Unbefleckt und voll der Gnade

Geliebte Gottes!

Es gehört zu den schönsten Erfahrungen im geistlichen Leben, nach einer guten hl. Beichte erleichtert und befreit den Beichtstuhl zu verlassen mit dem Wissen: Alle Sünden sind nachgelassen! Jetzt ist alles neu! – Aber. Schon nach einiger Zeit zeigt es sich dann wieder, daß der alte Mensch in uns, der „alte Adam“, eben doch noch lebt. 

Noch tiefer ist dieses Erleben nach einer Generalbeichte. Wenn man also das ganze Leben erforscht hat, um noch einmal alles Dunkle, Schiefe und Zerbrochene ins Licht Gottes zu rücken, nochmals zu bereuen und zu beichten. Nach der Absolution fällt eine Zentnerlast von einem ab, und man hat dann wirklich den Eindruck: Jetzt bin ich ein neuer Mensch. – Aber. Bald zeigt es sich auch hier: Mag das Licht der Selbsterkenntnis noch so hell, der Reueschmerz noch so tief und der Abscheu vor der Sünde noch so groß gewesen sein, wieder und immer wieder fällt man in die Dunkelheit der Sünde zurück. Alte Gewohnheiten, schlechte Neigungen und Regungen sind es, die uns in die verkehrte Richtung ziehen. Diese bleiben eben doch. 

Viele, vor allem ältere Menschen, äußern gelegentlich den Wunsch, man müßte noch einmal bei Null anfangen und das ganze Leben nochmals von vorne beginnen können. Dann, ja dann würde man achtsamer sein und die gemachten Fehler der Vergangenheit nicht nochmal machen. Aber selbst wenn dies möglich wäre, so müßten wir doch früher oder später feststellen, daß auch dieser Nullpunkt schon eine Schwerkraft in sich trägt, nämlich eine Gravitation nach unten.

Die kontaminierte Erde

Wohlgemerkt, dabei ist nicht, wie etwa die modernen Irrlehrer behaupten, die menschliche Umgebung schuld; nicht das religiös-sittliche Niveau oder das gesellschaftliche Milieu, in das der Mensch hineingeboren wird, in dem er aufwächst, in dem er lebt. Nein, auch tief religiös eingestellte Eltern, die versuchen zu Hause eine perfekte, christliche Atmosphäre zu schaffen, merken, daß in ihren Kindern schon sehr früh etwas anderes erwacht: Der Hang „nein“ zu sagen, sich zu widersetzen, sich aufzulehnen; mit einem Wort – die Tendenz nach unten. Selbst in den besten katholische Familien ist es vorgekommen und kommt es vor, daß Kinder in die Irre gehen. An der Umgebung kann es da also nicht, oder wenigstens nicht hauptsächlich gelegen haben. Das Problem sitzt anderswo.

Man könnte sagen, das Material, aus dem wir bestehen, ist von Anfang an geschädigt. Es trägt bereits die Keime der Auflösung in sich. Es zieht mit schwerem Gewicht nach unten. Und wohlgemerkt! Mit dem Material ist hier nicht etwa allein der Körper gemeint, sondern die gesamte menschliche Natur, bestehend aus Leib und Seele. Der Mutterboden der menschlichen Natur ist seit dem Falle Adams belastet, geschädigt und vergiftet. Es verhält sich dabei so ähnlich wie mit dem kontaminierten Boden eines alten Fabrikgeländes. Das Erdreich ist vielleicht schon vor langer Zeit von Chemikalien verunreinigt worden. Wollte man auch noch so lange warten, um darauf zu säen, es würde nicht viel darauf wachsen. Und selbst wenn etwas wüchse, so wäre zu befürchten, daß die Früchte mit Schadstoffen belastet sind. Ein vergifteter Boden bringt vergiftete Früchte hervor.

Der Name des ersten Menschen – „Adam“ – bedeutet, wie uns die Sprachwissenschaft belehrt, soviel wie „Der von der roten Erde genommene“„Der vom roten Ackerboden genommene“. Der Name bezeichnet den Wesenskern des ersten Menschen. Gott hat den Adam aus dem Stoff, aus der Materie, aus dem Ackerboden dieser Welt geschaffen (vgl. Gen. 2, 7) und ihm eine Geistseele eingehaucht. Diese Ackerscholle war im Augenblick der Schöpfung des ersten Menschenpaares Paradieseserde. Also ganz makellose, heilige Erde! Aber in der Folge wurde diese reine, unbefleckte Erde durch den Fall des Adam kontaminiert, d.h. verunreinigt, vergiftet. Nicht nur Adam und Eva litten Schaden, sondern alle ihre Kinder, also das ganze Menschengeschlecht. Ja, seither sind wir, die wir als Früchte von dem Mutterboden des Adam und der Eva herstammen, belastet. 

