Das Vollalter Christi

Geliebte Gottes!

Wir haben am Allerheiligenfest damit begonnen uns mit den Entwicklungsphasen zu befassen, die das „ewige Leben“ in unserer Seele durchlaufen soll, bis es zum „Vollalter Christi“ (Eph. 4, 13) gereift ist, damit wir einst als mündige Gotteskinder unseren Erbteil an der ewigen Glückseligkeit unter den Engeln und Heiligen des Himmels in Empfang nehmen können.

Dabei haben wir – ausgehend von der Grundwahrheit, daß das Gnadenleben auf Erden der Anfang des „ewigen Lebens“ ist, der „Same der himmlischen Herrlichkeit“ – gesehen, daß es auf Erden drei Stufen des geistlichen Lebens gibt, vergleichbar der Kindheit, der Jugend und dem Mannesalter. – Wir haben auch festgestellt, daß in der körperlichen Entwicklung mit ungefähr vierzehn Jahren eine Krise beim Übergang von der Kindheit zur Jugend einsetzt, und um das zwanzigste Lebensjahr eine zweite vor dem Eintritt ins gereifte Erwachsenenalter.

Im geistlichen Leben gibt es zwei analoge Krisen. Die eine bezeichnet den Übergang vom Reinigungsweg der Anfänger zum Weg der Erleuchtung der Fortgeschrittenen. Die Geisteslehrer nennen diese Krise, welche der Pubertät entspricht, die „Nacht der Sinne“ oder auch „zweite Bekehrung“. Die andere Krise am Ende des Erleuchtungsweges, die eine Entsprechung in der „Krise der ersten Freiheit“ des jungen Erwachsenen hat, bereitet das Betreten des Weges der Einigung der Vollkommenen vor. Man nennt sie „Nacht des Geistes“ oder „dritte Bekehrung“. Alle drei Bekehrungen der Seele lassen sich exemplarisch an den Aposteln im Evangelium und in der Apostelgeschichte aufzeigen.

Die geistliche Kindheit der Apostel

Die hl. Katharina von Siena spricht in ihren Dialogen davon, daß die „erste Bekehrung“ der Apostel an dem Tag begann, als sie ihr altes Leben aufgaben; als sie alles verließen, ihre Schiffe und Fischernetze, den Tisch an der Zollschranke und ihre Familien, um fortan dem Ruf Jesu zu folgen: „Ich will euch zu Menschenfischern machen“ (Mk. 1, 17). So beginnt die geistliche Kindheit, indem der Sünder sein altes Leben, in dem die Sünde gleichsam seine „berufliche Tätigkeit“ und die Laster sein „trauter Familienkreis“ waren, aufgibt, um Christus nachzufolgen.

Die Apostel waren während der dreieinhalb Jahre des öffentlichen Lebens unseres Herrn erfüllt vom Glück der ersten Liebe. Gott war ihnen greifbar nahe. Mit allen Sinnen durften sie Ihn erfahren. Sie durften Seine Wunder bestaunen, sich erfreuen an Seiner Lehre und Seinem Tugendbeispiel. Voller Eifer folgten sie Jesus nach und waren stolz darauf Ihm dienen zu dürfen. Jedoch war diese Liebe nicht ganz uneigennützig. „Siehe, wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt. Was wird uns nun dafür zuteil?“ (Mt. 19, 27), fragte Petrus im Namen aller, einen Lohn erheischend. Ferner fehlte den Aposteln noch nahezu vollständig das Verständnis für das Geheimnis des Kreuzes und der Erlösung. Als Jesus erstmals Sein Leiden voraussagte, da nahm Petrus Ihn beiseite, um Ihm Vorhaltungen zu machen und sagte: „Das verhüte Gott! Nie und nimmer soll Dir dies wiederfahren!“ (Mt. 16, 22). Daß das Kreuz und das Leid von Gott als Instrument der Erlösung gewollt und vorgesehen ist, übersteigt den kindlichen Horizont der Anfänger, die gerade das Kreuz zu fliehen suchen, obwohl sie sich täglich damit bezeichnen. Als hochherzige Anfänger liebten die Apostel ihren Heiland zwar bereits „aus ganzem Herzen“, aber noch nicht aus ihrer ganzen Seele, noch nicht aus allen ihren Kräften und auch noch nicht aus ihrem ganzen Gemüt (vgl. Lk. 10, 27). Zu groß war noch die Eigenliebe in ihrem Herzen, die ein weiteres Wachstum der übernatürlichen Liebe behinderte.

