Das Urbild der heiligen und heiligenden Kirche

Geliebte Gottes!

Schon am Festtag Mariä Himmelfahrt haben wir festgestellt, daß das Geheimnis der Kirche groß und für uns kaum zu fassen ist, weil jeder von uns die Kirche in seiner persönlichen Wahrnehmung ja nur unvollständig, einzig in dem kleinen Ausschnitt seines eigenen Lebensbereiches wahrnehmen kann.

Noch viel mehr sind wir heutigen „Katholiken in der Zerstreuung“ mit dieser Schwierigkeit konfrontiert. Die katholische Kirche ist ja heute mehr denn je verdunkelt, indem sich eine falsche Kirche – nämlich die „Kirche des 2. Vatikanums“ – an die Stelle der katholischen Kirche setzen konnte, während die katholische Kirche, aufgrund ihrer derzeitigen Papstlosigkeit handlungsunfähig, ins Abseits gedrängt wurde. Seitdem wird das Bild von der Kirche in der allgemeinen Wahrnehmung der Menschen durch die „konziliare Doppelgänger-Kirche“ geprägt. Die fortwährende Aneinanderreihung von Irrlehren, Blasphemien und sittlichen Perversionen verfälscht das Bild von der Kirche in der allgemeinen Wahrnehmung und verkehrt es in ihr Gegenteil. Viele Menschen halten die Kirche deshalb für nichts anderes als einen abscheulichen Sündenpfuhl; bestehend aus korrupten, sittlich verkommenen und heuchlerischen Lügnern und Verbrechern. Weil sie das teuflische Lügengespinst (noch) nicht durchschauen, übertragen sie ihren Abscheu über die Skandale der „konziliaren Kirche“ auf die katholische und hassen diese Kirche. Sie hassen, verachten oder mißtrauen der katholischen Kirche, die sie doch als ihre Mutter lieben sollten. Und auch viele „traditionelle Katholiken“ haben ein gestörtes Verhältnis zur Heiligkeit der Kirche. Angesichts der überall sichtbaren Fehlbarkeit der vermeintlichen „Päpste“ und der fortschreitenden Korruption glauben sie nicht wirklich an diese Heiligkeit und verweisen sie aus dieser Welt allein in ewige Vollendung des Himmels.

Die Kirche in Maria sichtbar gemacht

Dieser Not hat Gott in Seiner unendlichen Barmherzigkeit das Bild Mariens entgegengestellt. In Maria hat Gott die Kirche sichtbar gemacht. Am Bild Mariens wird offenbar, was die Kirche ist.

Schon das erste Bild von der Kirche, welches der Heilige Geist in Form des apokalyptischen Weibes vor den Augen des Sehers von Patmos am Himmel zeichnete und das dieser uns im 12. Kapitel der Geheimen Offenbarung überliefert hat, weist unverkennbar die Züge Mariens auf: „Ein großes Zeichen erschien am Himmel: eine Frau, mit der Sonne umkleidet, zu ihren Füßen der Mond, auf ihrem Haupte ein Kranz von zwölf Sternen. Und sie war gesegneten Leibes.“ (Offb. 12,1 f.).

Der im Folgenden geschilderte Kampf des gebärenden Weibes mit dem siebenköpfigen Drachen, ist die im Paradiese grundgelegte Feindschaft zwischen dem Weibe und der „alten Schlange“, zwischen dem Samen des Weibes und dem Samen der Schlange. Diese Feindschaft gelangte in Maria und ihrem göttlichen Sohn Jesus Christus zur vollen Seinsdichte. Am Kreuz fand diese Auseinandersetzung ihren Höhepunkt und ihre endgültige Entscheidung. „Er wird dir den Kopf zertreten, während du nach Seiner Ferse schnappst.“ (Gen. 3,15) Bis zum Ende der Welt aber wird dieser Kampf wider den Satan fortgesetzt durch die Kirche, die Braut Christi, und ihren Samen, den sie jungfräulich im Schoß des Taufbrunnens gebiert. Im apokalyptischen Weib wurzelt die Gleichstellung Mariens mit der Kirche in der göttlichen Offenbarung.

