Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariä
Der verschlossene Garten Gottes
Geliebte Gottes!
Die Geschichte des Festgeheimnisses von der Unbefleckten Empfängnis Mariens führt uns weit zurück, bis an die Wiege des Menschengeschlechtes. – Als Gott die Welt ins Dasein rief, da schuf Er einen Garten der Wonne – das Paradies.
Paradiesesgarten
Von dem Erdreich dieses herrlichen Gartens nahm Gott Lehm, bildete einen menschlichen Körper und „hauchte in dessen Nase den Geist des Lebens“ (1. Mos. 2, 7) ein. Entsprechend seiner Genesis trug der erste Mensch den Namen „Adam“, das bedeutet, wie wir von der Sprachwissenschaft wissen, „Der von der roten Erde genommene.“ Aus ihm formte der Schöpfer dann auch Eva, die „Mutter der Lebendigen“. Aber Gott schuf sich in der Seele der Stammeltern wiederum einen geistigen Garten, einen noch vollkommeneren Garten, als den des äußeren Paradieses. Er schmückte die Seelen der ersten Menschen mit den Blüten eingegossener Tugenden, deren Wohlgeruch ihre Seele erfüllte. Unter dem wärmenden Schein der trauten Gottesfreundschaft wuchsen und reiften die Früchte des Heiligen Geistes. Bewässert wurde dieser übernatürliche Garten mit den Strömen der heiligmachenden Gnade. Gesichert und befestigt war er durch die Umfriedung des menschlichen Willens, der fest im Guten gegründet und verankert war. Zudem streute Gott auch den Samen der Unsterblichkeit in den Seelengarten der ersten Menschen hinein. So ausgestattet sollten sich die Stammeltern, Adam und Eva, nach dem ewigen Ratschluß des Schöpfergottes der ewigen Anschauung Seiner göttlichen Herrlichkeit würdig machen, indem sie Ihm durch die Einhaltung Seines Gebotes ihre Liebe im Gehorsam beweisen.
Verwüstung
Wie wir wissen, kam alles ganz anders. Der böse Geist drang in den Frieden des Gartens Eden ein. Er klopfte leise an die Herzenstore der Stammeltern und verstand es, sie mit dem lügnerischen Versprechen „Ihr werdet sein wie Gott“ (1. Mos. 3, 5) dazu zu bringen, ihm ihren Seelengarten zu öffnen. So konnte der Feind eindringen und den Mutterboden des Menschengeschlechtes mit der ersten Sünde vergiften.
Seitdem ist jeder Nachkomme dieses ersten Menschenpaares schon vom Augenblick seiner Empfängnis im Mutterschoß, von dem Moment an, da er ins Dasein tritt, mit dem verderblichen Gift der Ursünde behaftet. Diese eingeschleppte Fäulnis macht die Seele zur Sünde geneigt, bereitet ihr tausend Versuchungen und Kämpfe, welche leider bei den meisten Menschen nicht selten in der Niederlage und im Untergang der Todsünde enden. Das Erdreich unserer Seele ist durch die Erbsünde verdorben. Anstatt übernatürlicher Tugenden und den Früchten des Heiligen Geistes sprießt dort allerlei Unkraut, die tiefwurzelnden, unausrottbaren Disteln und Dornen der sieben Hauptsünden: Hochmut, Geiz, Neid, Unkeuschheit, Trägheit, Unmäßigkeit und Zorn. Und selbst unsere besten Früchte, jene guten Werke, die wir in bester Absicht zu tun meinen, sind oft von eitler Selbstgefälligkeit, von einer verborgenen Selbstsucht angefault und verkrüppelt. – Was Wunder, wenn nach der Verwüstung des Seelengartens auch die Tür des Paradiesesgartens für das Menschengeschlecht dröhnend ins Schloß fiel, um sich ihm nie wieder zu öffnen.
Doch Gottes Erbarmen neigte sich nieder und nahm dem unsäglichen Unglück wenigstens den schärfsten Stachel. Wenn der Allerhöchste auch das irdische Paradies nicht mehr wiederherstellen wollte, so verhieß Er doch einen erneuten Zugang zum himmlischen Paradies.
Der neue Mensch
Dazu aber wollte Gott ein neues Menschengeschlecht schaffen. Ein neues Geschlecht, das „nach Gott geschaffen ist in wahrer Heiligkeit und Gerechtigkeit“ (Eph. 2, 24). Einen neuen Stammvater wollte Er dieser neuen Menschheitsfamilie schenken; einen Stammvater, der wie Adam, genommen ist aus dem „roten Erdreich“ eines Gartens. – Diejenige, welche diesen neuen Adam bringen sollte, wird heute von der Kirche im Offizium mehrmals mit den Worten des Hohenliedes gepriesen: „Ein verschlossener Garten bist du!“ (Hdl. 4, 12).
Ja, die allerseligste Jungfrau Maria ist das makellose Erdreich, der neue, verschlossene Garten, in dem Gott lustwandelt. – Wie wunderbar ist dieser neue Garten Gottes, wie ist die Seele der unbefleckten Jungfrau, beschaffen? – Aus ihrem Gespräch mit dem Erzengel Gabriel, das wir soeben im Evangelium belauschen durften, können wir es heraushören. 1. Maries Seele ist unbeschreiblich schön: Deshalb rief Gabriel entzückt aus, „Du bist voll der Gnade!“ (Lk. 1, 28); „Du hast Wohlgefallen gefunden bei Gott“ (Lk. 1, 30). – 2. Ihr Seelengarten ist verschlossen: Das hören wir aus der Frage der Jungfrau Maria heraus: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ (Lk. 1, 34). Keinem Manne oder sonst einem Geschöpf, allein Gott stand das Herz der Unbefleckten offen. – 3. Und doch ist Maria überaus fruchtbar: „Was aus dir geboren wird, wird Sohn Gottes genannt werden“ (Lk. 1, 32). Lassen Sie uns ein wenig bei diesen drei Eigenschaften der unbefleckten Jungfrau Maria verweilen.
Die Schönheit des verschlossenen Gartens
Wenn wir uns die Schönheit des verlorenen gegangenen Paradieses mit all der Pracht, welche die Natur hervorzuzaubern vermag, ausmalen dürfen und müssen; wie schön müssen wir uns dann erst die übernatürliche Schönheit des geheimnisvollen Gartens Gottes – die Seele Mariens – vorstellen! Die Kirche preist die Schönheit dieses Gartens: „Ganz schön bist du, Maria, und die Makel der Sünde ist nicht in dir!“ Maria ist durch ein einzigartiges Privileg von der Verwüstung der Erbsünde bewahrt geblieben, indem die Verdienste des Leidens Christi im Voraus auf sie Anwendung fanden. Auch Maria mußte erlöst werden. Doch ist ihre Erlösung ganz anders als die unsere. Während wir im nachhinein vom Aussatz der Sünde geheilt werden müssen, wurde sie von vorneherein vor jeder Berührung mit der Pest beschützt. Wie hätte es Gott auch zulassen können, daß die Mutter dessen, der die Sünde der Welt am Kreuze austilgen und den Kopf der Schlange zertreten sollte; daß die Mutter dessen, der ein reines, heiliges Menschengeschlecht begründen soll, auch nur einen einzigen Augenblick unter dem Einfluß des Pesthauches der Sünde gestanden und damit eine Freundin des Teufels gewesen wäre? Wie hätte der heilige Gott dem niederträchtigen Feind einen solchen Triumph zugestehen können, daß die Mutter Seines göttlichen Sohnes auch nur einen Wimpernschlag lang der diabolischen Sklavenherrschaft unterworfen gewesen wäre? Das ist undenkbar! – Und wer könnte schließlich berechtigterweise sagen, daß es die Macht des Allerhöchsten übersteigen würde, das Erdreich der Seele Mariens vor dem Gift der Erbsünde zu bewahren? – „Potuit, decuit, ergo fecit“, sagen die Theologen. – Es stand in Seiner Macht. – Es ziemte sich. – Also tat Er es! – Gott bewahrte die Seele der allerseligsten Jungfrau Maria vom ersten Moment ihrer Empfängnis im Schoß ihrer hl. Anna vor jedem Makel der Erbsünde. Ganz rein, heilig und schön schuf Er sie – „voll der Gnade“ (Lk. 1, 28).