Der Heiland bezeichnete diese unvollkommene Anfängerliebe als „Söldnerliebe“. Wie der Söldner nur gegen Bezahlung dient und nur einem Herrn die Treue hält, solange er dessen Gold empfängt, so ist die Liebe und Treue des Anfängers an den Lohn der fühlbaren Tröstungen gebunden, gleich einer „Bezahlung“. Christus erklärte der hl. Katharina von Siena: „Aber diese Liebe ist immer noch unvollkommen, denn sie suchen in diesem Dienste ihren eigenen Nutzen und finden in Mir ihre eigene Befriedigung, ihr eigenes Vergnügen. Die gleiche Unvollkommenheit findet sich auch in ihrer Nächstenliebe“ (Dialoge, c. 60). Letzteres zeigte sich gerade in den Umgangsformen der Apostel. Desöfteren berichten die Evangelien von Rangstreitigkeiten unter ihnen. Auch eitle Ruhmsucht, Ehrgeiz, Eifersucht und ein rücksichtsloser, unerleuchteter Eifer scheinen immer wieder durch. Wenn die Anfänger nicht nur in die Knechtschaft, sondern in die Freundschaft Christi eintreten wollen, so bedarf ihre unvollkommene Söldnerliebe folglich dringend einer Läuterung, wie Christus der hl. Katharina gesagt hat: „Meine Diener müssen sich von diesen Gefühlen der Söldnerliebe losschälen, um wahre Kinder zu werden, und mir ohne persönlichen Eigennutz dienen. … Wenn ihr mich liebt, wie ein Knecht seinen Herrn, werde ich euch wie ein Gebieter lieben und euch den Lohn nach eurem Verdienste zuteilen; aber ich werde mich euch nicht offenbaren. Die Geheimnisse aber teilt man seinem Freunde mit, denn diese hat man nur mit seinem Freunde und nicht mit seinem Knecht“ (ebd.).

Die „Nacht der Sinne“ am Beispiel der Apostel

Die Läuterung der „Söldnerliebe“ mittels der „Nacht der Sinne“ setzte bei den Aposteln mit der Passion unseres Herrn ein. Im Abendmahlsaal kündigte der Heiland dem Petrus gegenüber eine „zweite Bekehrung“ an, als Er zu ihm sprach: „Simon, Simon, siehe der Satan hat danach verlangt euch sieben zu dürfen, wie man den Weizen siebt. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht aufhöre; und wenn du einst bekehrt [!] sein wirst, so stärke deine Brüder!“ (Lk. 22, 31). Wie so Vieles verstand das Petrus damals noch nicht. Er glaubte keiner weiteren Bekehrung zu bedürfen.

Entgegen seiner Beteuerungen den Herrn mehr zu lieben als die übrigen Apostel – „Mögen alle an Dir Anstoß nehmen, ich werde niemals anstoßen“ (Mt. 26, 33) – und mit Ihm in Kerker und Tod zu gehen, fehlte Petrus in derselben Nacht schwer. Nicht aus Furcht vor bewaffneten Soldaten, sondern vor einfachen Frauen und Dienstboten verleugnete er den geliebten Gottessohn und schwor sogar, Ihn gar nicht zu kennen.

Von Petrus haben uns die Evangelien den genauen Augenblick des Einsetzens seiner „zweiten Bekehrung“ überliefert. Bei Lukas können wir lesen: „Und alsbald, während er noch redete, krähte ein Hahn. Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an. Und Petrus erinnerte sich an das Wort des Herrn, wie Er gesagt hatte: ‚Ehe der Hahn kräht, wirst du Mich dreimal verleugnen.’ Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. (Lk. 22, 61). Es ist nicht selten, daß die Vorsehung eine Seele am Beginn der „Nacht der Sinne“ in eine recht offenkundige Sünde fallen läßt, um sie zu demütigen und sie zu zwingen, in sich zu gehen. In die Nacht des eigenen Versagens und der Trostlosigkeit gestürzt, überläßt Gott die Seele sich selbst, damit sie ihre eigene Schwäche durchkoste und sich davon überzeuge. Der Heiland erklärte der hl. Katharina von Siena: „Um sie [die Seele des Anfängers] zur Vollkommenheit zu führen … ziehe Ich Mich von ihr zurück, nicht die Gnade, sondern für das Gefühl“„Nicht die Gnade entziehe Ich ihr, sondern die Befriedigung, die sie darin empfand … , um sie darin zu üben, Mich selbst in aller Wahrheit zu suchen … uneigennützig, mit lebhaftem Glauben und Haß gegen sich selbst“ (ebd. c. 63). Christus entzog sich durch Seine Gefangennahme, durch Sein qualvolles Leiden und Seinen schmählichen Kreuzestod den Sinnen der Apostel. Sein geschundener Leichnam wurde ins Grab gelegt, dessen Zugang mit einem Stein versiegelt und von Soldaten abgeschirmt.