In der Gestalt Mariens wird die Kirche für uns sichtbar und greifbar. Und das ist wichtig für uns, weil wir nur lieben können, was wir kennen. So wie Gott für uns in Jesus Christus sichtbar und greifbar geworden ist – „Wer Mich sieht, der sieht den Vater.“ (Joh. 14,9) – so die Kirche in Maria. Man könnte genauso sagen: „Wer Maria sieht, der sieht die Kirche.“ Und weil wir in Maria die Kirche sehen können, deshalb können wir in Maria die Kirche auch lieben.

Heute begehen wir die Festfeier des Unbefleckten Herzens Mariä, unter dessen Patronat diese Kapelle steht. Was liegt also näher, als uns zu fragen, welche Wesenszüge der Kirche wir aus dem Bild Mariens, und genauer, aus dem Bild ihres Unbefleckten Herzens, herauslesen können? Zwei Wesenszüge der Kirche werden durch das Unbefleckte Herz der Gottesmutter sichtbar gemacht:

  1. Die Unbefleckte Empfängnis Mariens gibt Zeugnis von der makellosen Heiligkeit der Kirche.
  2. Das Herz Mariens ist Spiegel der mütterlichen Fürsorge der Kirche für die Sünder.

Urbild der Heiligkeit der Kirche

Die Heiligkeit der Kirche besteht wesentlich in ihrem Erlöstsein. Sie ist ja die Gemeinschaft der Erlösten, die Gemeinschaft der Heiligen. Der hl. Apostel Paulus versucht uns das unfaßbare Geheimnis des Erlöstseins nahezubringen, in dem Bild vom mystischen Leib Christi. Christus ist das Haupt und die Erlösten sind Seine Glieder. Die Kirche insgesamt ist der geheimnisvolle Leib Christi.

Jedes Glied des mystischen Leibes wird durchpulst von dem göttlichen Leben. Von jenem Leben, das der Sohn Gottes von Ewigkeit her im Schoß des himmlischen Vaters in der Einheit des Heiligen Geistes führt. Das Überströmen des göttlichen Lebens vom Haupt auf die Glieder des mystischen Leibes nennen wir Erlösung.

Erlöst sein heißt: Christi Leben in sich tragen; heißt: In Lebensgemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott stehen. Heißt: Frei sein von jeder ungeordneten Hinwendung zu etwas Geschaffenem. – Kurz: Erlöst sein heißt, allzeit voll der Gnade sein und frei sein von jedem Makel der Sünde.

a) Der makellose Ursprung der Kirche

Wenn es nun das Wesen der Kirche ist, in Christus zu sein als Sein mystischer Leib, dann muß diese Kirche wesentlich ohne Sünde sein, wie Christus selbst. Und zwar seit dem ersten Augenblick ihres Bestehens!

Wie Eva aus der Seite des schlafenden Adams geschaffen wurde, so wurde die Kirche als Braut Christi aus der Seite des am Kreuz entschlafenen zweiten Adam geboren, als der Soldat die Seite Christi öffnete. Das Erlösungsopfer war soeben vollendet worden. Die Sünde der gesamten Welt war vollständig gesühnt. Da ging als erste Frucht des Erlösungsopfers die Kirche als makellose, unbefleckte Jungfrau aus dem Brunnen des göttlichen Herzens hervor. Aus „Blut und Wasser“ (Joh. 19,34), wie der Evangelist als Augenzeuge des Geschehens versichert. Aus Blut und Wasser als dem Sinnbild göttlichen Lebens und makelloser Heiligkeit wurde die Kirche geboren, als „neue Eva“, als neue „Mutter der Lebendigen“. Ganz ohne Sünde, makellos und voll der Gnade. Ja, die ganze Gnadenfülle, die Christus verdient hat, ist in sie hineingelegt. Die Kirche ist buchstäblich „voll der Gnade“ und fortan die Sachwalterin der Gnadenschätze Christi. – So hatte sich Christus aus Seinem Herzblut eine Braut gebildet, wie der Völkerapostel im Epheserbrief die Kirche beschrieben hat: „strahlend rein, ohne Flecken, ohne Runzel und dergleichen, ganz heilig und makellos.“ (Eph. 5,26). Deshalb könnten wir die im Blut und Wasser aus der Seite des göttlichen Erlösers neugeborene Kirche auf Kalvaria grüßen, wie einst der Erzengel die allerseligste Jungfrau: „Gegrüßet seist du, Gnadenvolle, der Herr ist mit dir. Du hast Gnade gefunden bei Gott.“ (Lk. 1,28.30).

b) Die Unbefleckte Empfängnis als Zugang zum Verständnis der Heiligkeit der Kirche

Wodurch würde die makellose Heiligkeit der Kirche nun besser für uns sinnengebundene Menschen sichtbar und begreifbar gemacht werden als in der Unbefleckten Empfängnis Mariens. – Maria ist die Personifikation der heiligen Kirche. Darin besteht ein wesentlicher Zug ihres Wesens. Dazu wurde Maria von Gott von Ewigkeit her ersonnen und geschaffen, nicht nur um dem Erlöser einen Leib zu bereiten, sondern auch um das sichtbare Urbild eben dieses Leibes, des mystischen Leibes Christi, also das Urbild der Kirche zu sein.

Wie könnte die katholische Kirche, die Braut Christi, die „ohne Runzel oder etwas dergleichen, ganz heilig und fleckenlos“ ist, besser für uns begreifbar gemacht werden, wenn nicht in einer Gestalt, die ebenso vom ersten Augenblick ihrer Existenz von jedem Makel der Sünde unangetastet war? An der Gestalt Mariens, der einzig unbefleckt Empfangenen, erscheint uns das innerste Wesen der Kirche greifbar vor Augen gestellt. Die Kirche erscheint in Maria, der unbefleckt Empfangenen, als die wesentlich Erlöste. Sie erscheint als makellose Schlangenzertreterin und Feindin der Sünde, die selber unmöglich mit irgendeiner Sünde behaftet gedacht werden kann.

Freilich lag der Schatten der Erbsünde auch auf Maria, deren Dasein sich in ihrer natürlichen Herkunft ja von Adam und seinem gefallenen Geschlecht herleitet. Auch Maria wäre mit der Erbsünde belastet zur Welt gekommen, wenn sie nicht „wegen der vorhergesehenen Verdienste Christi“ davor bewahrt worden wäre. Genauso die Kirche, „für die Christus sich hingegeben hat, um sie durch das Wort in der Wassertaufe zu reinigen und zu heiligen“ (vgl. Eph. 5,26). Maria ist, wie die Gesamtkirche, nicht heilig aus sich selbst, sondern erlöst durch Christus. Doch schon im Voraus erlöst, nicht wie wir erst nach dem Fall in die Sünde. Sie ist ohne Erbsünde, nur durch das Werk Christi. Von Ihm empfing sie die Gnadenfülle, die sie von der Erbsünde unbefleckt bewahrte.

Wie also Maria von Gott als von der Erbsünde frei geschaffen worden ist, so gehört es umgekehrt auch zum Wesen der katholischen Kirche, daß sie ganz heilig und von jeder Sünde frei ist. Nicht als ob also zuerst eine mit Sünde beladene, befleckte Kirche bestanden hätte, die dann erst von Christus gereinigt worden wäre, sondern wie Maria, so wurde die Kirche von vorneherein von jeder Sündenmakel bewahrt. Vom ersten Augenblick an war sie unfehlbar, ohne jeden Defekt, ganz heilig.

In dem unbefleckten Herzen Mariens wird die Kirche somit in ihrer Heiligkeit und Gnadenfülle sichtbar und greifbar. In dem unbefleckten Herzen Mariens sollen wir die Heiligkeit der Kirche erkennen, verehren und lieben.

Das Verhältnis der Heiligkeit der Kirche zur Sünde an ihren Gliedern

Aber scheint dieses so greifbare Bild der sündenlos-unbefleckten Kirche nicht eine wirklichkeitsfremde Übertreibung zu sein? Handelt es sich dabei nicht um eine idealisierte Verzeichnung der Kirche, wie im Gegensatz dazu, auch die diese Heiligkeit kompromittierende „Konzilskirche“ eine solche Karikatur ist?

a) Der offenkundige „Widerspruch“

Hatte es in der Kirche nicht auch schon vor dem 2. Vatikanum mit Sünde behaftete Glieder gegeben? Das ist eine unbestreitbare Tatsache. Das war sogar schon zur Zeit der Apostel der Fall! Es ist derselbe hl. Apostel Paulus gewesen, der an die Epheser schrieb: „Christus wollte sich eine Kirche bereiten, strahlend rein, ohne Flecken, ohne Runzel und dergleichen, heilig und makellos“, der aber gleichzeitig in seinen Briefen zahlreiche Fehler, Verfehlungen, Sünden, ja sogar himmelschreiende Sünden in der Kirche seiner Zeit aufdeckte, gnadenlos anprangerte und Besserung gebot.

Nichtsdestotrotz gibt uns die unfehlbare Wahrhaftigkeit des Heiligen Geistes, der den Völkerapostel sowohl das eine wie das andere niederschreiben ließ, dafür Gewähr, daß es sich bei der „makellosen und heiligen Kirche“ nicht um eine idealisierte Übertreibung, die etwa in rednerischem Überschwang ausgesprochen und ebendeswegen eigentlich nicht ernst genommen werden braucht, handeln kann, sondern um die Beschreibung einer realen Wirklichkeit. Eben deshalb hat die ganze kirchliche Überlieferung auch stets an der Lehre von der Heiligkeit der Kirche unerschütterlich festgehalten und sie bis zuletzt sogar als Beweis für ihre Göttlichkeit gebraucht.

Der Sinn dieser Lehre liegt freilich dem oberflächlichen Blick des modernen Menschen nicht offen. Er hört von Kreuzzügen, Inquisitionsprozessen, Hexenverbrennungen und sonstigen Verbrechen, die der Kirche zur Last gelegt werden. Die moderne Geschichtswissenschaft und Medienkultur weist auf die allzu auffällige Unheiligkeit der Kirche und ihrer Würdenträger im Laufe ihrer ganzen Geschichte hin. Auf die menschlichen Unzulänglichkeiten dort, wo doch die heilige Kirche verwirklicht sein sollte. Und auch heute sind Unzulänglichkeiten und Fehler, Sünde und Armseligkeit das Offensichtliche in der Kirche. Der moderne Mensch wird fragen, wo denn die Heiligkeit der Kirche sei. Er kann nur die Runzeln und Makel im Antlitz der sichtbaren Organisation Kirche sehen. Und folglich zieht der moderne Mensch daraus gerade den Schluß: „Nein, die Kirche ist nicht heilig, sondern im höchsten Maße unheilig. Sie ist nicht das, was sie vorgibt zu sein. Deswegen ist sie heuchlerisch und abzulehnen.“

Die Ausflucht vor solchen Angriffen in irgendein rein inneres, rein geistig-übernatürliches Wesen der Kirche hinein, wie sie manche Theologen unter Verweis auf den 44. Psalm angestellt haben, wo es heißt, „die Schönheit der Königstochter sei von innen“ (Ps. 44,14), kann nicht standhalten, da zum Wesen der Kirche gerade auch ihre sichtbare Heiligkeit zählt. Deshalb genügt es auch nicht, die „heilige Kirche“ allein in der jenseitigen, „triumphierenden Kirche“ des Himmels sehen zu wollen.

Wie geht das also zusammen? Einerseits die Lehre von der makellos heiligen Kirche und andererseits das erbärmliche Bild der Sündhaftigkeit, welches ihre Glieder im Laufe der Kirchengeschichte abgegeben haben. Wie löst sich dieser scheinbar unüberbrückbare Widerspruch?

b) Die mütterliche Fürsorge der Kirche

Die Antwort darauf gibt uns das Bild des unbefleckten Herzens Mariä, das Urbild der Kirche. Es ist ein Herz voll Güte, voll Erbarmen und Barmherzigkeit mit den Sündern. Das Herz der Gottesmutter ist die Gußform und das Echo des heiligsten Herzens Jesu, das stets Gerechte und Sünder in den Bannkreis Seiner Liebe hineinzog und das aus der Mitte des noch wachsenden und reifenden Ackerfeldes das Unkraut nicht ausreißen lassen wollte (vgl. Mt. 13,24–30). „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.“ (Mt. 9,12), so rechtfertigte und begründete der Heiland Seine Liebe gerade zu den Sündern. Eine Begründung, die aber von den Selbstgerechten damals wie heute nicht verstanden wird.

Schauen wir also genauer hin auf die Liebe des göttlichen Herzens Jesu wie auf die Liebe des unbefleckten Herzens Mariä und erkennen wir den Unterschied zwischen dem Sünder und der Sünde und folglich auch den Unterschied, der zwischen der Liebe zum Sünder und der Liebe zur Sünde besteht.

Christus liebte die Sünder, nicht die Sünde, die sich an ihnen fand. Gerade um die Sünder von den Wunden ihrer Sünden zu heilen, um die Sünde an ihnen zum Verschwinden zu bringen, war Er als Seelenarzt in die Welt gekommen. Die Sünder nahm Er gütig auf. Der Sünde gegenüber war Er unduldsam. So wie der Arzt den Kranken liebt, gerade indem er die Krankheit bekämpft. Der Arzt ist weder die Ursache für die Wunde noch wird er selber ein Verwundeter, wenn er an den Verwundeten herantritt, um ihn zu heilen. Er muß den Verwundeten zu sich nehmen, um ihn gesundzupflegen, so wie jener barmherzige Samariter, den wir vor Kurzem im Gleichnis als Sinnbild des Herrn erkannt haben. Durch Seine Menschwerdung trat der Heiland in erbarmender Liebe an die von teuflischen Räubern halbtotgeschlagene Menschheit heran, um die Wunden, die ihr durch die Sünde geschlagen wurden, mit dem Salböl Seiner hl. Lehre und dem Wein Seines kostbaren Blutes zu reinigen und zu verbinden und den gerechtfertigten Menschen in der Herberge am Weg, der katholischen Kirche, gesundpflegen zu lassen. Durch die Aufnahme des Verwundeten ist die Herberge jedoch nicht zur Räuberhöhle geworden. Und auch wenn der Kranke im Inneren ihres Hauses in tödliches Fieber zurückfällt, so ist nicht sie die Ursache dafür. Nein, sie wird das Fieber unduldsam bekämpfen, bis es besiegt ist.

Die Kirche weiß sich als mystischer Leib Christi in die Welt gesandt, damit der göttliche Samariter durch sie Sein Erlösungswerk fortführe. Die Kirche ist damals wie heute mehr zu den Kranken gesandt als zu den vermeintlich Gesunden. Und da die Kirche ihre heilende Aufgabe in mütterlicher Hingabe erfüllt, indem sie die Menschen in sich aufnimmt und in der Lebensgemeinschaft mit sich heiligt und der Erlösung teilhaftig macht, deshalb muß sie die Sünder in sich haben, ohne dadurch aber selbst zur Sünderin zu werden. Im Gegenteil! Wie der Heiland liebt sie den Sünder, aber keineswegs duldet sie die Sünde! Diese haßt sie und versucht, sie mit all den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln mit Stumpf und Stiel am Sünder auszurotten.

Aufgrund dieser Sachlage hatte die heilige Kirche nie geleugnet, daß es Sünde an ihren Gliedern und Sünder in ihrer Mitte gibt. Ja, sie hatte sich sogar immer dagegen gewehrt, wenn man in falschem Verständnis ihrer Heiligkeit behauptet hatte, sie sei die „Gemeinschaft der Sündenlosen“! Ob das zu Zeiten des Tertullian oder des hl. Augustinus gewesen ist oder im Kampf gegen den Spiritualismus des Mittelalters oder gegen die Reformatoren des 16. Jahrhunderts: Immer hat sich die Kirche als Heimstatt von Sündern begriffen, ohne jedoch selbst Sünderin zu sein. Noch Papst Pius XII. schrieb in der Enzyklika „Mystici corporis“: „Es wäre falsch zu glauben, daß der Leib der Kirche deshalb, weil er den Namen Christi trägt, schon hienieden, zur Zeit seiner irdischen Pilgerschaft nur aus heiligmäßigen Gliedern oder nur aus der Schar derer bestände, die von Gott zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt sind. In Seiner unendlichen Barmherzigkeit versagt nämlich unser Heiland in Seinem mystischen Leib auch denen [den Sündern] den Platz nicht, denen Er ihn einst beim Gastmahl nicht versagte.“ (Nr. 23). Die Worte des Heiligen Vaters sind hier nur das Echo der kirchlichen Überlieferung aller Jahrhunderte.

c) Das Heiligungswerk der Kirche an ihren Gliedern

Fest steht also: Die Kirche ist aus ihrem innersten Wesen heraus die Heilige und die Heiligende. Und zwar wird Heiligkeit hier nicht nur als eine objektive Eigenschaft genommen, die aus einer seinsmäßigen Verbundenheit mit Gott durch die heiligmachende Gnade resultiert, sondern zugleich als sittliche Heiligkeit, die sich auch wirklich im Verhalten und Tun ihrer Glieder manifestiert und sichtbar zeigt.

