„Sie sahen, daß der Stein weggewälzt war“

Geliebte Gottes!

Seit alters her errichten Menschen zur Erinnerung an denkwürdige Geschehnisse Denkmäler, damit sie nicht der Vergessenheit anheimfallen und auch zukünftigen Generationen in Erinnerung bleiben. In dem Verhältnis, als das Gedächtnis an die Denkwürdigkeiten Dauerhaftigkeit behalten sollte, wählten jene, die Denkmäler errichteten, das dauerhafteste Material, also meist Steine. So finden wir steinerne Denkmäler zum Gedächtnis an berühmte Personen, große Siege, Staatsgründungen, gefallene Soldaten und Kriegshelden und auch über den Gräbern unserer Vorfahren und Familienangehörigen; Es sind Denkmäler, die teilweise in riesigem Ausmaß, zu großem Kostenaufwand und in künstlerischer Vollendung errichtet wurden.

Ein Gedächtnisstein ragt unter all den genannten jedoch besonders hervor. Er zeugt von einem Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte, wie es keinen vergleichbaren gegeben hat und wie es in der bestehenden Schöpfungsordnung auch keinen vergleichbaren mehr geben wird. Er erinnert an einen Sieg, der nur einmal in der Welt errungen wurde. Er verkündet eine Tat, der alle Geschlechter, Völker und Nationen zu Dank verpflichtet sind; eine Tat, die den Strom der Zeit in ein neues Bett gelenkt hat, die alle Jahrhunderte voll Dankbarkeit, Begeisterung und Jubel preisen. Es ist der schwere Stein, der am Karfreitag vor der Öffnung des Heiligen Grabes angebracht, versiegelt und mit Soldaten bewacht wurde; den aber die Frauen am Ostermorgen, wie wir soeben im Evangelium gehört haben, vom Eingang weggewälzt vorfanden und das leere Grab preisgab.

Der vom Grabeingang weggewälzte Stein ist:

  1. das Denkmal des größten Sieges,
  2. der Grundstein unseres Glaubens,
  3. der Eckstein unserer Hoffnung.

Denkmal des größten Sieges

Als Israel mit Gottes Hilfe die gewaltige Streitmacht der Philister besiegt hatte, nahm Samuel einen Stein, richtete ihn zwischen Masphat und Sen auf, nannte seinen Namen „Ebeneser“, d. h. „Stein der Hilfe“, und sprach: „Bis hierher hat Gott geholfen.“

Der Stein im Garten des Joseph von Arimathäa am leeren Grab ist mehr als Ebeneser. Hier ist das Denkmal eines Sieges, unendlich größer als jener über die Philister, eines Sieges über den Feind des Menschen überhaupt, ja gegen den Erbfeind des Menschen schlechthin – den Tod, den Gewaltherrscher, vor dem alle Welt zittert und dem jedes Lebewesen erliegen muß. Das österliche Grab Christi ist ein wahrer Stein der Hilfe für die ganze Menschheit.

Die ganze Welt ist ein riesiger Friedhof. In allen Himmelsrichtungen finden sich Millionen und Abermillionen Grabsteine. Auf allen, mögen sie noch so berühmt sein, steht in allen Sprachen der Welt: „Hic iacet mortuus … Hier ruht der Tote N. N.“ Auf diesem Grabstein im Garten jedoch, nahe der Kreuzigungsstätte, steht ein anderes Wort: „Hic iacet mors … Hier liegt der Tod begraben.“ Hier ist der besiegt, der bisher alle besiegt hat und an seinen Triumphwagen gefesselt als Trophäe führt. Hier steht das Wort geschrieben: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? Verschlungen ist der Tod im Sieg.“ (vgl. 1. Kor. 15).

Als Mohammed gestorben war, trat sein Freund Omar aus dem Zelt mit gezücktem Schwert und drohte jedem, den Kopf abzuschlagen, der behaupten wollte, Mohammed sei gestorben. Aber trotz aller Drohungen ging die Kunde in die Welt: Mohammed ist tot! Und nach einigen Tagen, nachdem man vergeblich auf sein Wiedersehen gewartet hatte, mußte man ihn begraben. Und heute? Seine Anhänger wallfahren immer noch nach Medina zum Grab ihres toten Propheten.

