Mariä Himmelfahrt
Maria – Urbild der erlösten Kirche
Geliebte Gottes!
Es besteht die eigenartige Tatsache, daß vom Geheimnis der leiblichen Himmelfahrt der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria in der Tradition der ersten sechs Jahrhunderte von den hl. Vätern kein ausdrückliches Zeugnis abgelegt wird. Trotzdem ist das heutige Festgeheimnis Gegenstand des ältesten Marienfestes überhaupt.
Die Kirche hatte schon in den ersten Jahrhunderten das Geheimnis, daß Maria als einziger Mensch außer Christus mit Leib und Seele in der himmlischen Seligkeit ist, in das Herz ihres Gottesdienstes aufgenommen und es auf diese Weise feiernd und gottlobend durch die Jahrhunderte getragen.
Die Tatsache, daß dieses Geheimnis erst im Jahr 1950 von Papst Pius XII. dogmatisiert wurde, ist daher kein Zeichen mangelnder Sicherheit dieser Wahrheit, sondern zeugt nur von der Selbstverständlichkeit, mit der alle Zeiten hindurch unangefochten daran festgehalten wurde.
Begründung des Dogmas
Freilich muß eingeräumt werden, daß sich die Heilige Schrift ab dem Pfingsttag über das weitere irdische Leben Mariens gänzlich ausschweigt und folglich auch keine Silbe über die leibliche Himmelfahrt der Gottesmutter verliert. Aus dieser Tatsache versuchten die Gegner im Vorfeld der Dogmatisierung einen Einwand zu konstruieren. Doch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Die Kirche schöpft ja ihre Wahrheit bekanntlich nicht ausschließlich aus der Heiligen Schrift. Gleichberechtigt neben ihr steht die Tradition, zu der auch die gottesdienstlichen Gebräuche zählen. Das Konzil von Trient hat gelehrt, daß Schrift und Tradition „pari pietatis affectu“ behandelt werden müssen; mit der gleichen Ehrfurcht müssen Schrift wie Tradition von der Kirche angenommen werden. Ja noch mehr. Die Heilige Schrift ist im Übrigen jünger als die Tradition. Die Überlieferung ist älter als die Schrift. Die Apostel wurden ausgesandt, um zu predigen. Erst später folgten die Apostelbriefe an die durch die Apostelpredigt gläubig gewordenen Christen. Bevor auch nur ein einziges Evangelium geschrieben war, wurde die Wahrheit des Evangeliums mündlich verkündet. Die mündliche Verkündigung geht der schriftlichen Niederlegung nicht nur zeitlich voraus, sondern übertrifft sie auch inhaltlich. Nicht alles, was die Apostel predigten, ist von ihnen auch aufgeschrieben worden. Die Kirche weiß darum, daß sie auf zwei Quellen des Glaubens ruht: auf der Schrift und auf der Überlieferung. Welches sind die Gründe, weshalb die kirchliche Überlieferung den Glauben an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel festhält?
Der erste Grund ist ihre Freiheit vom Fluch der Erbsünde und von jeder persönlichen Sünde. Der Zerfall des Leibes, der Tod, ist ja eine Straffolge der Sünde. Maria aber ist die Sündelose, die Unsündbare. Sie war zu jedem Augenblick ihrer Existenz im Wohlgefallen Gottes und „voll der Gnade“ (Lk. 1,28), wie sie der hl. Erzengel Gabriel charakterisierte. Sie ist die unbefleckt Empfangene, die in ihrem Leben sündlos geblieben ist. An ihr hatte die Sünde keinen Anteil. Folglich mußten auch die Wirkungen der Sünde – Tod und Verwesung – an ihrem Leib folgenlos bleiben. Sie war also geeignet und berufen, ja, sie hatte sogar Anspruch darauf, daß ihr Leib nicht die Verwesung schauen mußte, sondern alsbald nach Vollendung ihres irdischen Laufes in die Herrlichkeit des Himmels eingeführt werden würde.