Damals fand in Petrus und den Aposteln eine zweite offenkundige Bekehrung statt, welche sich in den folgenden Tagen zeigte. Der Heiland erschien ihnen nach Seiner Auferstehung zu wiederholten Malen. Aber fortan war es eine andere Art des Umgangs. Er erschien und verschwand wieder. Obwohl der Auferstandene in Seiner verklärten Gestalt körperlich unter ihnen weilte, war Sein Auftreten unnahbarer, entrückter, vergeistigter, geheimnisvoller. Jesus belehrte sie, so wie Er den Jüngern von Emmaus das Verständnis für die Heilige Schrift erschloß. Besonders gab Er Petrus Gelegenheit, nach dem wunderbaren Fischfang am See Genezareth seine dreimalige Verleugnung durch einen dreifachen Akt der Liebe wieder gutzumachen. Dabei forderte Jesus am Ufer des Sees das eitle Selbstvertrauen, welches Simon Petrus beim letzten Abendmahl an den Tag gelegt hatte, erneut heraus, indem Er ihn mit Blick auf die übrigen Apostel fragte: ,,Simon, Sohn des Jonas, liebst du Mich mehr als diese?“ (Joh. 21, 15). Vor der Passion hätte Petrus sofort gesagt: „Selbstverständlich liebe ich Dich mehr als alle anderen!“ – Jetzt, nach erfolgter Läuterung, fällt seine Antwort viel bescheidener aus: „Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebe.“ Er drängt sich nicht mehr in den Vordergrund. Ja, er wagt überhaupt keinen Vergleich mehr anzustellen. Wie zu einem Freund „sprach Jesus zu ihm: ‘Weide meine Lämmer!’“ Dieselbe Frage wiederholte der Herr sodann ein zweites und drittes Mal.

Eintritt in den „Weg der Erleuchtung“

Jede Seele, welche aus der „Nacht der Sinne“ heraus den Erleuchtungsweg betritt, muß es dem hl. Petrus gleichtun, der seine dreimalige Verleugnung durch drei Akte wiedergutmachte. Drei Dinge müssen durch die „zweite Bekehrung“ erreicht werden:

Erstens: Die Seele muß ein Verständnis für das Geheimnis des Kreuzes entwickeln. Als Petrus versucht hatte Christus vom Kreuz abzuhalten, da hatte er ohne darauf acht zu geben, gegen den ewigen Plan der Erlösung, gegen den ganzen Plan der göttlichen Vorsehung, ja sogar gegen den Grundgedanken der Menschwerdung überhaupt gesprochen. Deshalb entgegnete ihm der Heiland scharf: „Weiche von mir, Satan. Du hast nur menschliche Vorstellungen, du verstehst nichts von göttlichen Dingen“ (Mt. 16, 23). Wie der gedemütigte Petrus, so muß auch die Seele jene falsche Vorstellung begraben, als wäre der Glaube eine Unfallversicherung, als könne man in den Himmel eingehen, ohne selbst vom Kelch Christi kosten und einen Anteil am Kreuz Christi tragen zu müssen. Unser Glaube an die Kraft des Kreuzes, den unendlichen Wert Seines kostbaren Blutes und dessen erlösende Kraft, sowie der Glaube an die Notwendigkeit unserer Teilnahme durch unser persönliches Kreuztragen, sollte in jeder hl. Messe, wenn der Priester den Kelch erhebt, größer und lebendiger werden. Daraus folgt

Zweitens: Die „zweite Bekehrung“ muß die Liebe zu den zu rettenden Seelen entfachen, eine Liebe, die von der Gottesliebe unzertrennlich ist, denn sie ist deren Frucht und Anzeichen. Sie muß bei jedem Christen, der dieses Namens würdig ist, zu einem wirklichen Eifer werden, der alle Tugenden beseelt, insbesondere die aus dem Glauben gewonnene Liebe zum Kreuz. Dieser Seeleneifer bewog etwa die hl. Katharina, sich als Opfer für das Heil der Sünder anzubieten, wie aus den Worten Gottes an sie hervorgeht: „Du hast mich gebeten, ich solle der Welt Barmherzigkeit widerfahren lassen … Du hast mich angefleht, ich solle den mystischen Leib der heiligen Kirche von Finsternis und Verfolgung befreien und hast dich dafür aufgeopfert, damit ich an dir die Missetaten gewisser meiner Diener strafe.“