Bei dem Grab unseres Herrn Jesus Christus ist es gerade umgekehrt. Der Lanzenstich ins Herz, der Grabstein, das Siegel der Hohenpriester, die bewaffneten Wächter … alles hatte den Zweck, Ihn im Grab festzuhalten. Trotzdem ging die Siegeskunde in alle Welt hinaus: Christus ist auferstanden! Christus ist wahrhaft auferstanden! Kein Mensch wußte je zu sagen, wo in der ganzen Welt sich irgendeine Reliquie von dem Leichnam des Heilandes befände. Nirgends werden seine Gebeine den Verehrern oder den Neugierigen ausgestellt. Und wenn heute christliche Pilger zu jenem Grab in Jerusalem wallfahren, so geschieht es gerade deshalb, weil dieses Grab leer ist! Mit Siegesgewalt tönt über das Grab, tönt über die Erde, heute in mehr als 150 Sprachen, das Wort: „Er ist nicht hier, Er ist auferstanden.“ Welch ein Sieg! Der Tod ist überwunden!

Der Grundstein des Glaubens

Als der Patriarch Jakob mit seinem Schwiegervater Laban einen Bund schloß, brachten sie Steine herbei, schichteten sie aufeinander zu einem Hügel und nannten sie „Steine des Zeugnisses“. Laban sprach: „Dieser Hügel soll Zeuge sein zwischen mir und dir.“ (Gen. 31). Darum wurde sein Name „Galaad“ genannt, d. h. „Der Hügel ist Zeuge“.

Solch ein Galaad ist auch das in Stein gehauene Ostergrab. Es ist Zeuge zwischen Christus und uns. Das in Felsen gehauene Grab war Zeuge der Auferstehung. Und auf diesen Felsen gründet unser Glaube. Er ist das sicherste Bollwerk des Christentums. Der schwere Stein, das obrigkeitliche Siegel, die sorgfältige Bewachung durch römische Soldaten, die nachher zu falscher Aussage bestochen wurden, die zahlreichen Erscheinungen des Auferstandenen vor den anfangs so zweifelsüchtigen Aposteln, deren weltüberwindende Auferstehungspredigt, die sie mit ihrem Tod besiegelten: Alles schließt sich zu einer überwältigenden Beweiskette zusammen, alles schichtet Stein auf Stein zu einem solchen Hügeldenkmal des Zeugnisses, daß jede Leugnung verstummen muß. An diesem Felsgrund des Glaubens hat sich schon manches antichristliche Angriffsschwert schartig geschlagen und manch pseudo-aufgeklärte Feder stumpf geschrieben. Gelehrte, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatten, diesen zentralen Punkt des Christentums auf seine wahre Geschichtlichkeit zu erforschen, die alle Zeugnisse jüdischer, heidnischer und christlicher Schriftsteller jener Zeit auf das Sorgfältigste geprüft haben, bezeugen: „Wenn die Auferstehung Christi nicht eine geschichtliche Tatsache ist, so gibt es überhaupt keine geschichtliche Tatsache.“ Denn kein anderes historisches Ereignis ist so vielfach bezeugt und so allgemein unwiderlegt wie dieses.

Ist die Auferstehung Christi aber fest begründet und glaubwürdig als Tatsache bezeugt, dann ist auch unser Glaube an Ihn und die Erlösung, die Er am Kreuz für uns gewirkt hat, nicht eitel. Dann sind alle Seine Lehren als Gotteswort erhärtet. Dann ruht auf diesem Felsengrund das ganze katholische Glaubensgebäude Stein um Stein ganz und gar unerschütterlich.

Eckstein unserer Hoffnung

Als derselbe Patriarch Jakob in seiner Jugend vor der Rache seines Bruders Esau nach Mesopotamien fliehen mußte, da hatte er des Nachts einen Traum. Er sah den Himmel offenstehen und die Engel auf einer Leiter auf- und niedersteigen. Als er am nächsten Morgen erwachte, da nahm er den Stein, auf dem sein Haupt geruht hatte, richtete ihn zu einem Denkmal auf und nannte die Stätte „Bethel“, d. h. „Haus Gottes“. Voller Ergriffenheit sprach er: „Wie ehrfurchtgebietend ist dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und die Pforte des Himmels.“ (Gen. 28).