Die Erbsünde, das ist nach der Lehre der Kirche gerade der Mangel an ursprünglicher Heiligkeit. D.h. daß wir nicht mehr aus der von der Gnade übernatürlich belebten, heiligen Paradieseserde, sondern aus der durch die Sünde Adams entstellten Erde stammen, deren Gifte uns hindern, gute Früchte, also übernatürlich gute, heilige Werke hervorzubringen.

Von der Erbschuld bewahrt

Von diesen Vorüberlegungen aus wird erst verständlich, wie wunderbar es ist, daß Gott in der allerseligsten Jungfrau Maria einen Neuanfang gesetzt hat. Der menschgewordene Gottessohn, der „neue Adam“, sollte nicht aus der Erde genommen sein, die durch den ersten Adam entstellt worden ist. Nein, es mußte eine paradiesische, eine geheiligte Erde sein, aus welcher der „neue Mensch“, unser göttlicher Erlöser, genommen werde. 

Die Heiligung dieses Mutterbodens, aus dem unser Heiland hervorsprossen sollte; die Heiligung der allerseligsten Jungfrau Maria vom ersten Augenblick ihres Daseins an, wird „Unbefleckte Empfängnis“ genannt und ist der Gegenstand der heutigen Festfeier. Sie ist ein Wunder, das uns in großes Staunen versetzen muß, denn wie uns die Oration belehrt, hat Gott in Voraussicht des Erlöserleidens Jesu Christi die allerseligste Jungfrau Maria von Anfang an vor jeder Belastung durch die Sünde bewahrt. 

Damit ist gesagt, daß die Erlösung in zweifacher Weise geschehen ist: Nämlich einmal in der Wiederaufrichtung des bereits in Sünde gefallenen Menschen, oder aber in der Bewahrung des nicht Gefallenen, daß er nicht in Sünde falle. Ohne Zweifel ist die zweite Art die vorzüglichere, weil auf diese Weise die Beschädigung oder der Makel, welchen die Seele immer von dem geschehenen Fall erleidet, verhütet wird. So sagt der hl. Antonin von Florenz: „Auf höhere Weise wird erlöst, für wen gesorgt wird, daß er nicht falle, als der Gefallene, der wieder aufgerichtet wird.“ – Freilich ist es besser, die chinesische Vase von vorneherein so sorgfältig zu bewahren, daß sie gar nicht zu Bruch gehen kann, als nach dem Unglück ihre Scherben wieder zusammenzukleben. Denn selbst wenn die mühsame Wiederherstellungsarbeit gelingt, es würden trotzdem die Bruchstellen für immer sichtbar bleiben. Man würde der Vase ansehen, daß sie schon einmal zu Bruch gegangen ist. – Der hl. Bonaventura sagt: „Es ist zu glauben, daß Maria im Augenblick ihrer Empfängnis vom Heiligen Geist durch eine neue Art von Heiligung von der Erbsünde erlöst und durch eine ganz einzigartige Gnade davor bewahrt wurde, nicht als wäre die Erbsünde in ihr schon gewesen, sondern damit die Erbsünde gar nicht in sie gelange“ (de BMV serm. 2).

Auch Maria mußte also erlöst werden. Die Unbefleckte Empfängnis mußte ebenfalls teuer mit dem kostbaren Blut Christi erkauft werden. Aber Gott hat in einem Wunder Seiner allwissenden und allweisen Vorsehung die Unbefleckte Empfängnis der Gottesmutter im Voraus geschenkt, noch ehe der Preis dafür am Kreuze Christi bezahlt worden war. 

Der entscheidende Unterschied zwischen der Erlösung der Jungfrau Maria einerseits und der Erlösung aller übrigen Menschen andererseits besteht somit darin, daß alle übrigen durch das Blut Christi von dem in ihre Seele eingedrungenen Schmutz der Erbsünde gereinigt werden mußten, während hingegen Maria als einzige von Gott „in der Voraussicht des Todes Seines Sohnes vor aller Makel bewahrt“ (vgl. Oration) worden ist. Wir haben den Erlöser, auf daß Er den ererbten Scherbenhaufen unserer Seele mittels Seiner Gnade wieder zusammenfüge. Die allerseligste Jungfrau hatte den Erlöser, auf daß Er mittels Seiner Gnade ihre Seele makellos bewahre, damit sie auch nicht den kleinsten Sprung aufweise. 

Darin besteht auch der wesentliche Unterschied der Unbefleckten Empfängnis zur Heiligung des hl. Johannes des Täufers im Schoß der Base Elisabeth. Der hl. Johannes wurde mit der Erbsünde empfangen und blieb die ersten sechs Monate der Schwangerschaft seiner hl. Mutter von der Erbschuld befleckt. Erst in dem Augenblick, als der Gruß Mariens an das Ohr der hl. Elisabeth drang, wurde Johannes im Mutterschoß durch eine wunderbare Einwirkung des Heiligen Geistes von der Erbschuld gereinigt. – Bei der Empfängnis Mariens hingegen bewirkte derselbe Heilige Geist, daß der Mutterboden, aus dem Maria geformt wurde, im Voraus durch das Blut Christi vollkommen durchtränkt worden war, so daß die toxischen Folgen der Sünde Adams überhaupt keinen Eingang finden konnten und Maria folglich auch keiner Reinigung bedurfte. So faßt der hl. Bernhard zusammen: „Du bist ein verschlossener Garten, wohin nie die Hand der Sünde zur Verwüstung dringen konnte.“

Voll der Gnade

Doch die Unbefleckte Empfängnis Mariens erschöpft sich nicht nur im Freisein von der Erbschuld. Der Erzengel Gabriel redete die allerseligste Jungfrau bei seinem Gruß mit den Worten an: „Sei gegrüßt, du Gnadenvolle“ (Lk. 1, 28). So wie der Name Adam das Wesen des ersten Menschen beschreibt, so benennt die Anrede des Erzengels das Wesen der Unbefleckten Empfängnis: „Gnadenvolle“! – Maria ist nicht nur frei von Sünde, sie hat „Gnade bei Gott gefunden“. – Und zwar nicht nur ein gewisses Maß an Gnade, sondern die Fülle der Gnade! Sie ist voll der Gnade! Alle Gnaden, die der Gottmensch Jesus Christus verdient hat, sind in Maria hineingelegt worden. An dieser wunderbaren, ganz einzigartigen Gnadenfülle der Unbefleckten Empfängnis erkennen wir, daß Maria von Gott mehr als alle anderen Engel und Heiligen zusammen geliebt wird. Gott liebte sie von Anfang an und erhob sie in ihrer Heiligkeit weit über alle anderen Kinder Gottes hinaus. Das Buch der Sprüche preist die herausragende Heiligkeit Mariens mit den Worten: „Viele Töchter haben sich Reichtümer gesammelt, du [Maria] hast sie alle übertroffen“ (Spr. 31, 29). – Wenn also Maria alle an Reichtümern der Gnade übertroffen hat, dann hat sie auch ganz selbstverständlich die Gnade der ursprünglichen Gerechtigkeit haben müssen, welche ja anfänglich den Stammeltern und den Engeln vor ihrer Prüfung von Gott zuteil wurde. Denn „voll der Gnade“ heißt, daß es keine Gnade gibt, die Gott jemals gespendet hätte oder jemals spenden wird, die sich nicht auch in Maria finden würde. Und so bemerkt der hl. Sophronius sehr schön: „Mit Recht wird sie voll der Gnade genannt, weil Maria sich die Fülle der Gnade auf einmal mitteilte, während anderen sie nur in Teilen gegeben wird.“ Ganz große und tiefe Zusammenhänge tun sich hier vor dem gläubigen Auge auf und lassen die gewaltige Größe der unbefleckten Jungfrau und Gottesmutter ein klein wenig erahnen.

Der Baum wird an der Frucht erkannt

Maria wird von der Liturgie und auch schon von den Vätern als das „tabernaculum“, also „das Gezelt“, oder auch als „die Wohnstätte“, das „habitaculum“, des Herrn bezeichnet. Aber Maria ist noch mehr als einfach nur ein Raum, in den der Gottessohn eingetreten ist, mehr als ein Gezelt, in dem Er vorübergehend Seine Wohnstätte aufgeschlagen hat. Maria ist der reine, makellose Boden, aus dem die göttliche Pflanze des Erlösers gewachsen ist. Sie ist die vitale Spitze des Sprosses David, die Wurzel Jesse. Und diese Spitze ist geheiligt. Aus dieser unbefleckten, mit allen erdenklichen Gnaden ausgestatteten Materie der allerseligsten Jungfrau Maria ist die heilige und anbetungswürdige Menschheit unseres göttlichen Erlösers genommen. Die Menschheit Christi stammt ganz aus Maria. Kein männlicher Same ist hier im Spiel gewesen. Auch von dieser Seite war jede Kontaminierung durch die Erbsünde vollkommen ausgeschlossen.