Drittens: Die Seele muß schließlich insbesondere die unvollkommene Söldnerliebe aus ihrem Herzen ausreißen, damit dort die wahre „Liebe der Freundschaft“ wachsen kann, wie der hl. Katharina von Siena erklärt wurde: „Wenn aber meine Diener über ihre Unvollkommenheiten erröten, wenn sie beginnen, die Tugend zu lieben, wenn sie sich mit Haß daran machen, die Wurzel der geistigen Selbstsucht in sich auszureißen, wenn sie über sich selbst ins Gericht gehen und die Vernunft zu Hilfe rufen, um jede knechtische Furcht und Söldnerliebe bei sich zu unterdrücken und sie im Lichte des heiligen Glaubens auf den rechten Weg zuhalten, dann, sage Ich, handeln sie so, daß sie Mir angenehm werden und Zugang zum Freundesherzen erhalten. Ich werde Mich ihnen offenbaren, so wie es Meine Wahrheit verkündete, als sie sprach: ,Wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden; und ich werde ihn lieben und Mich selbst ihm offenbaren’ (Joh. 14, 21)“ (ebd. c.60). Diese letzten Worte drücken jene eingegossene Erkenntnis aus, die Gott selber durch besondere Erleuchtung und Eingebung verleiht. Das ist der Beginn der Beschauung, die hervorgeht aus dem durch die Gaben des Heiligen Geistes erleuchteten Glauben, der mit der Liebe vereint ist und sich an den Glaubensgeheimnissen erquickt und in sie eindringt, wie die Apostel in den vierzig Tagen nach Ostern, von Christus belehrt, zum tieferen Verständnis der „Dinge des Gottesreiches“ (Apg. 1,3) gelangt waren.

Die Früchte dieser zweiten Umwandlung sind, folglich ein Anfang der eingegossenen Beschauung durch das allmählich wachsende Verständnis des großen Geheimnisses des Kreuzes und der Erlösung, ein gelebtes Verständnis für den unendlichen Wert des für uns vergossenen Erlöserblutes. Mit diesem Anfang einer Beschauung ist verbunden eine Vereinigung mit Gott, die von den Schwankungen der Gefühle und Empfindungen losgelöster, reiner, stärker und ununterbrochener ist. Nach den Geisteslehrern befestigt sich in der Seele sodann allmählich, sogar mitten in den Widerwärtigkeiten, wenn nicht die Freude, so doch der innere Friede.

Es ist dies die nicht mehr bloß abstrakte, theoretische, unklare, sondern konkrete und gelebte Überzeugung, daß Gott alles im Leben, auch Kreuz und Leid, gemäß dem Wort des hl. Paulus genau abwiegt und zu unserem Nutzen lenkt: „Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten gereichen“ (Röm. 8, 28). Genau diese erleuchtende Überzeugung bemächtigte sich der Seele des hl. Petrus und der Apostel nach ihrer zweiten Umwandlung, sowie der Seelen der Jünger von Emmaus, nachdem ihnen der auferstandene Heiland das Verständnis für das Geheimnis des Kreuzes erschlossen hatte. Er sprach da zu ihnen: „‚Oh, ihr Unverständigen, wie schwer kommt es euch an, alles zu glauben, was die Propheten geredet haben! Mußte nicht Christus dies leiden, und so in Seine Herrlichkeit eingehen?‘ Und Er fing an von Moses und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von Ihm geschrieben steht“ (Lk. 24, 25). Unter dem Eindruck dieser tieferen gnadenhaften Einsichten werden auch jene die den Erleuchtungsweg der Fortschreitenden betreten, sagen: „Brannte nicht unser Herz in uns, während Er auf dem Wege redete und uns die Schrift aufschloß?“

Das Leben der Fortschreitenden

Die geistige Verfassung der Fortgeschrittenen muß man, wie die der geistigen Kindheit, dadurch zu beschreiben suchen, daß man auf ihre Gotteserkenntnis und Gottesliebe eingeht. – Mit der demütigeren Selbsterkenntnis entwickelt sich bei ihnen eine gewissermaßen experimentelle Erkenntnis Gottes, nicht mehr nur im Spiegel der greifbaren Dinge der Natur und der anschaulichen Gleichnisse, sondern im Spiegel der Heilsgeheimnisse, die ihnen immer vertrauter werden.

Wie ein Jugendlicher sich Vorbilder auswählt, denen er nacheifert, die er beobachtet, verehrt und vielleicht sogar bis ins Kleinste nachzuahmen sucht, strebt die fortgeschrittene Seele danach das Tugendbeispiel Christi, der Gottesmutter und der Heiligen, wie es etwa der Rosenkranz, die Schüle der Betrachtung, täglich vor Augen führt, immer vollkommener in sich aufzunehmen und an sich nachzubilden.

