nicht am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden, so daß ihnen das Himmelstor noch verschlossen war. Wie eine Herde Lämmer wurden die Seelen der Unschuldigen Kinder in die Vorhölle geführt, um dort den Seelen der hll. Patriarchen und Propheten die baldige Ankunft des Gotteslammes zu verkünden. Erst als das Blut des Lammes Gottes am Kreuz vergossen und in der österlichen Auferstehung verklärt war, durften sie in die himmlische Herrlichkeit eingehen, um dort im vollen Glanz des Martyriums zu erstrahlen. Deshalb erlaubt die Kirche die rote Farbe nur ganz am Ende der Oktav oder wenn das Fest der Unschuldigen Kinder auf einen Sonntag fällt. Denn der Sonntag ist der wöchentliche Gedächtnistag der Auferstehung Christi von den Toten und damit der Befreiung der Seelen aus der Vorhölle und damit des Eintritts der hll. Unschuldigen Kinder in die himmlische Glückseligkeit.

So müssen wir die hll. Unschuldigen Kinder beglückwünschen, daß diese zarten Lämmer durch ihren so frühen, aber doch so ruhmreichen Tod auf ewig im Gefolge des unbefleckten Opferlammes sind. Sie dürfen ein Loblied auf die Güte Gottes anstimmen, der sie durch den ungerechten Schwertstreich den Gefahren dieses Lebens und den Fallstricken der Sünde und des Teufels entrissen und ihnen ihre Unschuld bewahrt hat. Mit dem Psalmisten könnten sie singen: „Unsere Seele entwich wie das Vöglein aus der Schlinge des Jägers. Zerrissen war die Schlinge, und wir sind frei.“ (Ps. 123,7). – In ähnlicher Weise müssen auch wir jene Menschen, die uns Böses zufügen, mit den Augen des Glaubens betrachten und ihnen mit größter Dankbarkeit begegnen. Sie sind ja oft das Messer in der Hand des göttlichen Arztes, mit dem Er an unserer Seele den schmerzlichen Schnitt vornimmt, vor dem wir zurückschaudern, den wir selbst nicht zu machen wagen, obwohl er notwendig ist.

Deshalb wollen wir vorsichtig sein mit Anklagen gegen Gottes Vorsehung. Seine Wege sind nicht unsere Wege. Er verfolgt oft viele heilige Zwecke zugleich, die sich unseren menschlichen Denkkategorien entziehen. Haben wir stattdessen eine große Ehrfurcht vor den scheinbar rauhen und harten Wegen der Vorsehung. Gott macht keine Fehler! Nehmen wir zum hl. Joseph, diesem auserwählten Diener der göttlichen Vorsehung, vertrauensvoll unsere Zuflucht. Er wird uns die dunklen Pfade leuchten und uns einen Ausweg aus jeder Notlage weisen.

Schließlich wollen wir Gott und die hl. Unschuldigen Kinder selig preisen mit den Psalmversen aus dem heutigen Meßformular: „Aus dem Munde von Kindern und Säuglingen, o Gott, verschaffst Du Dir Lob, Deinen Feinden zum Trotz.“ (Ps. 8,3). „Ihr Knäblein, lobet den Herrn, ja lobet den Namen des Herrn. Alleluja.“ (Ps. 112,1). Amen.

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