Wenn aber die unbefleckte Jungfrau keinen Makel der Erbsünde in sich trug, dann konnte auch später keine persönliche Schuld diesen neuen Paradiesesgarten Gottes beflecken. Denn: Fehlt der Unkrautsame, d.h. die Erbsünde, so kann auch kein Unkraut, d.h. keine persönliche Sünde, darin wachsen. Maria war dieser unheimliche, geradezu krankhafte Zug zum Bösen, der „Zündstoff zur Sünde“, welcher uns so vertraut ist, nicht nur völlig fremd, sondern ganz und gar unbekannt. Wenn es Gott nicht zuließ, daß der Same der Erbsünde in Maria Wurzeln fassen konnte, so ist folglich auch jede persönliche Sünde der allerseligsten Jungfrau Maria zur Gänze ausgeschlossen. Maria ist die einzige menschliche Person, die nicht an die Brust klopfen und bekennen muß: „Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld.“
Der verschlossene Garten
Die unbefleckte Jungfrau, dieser schöne Garten Gottes, war (zweitens) ein verschlossener Garten. Die Sünde konnte in sie gar nicht eindringen, wie wir gesehen haben. Denn: Wie Gott an den Eingängen des irdischen Paradieses Wächterengel mit Flammenschwertern aufstellte, so auch an der Pforte der makellosen Seele der Unbefleckten Empfängnis: Vor der Seele Mariens stand als Wächterin die Demut: Bei aller Heiligkeit und trotz ihrer hohen Würde als Gottesmutter und Königin des Himmels, begriff sich Maria in ihrer heiligen Einfalt stets als „Magd des Herrn“ (Lk. 1, 38) und Dienerin, ja wörtlich sogar als Sklavin des Herrn (griech.: δούλη = Sklavin). Eine Sklavin dient ihrem Herrn ohne einen Lohn dafür erwarten zu dürfen. Sie tut nichts aus sich selbst. Ihr Wille ist stets derselbe, wie der des Herrn. Maria mißtraute sich selbst und erwartete alles von der Gnade Gottes.
Des weiteren wacht am Eingang des Unbefleckten Herzens Mariens die Liebe zum Stillschweigen und zur Innerlichkeit, die sich nicht in das eitle, oberflächliche Getue und in das oft sündhafte Gerede über weltliche Dinge hineinstürzt. All ihr Sinnen war auf Gott ausgerichtet. „Sie dachte nach, was dieser Gruß bedeute“ (Lk. 1, 29). „Maria bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“ (Lk. 2, 19). Als in sich gekehrte Seele war sie fähig zum Denken und zur Kontemplation.
Beide Wächterinnen – Demut und Innerlichkeit – sind bewaffnet mit dem Schwert der Enthaltsamkeit und der Entsagung. Mit ihm wurden alle Verlockungen zu Bequemlichkeit, zur Zerstreuung und zur Selbstsucht von vorneherein zurückgeschlagen. So verschlossen und versiegelt konnte der neue Garten Gottes herrliche Früchte ansetzen. Denn die Fruchtbarkeit ist ihr drittes Charakteristikum.
Die Fruchtbarkeit des neuen Paradiesesgartens
Als der Heiland einmal einen unfruchtbaren Feigenbaum fand, da sprach Er einen Fluch über ihn aus, und siehe, am nächsten Morgen war er verdorrt. Über Maria sprach Gott Seinen Segen und sie wurde ein Garten, voll der Gnade, voll der schönsten Früchte. Unter dem Einfluß des Heiligen Geistes, dessen Führung sie sich ganz überließ, reiften in ihr die Früchte der Gottesliebe und aller anderen übernatürlichen Tugenden, in einem Maß, das wir uns gar nicht vorstellen können. – Mariens Dienste an ihrer Base Elisabeth beweisen, daß auch die Früchte der hilfsbereiten und opferwilligen Nächstenliebe nicht fehlten, genausowenig die der Hingabe und Geduld im Leiden. Bekanntlich stand sie unter dem Kreuz und wurde geistigerweise, gleichsam mit ihrem göttlichen Sohn zu einer Opfergabe verschmolzen, mitgekreuzigt. Doch mögen die Tugenden Mariens auch noch so erstaunlich und bewundernswert in ihr erblühen, ein Gewächs aus dem Erdreich, des neuen Paradiesesgartens Gottes, stellt alles in den Schatten. Es ist „die gebenedeite Frucht ihres Leibes“ (Lk. 1, 42) – Jesus.