Die Seele erhebt sich dabei durch eine spiralförmige Bewegung von den Geheimnissen der Menschwerdung und Geburt Christi zu denen seines Leidens, seiner Auferstehung, seiner Himmelfahrt und Verherrlichung, und in diesen Geheimnissen betrachtet sie das Ausstrahlen der absoluten Güte Gottes, die sich uns so wunderbar mitteilt. In dieser mehr oder weniger häufigen Beschauung empfangen die Fortgeschrittenen je nach ihrer Treue und Hochherzigkeit durch die „Gabe des Verstandes“ eine Fülle des Lichtes, wodurch sie in diese Geheimnisse mehr und mehr eindringen und ihre so hohe und schlichte Schönheit erfassen.

Im vorhergehenden Alter hatte der Herr die Gefühlswelt erobert, hier unterwirft er sich ihren Verstand gänzlich, indem er ihn über die übermäßige Beschäftigung menschlichen Nachdenkens und Forschens erhebt. Er macht die Verstandeserkenntnis einfach, indem Er sie vergeistigt.

Die Fortgeschrittenen, die so über die Geheimnisse des Lebens Christi erleuchtet wurden, lieben Gott daher sehr. Das zeigt sich nicht nur, indem sie sowohl die Todsünde als auch die freiwillige läßliche Sünde fliehen, sondern indem sie die Tugenden des Heilandes nachahmen – Seine Demut, Sanftmut, Geduld. Sie beobachten nicht nur die für alle notwendigen Vorschriften der Gebote, sondern den ihrem jeweiligen Stand angemessenen „Geist der evangelischen Räte“ der Armut, Keuschheit und des Gehorsams. Ja, sie trachten danach selbst Unvollkommenheiten zu vermeiden.

Wie beim vorangehenden Alter der geistigen Kindheit so wird die Hochherzigkeit auch im Alter der Voranschreitenden belohnt; zwar nicht mehr direkt durch fühlbare Tröstungen, sondern durch eine größere Fülle des Lichtes bei der Betrachtung, durch lebhaftes Verlangen nach der Ehre Gottes und dem Heil der Seelen und durch eine größere Leichtigkeit beim Gebet. In dieser Periode besitzt man auch eine große Leichtigkeit, im Dienste Gottes zu wirken, zu lehren, zu leiten, fromme Werke zu organisieren usw. Jetzt liebt man Gott nicht nur aus „ganzem Herzen“, sondern „aus ganzer Seele“, aus allen Tätigkeiten, aber noch nicht „aus allen Kräften“, noch nicht aus „ganzem Gemüte“.

Notwendigkeit einer dritten Läuterung

Ähnlich wie bei den Anfängern, die durch fühlbare Tröstungen von Gott belohnt wurden, kommt es bei den Fortgeschrittenen vor, daß sie mit einem unbewußten Hochmut an dieser gewonnenen Leichtigkeit zu beten, zu lehren oder Gutes zu tun, ihr Wohlgefallen finden. Dabei neigen sie gern dazu, zu vergessen, daß dies Gaben Gottes sind, und genießen sie mit einer Eigenliebe, die zwar nicht mehr sinnlich, aber doch geistig ist und die einer zum Vollalter Christi gereiften Seele nicht geziemt. Man arbeitet zweifellos für den Herrn und die Seelen; aber man vergißt sich selbst dabei nicht wahrhaft und ganz. Weil man unbewußt sich selbst sucht und sich natürlicher Geschäftigkeit hingibt, wird man ausgegossen und verliert die Gegenwart Gottes. Man glaubt vielleicht viele Früchte zu bringen, aber das ist nicht sicher. Man wird zu selbstsicher, mißt sich selber zu viel Bedeutung bei, überschätzt vielleicht seine Talente stark. Man vergißt seine eigene Armseligkeit, während man die der andern zu deutlich sieht. Es ist noch eine Lüge im Leben. Der Grund der Seele gehört noch nicht wirklich ganz Gott.

Insgesamt denkt man noch zu sehr nach menschlichen Kategorien, ähnlich wie die Apostel nach der Auferstehung des Herrn. Ihr Glaube war träge. Zu sehr waren sie von ihren rein menschlichen Urteilen und Erwartungen beherrscht, daß sie dem Zeugnis der Frauen nur zögerlich Glauben schenken wollten. Ihre Hoffnung richtete sich immer noch auf die Wiedererrichtung des irdischen Königreichs Israel. Selbst noch am Himmelfahrtstag, nachdem ihnen Christus die Herabkunft des Heiligen Geistes angekündigt hatte, stellten sie Ihm nochmals die Frage nach dem Reich von dem sie träumten: „Herr, wirst Du in dieser Zeit das Reich Israel wiederherstellen?“ (Apg. 1, 6).

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer dritten Läuterung, der „starken Waschung“, wie sie der hl. Johannes vom Kreuz nennt, der „Reinigung des Geistes“, um auch die höheren Fähigkeiten der Seele – ihren Glauben, ihre Hoffnung und ihre Liebe – in ihrem tiefsten Grunde zu reinigen. Ohne diese dritte Reinigung wird man nicht zum Leben der Vereinigung, nicht zum „Vollalter Christi“, dem reifen Erwachsenenalter im geistlichen Leben, gelangen.

Die „Nacht des Geistes“ am Beispiel der Apostel

Worin besteht diese erneute Krise der Hauptsache nach? – Bei den Aposteln bestand die dritte Läuterung in der Tatsache, daß Jesus mit der Himmelfahrt Seine Jünger endgültig Seiner wahrnehmbaren Gegenwart beraubte. Sich für immer des Anblicks Seiner heiligen Menschheit beraubt sehen, das mußte für die Apostel ein großer Schmerz gewesen sein, an den wir im allgemeinen nicht genug denken. Nachdem der Erlöser gleichsam ihr ganzer Lebensinhalt geworden war, für den sie alles aufgegeben hatten, dem sie sich ganz hingeben wollten und nachdem die Vertraulichkeit mit Ihm täglich gewachsen war, mußten sie jetzt ein ganz tiefgehendes Gefühl der Vereinsamung, etwa wie das Empfinden der Verlassenheit, ähnlich der Vereinsamung in der Todesnot erleben. Man spricht ja von der „Nacht des Geistes“ auch vom „mystischen Tod“. Die Apostel mußten das um so stärker empfinden, als ihnen der Heiland zuvor auch noch all die ihnen bevorstehenden Leiden angekündigt hatte: „Sie werden euch aus den Synagogen stoßen; ja es kommt die Stunde, da jeder, der euch tötet, Gott einen Dienst zu tun glaubt. Das werden sie euch antun“ (Joh. 16, 2). Angesichts dieser beängstigenden Zukunftsaussichten sehen sie sich gänzlich verlassen. Die Apostel blieben mit zum Himmel erhobenen Augen zurück. Das war nicht mehr die Vernichtung der Gefühle, wie bei der Passion. Es war ein vollkommener Entzug, der ihren Geist für den Augenblick verwirren mußte. Während der Passion war Jesus immerhin noch körperlich gegenwärtig, wenn auch blutig, geschunden, durchbohrt, tot, im Grabe liegend. Jetzt war Er ihren Blicken völlig entzogen, und sie glaubten sich Seiner gänzlich beraubt.

Um die Seele von jedem geistigen Hochmut oder Verstandesdünkel zu heilen und um ihr das ganze Elend, das noch an ihr haftet, zu zeigen, läßt Gott den Verstand in der Finsternis, den Willen in der Trockenheit, manchmal in der Bitterkeit und Angst. Die Seele, sagt der hl. Johannes vom Kreuz, muß vorangehen, „blind nach dem reinen Glauben, der für die natürlichen Kräfte eine dunkle Nacht ist.“ Es handelt sich jetzt darum, in die Tiefen des Glaubens einzudringen bzw. zu den Höhen hinaufzusteigen, wie bei den Aposteln, die nach der Himmelfahrt der verklärten Gegenwart Jesu beraubt wurden und zu denen Jesus gesprochen hatte: „Es ist gut für euch, daß ich hingehe; denn wenn Ich nicht hingehe, so wird der Tröster nicht zu euch kommen; wenn Ich aber weggehe, so werde Ich Ihn zu euch senden“ (Joh. 16, 7).

So wie bei den vorhergehenden Reinigungen, so scheint der Herr auch bei der „Nacht des Geistes“ die Seele zuerst zu entblößen, sie im Dunkel und in der Trockenheit zu lassen. Meist tauchen plötzlich starke Versuchungen auf, nicht gerade gegen Reinheit und Geduld, wie noch bei der „Nacht der Sinne“, sondern gegen die Tugenden des höheren Teiles der Seele, gegen den Glauben, die Hoffnung, die Nächstenliebe und selbst gegen die Gottesliebe. Denn Gott erscheint grausam, wenn Er die Seele in einem solchen Schmelztiegel läutert. Um treu zu bleiben ist die Seele gezwungen sich im blinden Glauben an Gott zu klammern, vollkommen auf Ihn zu vertrauen und sich Ihm vollkommen hinzugeben.

Zu den seelischen Prüfungen gesellen sich nicht selten auch große äußere Schwierigkeiten: Verleumdungen, Hindernisse, Mißerfolge. Es kommt ziemlich häufig vor, daß die verlassene Seele jetzt auch noch Undankbarkeit ausgerechnet von denjenigen Menschen erfährt, denen sie lange Zeit Gutes erwiesen hat. Das muß sie dazu bringen, diese Menschen mehr um Gottes willen und in Gott zu lieben.