Wie aber nicht alle Krankheiten an allen Patienten gleich schnell heilen und wie auch nicht ein und dieselbe Krankheit an verschiedenen Patienten sofort und vollständig überwunden werden kann, so verhält es sich auch mit dem Wirken der Kirche als dem „barmherzigen Samariter“ der Jahrhunderte.

Nicht überall da, wo ein einzelnes Glied der Kirche ist, also nicht in jedem getauften Katholiken – und mag dieses Glied auch eine herausragende Stellung in der Kirche einnehmen – ja, mag es Bischof oder sogar Papst sein; nicht in jedem Glied der Kirche ist ihre Heiligkeit gleich vollendet verwirklicht. Je mehr ihre Heiligkeit aber in einem Glied realisiert ist, desto mehr zeigt sich das auch sichtbar; desto mehr muß die Sünde entfernt und Heiligkeit da sein. Sünde ist das, was dem Wesen der Kirche widerspricht. Deshalb zeigt sich die Heiligkeit der Kirche in ihren Gliedern vor allem im lebendigen Eifer, die Sünde in sich zu überwinden, und in einem unerbittlichen und unermüdlichen Kampf gegen die Ursachen derselben in sich.

Solange die sichtbare Heiligkeit in einem Glied der Kirche fehlt, ist die Kirche in diesem Glied noch unvollkommen verwirklicht, weshalb aber die sündhaften Handlungen dieses Gliedes – und mag dieses Glied mit höchsten Würden bekleidet sein – nicht der Kirche anzurechnen sind. Die Unzulänglichkeiten, Fehler und Sünden an den Gliedern der Kirche gehen nicht auf einen Mangel oder einen Defekt der Kirche zurück. Stattdessen rühren sie daher, weil an diesem Glied die Kirche und ihre Heiligkeit noch nicht hinreichend verwirklicht ist.

Ja, ein Mensch ist so weit geheiligt und erlöst, als er zur Kirche gehört. Aber auch umgekehrt gehört er nur so weit zur Kirche, als er erlöst und heilig ist! – Der Katholik im Stande der Todsünde befindet sich freilich innerhalb der Kirche, doch gehört er nicht in demselben vollen Sinne zur Kirche wie der durch das Bußsakrament Gerechtfertigte. Es mangelt ihm an dem wesentlichen Merkmal der Heiligkeit von „Mutter Kirche“ – der heiligmachenden Gnade. – Jene Glieder, die sich durch Selbstüberwindung im Gnadenstand erhalten, welche die Tugenden üben und durch deren Übung darin wachsen, sind vitalere Glieder der Kirche, weil sie durch ihre Werke die Wirkungen der Gnade, der sieben Gaben des Heiligen Geistes und dessen Früchte sichtbarer und ungetrübter hervorbringen als andere, die sich nicht oder nur mittelmäßig darum bemühen. – Als vitalste Glieder sind folglich die heiligmäßigen Glieder und die Heiligen zu bezeichnen, welche die Sünde in sich besiegt haben und die Zeichen der Heiligkeit deutlich sichtbar an sich tragen.

Freilich muß eingeräumt werden, daß die unverlierbare und vollendete Gliedschaft der Kirche von jedem erst dann erreicht ist, wenn wir nach einem seligen Tod und durchlaufenem Fegefeuer in die ewige Herrlichkeit des Himmels eingehen. Solange sind wir pflegebedürftige Glieder, in denen die Sünde und ihre Folgen bekämpft und ausgemerzt werden müssen. Glieder, die bis zu ihrem letzten Atemzug immer noch in der Gefahr schweben, rückfällig zu werden und das Erreichte durch eine Todsünde zunichte zu machen.

