Allerheiligen
Von der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen
Geliebte Gottes!
Die katholische Kirche, deren Ursprung und Zweck, deren Einrichtungen und Ämter wir bisher betrachtet haben, ist ein großes Reich. Eine Herde unter einem Hirten. Eine Herde, die über die ganze Welt zerstreut ist und doch von einem Hirten geleitet, einem überirdischen, himmlischen Ziel zuwandert.
Die Festfeier von Allerheiligen weitet nun unseren eingeengten Blick auf die hl. Kirche. Mit dem hl. Johannes erheben wir die Augen und schauen ein noch größeres Reich, von dem die katholische Kirche hier auf Erden nur ein Teilreich darstellt – die „Gemeinschaft der Heiligen“.
Drei Punkte wollen wir uns aus diesem Blickwinkel auf die Kirche klar machen:
- Aus welchen Teilen bzw. Bestandteilen die „Gemeinschaft der Heiligen“ zusammengesetzt ist,
- Ob und inwiefern die Bezeichnung „Gemeinschaft der Heiligen“ seine Berechtigung hat, und
- durch welches Band diese Teile vereint sind und zusammengehalten werden.
Was versteht man unter der „Gemeinschaft der Heiligen“?
Unter der „Gemeinschaft der Heiligen“ versteht man die Familie der Kinder Gottes, nämlich die geistige Vereinigung der Christgläubigen auf Erden, der armen Seelen im Fegfeuer und der Seligen im Himmel. Jede der drei Gemeinschaften bildet für sich einen eigenen Teilbereich: Die Christen auf Erden bilden zusammen die „streitende Kirche“. Die armen Seelen des Fegfeuers bilden die „leidende Kirche“. Und die Heiligen des Himmels bilden die „triumphierende Kirche“. So betrachtet umfaßt die Kirche Gottes die katholische Kirche auf dem gesamten Erdenrund. Sie reicht bis ins Fegfeuer hinab und bis in den Himmel hinauf.
a) Die „streitende Kirche“
Die „streitende Kirche“ besteht aus den Kindern der wahren Kirche, den Katholiken. Sie werden „Christgläubige“ genannt, weil sie den Glauben an Christus dank des unfehlbaren Lehramtes der katholischen Kirche ganz und unverfälscht besitzen. – Sie bilden die „streitende Kirche“. Warum? Weil die Glieder der Kirche, solange sie auf Erden sind, tatsächlich im Streit, im Kampf, im Krieg leben. Jeder Katholik ist ein Soldat, ein Streiter Christi. Deshalb schrieb der hl. Paulus an die Christen in Ephesus: „Darum ergreifet die Waffenrüstung Gottes, damit ihr am bösen Tage widerstehen und in allem vollkommen standhalten könnet.“ (Eph. 6,13). Daß damit ein geistlicher Kampf gemeint ist, geht aus der Beschreibung dessen hervor, womit uns der Völkerapostel ausgerüstet sehen will: „So steht denn, eure Lenden umgürtet mit Wahrheit, angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit, eure Füße beschuht mit der Bereitschaft des Evangeliums des Friedens. Zu allem ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem ihr alle feurigen Geschosse des Bösen auslöschen könnt. Und nehmt auf den Helm des Heiles und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“ (Eph. 6,14-17).
Mit wem müssen wir diesen Kampf austragen? Wer ein echtes Glied der Kirche sein und sein letztes Ziel erreichen will, muß notwendig und unablässig gegen mehrere Gegner kämpfen. – Zu allererst müssen wir gegen uns selbst kämpfen. Gegen die aufbegehrenden Leidenschaften und Gelüste. Gegen die Habsucht. Gegen die Fleischeslust. Gegen den Stolz und gegen jede Erscheinungsform unserer ungeordneten Eigenliebe. – Ferner haben wir zu kämpfen, außerhalb unserer selbst, gegen das schlechte Beispiel der verkommenen Welt, gegen die falschen Grundsätze der Welt und gegen die zahllosen Gelegenheiten zur Sünde, die uns die Welt bietet. – Schließlich ist da neben der Eigenliebe und der „bösen Welt“ noch ein dritter Feind, den der hl. Paulus in seiner ganzen Macht beschreibt: „Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr standzuhalten vermöget gegen die Nachstellungen des Teufels; denn wir haben nicht den Kampf wider Fleisch und Blut zu führen, sondern wider die Mächte und Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die Geister der Bosheit unter dem Himmel.“ (Eph. 6,11).
Diesen Krieg führt die „streitende Kirche“ mit verschiedenen Waffen. Jedes ihrer einzelnen Glieder kämpft mit verschiedener Tapferkeit und mit sehr verschiedenem Erfolg. In diesem Kampf gibt es scharfe und stumpfe Waffen, Helden und Feiglinge, Siege und Niederlagen. Der Kampf jedoch hört niemals auf. Nicht solange dieses Leben dauert. Nicht solange diese Welt besteht.
b) Die „leidende Kirche“
Die zweite Abteilung der „Gemeinschaft der Heiligen“ bilden die Armen Seelen im Fegfeuer. Für sie ist der Kampf beendet. Sie sind siegreich daraus hervorgegangen. D.h. sie haben das Gewand der heiligmachenden Gnade, mit dem ihre Seele bei der hl. Taufe bekleidet wurde, makellos vor den Richterstuhl Gottes gebracht. Deshalb wurden sie vom ewigen Richter für würdig erfunden, den ewigen Lohn in Empfang zu nehmen. Aber ihr Triumph ist noch aufgeschoben, bis ihre Wunden geheilt sind. Wunden der läßlichen Sünde, die sie sich selbst geschlagen haben, die sie aber zeitlebens nicht geheilt haben, weil sie dieselben entweder nicht bereut oder nicht hinreichend gesühnt hatten. Von der Reinigung der eifrigen, heiligmäßigen Seelen weissagt der hl. Prophet Malachias: „Und Er [Gott] wird sich setzen, das Silber zu schmelzen und zu läutern, und wird die Söhne Levis reinigen und sie läutern, wie Gold und wie Silber.“ (Mal. 3,3). Jede Seele muß das Fegfeuer durchlaufen. Dabei wird das Lebenswerk eines jeden durch die Flammen desselben geprüft, wie der hl. Paulus anschaulich beschreibt. Das Lebenswerk, so der Völkerapostel, ist mit einem Bauwerk vergleichbar, das im Laufe des Lebens aus den verschiedensten Materialien erbaut wurde, je nach dem: „Ob einer auf dieses Fundament [den Glauben an Christus] mit Gold oder Silber, Edelstein, Holz, Heu oder Stroh baut; eines jeden Werk wird sichtbar werden; denn der Tag des Herrn wird es erweisen. Er offenbart sich ja im Feuer, und wie beschaffen das Werk des Einzelnen ist – das Feuer wird es erproben. Hält das Werk stand, das einer baute, wird er Lohn empfangen; wessen Werk aber niederbrennt, der wird Schaden erleiden. Er selbst wird zwar gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch.“ (1. Kor. 3,12-15). Die Seelen, die im Fegfeuer festgehalten werden, bis sie vollständig aufgereinigt sind, um in den Himmel eingehen zu können, sind zwar getrost aufgrund des sicheren Lohnes, aber trotzdem leiden sie unvorstellbare Qualen, solange sie sich in diesem Land der Schmerzen befinden. Deshalb wird ihre Gemeinschaft die „leidende Kirche“ genannt.
c) Die „triumphierende Kirche“
Die dritte und höchste Abteilung in der Gemeinschaft der Heiligen bilden die Seligen des Himmels. Für sie ist der Kampf nicht bloß beendet, sondern sie sind auch bereits im Besitz der Siegeskrone, die unverwelklich ist. Sie dürfen am Siegesmahl Gottes teilnehmen, bei dem ihr Hunger nach Glück vollends gesättigt, ihr Durst nach Gerechtigkeit gänzlich gestillt und ihre Freude vollkommen ist. Denn an ihnen ist die Verheißung Christi verwirklicht: „Wer überwindet, dem will Ich geben, mit Mir auf dem Throne zu sitzen; so wie auch Ich überwunden und Mich zu Meinem Vater auf Seinen Thron gesetzt habe.“ (Offb. 3,21).
Durch die Vision des hl. Johannes, die wir soeben als Epistel gehört haben, dürfen wir heute ein kleinwenig hinüber spähen und einen kleinen Eindruck gewinnen von den gewaltigen Ausmaßen der ewigen Siegesfeier des Himmels: „Ich sah eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Völkern und Stämmen und Nationen und Sprachen.“ (Offb. 7,9). Diese unüberschaubare Menge formiert sich zu einer endlosen Prozession, zu einem immerwährenden Triumphzug um den Thron des göttlichen Lammes: „Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamme, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmen in den Händen.“ (Offb. 7,10). Herrliche Lobgesänge sind dort zu hören, um dem Lamm Gottes für die Gnade des Sieges zu danken: „Sie riefen mit lauter Stimme: ‚Heil unserem Gott, der da auf dem Throne sitzt, und dem Lamme.‘ Alle Engel standen rings um den Thron, um die Ältesten und die vier lebenden Wiesen; sie fielen vor dem Throne auf ihr Angesicht nieder und beteten Gott an und sprachen: ‚Amen; Lob und Herrlichkeit und Weisheit und Dank und Ehre und Macht und Kraft sei unserem Gott in alle Ewigkeit. Amen.‘“ (Offb. 7,11-12). Angeführt wird diese Prozession der Seligkeit von der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria, gefolgt von den hl. Aposteln, den hl. Märtyrer, den hl. Bekenner, Jungfrauen, Einsiedler und Witwen. Welch ein Triumphzug! Eine Prozession, die mit jedem Tag und mit jeder Stunde wächst und wachsen wird bis zum letzten Tag! Das ist die „triumphierende Kirche“.
Berechtigung der Bezeichnung „Gemeinschaft der Heiligen“
Fassen wir diese drei Bereiche zusammen: Die streitende Kirche auf Erden, die leidende Kirche im Fegfeuer und die triumphierende Kirche im Himmel – alle zusammen als ein Ganzes, als ein Reich – das ist die „Gemeinschaft der Heiligen“. Welch ein Reich! Wie weit! Wie hoch! Wie tief! – Auch wir gehören dazu! Auch wir sind Teil dieses Reiches.
Aber wie kann man dieses Reich die „Gemeinschaft der Heiligen“ nennen, da doch so viele Sünder, so viele Menschen dazu gehören, die keineswegs heilig sind, sondern gesündigt haben, sündigen und noch sündigen werden? – Trotzdem heißt diese Gemeinschaft mit vollem Recht die „Gemeinschaft der Heiligen“. Wieso? Die Glieder der triumphierenden Kirche sind heilig. Unbestritten. Nichts Unheiliges kann in den Himmel eingehen (vgl. Offb. 21,27). – Die Seelen des Fegfeuers sind heilig, denn sie sind im Stande der „heiligmachenden Gnade“ gestorben. Eben dadurch sind sie, wenngleich noch nicht vollkommen, so doch ein für allemal heilig gemacht. – Die Glieder der streitenden Kirche sind zur Heiligkeit berufen. Ein jedes von ihnen wurde durch die hl. Taufe zum übernatürlichen Leben der Gnade erweckt. Der hl. Paulus schreibt: „Ihr seid abgewaschen, seid geheiligt und gerechtfertigt.“ (1. Kor. 6,11). Der Same der Gnade soll sich in einer jeden Seele zum Ideal der Heiligkeit auswachsen und die Früchte heiliger Werke hervorbringen. Und mögen sie noch so sehr von den Versuchungen angefochten werden und noch so oft der Sünde erliegen, immer wieder werden sich diese Glieder aufraffen, sich von ihrem Fall erheben, ihr Verhalten bessern und ihre Schuld sühnen. Warum? Weil sie, wenn sie den Namen eines Christen auch nur schattenhaft verdienen, doch wenigstens den Vorsatz, das Verlangen, den Wunsch haben, heilig zu werden. In diesem Sinn kann man auch sie „heilig“ nennen. In diesem Sinn redet der hl. Paulus die Glieder der christlichen Gemeinden, an welche er seine Briefe schrieb, mehr als einmal schlichtweg als „Heilige“ an. „Den Heiligen zu Ephesus“, zu Korinth, zu Rom usw.
Auch wir gehören zur Gemeinschaft der Heiligen. Und das Fest Allerheiligen, das wir in den nächsten acht Tagen feiern, ist gleichsam unser Familienfest. Welcher Ansporn, welche Mahnung, welche Predigt liegt nicht darin! – Muß nicht jeder von uns seinem Namen Ehre machen und sich bemühen, das zu sein und das zu werden, was der Name sagt? Muß nicht jeder, der zu einer Berufsgruppe gehört, sich darum bemühen, das zu sein und das zu werden, was die Berufsbezeichnung aussagt?
Wenn jemand die Berufsbezeichnung eines Malers trägt, das Malerhandwerk nicht beherrscht und sich nicht einmal Mühe gibt, ein Maler zu werden, das ist über die Maßen beschämend und verächtlich. – Ja, wir gehören zur Gemeinschaft der Heiligen. Die Heiligkeit ist unser Beruf. Wir sind noch nicht heilig, aber zumindest müßten wir doch das brennende Verlangen in unserem Herzen tragen und den ernsten Wunsch hegen, heilig zu werden.
Die Bezeichnung „Gemeinschaft der Heiligen“ ist also gerechtfertigt, weil ein großer Teil ihrer Mitglieder bereits zur Heiligkeit gelangt ist und der übrige Teil zur Heiligkeit gelangen soll.
Das dreifach einigende Band
Nachdem wir nun gesehen haben, aus welchen Teilen die Gemeinschaft der Heiligen besteht, bleibt uns noch übrig, das Band zu betrachten, durch welches diese drei Abteilungen miteinander verbunden sind und zusammengehalten werden.
Es ist ein unsichtbares und geistiges Band, denn die Gemeinschaft der Heiligen ist ja eine geistige Vereinigung. Aber was ist dieses Band? – Das Band der Gedanken, das Band der Tätigkeit und das Band des gemeinsamen Hauptes.
a) Das Band der Gedanken
Zuerst das Band der Gedanken. Gewiß, um mit der triumphierenden Kirche zu beginnen, gewiß gehen die Gedanken der Seligen, die im Himmel sind, oftmals auf die Erde und ihre Bewohner zurück. Hier ist ja das Schlachtfeld, wo sie ihre Kämpfe bestanden und ihre Siege errungen haben, wo das Fundament zu ihrer jetzigen Seligkeit gelegt worden ist. Sollten sie kein Interesse haben an uns, die wir an ihre Stelle getreten sind, in diesen seit Anbeginn tobenden Kampf mit denselben Feinden? Gewiß haben sie das größte Interesse! Wie gerne sehen die Vorkämpfer für irgendeine Sache, daß fähige, tatkräftige und von den gleichen Motiven angetriebene Streiter an ihre Stelle getreten sind, um dasselbe Ideal zu erreichen. Wie gerne sehen ältere Generationen, daß die Jugend ihr einst begonnenes Geschäft weiterführt. Der Seniorchef nimmt auch vom Ruhestand aus Anteil an der weiteren Entwicklung seiner Firma, auch wenn er ihre Geschicke nun von anderen Händen geleitet sieht. – In Erinnerung an die eigenen Herausforderungen, Kämpfe, Niederlagen und Siege nehmen die Heiligen innigen Anteil an unseren Schicksalen.
Ohne Zweifel gehen die Gedanken der Seligen aber auch hinab zu den Seelen im Fegfeuer. Viele Selige des Himmels haben auch die Leiden des Fegfeuers durchgemacht. Und wer hat mehr Ursache, der leidenden Seelen sich zu erinnern, als jene Seelen, die, von jedem Ungemach frei, sich der vollkommenen Seligkeit erfreuen dürfen? Im Glück der Unglücklichen gedenken gilt schon auf Erden als eine Zierde des Glücks. Um wievielmehr wird sich diese Tugend dann erst bei den Heiligen des Himmels finden lassen!
Daß die Seelen im Fegfeuer in ihren Gedanken sich oft, ja vielleicht sogar fortwährend mit den Seligen des Himmels beschäftigen, daran kann kein Zweifel sein. Vom Fleische und damit auch von allen irdischen Anhänglichkeiten losgelöst erkennen sie ja das Gelobte Land des Himmels glasklar und ungetrübt als ihre Heimat. Der Himmel ist nunmehr der einzige Gegenstand ihrer Hoffnung und ihrer Sehnsucht. – Nicht weniger kann bezweifelt werden, daß die Armen Seelen häufig in ihren Gedanken zu uns zurückkehren. Zu uns, die wir ihnen durch Bande von mancherlei Art verbunden sind: Durch die Bande des Blutes, der Freundschaft; jedenfalls durch das Band des gleichen Glaubens und der gleichen Hoffnung. Ja, vielleicht sogar durch das Band der Sünde, das sie mit uns verbindet und sie jetzt entsetzlich peinigt; das sie in Sorge an uns denken läßt, ähnlich wie der reiche Prasser im Gleichnis. Selbst dieser dachte inmitten seiner jenseitigen Pein an seine noch lebenden Brüder, denen dasselbe schlimme Schicksal zu blühen drohte, das er jetzt schon zu erleiden hatte (vgl. Lk. 16,27 f.).
Und auch wir, die wir uns noch im Tal der Versuchungen und der Tränen aufhalten, richten, freilich nicht fortwährend, nicht einmal häufig, aber doch von Zeit zu Zeit unsere Gedanken auf den Himmel und auch auf die Seelen im Fegfeuer. Kann man denn ein gläubiger Katholik sein, ohne solche Gedanken an das Ziel, dem wir entgegengehen? Und wenn uns solche Gedanken nicht kämen, wenn wir so von unseren irdischen Geschäften, Pflichten und Sorgen eingenommen wären, sorgt nicht die Kirche dafür, daß wir wenigstens heute an die Gemeinschaft der Heiligen erinnert werden? Durch das Fest Allerheiligen? Und morgen, durch das Gedächtnis aller Armen Seelen?
b) Das Band der Tätigkeit
Doch Gedanken – auch wenn sie ernst und häufig sind – bloße Gedanken sind ein schwaches Band. Auch die Fäden des Spinnennetzes gehen hin und her von Baum zu Baum, von Wand zu Wand, von Mauer zu Mauer, aber schon geringe Kraft zerstört dieses Band. Die streitende, leidende und triumphierende Kirche sind nicht allein durch das Band der Gedanken, sondern auch durch das stärkere Band der Tätigkeit miteinander verbunden.
Welche Tätigkeit üben wir gegenüber den Heiligen? Wir ehren sie. Und wie? Als Freunde Gottes, als siegreiche Kämpfer, als Zierde der Kirche, als unsere Vorbilder, als unsere Patrone und Helfer. Die Glieder der streitenden Kirche auf Erden haben zu ihren Ehren Kirchen erbaut und Kapellen eingerichtet. In den Kirchen sind zu ihren Ehren Altäre errichtet worden, die von ihren Bildern überragt werden. In den Kirchen und Kapellen werden Figuren zu ihren Ehren aufgestellt und ihre Bilder aufgehängt. Wir bewahren ihre Reliquien auf und dehnen unsere Verehrung auf dieselben aus. Wir rufen sie im Vertrauen auf ihr hohes Ansehen bei Gott als mächtige Fürsprecher an, so oft und so vertrauensvoll, daß die Andersgläubigen uns daraus einen Vorwurf gemacht haben und machen. Nicht wenige unternehmen Wallfahrten zu den Gräbern der Heiligen, um sie dort und schon auf dem langen Weg dorthin, in besonders dringenden Anliegen, um ihre Fürbitte bei Gott anzurufen. – Doch diese Tätigkeit ist nicht einseitig. Während wir die Heiligen unsererseits verehren und anrufen, helfen sie uns ihrerseits durch ihre mächtige Fürbitte bei Gott. Wenn das Gebet des gerechten, gottesfürchtigen Menschen vor Gott wohlgefällig ist und bei Ihm viel zu erlangen vermag, um wie viel mehr wird dann das Gebet eines Heiligen, das Gebet vieler Heiliger, das Gebet aller Heiligen, das Gebet der allerseligsten Gottesmutter, der Königin aller Heiligen, bei Gott erlangen können!