Noch viel größere Ehrfurcht gebietet der Ort, der durch den weggewälzten Stein im Garten des Joseph von Arimathäa markiert wird. Über diesem Stein, bei dem das Haupt des gekreuzigten Gottessohnes vom Karfreitag bis zum Ostermorgen geruht hatte, hat sich der Himmel erst recht aufgetan. Die Engel sind herniedergestiegen; nicht in einem Traumgesicht, sondern in Wirklichkeit. Sie ließen die Erde erbeben, streckten die Soldaten nieder, daß sie wie tot waren, wälzten den Stein hinweg und verkündeten den Frauen die frohe Botschaft von der Auferstehung des Heilandes. Hier erwachte nicht Jakob neu gestärkt aus dem Schlummer der Nacht, sondern hier erhob sich „der Stern aus Jakobs Haus“ glorreich aus dem Schlaf des Todes und erwies sich als Herr des Lebens, der nicht nur die Macht hat, Sein Leben hinzugeben, wann und wie Er es will, sondern der auch die Macht hat, es sich wieder zu nehmen. Hier ist die wahre Pforte des Himmels – auch für uns.

Die Auferstehung Christi ist der Eckstein unserer Hoffnung auf Auferstehung am Ende der Zeiten. Der Erstling der Auferstandenen „wird nach Sich ziehen alle Seine Brüder“. Hier ist also tausendmal mehr als Bethel! Auf diesem Stein des Heiligen Grabes ruht eine Hoffnung, so groß und erhaben, daß kein menschliches Wort und keine menschliche Kunst sie zu schildern vermag.

Darum steht auch auf diesem Denkmal des Sieges, dem Grundstein des Glaubens, dem Eckstein der Hoffnung das prophetische Wort des Isaias: „Sein Grab wird herrlich sein.“ (Is. 11). Herrlich, wie keines in der Welt!

Kein Denkmal der Welt hat so viele Pilger aus aller Herren Länder, aus allen Jahrhunderten in Ehrfurcht und Andacht vor sich knien gesehen wie das Heilige Grab in Jerusalem. Angefangen von den ersten Pilgern am Ostermorgen: den frommen Frauen und dann den Aposteln. Wie zahlreich waren die Wallfahrer schon im 4. Jahrhundert, als ein Eusebius von Cäsarea und ein hl. Hieronymus berichten, daß aus allen Enden der Erde ein großes Gedränge am Heiligen Grabe herrsche! Mit welcher Begeisterung und Opferbereitschaft traten im Mittelalter die Kreuzfahrer für das Vorhaben ein, das Heilige Grab den Ungläubigen zu entreißen und den christlichen Pilgern den Zugang zu den heiligen Stätten wieder zu eröffnen.

Keine Kirche der Welt hat eine so berühmte Geschichte wie die Grabeskirche in Jerusalem, die jenes Kleinod überwölbt, herrlicher als Ebeneser, Galaad und Bethel. Mehr als einmal wurde sie wunderbar behütet. Es sei nur auf eine Begebenheit verwiesen. Am 12. August 1808 wütete in der Grabeskirche ein furchtbarer Brand. Obwohl fünf Stunden der größten Hitze ausgesetzt, blieben sogar die Teppiche und das auf Leinwand gemalte Bild über dem Altar der Grabeskapelle gänzlich unversehrt.

43 goldene und silberne Ewiglichtampeln brennen vor dem Heiligtum des Heiligen Grabes in Jerusalem. Aber noch heller brennen und leuchten der Glaube, die Hoffnung und die liebevolle Verehrung der Christen durch alle christlichen Jahrhunderte hindurch. Schon diese eine Tatsache: Ein Grab ist die Geburtsstätte der christlichen Religion. Ein Toter, der für Millionen und Abermillionen aller Zeiten das Leben bedeutet. Ein Gekreuzigter und Begrabener, auf den ganze Geschlechter ihre Hoffnungen setzten, beleuchtet sonnenhell die Herrlichkeit dieses steinernen Denkmals.

Möge das heilige Osterfest trotz aller mißlichen Zukunftsaussichten für uns ein Ebeneser werden, ein Denkmal des Sieges über die Sünde und Leidenschaften, über den Tod der Seele: „Gleichwie Christus auferstanden ist von den Toten, so sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln.“ Möge unsere Osterkommunion ein Galaad werden; ein Zeugnis zwischen Christus und uns: „Wer Mein Fleisch ißt …, der hat das ewige Leben“ – jetzt schon in Form der heiligmachenden Gnade – „und Ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag.“ Möge das heutige Fest aller Feste ein „Bethel“ werden, das uns einst den Eintritt in das himmlische Haus Gottes, das himmlische Jerusalem, eröffnet. Amen.

Kategorie:

Veröffentlicht: