Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariä
Vom Menschen, der nach Gott geschaffen ist
Geliebte Gottes!
Obwohl die Tatsache der Unbefleckten Empfängnis Mariens erst im 19. Jahrhundert durch Papst Pius IX. als geoffenbarter Glaubenssatz verkündet wurde, reicht die Geschichte des heutigen Festgeheimnisses weit zurück; bis an die Wiege des Menschengeschlechtes.
Der Garten des Paradieses
Als Gott die Welt ins Dasein rief, da schuf Er einen „Garten der Wonne“, den Garten des Paradieses. Von dem Erdreich dieses herrlichen Gartens nahm Gott Lehm, bildete einen menschlichen Körper und „hauchte in dessen Nase den Geist des Lebens“ (Gen. 2,7) ein. Entsprechend seines Ursprunges trug der erste Mensch den Namen „Adam“. Denn das Wort „Adamá“ bedeutet: „Der von der roten Erde genommene.“ Aus der Seite Adams formte der Schöpfer sodann auch Eva, die „Mutter der Lebendigen“.
„Dann nahm Gott, der Herr, den Menschen und setzte ihn in das Paradies der Wonne, auf daß er es bebaue und bewahre.“ (Gen. 2,15). Doch nicht nur den äußeren Paradiesesgarten sollte der Mensch bebauen, auch den inneren. Denn Gott schuf sich in der Seele der Stammeltern wiederum einen geistigen Garten; einen noch vollkommeneren Garten als den des äußeren Paradieses.
Er schmückte die Seelen der ersten Menschen mit den Blüten der eingegossenen Tugenden, deren Geruch ihre Seele erfüllte und sie vor Gott wohlgefällig machte. Unter dem wärmenden Schein der trauten Gottesfreundschaft wuchsen und reiften in den Seelen der Stammeltern die „Früchte des Heiligen Geistes“: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Langmut, Sanftmut, Treue, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit, Keuschheit (vgl. Gal. 5,22-26). Bewässert wurde dieser übernatürliche Garten von dem aus Gott selbst entspringendem Strom der heiligmachenden Gnade. Gesichert und befestigt war der Seelengarten der ersten Menschen durch die Umfriedung des menschlichen Willens, der nicht zuletzt durch die sieben Gaben des Heiligen Geistes fest im Guten gegründet und verankert war. Zudem streute Gott auch den Samen der Unsterblichkeit in den Seelengarten der Stammeltern hinein. So ausgestattet sollten sich Adam und Eva nach dem Ratschluß des Schöpfergottes die ewige Anschauung Seiner göttlichen Herrlichkeit verdienen, indem sie Ihm durch die Einhaltung Seines Gebotes ihre Liebe im Gehorsam beweisen: „Von allen Bäumen des Gartens magst du essen; aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen. Denn an dem Tag, da du davon ißt, wirst du des Todes sterben.“ (Gen. 2,16 f.).
Die Verwüstung des Seelengartens
Wir alle wissen, was bald darauf geschah. Der böse Geist drang in den Frieden des Gartens Eden ein. Er klopfte leise an die Herzenstore der Stammeltern und verstand es, sie mit den lügnerischen Versprechungen – „Keineswegs werdet ihr sterben. Ihr werdet sein wie Gott“ (Gen. 3,5) – dazu zu bringen, ihm auch Eingang in den heiligen Seelengarten ihrer Seele zu gewähren. Er weckte das Verlangen nach der verbotenen Frucht in Eva. „Und sie nahm von seiner Frucht und aß, und gab ihrem Manne, und er aß.“ (Gen. 3,6). So konnte der Feind den Seelengarten der Stammeltern verderben und den Mutterboden des gesamten Menschengeschlechtes vergiften, da sich der Makel der ersten Sünde auf jeden Nachkommen Adams weitervererben würde.