Der zweite Grund für die Unverweslichkeit des Leibes Mariens ist ihre Gottesmutterschaft. Sie hat dem Erlöser den Leib bereitet. Aus ihrem makellosen Fleisch und Blut ist der Sohn Gottes ein Mensch geworden. Deswegen war es geziemend, daß ihr Leib das Los des Leibes Jesu teilte, d.h. nicht verweste, sondern verwandelt, verklärt und erhöht wurde.
Ein dritter Grund für die Verklärung des Leibes Mariens ist ihre immerwährende Jungfräulichkeit. Wir sind mit der Kirche überzeugt, daß Maria vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt jungfräulich blieb durch ein unbegreifliches Wunder Gottes. Sie war also unversehrt in Jungfräulichkeit, und deswegen war es geziemend, daß ihr unverletzter Leib nach dem Tode nicht der Zerstörung anheimfiel.
Urbild der Kirche
Die überragende Heiligkeit und ihre Gottesmutterschaft Mariens sind vor allem zur Begründung ihrer leiblichen Himmelfahrt herangezogen worden. Völlig zu Recht! Die göttliche Macht, die Mariens Seele von Anbeginn vor jeder Sündenmakle bewahrte und mit höchster Gnade beschenkt hatte, erstreckte sich auch auf ihren Leib, der als Mutterboden für die menschliche Natur unseres göttlichen Erlösers diente und deshalb eine solche Würde genoß, daß dieser Leib nicht die Verwesung schauen durfte. – Diese Gründe stützen sich auf die Privilegien Mariens, die ihr einmalig und ganz persönlich von Gott verliehen wurden.
Jedoch ist Maria in der göttlichen Erlösungsordnung nicht einfach nur eine private Einzelperson. Sie ist weit mehr als das. Sie wurde von Ewigkeit her von Gott als Typus, d.h. als greifbares Sinnbild, für die katholische Kirche erdacht und erschaffen. Wie das Staatsoberhaupt ein Repräsentant seines Landes ist, so ist Maria in einer ungemein höheren Seinsdichte die Repräsentation der Idee Gottes von der Kirche.
Die Kirche ist uns zwar irgendwie nahe. Wir bewegen uns in ihr, leben in ihr und sind in ihr. Sie ist sogar wesentlich sichtbar. Und doch ist sie uns fern, nicht nur aufgrund ihrer derzeitigen Verdunklung, sondern weil wir in allem Sichtbaren an ihr das innerste Geheimnis der Kirche nicht begreifen können. Das, was wir an der Kirche sehen und erleben, zeigt uns die sichtbare Kirche nicht einmal ganz, sondern nur ausschnittweise. Gott wollte uns aber sowohl das unsichtbare geistige Innere als auch das einheitliche Äußere Seiner Kirche in einer Gestalt personifizieren und vergegenwärtigen – in Maria.
Es besteht eine wesenhafte Ähnlichkeit zwischen der Gestalt Mariens und der Kirche. Sie ist die Folge einer gottgefügten Verbindung realer, objektiver Art. Maria ist das Urbild der Kirche! Gott wollte, daß wir an der Gestalt Mariens das Geheimnis Seiner Kirche klarer erkennen und andererseits anhand der übernatürlichen Heilsgüter und Gaben, die wir durch die Vermittlung der katholischen Kirche empfangen, Maria als die Mittlerin aller Gnaden und unsere Mutter kennen und lieben lernen.
Als Glieder am Leib der katholischen Kirche sollen wir uns auch geheimnisvoll als Glieder Mariens begreifen. Aus diesem Verhältnis sollen die Katholiken auch ihre sittliche Aufgabe verstehen lernen. Sie sollen als Abbilder ihr Leben, das sie in der Kirche geheimnisvoll von Maria her empfangen haben, durch ihr sittliches Tun ähnlich gestalten. Wie das Abbild dem Urbild entspricht, so der Katholik Maria.
Worin Maria dem Christen Vorbild ist, das ist ihre Haltung vor Gott, wie sie in der Verkündigungsszene aufscheint: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.“ (Lk. 1,38). Die Haltung Mariens ist die Haltung der Kirche. Und die Haltung der Kirche muß die Haltung des Katholiken sein. „Siehe, ich bin die Magd des Herrn“, das ist die Feststellung einer Tatsache und gleichzeitig die Anerkennung des Verhältnisses der Unterwerfung des Menschen unter Gott, das durch die Sünde Evas geleugnet wurde. Der Mensch ist nicht Gott. Er kann nicht sein wie Gott, wie es die Stammeltern sein wollten. Nein, er ist Diener, Magd Gottes. Das ist die Feststellung. Der Nachsatz zieht die Folgerung aus dieser Tatsache: „Mir geschehe nach deinem Wort.“ In dem Maße, als der einzelne Katholik die dienend-hingegebene Haltung der katholischen Kirche, die im Urbild Mariens aufscheint, nachbildet, ist er auch fähig, Christus und mit Christus das ewige Heil zu empfangen.
„Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Dieses Wort soll sich in jedem von uns realisieren. Konkret vor allem mit der hl. Kommunion. Aber jede Kommunion muß fruchtbar gemacht werden, indem wir in Christus umwandelt werden und indem wir Christus gewissermaßen hervorbringen in unseren Werken. Jeder Christ soll als Glied am mystischen Leibe Christi ein zweiter Christus sein; ein Glied nach dem Vorbild Mariens; ein Glied am Leibe der Kirche, dessen Haupt Jesus Christus ist.
So ist der jungfräuliche Mutterschoß Mariens ein Bild des Mutterschoßes der Kirche, die auf jungfräuliche Weise Kinder Gottes gebiert. Nach dem Kirchenschriftsteller Tertullian „geschieht, wie Christus aus einer Jungfrau geboren, so unsere geistige Wiedergeburt aus einer durch Christus von allen Flecken gereinigten Jungfrau, das heißt aus der Kirche.“ Und so kann, wie der hl. Irenäus von Lyon es ausdrückt, „Maria aufjubelnd für die Kirche prophetisch singen: Hochpreist meine Seele den Herrn“, weil der Logos in Maria „Menschensohn wurde, auf daß der Mensch Gottessohn werde.“ (Adv. haer. III, 10,2). – Überall im Leben Mariens läßt sich das urbildliche Verhältnis der Gottesmutter zur katholischen Kirche entdecken. Dieses Verhältnis ist gemeint, wenn der hl. Ambrosius für die lateinische Kirche bekennt: „Maria ist der Typus der Kirche.“ (PL 15,1555). „Über Maria als Bild (figura) wurde die Kirche prophezeit.“ (PL 16,326). Und für die morgenländische Kirche pflichtet ihm der hl. Clemens von Alexandrien bei, indem er sagt: „Eine einzige … ist die Jungfrau-Mutter [Maria]; mir aber gefällt es, sie Kirche zu nennen.“ (Paedagog. I,6).
Was in der frühen Tradition so ausdrücklich gelehrt wurde, fand seinen Niederschlag auch im Bau und in der Weihe der Gotteshäuser. Viele Kirchen und Dome, die doch ein handgreifliches Symbol für die weltumspannende Gesamtkirche darstellen sollen, wurden deshalb der Gottesmutter geweiht, um der Gleichsetzung Mariens und der Kirche Ausdruck zu verleihen.
