Zum 15. Sonntag nach Pfingsten
Die Eigenschaften der Reue
Geliebte Gottes!
Vom verlorenen Sohn heißt es im Gleichnis, daß er in sich ging und zu sich sprach: „Ich will aufstehen und zu meinem Vater zurückgehen“ (Lk. 15, 18). So muß jeder Sünder aufstehen und in fünf Schritten zum himmlischen Vater zurückkehren. Zum himmlischen Vater, der nach der Seele eines jeden Sünders Ausschau hält, wann er sich endlich bekehre, wann er endlich umkehrt und wann Er ihm endlich Seine göttliche Barmherzigkeit schenken kann. Nachdem wir den ersten der fünf Schritte betrachtet haben, welche der Sünder beim Empfang des heiligen Bußsakramentes tun muß – nämlich die Gewissenserforschung, also „Buße des Verstandes“ – so wollen wir nun den zweiten erforderlichen Schritt genauer unter die Lupe nehmen. Der zweite Schritt ist ein sehr entscheidender, ja der entscheidendste. Er ist das Herz des Bußsakramentes. Es ist die Reue. Zwei Gedanken wollen wir zunächst über die Reue betrachten: 1. ihre Notwendigkeit, und 2. ihre Eigenschaften.
1. Es ist notwendig die Sünden zu bereuen, ...
Um die Notwendigkeit der Reue einzusehen, ist eigentlich weiter nichts nötig als zu bedenken, was die Reue ist. Sie ist ein Schmerz der Seele und ein Abscheu über die begangenen Sünden. Der Schmerz muß kein fühlbarer Schmerz sein, sondern eine Willenshaltung, die das begangene Böse verwirft und aufrichtig sagen kann: „Es tut mir leid!“ – „Wenn ich jetzt in der gleichen Situation stünde, wie damals, als ich gesündigt habe, dann würde ich in den sündhaften Gedanken nicht einwilligen, das sündhafte Wort nicht aussprechen und das sündhafte Werk nicht tun wollen, sondern von mir stoßen und verabscheuen. Ich würde mich gegen die Sünde entscheiden.“ Diese Haltung des Bedauerns, ja, des Abscheus vor der Sünde ist das Wesen der Reue.
... denn Gott haßt die Sünde
Und diese Reue ist durchaus notwendig, damit uns Gott im Bußsakrament die Sünden nachläßt. – Warum ist das so? – Überlegen wir einmal: Wie ist Gott denn gegen die Sünde gesinnt? Er verbietet sie. Er bestraft sie. Sie ist Ihm ein Greuel. Er verabscheut sie. Er haßt sie mit einem ewigen unabänderlichen Haß, weil die Sünde Seine göttliche Ehre beschädigt und das ewige Heil Seiner Geschöpfe zerstört. Es ist nicht anders möglich, als daß Gott die Sünde haßt und verabscheut, denn Gott ist heilig. – Kann man sich nun vorstellen, daß Gott einem Menschen eine Sünde vergeben könnte, die dieser Mensch immer noch liebt, immer noch Gefallen daran findet, der sich vorbehalten will, wenn ihm danach ist, sie auch wieder und immer wieder zu tun? – Einem solchen Menschen kann Gott die Sünde nicht verzeihen! Das widerspricht der Heiligkeit Gottes.
Ganz anders ist es aber bei einem Sünder, der Gott gerade darin ähnlich wird, daß er die Sünde haßt, wie Gott es tut. Daß er sich von seinem bösen Gedanken, Worten, Werke und Unterlassungen mit Grausen abwendet, sie verwirft, sich wünscht sie niemals begangen zu haben und fest entschlossen ist, sie niemals wieder zu tun. Einem solchen Sünder zu verzeihen, das ist nachvollziehbar. Dazu ist Gott bereit, da der reumütige Sünder durch seine Reue zu Seinem Freund geworden ist. Freundschaft besteht ja wesentlich darin, daß die Freunde dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen. Nun will aber der reumütige Sünder dasselbe wie Gott, nämlich die Sünde hassen. Und damit will er gleichzeitig auch das nicht, was Gott nicht will, nämlich die Sünde tun. Der reumütige Sünder ist eins mit Gott in dem Haß gegen die Sünde. Er will fortan heilig sein wie Gott. Er wendet sich von seinen finsteren Werken ab und will nur noch im Licht des göttlichen Willens wanden. Weil der Sünder fortan heilig sein will, wie Gott heilig ist, so wird er von Gott geliebt und erfährt Verzeihung der Sünden, die er bereut.
... denn ohne Reue ist die Vergebung ausgeschlossen
Die Notwendigkeit der Reue für eine gültige Beichte hat also ihre Wurzel in der Heiligkeit Gottes. Wie sich nun Gott nicht ändert und nicht ändern kann, so kann es auch von der Notwendigkeit der Reue keine Ausnahme geben. Ohne Reue werden keine Sünden nachgelassen! Das ist so. Das war immer schon so. Und das wird auch immer so bleiben. Ohne Reue, keine Verzeihung! Das ist eine Regel ohne jegliche Ausnahme!