So ist diese Krise oder passive Reinigung des Geistes gleichsam ein „mystischer Tod“, der Tod des alten Menschen nach den Worten des hl. Paulus: „Unser alter Mensch ist mitgekreuzigt worden, auf daß der Leib der Sünde vernichtet werde“ (Röm. 6, 6). Der hl. Johannes vom Kreuz sagt: „Manchmal fühlt sich die Seele unter dem Druck der Reinigung von einer starken Liebe verwundet und zerschlagen. Es handelt sich um eine Glut, die sich im Geiste entflammt, wenn die von der Pein niedergedrückte Seele von der göttlichen Liebe ganz heftig verwundet wird.“ Das Feuer der göttlichen Liebe gleicht jenem, welches das Holz langsam austrocknet, es durchdringt, entflammt, durchglüht und in sich umwandelt. „Wie Gold im Schmelzofen, so hat Er sie erprobt, und sie angenommen, als ein vollkommenes Brandopfer“ (Weis. 3 ,6).

Diese Krise ist ebenso wie die „Nacht der Sinne“ nicht ohne Gefahr. Um nicht zu entarten oder zurückzubleiben ist viel Großherzigkeit, Wachsamkeit verlangt; ein heroischer Glaube, eine Hoffnung „gegen alle Hoffnung“ (vgl. Röm. 4, 18), die sich dann in vollkommene Hingabe umwandelt.

Der Eintritt in den „Weg der Vereinigung“

In dieser „Nacht des Geistes“ wird die Seele auf das Leben der Vereinigung vorbereitet, wie dies bei den Aposteln der Fall war. Am Pfingsttag sehen wir ihre dritte Bekehrung als das Werk des Hl. Geistes, der in Feuerzungen erschien, um das Dunkel ihrer Seele mittels der „Gabe des Verstandes“ zu erleuchten, gleichsam wie mit dem Aufleuchten eines Blitzes. An Pfingsten wurden die Apostel erleuchtet und gestärkt. Und ihr heiligender Einfluß wandelte die ersten Christen um. In der werdenden Kirche herrschte die Begeisterung hingegebenen Eifers. Entsprechend der vollendeten drei göttlichen Tugenden wurden ihnen (1.) die volle Beschauung der Glaubensgeheimnisse verliehen, welche sie den Menschen predigen sollten, um sie zu retten. Vor allem wurde jetzt den Aposteln durch den Heiligen Geist das Verständnis des Kreuzes, sowie der Wert des kostbaren Blutes des Erlösers für das Geheimnis der Erlösung vollkommen erschlossen. (2.) Wurden die Apostel am Pfingsttag auch in hohem Maße in der Hoffnung auf das Leben in der Ewigkeit gefestigt und gestärkt. Sie alle gaben mit ihrem Blute Zeugnis für Christus und nahmen Anteil an Seinem Kreuz. Die Umwandlung der Apostel offenbart sich (3.) in dem heiligenden Einfluß ihrer Liebe, in dem feurigen und verzehrenden Eifer, den sie den ersten Christen mitteilten.

Wie die Apostelgeschichte berichtet, war das Leben der werdenden Kirche von einer bewunderungswürdigen Heiligkeit. „Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele“ (Apg. 4, 32). Sie hatten alles gemeinsam, sie verkauften ihre Habe und brachten den Erlös den Aposteln, die dann jedem nach seinem Bedarfe austeilten. Sie versammelten sich täglich, um gemeinsam zu beten, die Predigt der Apostel zu hören und das „Liebesmahl“ zu feiern. Man sah sie oft beisammen im Gebete und war erstaunt über die Liebe, die unter ihnen herrschte. Es verwirklichte sich, was Christus gefordert hatte: „Daran wird man erkennen, daß ihr Meine Jünger seid, wenn ihr einander liebet“ (Joh. 13, 35).