Seitdem ist jeder Sohn und jede Tochter des ersten Menschenpaares vom Augenblick seiner Empfängnis im Mutterschoß; von dem Moment an, da die Seele ins Dasein tritt, mit dem verderblichen Gift der Ursünde behaftet. Diese eingeschleppte Fäulnis macht die Seele zur Sünde geneigt; bereitet ihr tausend Versuchungen und Kämpfe, welche leider bei den meisten Menschen in der Niederlage und im Untergang der Todsünde enden. – Das Erdreich der Seele ist durch die Erbsünde verdorben. Anstatt übernatürlicher Tugenden und der Früchte des Heiligen Geistes sprießt dort allerlei Unkraut; nämlich die tiefwurzelnden, unausrottbaren Disteln und Dornen der sieben Hauptlaster: Hochmut, Geiz, Neid, Unkeuschheit, Trägheit, Unmäßigkeit und Zorn. Und selbst die besten Früchte, welche der Mensch noch hervorzubringen vermag – jene guten Werke, die er in bester Absicht zu tun meint – sind oft von eitler Selbstgefälligkeit, also von einer verborgenen Selbstsucht angefault und verkrüppelt.
Was Wunder, wenn nach der Verwüstung des innerlichen Seelengartens auch die Tür des Paradiesesgartens für das Menschengeschlecht dröhnend ins Schloß fiel, um sich ihm nie wieder zu öffnen. Denn – o schreckliches Geheimnis der Sünde – wir alle haben in Adam mit gesündigt!
Der hl. Paulus schreibt an die Römer: „Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist, und durch die Sünde der Tod, so ist auf alle Menschen der Tod übergegangen, weil alle in ihm [in Adam] gesündigt haben.“ (Röm. 5,12). Welch schreckliches Geheimnis, das sich uns Menschen nur schwer erschließt. Wie kann es sein, daß ich verantwortlich bin für das, was Adam getan hat? Ich war doch gar nicht dabei! Wie kann ich also mitschuldig sein? – Mit Adam und in Adam haben alle Menschen gesündigt, freilich nicht als ob alle Menschen diese Sünde mit persönlichem freien Willen mitbegangen hätten – denn ihr Wille war ja noch nicht in sich da – sondern in Adams Willen eingeschlossen. Adam war von Gott derart zum Haupte des Menschengeschlechtes erhoben, daß seine Sünde wahrhaft die Sünde des ganzen Menschengeschlechtes war und alle Menschen durch dieselbe Sünder wurden. „Weil wir alle in Adam gesündigt haben.“ Das ist ein überzeitliches Geheimnis. „Wir haben gewissermaßen durch unsere persönlichen Sünden heute an der ersten Sünde Adams damals geheimnisvollerweise unseren Beitrag geleistet, haben darin mitgesündigt. „Wir haben in Adam ebenso gesündigt, wie die Glieder des Leibes mitsündigen, wenn sie von der Seele zu unerlaubten Handlungen in Bewegung gesetzt werden.“ (hl. Thomas v. Aquin).
Wir alle enttäuschten seither die hohen Hoffnungen, welche der göttliche Vater in uns gesetzt hat. Der hl. Paulus sagt uns, daß wir vorherbestimmt waren, „Söhne Gottes“ zu sein. Noch bevor die Fundamente der Welt gelegt wurden. Durch die Sünde hat der Mensch diesen göttlichen Plan vereitelt. Nicht nur der Mensch Adam. Sondern durch Adam – ausnahmslos alle seine Nachkommen!
Der Stammvater des neuen Menschengeschlechtes
Doch weder die Bosheit des Satans noch die Untreue des Menschen konnten Gottes weisen Plan, den Er für Seine Schöpfung hegte, zunichte machen. Wo die Sünde groß ist, da ist die Gnade übergroß. Und so neigte sich Gottes Erbarmen nieder, um dem unsäglichen Unglück wenigstens den schärfsten Stachel zu nehmen. Wenn der Allerhöchste auch den Garten des irdischen Paradieses nicht mehr wiederherstellen wollte, so verhieß Er doch einen erneuten Zugang zum himmlischen Paradies, indem Er zu der Schlange sprach: „Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deiner Nachkommenschaft und ihrer Nachkommenschaft. Sie wird dir den Kopf zertreten, während du ihrer Ferse nachstellst.“ (Gen. 3,15).
Noch bevor Gott die Stammeltern aus dem „Garten der Wonne“ in die Finsternis des Weltadvents hinaustrieb, gab Er seinen Ratschluß bekannt, einen Erlöser zu senden. Einen Nachkommen, aus dem Weibe geboren, der den Teufel besiegen werde. Dieser Nachkomme würde der Stammvater eines neuen Menschengeschlechtes sein; eines Geschlechtes, das „nach Gott geschaffen ist, in wahrer Heiligkeit und Gerechtigkeit.“ (Eph. 2,24).
Wie der erste Adam aus dem „roten Erdreich“ eines Gartens genommen worden war, so würde auch der neue Adam aus dem unverdorbenen, reinsten Mutterboden eines neuen Paradiesgartens geformt und gebildet werden. Deshalb wurde diejenige, welche den neuen Adam aus ihrem Fleisch und Blut hervorbringen sollte, im Hohenlied Salomons mit den Worten angekündigt: „Ein verschlossener Garten bist du!“ (Hdl. 4,12). Und die Kirche hat dieses prophetische Wort zu einem Lobpreis gemacht, indem sie dem Heiland die Worte in den Mund legt: „Ein verschlossener Garten ist Meine geliebte Braut, ein verschlossener Garten, eine versiegelte Quelle. Was von dir ausgeht, ist wie ein Paradies, o Maria. Öffne mir, mein Liebling, meine Freundin, meine Taube, meine Unbefleckte.“ (Off. Imm. Conc.; III. Noct., Resp. 7).
Das neue Paradies
Ja, die allerseligste Jungfrau Maria ist das makellose Erdreich, der neue, verschlossene Garten, in dem Gott lustwandelt. Wie wunderbar ist dieser neue Garten Gottes, also die Seele der unbefleckten Jungfrau beschaffen? – Aus ihrem Gespräch mit dem Erzengel Gabriel, das wir soeben belauschen durften und über das wir in den Tagen des Advents so oft lesen und betrachten, können wir es heraushören.
a) Der unbefleckte Garten
Der Erzengel preist zuerst die Schönheit der Seele Mariens: „Gegrüßet seist du, Gnadenvolle!“ (Lk. 1,28). Wenn wir uns die Schönheit des verlorengegangenen Paradieses vorstellen, mit aller Pracht, welche die Natur hervorzuzaubern imstande ist; Um wie viel schöner müssen wir uns dann erst die übernatürliche Schönheit des geheimnisvollen Gartens Gottes vorstellen! Die Immaculata entspricht voll und ganz dem Idealbild, das sich Gott von Ewigkeit vom Menschen erdacht hatte. In Maria ist der ideale Mensch im Fleische verwirklicht. In Maria ist vollkommen ausgeführt, was von Gott vorhergesehen, geplant und ersonnen war. In nichts stand sie hinter den Erwartungen Gottes zurück. Maria war gedacht, empfangen und geplant als Gleichheitszeichen zwischen Ideal und Wirklichkeit, Gedanke und Realität, Hoffnung und Erfüllung. Sie war der neue Mensch, „der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Heiligkeit und Gerechtigkeit.“ (Eph. 2,24).
Den aufmerksamen Zuhörern unter Ihnen mag vielleicht schon eine gewisse Schwierigkeit aufgefallen sein, welche die katholischen Theologen über Jahrhunderte hinweg beschäftigt hat: Besteht da nicht ein Widerspruch zu dem, was wir soeben vom „Geheimnis der Sünde Adams“ gehört haben?
Einerseits haben die Katholiken immer gewußt, daß Maria, wenn sie von Gott so geliebt wurde, daß Er sie zur Mutter des „neuen Adams“, des menschgewordenen Gottessohnes, erwählt hatte, auch die Makellose, die Sündenreine gewesen sein mußte. Ist es doch undenkbar, daß der Heiligste der Heiligen; der göttlich Reine, der klarer ist als das Licht, auf Seinem Weg in die Welt einem Pfad wählen könnte, der vom Schmutz der Sünde befleckt, oder auch nur von einem Schatten der Bosheit verfinstert sein könnte. Geschweige denn, daß Er sich eine durch die Erbsünde kontaminierte Menschennatur zueigen machen könnte? Nein, es war dem ewigen Sohn unmöglich, sich mit etwas Gottwidrigem zu vereinigen; mit etwas, das, wenn auch nur für einen noch so kurzen Augenblick, irgendwie mit der Sünde in Berührung gekommen war. Maria muß einfach stets ohne Makel der Sünde gewesen sein.
Doch alledem scheint eindeutig das in der Heiligen Schrift geoffenbarte Wort Gottes entgegenzustehen, daß durch die Sünde des Stammvaters der Tod in die Welt kam und auf alle übergegangen ist, „weil alle in Adam gesündigt haben“ (Röm. 5,12). Und noch an anderer Stelle, nämlich im Galater-Brief, bekräftigt der hl. Paulus: „Alles war unter der Sünde eingeschlossen.“ (Gal. 3,22). Alle Nachkommen Adams haben gesündigt. Alles menschliche Tun ist unter der Sünde eingeschlossen. Das Wort „alle“ läßt keine Ausnahme zu. Wenn also Maria von Adam abstammt – was offensichtlich der Fall ist – dann hat scheinbar auch sie nach den Worten des hl. Völkerapostels in Adam gesündigt.
Wie geht das zusammen? Auf der einen Seite: Maria, die Sündenlose, weil sie dazu auserwählt war, Muttergottes zu werden. Auf der anderen Seite die Worte der Heiligen Schrift, die unfehlbar davon Zeugnis gibt, daß ausnahmslos alle unter dem Gesetz der Sünde stehen, weil sie von Adam abstammen.
Das jahrhundertelange Ringen um das Dogma der Unbefleckten Empfängnis zeigt uns, wie ernst man die inspirierten Worte der Heiligen Schrift und wie ernst man das Dogma von der Erbsünde genommen hat. Sind Gott nicht auch bei Maria die Hände gebunden? Er kann sich ja nicht über die Gesetze der Gnade hinwegsetzen, weil diese ja aus Seinem eigenen Wesen fließen. Gott kann nicht so tun, als gäbe es die Erbsünde für Maria nicht.
Erst der Franziskanertheologe Johannes Duns Scotus erkannte – zweifelsohne von Gott erleuchtet – eine bisher nicht gesehene göttliche Möglichkeit; nämlich die Möglichkeit der „Vor-Erlösung“.
Gott steht ja vollkommen über der Zeit. Es gibt für Gott kein Früher oder Später, kein Nacheinander, wie für alle anderen Geschöpfe. Vom Standpunkt Seiner Ewigkeit aus ist Ihm jeder Zeitpunkt in gleicher Weise präsent. Er lebt im beständigen Heute. Sein einfacher Blick erfaßt die ganze Dauer der Schöpfung – vom ersten Schöpfungstag bis zum Ende der Welt – in einem einzigen Augenblick. Auf diese Weise blickt Gott auch auf das Kreuz Jesu Christi, von dem allein jede Erlösung und jede Gnade der Erlösung kommt. Jede Erlösungsgnade mußte ja erst vom göttlichen Heiland in Seiner Passion verdient werden. Weil aber Gott in einem Augenblick die ganze Menschheitsgeschichte überblickt, so kann es geschehen, daß jemandem die Erlösungsgnade auch im Voraus geschenkt werden kann. Gott konnte Maria, in dem Augenblick, als sie im Mutterschoß der hl. Anna empfangen wurde, bereits die erlösende Wirkung des kostbaren Blutes Jesu Christi – das ja erst ca. 50 Jahre später am Kreuzesstamm ausgegossen werden würde – zuwenden. Auch Maria bedurfte also der Erlösung! Aber sie wurde im Unterschied zu uns allen ganz anders erlöst!
Von unserer Seele muß die tatsächlich erfolgte Befleckung mit der Erbschuld im Bad der Wiedergeburt, bei der hl. Taufe, erst abgewaschen werden. Das Taufwasser wendet uns die sündentilgende Kraft des Blutes Christi zu – im Nachhinein! D.h., wir waren tatsächlich befleckt und wurden durch die Taufe gereinigt. – Bei Maria war das anders. Sie wurde von Gott im Vorausblick auf die Verdienste, welche aus dem Erlöserleiden des göttlichen Sohnes erwachsen würden, von vorneherein von jeglicher Befleckung durch die Erbsünde bewahrt. Im Hinblick auf das Leiden Christi konnte Gott die Sündenordnung für Maria aufheben. Sie bedurfte daher keiner Reinigung, sondern war vom ersten Augenblick ihrer Existenz unbefleckt, „voll der Gnade“, ganz heilig, ganz schön. – Da aber nach dem Sündenfall jede Gnade vom göttlichen Erlöser verdient werden mußte, so stammt auch die Unbefleckte Empfängnis Mariens und ihre Gnadenfülle vom Kreuz. Maria bedurfte also auch der Erlösung. Auch die Immaculata ist eine Frucht des Kreuzesopfers Christi. Nur so kann man diesen scheinbaren Widerspruch auflösen. Nur so ist es erklärbar, daß Maria, obwohl sie eine Tochter Adams ist, nicht wie wir als ein „Kind des Zornes“ empfangen und geboren wurde. So ist Maria durch ein einzigartiges Privileg von der Verwüstung der Erbsünde bewahrt geblieben, indem die Verdienste des Leidens Christi im Voraus auf sie Anwendung fanden.
b) Der verschlossene Garten
Die unbefleckte Jungfrau, dieser schöne Garten Gottes, war ein „verschlossener Garten“. Die Sünde konnte in sie gar nicht eindringen, wie wir gesehen haben. Denn wie Gott an den Eingängen des irdischen Paradieses Wächterengel mit Flammenschwertern aufstellte, so auch an der Pforte der makellosen Seele der Unbefleckten Empfängnis.
Dort stand als Wächterin die Demut (= „Dien-Mut“; „Kraft zum Dienen“): Bei aller Heiligkeit und trotz ihrer hohen Würde als Gottesmutter und Königin des Himmels begriff sich Maria in ihrer heiligen Einfalt stets als „Magd des Herrn“ (Lk. 1,38) und Dienerin, ja wörtlich sogar als „Sklavin des Herrn“ (griech.: δούλη = Sklavin). Eine Sklavin dient ihrem Herrn, ohne einen Lohn dafür erwarten zu dürfen. Sie tut nichts aus sich selbst. Ihr Wille ist stets derselbe, wie der des Herrn. Maria entsagte vollkommen ihrem Eigenwillen und erwartete alles von der Gnade Gottes.