Die Reue ist das einzige, wovon es für keinen Pönitent einen Entschuldigungsgrund geben kann. – Wer wird von einem Fieberkranken oder geistig Verwirrten, der kaum einen Augenblick lang seine Gedanken beisammen halten kann, verlangen, daß er sein Gewissen so gründlich erforsche wie ein Gesunder? Niemand. – Wer wird von einem Sterbenden, welcher der Sprache nicht mehr mächtig ist verlangen, daß er sein Sündenbekenntnis so abgelegt, wie ein Gesunder es tut? Niemand. – Wer sollte von einem Sterbenden noch Bußwerke verlangen, wenn ihn der Tod in wenigen Augenblicken ereilt? Niemand. – Aber Reue muß der Sünder haben! Wenigstens im Herzen mit die Reue da sein, wenn er sie auch nicht mehr in der Form eines Reuegebetes, wie es sich in der Beichtandacht findet, ausdrücken kann. Ohne Reue keine Verzeihung! Deshalb ist die Reue das allernotwendigste für die hl. Beichte. Und deshalb muß man sich in der Beichtvorbereitung auch sorgfältig Zeit dafür nehmen, diese Reue zu erwecken.
... die Reue ist Materie des Bußsakramentes
Die Notwendigkeit der Reue ergibt sich schließlich auch daraus, daß die Reue Materie des Bußsakramentes ist. Bekanntlich besteht jedes Sakrament aus zwei notwendigen Teilen: aus der Materie und aus der sakramentalen Form. – Die Materie, also der stoffliche, oder besser gegenständlich Teil des Altarsakramentes ist beispielsweise das Brot bzw. der Wein. Die sakramentale Form, das sind die Wandlungsworte, durch welche die Materie „umgeformt“ und dadurch in ihrem Sein „gewandelt“ wird. – „Das ist mein Leib“, „Das ist der Kelch meines Blutes“ usw. Wenn also entweder die Materie oder die sakramentale Form fehlt, dann kommt das Sakrament nicht zustande. Ist nur eines von beiden vorhanden, so ist das Sakrament ungültig.
Die Form des Bußsakramentes, also die notwendigen Worte, spricht der Priester: „Ich spreche dich los von deinen Sünden“ usw. Was aber ist die Materie, welche durch diese Worte „geformt“ wird? – Es ist keine stoffliche Materie, wie etwa beim Altarsakrament das Brot und der Wein. Es ist eine „geistige“ Materie. Es ist das Bekenntnis der Sünden und die Reue im Herzen des Pönitenten! Damit die Sünde vergeben und aus der Seele ausgetilgt werden kann, müssen sich die Worte der priesterlichen Lossprechung mit der tatsächlich vorhandenen Reue in der Seele des Beichtenden verbinden. – Wo also die Reue fehlt, da fehlt die Materie. Ein Priester, dem es vielleicht nicht auffällt, daß der Pönitent die Sünden, die er zwar bekannt hat, tatsächlich gar nicht bereut, wird ihn mit den Worten der Lossprechung absolvieren. Doch diese Worte gehen ins Leere. Sie gehen ins Leere weil die Materie, die Reue fehlt, weil sich die Worte der Form nicht mit einer Materie verbinden können. Es ist als würde der Priester bei der Wandlung die Konsekrationsworte sprechen, ohne etwa Brot gegenwärtig zu haben. Die Worte gingen ins Leere. Es fände keine Wandlung statt, weil nichts da ist, was gewandelt werden könnte. So ist es auch bei der Beichte. Wenn nichts bereut wird, gibt es nichts wovon losgesprochen werden könnte. Einer Beichte, die der Reue mangelt, fehlt das Wesentlichte. Folglich kommt das Sakrament nicht zustande und dann eben auch keine Verzeihung.
2. Die Reue muß ...
Wie muß nun aber unsere Reue beschaffen sein, so daß sie eine gültige Materie für den Empfang der heiligen Beichte darstellt? Sie muß drei Eigenschaften besitzen. 1. Sie muß innerlich sein. 2. Sie muß allgemein sein. Und 3. sie muß übernatürlich sein.