Und somit ist Jesus Christus ebenfalls ein Adam, ein „aus der roten Erde genommener“. Ein „zweiter Adam“, vom Heiligen Geist aus einer reinen, heiligen, paradiesischen Erde geformt, zum makellosen Opferlamm, das hinwegnimmt die Sünde der Welt. So sagt Hugo von St. Victor: „So wie das Lamm beschaffen gewesen ist, von derselben Beschaffenheit mußte auch die Mutter sein, denn jeder Baum wird an seiner Frucht erkannt.“ War also das Lamm Gottes unbefleckt, so mußte auch Maria stets unbefleckt sein, denn aus ihrem Stamm ist der Erlöser hervorgegangen.

Reinigung des Erdreiches

Wenn wir diese Zusammenhänge betrachten, dann erkennen wir auch die Bedeutung der Unbefleckten Empfängnis für unser eigenes religiöses Leben sehr deutlich. Wir sind aus der alten Erde genommen, aus dem Fleisch des „ersten Adam“. Und wie im Gleichnis Christi die drei Maß Mehl nur durch ein klein wenig Sauerteig nach und nach durchwirkt werden sollen, so soll die geheiligte marianische Materie sozusagen in unsere erbsündlich belastete Natur hineingemischt werden. So ähnlich spricht der hl. Paulus im 1. Korintherbrief: „Schafft den alten Sauerteig hinaus, damit ihr ein neuer Teig seid“ (1. Kor. 5, 7). Eine neue, geheiligte Erde.

Diese Durchdringung mit der Paradieseserde Mariens beginnt in der heiligen Taufe. Da wird der Mensch gereinigt, begossen und durchtränkt mit dem gnadenhaften Wasser des ewigen Lebens. Da wird das Seelenerdreich gleichsam überflutet mit dem roten Blut des Gotteslammes und in fruchtbares Erdreich verwandelt. Sie setzt sich fort in der hl. Firmung, wo durch den Chrisam das Salböl der Heilung und Heiligung von Christus, dem Gesalbten, in uns hineinfließt und unsere Seele durchwirkt. – Vor allem aber vollzieht sich diese Neuwerdung im Sakrament der hl. Kommunion. Denn darin kommt der neue Adam, der ganz aus der mit Gnaden gesättigten Paradieseserde stammt, zu uns. Unser belasteter Mutterboden, der von Eva herstammt, wird also sozusagen vom marianischen Mutterboden durchwirkt und gereinigt. Wir empfangen an der Kommunionbank den Leib unseres Herrn Jesus Christus. Jenen Leib, der ganz aus dem Stoff Mariens besteht.

Ja, wir haben vielleicht den persönlichen Eindruck, durch die Beichte wird in unserem Leben alles neu. Und das ist wahr! Jede gute Beichte ist ein Neuanfang. Aber die Kirche hat immer Wert darauf gelegt, daß die hl. Beichte als Vorbereitungssakrament auf die würdige hl. Kommunion verstanden wird. Denn die Vereinigung mit dem neuen Adam in der hl. Kommunion ist das Sakrament aller Sakramente. Sie gibt unserer Seele die göttliche Lebenskraft, übernatürliche Früchte hervorzubringen. Das Bußsakrament macht aus toter Seelenerde, die nur Disteln und Dornen der Sünde hervorbringt, reines Erdreich. Doch damit ein neuer Paradiesesgarten erblühen kann, der die Früchte guter Werke und der Tugend zeitigt, müssen wir den göttlichen Erlöser persönlich als Gärtner in unsere Seele einlassen und dort wirken lassen. Die Beichte ist die Bereitung des Bodens. Die hl. Kommunion ist die Aussaat des göttlichen Weizenkornes, welches dreißig-, sechzig-, hundertfältige Frucht bringt. – Hier also, wo der aus Maria genommene, neue Mensch in uns alte Menschen eingeht; hier vollzieht sich die Erneuerung!

Wurzeln schlagen in neuen Erdreich

So wollen wir also das Fest der Morgenröte unseres Heils, den Tag des ersten Aufleuchtens der göttlichen Gnadensonne, mit großer Freude und Dankbarkeit feiern. Wir wollen nach Möglichkeit heute nach dem Vorbild Mariens, in deren Schoß das ewige Wort Fleisch angenommen hat, bewußt, gläubig, sehnsuchtsvoll, liebeglühend und dankbar kommunizieren. So kommen wir wirklich in Berührung mit der Paradieseserde, die nicht verunreinigt werden kann, sondern die selbst alles reinigt, heiligt und übernatürlich belebt. In Maria muß unser ganzes christliches Leben tief einwurzeln, um Früchte der Heiligkeit hervorzubringen. Deshalb ruft uns die Unbefleckte heute zu: „Selig, der auf mich hört und an meinen Türen wacht alle Tage und harrt an den Pfosten meiner Pforte. Wer mich findet, der findet das Leben; und schöpft das Heil vom Herrn.“ Selig also, wer anklopft an den Pforten des neuen Paradieses, damit er Einlaß finde und dort das Heil empfange. Amen.

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