Welche Tätigkeit üben wir gegenüber den Armen Seelen? Die Kirche lehrt ausdrücklich, daß wir ihnen zu Hilfe kommen, und zwar wirksam zu Hilfe kommen können durch das Gebet, durch Almosen und durch andere gute Werke. Vor allem durch das hl. Meßopfer. Mit den Makkabäern des Alten Bundes sagt sie uns: „Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöst werden.“ (2. Makk. 12,46). – Ja, die Kirche gibt uns nicht nur Belehrung über die Möglichkeit, sondern sie will auch, daß wir den Armen Seelen auf die genannten Weisen zu Hilfe kommen. Freilich, es könnte stets mehr, ja vielmehr geschehen. Man könnte stets mehr beten, mehr opfern, mehr Ablässe gewinnen. Aber wer zählt die Gebete, die Werke, die hl. Messen, die täglich und stündlich in der streitenden Kirche für die leidende Kirche dargebracht und aufgeopfert werden? Sie sind ohne Zahl! Also ergießt sich andauernd ein Strom der Erquickung von der Erde über das Fegfeuer. Ein Strom, der zwar zuzeiten stärker und zuzeiten schwächer ist, aber der niemals ganz versiegt und völlig austrocknen würde. – Wenn aber die Erde Mitleid genug hat, um diesen Strom stets fließend zu erhalten, wie sollten wir dann nicht mit um so größerer Sicherheit davon ausgehen, daß sich vom Himmel her, von Seiten der triumphierenden Kirche, ein um ein Vielfaches größerer Strom der Fürbitte für die armen Seelen in das Fegfeuer ergießt?
Von den Armen Seelen aber können wir in Anlehnung an die Scholastiker des Mittelalters behaupten, daß sie nicht bloß arme und leidende, sondern auch dankbare Seelen sind, die sich für jede Linderung ihres Leidens dankbar erzeigen werden – sei es schon jetzt oder später, wenn sie vom Fegfeuer erlöst, im Himmel für uns Fürbitte einlegen. So schreibt Richard von St. Viktor: „Die aus dem Fegfeuer erlösten Seelen bitten ohne Unterlaß für jene, durch deren Hilfe sie gerettet worden sind, und Gott schlägt ihnen nichts ab.“
Welche Tätigkeit und welchen Einfluß üben die Glieder der streitenden Kirche aufeinander aus? Wir Katholiken leben ja bisweilen weit auseinander, sind durch weite Landstrecken, ja durch Meer und Ozean, voneinander getrennt, haben uns nie gesehen und kennen uns nicht einmal dem Namen nach. Wie sollen wir da aufeinander einwirken? Und doch ist das der Fall! Alle Glieder der streitenden Kirche bilden ein Ganzes, einen geheimnisvollen Leib Christi. Der hl. Paulus schreibt an die Kirche von Rom: „Gleichwie wir an einem Leibe viele Glieder haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, einzeln aber untereinander Glieder.“ (Röm. 12,4 f.). Nun üben aber die Glieder eines und desselben Leibes einen sehr großen Einfluß aufeinander aus.
Der hl. Augustinus sagt in seinem Kommentar zum Johannesevangelium: „Das Auge sieht allein unter allen Gliedern des Leibes. Aber sieht es wohl für sich allein? [Nein!] Es sieht auch zugunsten der Hand, des Fußes und der übrigen Glieder.“ (in Ioan. tract. 32). Wenn das Auge gut sieht, so kann auch der Fuß sicher auftreten und die Hand fest greifen. Wenn der Magen reichlich Speise aufnimmt und verdaut, so wird das Blut alle Organe hinreichend mit Nährstoffen versorgen können, indem es sich in alle Teile des Leibes ergießt. Ja, die Glieder treten auch füreinander ein, um voneinander Schaden abzuwenden. So erklärt der hl. Augustinus weiter: „Die Hand ist zwar allein tätig, aber ist sie für sich allein tätig? Keineswegs! Wenn ein Stoß nicht sie, sondern das Angesicht bedroht, sagt dann die Hand: ‚Ich bewege mich nicht, weil nicht ich, sondern nur das Angesicht getroffen wird?‘“ Gewiß nicht! Die Hand wird sich erheben, um den Schlag abzuwehren. Ja, sie wird dabei sogar lieber selber Schmerzen und Schaden leiden, nur um das Auge davor zu schützen. Und so kann das Gleichnis mit anderen Gliedern des Körpers fortgesetzt werden.