Ähnlich wie diese Kirchenbauten von der kirchentypischen Stellung Mariens Zeugnis geben, so auch in ihrer Weise eine lebendige Architektonik. Der ursprüngliche Aufbau des Birgittinnenordens, der Mitte des 14. Jahrhunderts gegründet wurde, zeigte folgende Struktur: Mönche und Nonnen lebten unter der Leitung einer Äbtissin (!) in zwei voneinander getrennten Teilen eines Klosters. Die Mönche erinnern mit der Zahl zwölf an das Apostelkollegium. Vier von ihnen sollten Diakone sein und damit die vier großen lateinischen Kirchenväter Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregor repräsentieren; dazu acht Laienbrüder. Die Zahl der Nonnen durfte die Zahl sechzig nicht überschreiten. Idealerweise sollte die Klostergemeinschaft also 72 Mitglieder zählen, entsprechend der 72 Jünger des Herrn, und somit ein sichtbares Symbol für die Gesamtkirche sein. In der Äbtissin, die das gesamte Hauswesen zusammenfaßte und leitete, ist Maria symbolisiert, die Personifikation der Kirche.
Schließlich sei noch auf die tiefsinnige Auffassung der mittelalterlichen Mystik hingewiesen. Sie faßte die ganze Kirche zusammen in der Idee „Maria“; insofern die Gegenliebe der Glieder der Kirche zu Christus, dem Haupt und Bräutigam der Kirche gegenüber, in der Liebe Mariens zu Christus die innigste Form und das höchste Maß erreicht.
Vollumfängliche Erlösung
Wie Maria der Welt den Erlöser geschenkt und unter dem Kreuz an der Erlösung von der Sünde mitgewirkt hat, so ist auch die katholische Kirche die Gehilfin Christi, die „Neue Eva“ bei Seinem Erlösungswerk durch die Jahrhunderte. Die Kirche schenkt der Welt den Erlöser geistig durch die treue Verkündigung des Evangeliums und körperlich durch die Bereitung und Spendung des allerheiligsten Altarsakramentes. Auch setzt sie das Erlösungsleiden Christi fort in der unblutigen Erneuerung des Kreuzesopfers bei der hl. Messe und in dem marianisch-bräutlichen Mitleiden ihrer Glieder, die an ihrem „Fleische ergänzen, was am Leiden Christi noch aussteht.“ (Kol. 1,24).
Das göttliche Erlösungswerk zielt auf die Erlösung der Seele und des Leibes. Dieser Logik folgend, hat Gottes Vorsehung es auch gefügt, daß die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria als Typus für die katholische Kirche mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde.
Das heutige Festgeheimnis von der Himmelfahrt Mariens will uns sagen, daß die Erlösung unvollständig ist, solange allein die Seelen der Menschen erlöst sind. Denn die Seele ist darauf ausgerichtet, im Leib zu sein, mit dem zusammen sie erst „den Menschen“ ausmacht. Die Leiblichkeit ist wesentlicher Teil des Menschseins.
Entsprechend ist auch die sichtbare Struktur wesentlicher Teil der Kirche, weil alles, was der Erlösung teilhaftig sein soll, in die Kirche einbezogen sein muß. Die Kirche warnt freilich vor einer unbotmäßigen Verzärtelung und Pflege des Fleisches. Denn der Dienst des Fleisches führt ins Verderben. Nichtsdestotrotz hat sich die Kirche aber stets gegen eine übertriebene Leibfeindlichkeit zur Wehr gesetzt, wie sie aus einer falschen Deutung des Pauluswortes – „Wer wird mich befreien vom Leibe dieses Todes“ (Röm. 7,24) – von Sektierern immer wieder propagiert wurde. Als ob die Aufgabe der christlichen Aszese in der Überwindung der leiblichen Welt bestünde und die „herrliche Freiheit der Kinder Gottes“ (Röm. 8,21) allein im Losgelöstsein vom Leibe, also im Tode, erreicht werden könnte. Nein, die Erlösung soll auch den unterseelischen, materiellen Kosmos, also die Leiblichkeit des Menschen und die stoffliche Welt erfassen. Sie sollen einst erstehen zu „einem neuen Himmel und einer neuen Erde.“ (Offb. 21,1).