Nachdem die allerseligste Jungfrau durch ihr „Fiat“ (Lk. 1, 38) die Zustimmung zu Gottes Erlösungsplan gegeben hatte, da sandte der Allerhöchste abermals, wie schon im Paradies, den Schöpfergeist mit dem Lebensodem, dem „spiraculum vitae“ aus, um auch dem „zweiten Adam“ Leben einzuhauchen. Der Heilige Geist mit Seinen Feuergluten kam über den Schoß der unbefleckten Jungfrau. „Der Heilige Geist wird über dich kommen“ (Lk. 1, 35). Und „die Kraft des Allerhöchsten überschattete sie“ (ebd.), damit sie eine solche Glut überhaupt ertragen konnte. – Wie am sechsten Schöpfungstag nahm Gott „rote Erde“, nämlich das unbefleckte Blut Mariens, und bildete daraus den Leib des neuen Adam, des neuen „von der roten Erde genommenen“ Menschen. Einen vollkommenen Leib und eine makellose Seele bildete Er und verband sie auf geheimnisvolle Weise mit der göttlichen Person des ewigen Wortes. So sollte, der aus dem neuen Paradiesesgarten geschaffene Erlöser, – vollkommener als der erste Adam – Gott und Mensch zugleich sein. Der Gottmensch Jesus Christus.
Unser Herz – ein verschlossener Garten
Wenn uns die Kirche heute in den herrlichen Gottesgarten der Unbefleckten Empfängnis hineinschauen läßt, so will sie uns dazu anregen, den Garten unseres eigenen Herzens recht zu bestellen und sorgsam zu pflegen. Auch unsere Seele gleicht einem Garten. Auch wir sind Kinder Adams, des „von der Erde genommenen“. Auch wenn die Erbsünde in unserer Seele ihr Verderben angerichtet hat, so sollen wir uns trotzdem bemühen, die ursprünglich von Gott beabsichtigte Schönheit wiederherzustellen und zu bewahren.
Hierzu müssen wir vor allem den Wildwuchs der Disteln und Dornen unserer Sünden, Fehler und Nachlässigkeiten immer wieder bei einer gut vorbereiteten Beichte ausreißen. Unkraut läßt sich nur in Schach halten, wenn man es klein hält. Außerdem müssen wir stets, besonders aber in dieser Zeit des Advent, den Same der Tugend aussähen. Das ist mühsam und kostet Überwindung. Aber „was der Mensch sät, das wird er auch ernten.“ (Gal. 6, 7): Pflanzen wir die Rosenstöcke der Gottesliebe, das Veilchen der Demut, die Lilien der Reinheit und ebenso die Passionsblume opferwilliger Geduld und Selbstverleugnung. Wie Maria in einer innigen Verbindung zu Gott stand, so wollen auch wir uns um innere Sammlung bemühen, wenn wir mit Gott im Gebet sprechen. Wir wollen uns mit Ihm so oft wie möglich vereinigen in der sakramentalen oder in der geistigen Kommunion und unsere Seele, durch die auf diese Weise mitgeteilte Fruchtbarkeit, auch in den Werken der Nächstenliebe zum blühen bringen. – Doch haben wir Acht! Für schädliche Einflüsse müssen die Tore unseres Seelengartens verschlossen bleiben. Die Augen müssen hermetisch abgeriegelt sein für schamlose Eindrücke – sowohl auf der Straße, als auch vor dem Bildschirm oder sonstwo. Die Augen müssen verschlossen sein für, seichte Lektüre oder schlecht gekleidete Personen. Rufen wir in der Versuchung zu Gott: „Wende ab meine Augen, damit sie nichts eitles sehen“ (Ps. 118, 37). Alle Sinne müssen wir bewachen! „Umzäune deine Ohren mit Dornen und höre nicht auf eine gottlose Zunge“ (Sir. 28, 28). Bewachen müssen wir unsere Gedanken und Phantasien. Wir dürfen sie nicht in eitlen Vorstellungen herumschweifen lassen. – Achte wir schließlich auch in unseren Umgangsformen und in unserer Kleidung auf christlichen Anstand, damit wir nicht andere zur Sünde reizen und womöglich ein Paradies zerstören, das Gott sich in einer anderen Seele geschaffen hat.
Wenn wir den Garten unseres Herzens nach dem Vorbild der Unbefleckten Empfängnis hüten und hegen, dann erlauben wir es Gott auch in unserer Seele auf ähnliche Weise wirksam zu werden, wie in der Gottesmutter. Er wird den Heiligen Geist mit seinen Gaben auch über uns kommen lassen und nach und nach die Züge des „neuen Adam“, Jesus Christus, aus dem Erdreich unserer Seele herausschälen. Jenen „neuen Menschen“, von dem der hl. Paulus spricht, „der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Heiligkeit und Gerechtigkeit“ (Eph. 2, 24). Darum wollen wir unsere himmlische Mutter um ihre Fürsprache anflehen: „O Maria, ohne Makel der Erbsünde empfangen – bitte für uns, die wir zu Dir unsere Zuflucht nehmen.“ Amen.