Des Weiteren wacht am Eingang des Unbefleckten Herzens Mariens die Liebe zum Stillschweigen und zur Innerlichkeit, die sich, im Gegensatz zu Eva, nicht in unvorsichtiges Gerede und Geplapper über eitle Dinge und Wünsche verstricken ließ. Alles Sinnen Mariens war auf Gott ausgerichtet. „Sie dachte nach, was dieser Gruß bedeute.“ (Lk. 1,29). „Maria bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.“ (Lk. 2,19). Als schweigsame und in sich gekehrte Seele war Maria fähig zum Denken und zur Kontemplation. Beide Wächterinnen – Demut und Innerlichkeit – sind bewaffnet mit dem Schwert der Enthaltsamkeit und der Entsagung. Mit ihm wurden alle Verlockungen zu Bequemlichkeit, zur Zerstreuung und zur Selbstsucht von vorneherein zurückgeschlagen. So verschlossen und versiegelt konnte der neue Garten Gottes herrliche Früchte ansetzen. Denn die Fruchtbarkeit ist ihr drittes Charakteristikum.
c) Der fruchtbare Garten
Als der Heiland einmal einen unfruchtbaren Feigenbaum fand, da sprach Er einen Fluch über ihn aus, und siehe, am nächsten Morgen war er verdorrt. Über Maria sprach Gott Seinen Segen, und sie wurde ein Garten, voll der Gnade, voll der schönsten Früchte.
Unter dem Einfluß des Heiligen Geistes, dessen Führung sie sich ganz überließ, reiften in ihr die Früchte der Gottesliebe und aller anderen übernatürlichen Tugenden, in einem Maß, das wir uns gar nicht vorstellen können. Mariens Dienste an ihrer Base Elisabeth beweisen, daß auch die Früchte der hilfsbereiten und opferwilligen Nächstenliebe nicht fehlten, genausowenig die der Hingabe und Geduld im Leiden. Wir finden sie unter dem Kreuz stehen, wie sie sich geistigerweise, gleichsam mit ihrem göttlichen Sohn zu einer Opfergabe verschmolzen, mitkreuzigen ließ. Doch mögen die Tugenden Mariens auch noch so erstaunlich und bewundernswert in ihr erblühen, ein Gewächs aus dem Erdreich, des neuen Paradiesesgartens Gottes, stellt alles in den Schatten. Es ist „die gebenedeite Frucht ihres Leibes“ (Lk. 1,42) – Jesus.
Nachdem die allerseligste Jungfrau durch ihr „Fiat“ (Lk. 1,38) die Zustimmung zu Gottes Erlösungsplan gegeben hatte, da sandte der Allerhöchste abermals, wie schon im ersten Paradies, „den Geist des Lebens“ (Gen. 2,7) aus, um ihn dem „zweiten Adam“ einzuhauchen. Der Heilige Geist mit Seinen Feuergluten kam über den Schoß der unbefleckten Jungfrau. „Der Heilige Geist wird über dich kommen.“ (Lk. 1,35). Und „die Kraft des Allerhöchsten überschattete sie“ (ebd.), damit sie eine solche Glut der göttlichen Wundermacht überhaupt ertragen konnte.
Wie am sechsten Schöpfungstag nahm Gott „rote Erde“, nämlich das unbefleckte Blut Mariens, und bildete daraus den Leib des neuen Adam, des neuen „von der roten Erde genommenen“ Menschen. Einen vollkommenen Leib und eine makellose Seele bildete Er und verband sie auf geheimnisvolle Weise mit der göttlichen Person des ewigen Wortes. So sollte, der aus dem neuen Paradiesesgarten geschaffene Erlöser, – vollkommener als der erste Adam – Gott und Mensch zugleich sein: Der Gottmensch Jesus Christus! Der neue Mensch, „der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Heiligkeit und Gerechtigkeit.“
Ein „verschlossener Garten Gottes“ nach dem Vorbild Mariens
So wird uns erlösungsbedürftigen Menschen in Maria die Gnadenwelt Gottes erneut eröffnet. Ihre Unbefleckte Empfängnis ist das Morgengrauen, das zarte Morgenrot des anbrechenden Erlösungstages. Und so gesehen ist das Fest der Unbefleckten Empfängnis ein wahres Adventsfest. Es ist gewissermaßen das Herz des Advents. Die Unbefleckte Empfängnis macht uns die Schätze der Erlösungsgnade erneut zugänglich, indem sie uns Christus, den Erlöser, schenkt. Darum wollen wir Maria, die makellose, reine Jungfrau, jetzt besonders bitten, daß sie unsere Seelen aufschließt, sie weihnachtlich bereitet und uns anleitet den Garten unseres eigenen Herzens in den Tagen des Advents, nach ihrem Vorbild, recht zu bestellen und sorgsam zu pflegen.