Die Liebe der ersten Christen Jerusalem zeichnete sich durch Festigkeit und gleichzeitig durch Zartheit aus. Heute findet man zumeist entweder solche Christen, die entweder das eine sind, oder das andere. Entweder hart wie Eisen in ihren Prinzipien, aber entsprechend lieblos im Umgang miteinander. Oder aber es sind zartfühlende Seelen, ohne Grundsätze, die für alles Verständnis aufbringen und stets nachgeben. – Wie die ersten Christen beweisen, vermag der Heilige Geist beides zu vereinen. Sie waren fest in der Gefahr, aber zart in der Liebe zu ihren Brüdern. Der göttliche Geist, der sie antrieb, kennt das Geheimnis, die entgegengesetzten Widersprüche in Einklang zu bringen. Er verlieh ihnen ein menschliches Herz, gerührt durch die Liebe. Er machte sie aber auch wie aus Erz und Stahl, um allen Gefahren zu widerstehen. Er machte sie fest und wieder weich, aber auf außergewöhnliche Weise, denn die gleichen Herzen der Jünger, die durch ihre unüberwindbare Festigkeit wie Herzen von Diamant schienen, wurden dann wieder menschliche Herzen, Herzen aus Fleisch und Blut durch ihre Bruderliebe. Das ist die Wirkung des himmlischen Feuers, das sich am Pfingsttag auf sie niederließ. Es machte die Herzen der Gläubigen weich, es verschmolz sie sozusagen, zu einem einzigen. – Einst stritten die Apostel des Sohnes Gottes untereinander wegen des Vorranges; aber seit der Heilige Geist ein Herz und eine Seele aus ihnen gemacht hatte, waren sie weder eifersüchtig noch streitsüchtig. Sie meinten alle mit Petrus zu sprechen, mit ihm den Vorsitz zu führen, und wenn sein Schatten die Kranken heilte, nahm die ganze Kirche an dieser Gabe teil und lobte deshalb den Herrn.

Das Vollalter Christi

Die Früchte dieser dritten Umwandlung sind vor allem, neben einer wahren und tiefen Demut, ein lebendiger, eindringender Glaube, der beginnt, etwas von den Freuden der jenseitigen Geheimnisse zu genießen und der eine Art Vorgeschmack des ewigen Lebens ist. Sie bestehen auch in einer sehr festen, vertrauensvollen Hoffnung auf die stets hilfsbereite göttliche Barmherzigkeit. Aber die kostbarste Frucht dieser dritten Bekehrung ist eine sehr große, reine und starke Gottesliebe, die sich durch keinen Widerspruch und keine Verfolgung zurückhalten läßt, ähnlich der Liebe der Apostel, die sich darüber freuten, für unsern Herrn leiden zu dürfen. Diese Liebe besteht aus einem glühenden Verlangen nach Vollkommenheit. Sie ist der Hunger und der Durst nach Gerechtigkeit, begleitet von der „Gabe der Stärke“, die alle Hindernisse besiegt.

Diese zum „Vollalter Christi“ gereiften Seelen erkennen sich selber nicht mehr nur in sich selbst, sondern in Gott, ihrem Ursprung und Ziel. Sie sehen unablässig den ungeheuren Abstand, der sie von ihrem Schöpfer trennt. Daher ihre Demut. Ihre gewissermaßen experimentelle Gottesbetrachtung entspringt der „Gabe der Weisheit“, und infolge ihrer Einfachheit kann sie fast ununterbrochen sein. Sie dauert an inmitten der geistigen Arbeit, der Gespräche, der äußeren Tätigkeiten, während es sich zuvor mit der Erkenntnis Gottes im Spiegel der Naturphänomene, der biblischen Gleichnisse oder in dem der Geheimnisse Christi, nicht ebenso verhalten konnte. Wie das Innenleben des von der Eigenliebe beherrschten Menschen, summarisch betrachtet, nur daraus besteht, beständig sich zu lieben und an sich selbst zu denken, so ist die von der Gottesliebe vollends erfüllte Seele ganz erfaßt vom Gedanken an Gott.

Der Vollkommene denkt fast immer an Gott, liebt Ihn beständig, nicht nur, indem er die Sünde flieht und die Tugenden des Heilandes nachahmt, sondern indem er allein in Gott seine Freude hat und mit dem hl. Paulus wünscht „aufgelöst und bei Christus zu sein“. Von nun an gehört das Innerste der Seele ganz Gott. Die Seele ist endlich so weit gekommen, daß sie in ihrem höheren Teil aus sich fast ununterbrochen das Leben des Geistes führt. Hier im Dunkel des Glaubens vollzieht sich etwas wie ein Vorspiel des seligen Lebens der Ewigkeit. Das ist jene reine Liebe zu Gott und zu den Seelen in Gott, welche das höchste Gebot auf Erden am vollkommensten erfüllt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus allen deinen Kräften und aus deinem ganzen Gemüte!“ (Lk. 10, 27).

Flehen wir schließlich in dieser hl. Messe ganz besonders zu allen Heiligen und insbesondere zur Königin aller Heiligen um die Gnade, daß wir im Heiligen Geist geläutert, wie damals die Gemeinde in Jerusalem, ein irdisches Abbild der himmlischen Gottesfamilie werden dürfen, „bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollen Mannesreife, zum Vollalter der Fülle Christi“ (Eph. 4, 13). Amen.

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