Nicht nur die Menschheit, sondern auch die Erde wurde ja vom Fluch der ersten Sünde getroffen, indem sie dem Menschen Dornen und Disteln hervorbrachte, wie der Völkerapostel sagt: „Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt bis jetzt. Nicht allein sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes besitzen; auch wir seufzen in uns, die Annahme zur Kindschaft Gottes erwartend, die Erlösung unseres Leibes.“ (Röm. 8, 22-23). Durch die Auflehnung des Menschen in der Ursünde ist die ganze sichtbare Schöpfung in die Straffolgen der Sünde hineingezogen worden. Auch sie harrt seither unter Seufzern darauf, daß die Erlösung auch am Leiblichen offenbar werde.
Das aber kann nur in der Kirche geschehen. Denn alle Erlösung geschieht nur in der Kirche, dem geheimnisvollen Leib des Erlösers. Die Kirche ist die einzige Arche des Heiles, die vor dem Untergang in der ewigen Sintflut bewahren kann. Wer und was erlöst werden soll, muß es durch die Kirche werden, muß in die Kirche hineingezogen sein. Darum muß die Kirche eine leibliche Seite haben. Der materielle Kosmos muß in die Kirche einbezogen sein. Die Kirche muß sichtbar, greifbar, sinnenhaft, stofflich sein und nicht nur geistig. – Deshalb weiht die Kirche heute die Kräuter, die einerseits selbst Bestandteil der materiellen Schöpfung sind und durch ihre natürliche Anlage schon dem Tode wehrende Heilkräfte in sich schließen. Aber durch den Segen der Kirche werden dieselben vermehrt und auch zur Zurückschlagung dämonischer Mächte befähigt. Sie werden durch das Wirken der Kirche also dem Machtbereich des Teufels und der Sünde entrissen und so gewissermaßen, wie Maria, „vorerlöst“.
Je mehr die göttliche Gnade in der Kirche und in den einzelnen Gliedern herrscht, desto mehr wird auch der Leib Anteil bekommen an der Erlösung. Deshalb wird, wenn die Kirche mit ihren Gliedern in die Vollendung eingegangen sein wird, diese Kirche nicht ohne ihre Leiblichkeit sein; so wenig wie Christus ohne Leiblichkeit dem Grabe entstand und in Seine himmlische Herrlichkeit eingegangen ist. Erst wenn die Gräber ihre Beute herausgeben müssen, erst wenn die Entschlafenen bei der Auferstehung des Fleisches ihren Leib zurückerhalten und umgewandelt werden, ist das Erlösungswerk abgeschlossen. Erst dann kann die Erlösung ihre Vollendung erreicht haben, wenn die stoffliche Welt an der vollendeten Glorie des auferstandenen Christus teilhat; wenn also „ein neuer Himmel und eine neue Erde“ geworden sein wird.
Der Erlösung vollumfänglich teilhaft werden
Wenn nun Maria Urbild der Kirche ist, dann muß in ihr auch dieses Erlöstsein der stofflichen Welt vollendet erscheinen. Maria ist es, in der die Kirche als in ihrer Repräsentantin die Erlösung schon vollzogen hat. Sie ist es, in der die Kirche das Erlöstsein bereits vollumfänglich empfangen hat. An ihrem Leib leuchtet schon das verklärte Erlöstsein des leiblichen Kosmos in der einstigen Vollendung auf.
So ist Maria nicht nur das Urbild der miterlösenden Kirche in ihrem jungfräulichen, mütterlichen und bräutlichen Verhältnis, sondern auch das Vorbild der erlösten, verklärten Kirche in der einstigen leiblichen Glorie. An ihrer leiblichen Verklärung und Himmelfahrt wird jetzt schon sichtbar, was wir hier auf Erden lediglich im Dunkel des Glaubens erfassen können, nämlich „daß wir aus dem Tode zum Leben gekommen sind.“ (1. Joh. 3,14). Uns ist es noch verhüllt. Daß wir das ewige Gnadenleben besitzen, erleben wir nicht, sondern glauben wir; noch auf die Erfüllung wartend. Maria aber muß es, weil sie die Kirche als Erlöste vorausbildet, jetzt schon voll entfaltet besitzen. Darin liegt vielleicht die tiefste Begründung für das Dogma Mariä Himmelfahrt: Maria ist Typus der Kirche. Sie ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden, weil in ihr, als Repräsentantin der katholischen Kirche, die Erlösung in ihrer ganzen Vollendung vorgebildet sein muß.