In dieser zeitlichen Wirklichkeit auf Erden ist das Erscheinungsbild der Kirche also nirgendwo so, daß ihr heiliges und makelloses Wesen voll verwirklicht in Erscheinung tritt. In diesem Sinne ist die streitende Kirche auf Erden, weil die Menschen in ihren freien Willensentscheidungen tagtäglich das Wesen der Kirche sichtbar machen sollen, stets unvollendet. Die Sünde bleibt eine Wirklichkeit bis zum Ende der Welt. Je lebendiger aber die Kirche in ihren Gliedern ist, desto mehr ist die Sünde in ihnen verdrängt und überwunden.

d) Die indefektiblen Heiligungsmittel der Kirche

Woran die makellos-unbefleckte Heiligkeit der katholischen Kirche jedoch unzweideutig erkannt werden kann, das sind die Mittel der Heiligung, welche die Kirche zur Anwendung bringt, um aus Sündern Gerechte, aus Nachlässigen Eifrige, aus Unheiligen Heilige zu machen. Wer diese Mittel, welche uns die Kirche als unsere fürsorgliche Mutter anbietet, gebraucht und sie richtig zur Anwendung bringt, der wird unfehlbar Heilung von den Sünden, wahre Heiligkeit und das ewige Leben erlangen.

Diese Mittel sind in drei Gruppen zusammengefaßt: 1. die heilige Glaubens- und Sittenlehre, welche die Kirche verkündet; 2. die hl. Gnadenmittel, insbesondere das hl. Meßopfer, die sieben hl. Sakramente und das Gebet; und 3. die kirchliche Disziplin, also die Gesetze und Gebote, mit denen uns die Kirche zu einem Verhalten anleitet, damit die hl. Lehre und die hl. Gnadenmittel ihre heiligende Wirkung in der Seele entfalten können. – Umgekehrt bedeutet das: Die Heiligkeit der Kirche bürgt dafür, daß die Kirche uns keinen Irrtum lehren kann. Daß sie uns keine unwirksamen Sakramente geben kann. Daß sie uns nichts vorschreiben oder erlauben kann, was Sünde wäre. Daß die Heiligen, die sie zur Ehre ihrer Altäre erhebt, unzweifelhaft und unfehlbar wahre Heilige sind.

Alle anderen christlichen Religionsgemeinschaften versagen auf diesem Gebiet. Und auch die „konziliare Kirche des 2. Vatikanums“ versagt hierin, indem sie Glaubensirrtümer lehrt oder duldet, in der sog. „Liturgiereform“ unwirksame Sakramente eingesetzt hat, in ihrer Disziplin sündhaftes Verhalten duldet, ja sogar segnet und offenbar unheiligen Menschen die Ehre ihrer „Altäre“ – oder besser ihrer Mahltische – zuspricht. Daran erkennen wir, daß die Quellen dieser falschen Kirche vergiftet sind und die Mittel, welche sie zur Anwendung bringt, Unheiligkeit statt Heiligkeit, Sünde statt Tugend, Weltliebe statt Gottesliebe begünstigen oder sogar verursachen. Deshalb ist die „konziliare Kirche“, die zweifelsohne sichtbar ist, unmöglich die katholische Kirche, sondern eine falsche Kirche.

Nicht weil es Sünder in den Reihen der „konziliaren Kirche“ gibt, weisen wir sie als eine gefälschte Kirche zurück, sondern weil ihre Heilsmittel – der Glaube, die Sakramente, die Disziplin – häretisch, defekt und unwirksam sind! Und weil sie ihre Anhänger offenbar Scheinheilige als „Heilige“ verehren läßt und ihnen dieselben als nachahmenswerte Vorbilder vorsetzt.

Die katholische Kirche ist immer nur dort gegenwärtig, wo die genannten Heilsmittel vollständig und nur auf diese Weise zum Einsatz gebracht werden, wie sie Christus und die Apostel der Kirche anvertraut haben, damit sie die Sünde und den Irrtum bekämpfen und so der Heiligkeit Gottes zur Sichtbarkeit verhelfen.