Ähnlich verhält es sich beim geheimnisvollen Leibe Christi, der streitenden Kirche. Die vielen Gebete, die großen Bußwerke, die jahrelangen Leiden aller Christen im Gnadenstand; die täglichen hll. Messen und guten Werke. Sie alle kommen zwar zunächst und in erster Linie denjenigen zugute, welche sie verrichten. Aber nicht ihnen allein! Es sind Werke, deren Einfluß und Anteil sich über die ganze Kirche erstreckt, besonders auf alle Gläubigen, die im Stande der Gnade sind. Von welcher Freude müßten wir also ergriffen sein, daß wir Glieder eines so kraftvollen, geheimnisvollen und gnadenreichen Leibes sein dürfen!
c) Das Band des gemeinsamen Hauptes
Schließlich und endlich sind die streitende, leidende und triumphierende Kirche verbunden durch das Band eines und desselben Hauptes. Wer ist dieses Haupt? Natürlich niemand anderes als Jesus Christus. Der Gottmensch. Der Sohn des ewigen Vaters. Er ist der König der Heiligen im Himmel. Genauso ist Er das Haupt, das unsichtbare Haupt der heiligen Kirche auf Erden. „Christus ist das Haupt der Kirche“ (Eph. 5,23), schreibt der Völkerapostel an die Epheser. Er ist der Richter und König aller armen Seelen.
Alles ist in Ihm vereinigt. Alles ist auf Ihn ausgerichtet. Alles ist für Ihn geschaffen (vgl. Kol. 1,16 ff.) Und Er sorgt für alles. Welch ein starkes Band, das schon so lange besteht; das niemand zerreißen kann, das die drei Teilbereiche der Kirche so fest zu der einen „Gemeinschaft der Heiligen“ verbindet. Welch ein König! Welch ein Reich! „Ein Reich der Wahrheit und des Lebens, ein Reich der Heiligkeit und der Gnade, ein Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens.“ (Präf. d. Christkönigsfestes). Welch ein Glück, zu diesem Reich, zu dieser Gemeinschaft der Heiligen zu gehören.
Gotteslob aus einem Munde
Vergessen wir nie, welch erhabenes Privileg wir genießen. Üben wir die Werke der Barmherzigkeit an den Armen Seelen. Machen wir uns auf diese Weise in der Ewigkeit „Freunde mit dem ungerechten Mammon“ (Lk. 16,9), welche es tausendfach vergelten werden, was wir für sie tun. – Gebrauchen wir täglich die Waffen, die uns die streitende Kirche in die Hand drückt. Freilich: Der Anteil, den wir dabei an den Gemeinschaftsgütern der Kirche erhalten, ist nicht bei allen der gleiche, sondern sehr verschieden. Es gilt hier als Regel: Je eifriger du bist und dich opferwillig einsetzt, desto reichlicher strömt dir das Gute von den anderen zu. Je lauer und nachlässiger du hingegen bist, desto geringer ist das Maß des Guten, welches du empfängst. Deshalb ruft uns der hl. Paulus zu: „Eifert jederzeit um das Gute!“ (Gal. 4,18).
Kämpfen wir nach dem Muster unserer himmlischen Patrone und wir werden uns dann eines Tages auch in den himmlischen Siegeszug der triumphierenden Kirche einreihen, um mit allen Engeln und Erzengeln, mit den Thronen und Herrschaften und mit der ganzen himmlischen Heerschar ohne Unterlaß in den Hochgesang auf die Herrlichkeit Gottes einstimmen: „Heilig, Heilig, Heilig, Herr, Gott der Heerscharen!“ „Lob und Herrlichkeit und Weisheit und Dank und Ehre und Macht und Kraft sei unserem Gott in alle Ewigkeit.“ Amen.