Christus ist das Haupt. Die Kirche ist Sein mystischer Leib. Wie das Haupt mit Leib und Seele in den Himmel hinaufsteigen mußte, so mußte in Maria auch die Kirche als erlöste Braut Christi, „ganz strahlend rein, ohne Flecken, ohne Runzeln oder dergleichen, sondern heilig und makellos“ (Eph. 5,26) in den Himmel aufgenommen werden.
Die unvollendete Entfaltung der Erlösung, wie wir sie auf Erden besitzen, besteht darin, daß unser Leib noch nicht in die vollendete Erlösung einbezogen ist. Wir erfahren es tagtäglich. Noch widerstreitet das andere Gesetz der Sünde in unseren Gliedern dem Gesetz des Geistes (vgl. Röm. 7,23). Noch müssen wir unter Seufzern mit dem Völkerapostel rufen: „Wer wird mich befreien vom Leibe dieses Todes?“ Es kostet Mühe, die bereits empfangene, gnadenhafte Erlösung der Seele in diesem Leib zu bewahren und zur Herrschaft zu bringen; damit die in der Taufe empfangene Gotteskindschaft der Seele auch an unseren leiblichen Werken nach außen sichtbar und offenbar wird. Zu diesem inneren Kampf, den wir zeitlebens auszufechten haben, soll das Geheimnis von Mariä Himmelfahrt in uns gläubige Zuversicht wecken und in uns den Eifer entfachen, unsere himmlische Mutter und Königin nachzuahmen.
Maria ist Repräsentantin der katholischen Kirche. So wie die Herrlichkeit der Verklärung einst den Leib des auferstandenen Erlösers erfaßt hat und heute den Leib Mariens in den Himmel entrückte, so wird es einst auch geschehen mit allen Gliedern, die der Kirche in gnadenhafter Lebendigkeit verbunden bleiben. Jener Kirche, deren lebendige Steine wir selbst sind (vgl. 1. Petr. 2,5), die wir, jeder für sich, ein Tempel des Heiligen Geistes sind (vgl. 1. Kor. 1,16) und gemeinsam den großen Tempel des Heiligen Geistes auf Erden bilden.
So sieht auch der hl. Thomas von Aquin den Sinn der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel darin, daß Maria von der Gnade der Erlösung ganz erfüllt ist und so neben Christus steht, dessen ganzer Leib an der Herrlichkeit der Auferstehung teilhat. Dieser ganze Leib aber, der auferstanden ist, ist Christus und die Kirche, oder, wie der Aquinate sagt, Christus und Maria. – Über den dritten Teil der Hostie, der vor der hl. Kommunion vom Priester in den Kelch gegeben wird, lehrt er mit Papst Sergius: „Dreifach ist der Leib des Herrn. Der geopferte Teil wird in den Kelch gegeben und zeigt den bereits auferstandenen Leib an, nämlich Christus und die seligste Jungfrau.“ (S.th. III, q. 83,5 ad 8). Und anderswo sagt er: „Einige sind in voller Teilhabe an der Seligkeit; das ist der Leib Christi, der schon auferstanden ist, nämlich Christus Selbst und die seligste Jungfrau.“ (In Sent. IV, dist. 12, q.1, a.3, sol. 3).
Geben also auch wir uns mitleidend in das hl. Opfer hinein wie Maria, damit durch unser Leben die Kirche heute sichtbar werde und wir einst umgewandelt werden, in Herrlichkeit wie sie. Sprechen wir mit ihr und mit der Kirche: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.“ Amen.