Urbild der heiligen und heiligenden Kirche

Das Herz Mariä repräsentiert die Heiligkeit der Kirche. Repräsentieren heißt ja, eine unsichtbare Wirklichkeit sichtbar werden lassen und dadurch für unsere sinnengebundene Menschennatur gegenwärtig und begreifbar machen. In Maria ist das Wesen der Kirche tatsächlich vollkommen erfüllt, so daß wir doch nicht erst bis zum Jüngsten Tag warten müssen, um die Braut des Lammes „ohne Makel und Runzel oder dergleichen, ganz heilig und makellos“ sehen zu können. Maria ist die Repräsentantin der heiligen Kirche. Das Kirchesein, das den einzelnen Gliedern der Kirche als Aufgabe für ihre eigene sittliche Entscheidung aufgegeben wurde, ist ihnen als konkretes Heiligkeitsideal in Maria in sittlicher Vollendung vorgegeben.

In dem Herzen Mariens ist die Kirche auch repräsentiert in ihrer erbarmenden Liebe zu den Sündern und in ihrer fürsorglichen Tätigkeit als Ärztin, die sich der am Sündenfieber erkrankten Menschheit erbarmend zuwendet, wie eine fürsorgliche Mutter.

Am Kreuz haben wir Christus zu Maria gerade im Festtagsevangelium sagen gehört: „Siehe da, dein Sohn!“ (Joh. 19,26). Mit diesem Wort wies sie der Heiland an, fortan die Glieder Seines mystischen Leibes in derselben Weise zu hegen, zu pflegen und zu erziehen, wie sie einst Seine heilige Menschheit herangebildet und großgezogen hatte.

Welches Glück ist es also, daß wir unter dem Patronat des Unbefleckten Herzens Mariens stehen dürfen. Jenes Herzens, das uns auch in diesen finsteren, papstlosen Zeiten die Heiligkeit der Kirche begreifbar vor Augen stellt und das uns hier in dieser Kapelle in mütterlicher Liebe aufnimmt, um unsere Seele durch die hl. Lehre, die hl. Sakramente und die hl. Disziplin der Kirche vom Aussatz der Sünde zu heilen.

Hier reinigt und verbindet sie, als Urbild der Kirche, die Wunden unserer Seele. Hier erbaut und stärkt sie unseren Glauben durch das Salböl der Unterweisung. Hier bekleidet sie uns mit dem Gewand ihrer Unschuld. Hier speist sie uns mit dem „Brot des Lebens“ (Joh. 6,35), das sie selbst zubereitet hat. Hier macht sie uns Mut im Gebet und eifert uns an, um in uns die Sünde zu überwinden und die Tugenden zur Blüte zu bringen. Bei ihr finden wir Schutz vor der teuflischen Schlange. Denn von Maria steht geschrieben: „Sie wird dir den Kopf zertreten.“ (Gen. 3,15).

Wenn wir Maria wie der Kirche und der Kirche wie Maria gehorchen und auf sie vertrauen, werden auch wir getrost über Schlangen und Nattern hinwegschreiten und Löwen und Drachen niedertreten (vgl. Ps. 90,13). Denn es ist nicht möglich, daß einer verlorengeht, von dem Christus zur unbefleckten Jungfrau, dem Urbild der Kirche gesagt hat: „Siehe da, deinen Sohn!“ So erklärt der hl. Robert Bellarmin: „Gehen wir also mit Vertrauen zum Gnadenthron Christi und bitten wir Ihn inständig unter Tränen, er möge über jeden von uns zu Seiner Mutter sprechen: ‚Siehe da dein Sohn!‘ Wie wohl wird uns sein unter dem Schutz einer solchen Mutter! Wer wird es wagen, uns von ihrem Schoß zu nehmen? Welche Prüfung wird uns niederbeugen können, wenn wir auf den Schutz der Mutter Gottes und unserer Mutter vertrauen? … Viele, sage ich, wandten sich an den unvergleichlichen, im vollsten Sinn mütterlichen Schutz der hohen Jungfrau, und keiner ging enttäuscht oder traurig hinweg.“ (De sept. verb., cap. 12).

Aber freilich dürfen wir dabei nicht mit tauben Ohren überhören, was Christus in jener Stunde auch zu uns gesagt hat: „Siehe da, deine Mutter!“ (Joh. 19,27). Wie der Lieblingsjünger müssen wir Maria von der Opferstätte unserer hiesigen Kapelle mit uns nach Hause nehmen – in unserem Herzen, in unserem Sinnen, in unserem Tun. Auch von uns muß es heißen: „Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ (ebd.). Amen.

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