Auch wir sind Kinder Adams, des „von der Erde genommenen“. Und selbst wenn die Erbsünde in unserer Seele ihr Verderben angerichtet hat, so sollen wir uns nach dem Vorbild der Immaculata bemühen, die ursprünglich von Gott beabsichtigte Schönheit wiederherzustellen und zu bewahren.
Hierzu müssen wir den Grund unserer Seele von allem Wildwuchs unserer Fehler und Nachlässigkeiten, von den vielen Disteln und Dornen unserer Sünden bei einer gut vorbereiteten hl. Beichte reinigen. Unkraut läßt sich nur in Schach halten, wenn man es klein hält.
Außerdem müssen wir stets, besonders aber in dieser Zeit des Advents, den Samen der Tugend aussähen. Das ist mühsam und kostet Überwindung. Aber „was der Mensch sät, das wird er auch ernten.“ (Gal. 6,7). Pflanzen wir deshalb die Rosenstöcke der Gottesliebe, das Veilchen der Demut, die Lilien der Reinheit und ebenso die Passionsblume opferwilliger Geduld und Selbstverleugnung.
Wie Maria in einer innigen Verbindung zu Gott stand, so wollen auch wir uns um innerliche Sammlung bemühen, wenn wir mit Gott im Gebet sprechen. Wir wollen uns mit Ihm so oft wie möglich vereinigen in der sakramentalen oder in der geistigen Kommunion und unsere Seele, durch die auf diese Weise mitgeteilte Fruchtbarkeit, auch in den Werken der Nächstenliebe zum Blühen bringen.
Doch haben wir Acht! Für schädliche Einflüsse müssen die Tore unseres Seelengartens verschlossen bleiben. Die Augen müssen hermetisch abgeriegelt sein für schamlose Eindrücke – sowohl auf der Straße, als auch vor dem Bildschirm oder sonstwo. Die Augen müssen verschlossen sein für seichte Lektüre oder schlecht gekleidete Personen. Rufen wir in der Versuchung zu Gott: „Wende ab meine Augen, damit sie nichts Eitels sehen“ (Ps. 118,37). Alle Sinne müssen wir bewachen! „Umzäune deine Ohren mit Dornen und höre nicht auf eine gottlose Zunge“ (Sir. 28,28), so rät uns der weise Jesus Sirach. Bewachen müssen wir unsere Gedanken und Phantasien. Wir dürfen sie nicht in eitlen Vorstellungen herumschweifen lassen. – Achten wir schließlich auch in unseren Umgangsformen und in unserer Kleidung auf christlichen Anstand, damit wir nicht andere zur Sünde reizen und womöglich ein Paradies zerstören, das Gott sich in einer anderen Seele geschaffen hat.
Wir müssen also versuchen, in im Geheimnis dieser hl. Adventszeit, immer mehr wie Maria zu werden. Wenn wir den Garten unseres Herzens nach dem Vorbild der Unbefleckten Empfängnis hüten und hegen, dann erlauben wir es Gott, auch in unserer Seele auf ähnliche Weise wirksam zu werden, wie in der Gottesmutter. Er wird den Heiligen Geist mit seinen Gaben auch über uns kommen lassen und nach und nach die Züge des „neuen Adam“, unseres Herrn Jesus Christus, aus dem Erdreich unserer Seele herausschälen. Er wird auch aus uns jenen „neuen Menschen“ bilden, von dem der hl. Paulus spricht. Den Menschen, „der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Heiligkeit und Gerechtigkeit.“ (Eph. 2,24). Amen.