... innerlich sein
Zuerst muß die Reue innerlich sein. Das heißt, die Reue muß von Herzen kommen; also ein aufrechter und ehrlich gemeinter Abscheu vor der Sünde als dem größten Übel. Es ist demnach nicht damit getan irgendein Reuegebet zu beten – sei es aus dem Schott oder aus dem Gesangbuch oder sonstwo her. Dort betet man zwar: „O mein Gott und Herr, alle meine Sünden sind mir von ganzem Herzen leid.“ Wenn die Worte jedoch nicht mit unserer inneren Herzensgesinnung übereinstimmen sollten, was sagen wir da? Eine Lüge! Eine Lüge sagen wir, und zwar ins Angesicht Gottes. – Ist ein abphotographiertes Feuer ein wirkliches Feuer? Nein! Brennt es? Nein! Ist es heiß? Nein! Kann man sich daran wärmen? Nein! – Ist eine Reue, die bloß in Worten besteht, wirkliche Reue? Nein! Kann sie zum Empfang des Bußsakramentes dienen? Nein! Kann sie Verzeihung bewirken? Nein! Immer wieder, nein! Wenn wir also noch so viele Reuegebete hersagen würden und die Worte nicht wirklich und wahrhaftig mit unserer inneren Herzensgesinnung übereinstimmen, so ist es keine Reue, ebensowenig wie das Foto von einem Feuer, ein echtes Feuer ist. Die Reue muß also wahrhaftig sein. Das Innere unseres Herzes muß mit den Worten der Reue übereinstimmen. Dann ist die Reue innerlich.
... allgemein sein
Die Reue muß zweitens allgemein sein. Das heißt, man muß alle Sünden, wenigstens alle Todsünden bereuen. Wenn jemand drei tödliche Wunden hat und nur zwei verbinden läßt, so ist die eine unbehandelte Wunde allein hinreichend, ihm den Tod zu bringen. Jede Todsünde ist eine tödliche Wunde für die Seele, die sie unweigerlich in den Tod der ewigen Verdammnis reißt. Wenn ein Sünder von drei Todsünden nur zwei bereut und eine nicht, so kann er wegen der einen nicht bereuten Todsünde nicht gültig losgesprochen werden. Um von der Sünde geheilt zu werden müssen ausnahmslos alle Todsünden bereut werden. – Wie wäre es aber, wenn jemand nur läßliche Sünden auf dem Gewissen hätte, braucht dieser Sünder dann nichts bereuen? – Doch gewiß! Wie gesagt: Wer gültig beichten will, muß Reue erwecken. Die Reue bildet die für das Bußsakrament notwendige Materie ohne die das Sakrament sonst nicht zustande kommen kann. Deshalb ist es auch nötig für jene, die eine sogenannte „Andachtsbeichte“ ablegen, sich vorher gründlich zu erforschen und auch die läßlichen Sünden nicht nur zu bekennen, sondern auch wirklich zu bereuen. Die Reue muß allgemein sein. Sie muß sich auf alle Sünden im Allgemeinen und auf jede einzelne Todsünde im besonderen erstrecken.
... übernatürlich sein
Die Reue muß drittens übernatürlich sein. Diese Eigenschaft ist am schwierigsten zu verstehen und doch von allergrößter Bedeutung. Die Reue besteht darin, daß uns die Sünde wie gesagt ehrlich leid tut. Wenn uns etwas leid tut – mag es sein, was es will – dann ist auch ein Grund vorhanden, warum es uns leid tut. Dieses „warum“, das Motiv der Reue, ist nun von entscheidender Bedeutung. – Wenn uns etwas leid tut, so deswegen, weil eine Sache, die wir begangen haben, – sei es am Leib oder an der Seele – Schaden verursacht oder sonstige schlimme Folgen hat, gehabt hat oder haben wird. Sei es für uns selbst, oder für andere. Sei es in Wirklichkeit oder im bösen Wunsch. Eine Sünde richtet jedoch auf verschiedenen Ebenen Schaden an und daher gibt es auch verschiedene Beweggründe warum einem eine Sünde leid tun kann. Diese unterschiedlichen Motive, warum uns eine Sache leid tut bilden verschiedene Arten der Reue. Was sind das für Gründe? Zur Veranschaulichung bedienen wir uns einiger Beispiele: Der Alkoholiker etwa liegt als körperliches und seelisches Wrack auf dem Krankenbett. Er sieht, wohin ihn die vielen Sünden der Unmäßigkeit im Trinken gebracht hat. Er verflucht und verabscheut diese Sünde, weil sie seinen Körper ruiniert, sein Leben, seine Ehe, seine Familie, seinen Lebensunterhalt zerstört hat. Er bereut seine Unmäßigkeit, weil er sich selbst dadurch geschadet hat.
Der Inhaftierte Schwerverbrecher verwünscht und bereut im Gefängnis sein Verbrechen. Warum? Vielleicht, weil es ihn um seine Freiheit gebracht hat. Also wegen der Folgen, die seine Sünde ihm im Bezug auf seine Freiheit eingebracht hat. Wiederum bereut er lediglich deswegen, weil er sich selbst damit geschadet hat. – Andere Sünden untergraben die Gesundheit, schwächen den Geist, bringen um Ehre und guten Ruf, häufen Schande auf das Haupt des Sünders, oder sind ihm selbst peinlich, weil er sich dadurch vor anderen erniedrigt hat. Wenn man nun lediglich aus solchen Gründen seine Sünden bereut, ja vielleicht sogar mit bitteren Tränen beweint, so ist das zweifelsohne eine Reue. Einverstanden. Vielleicht ist es eine sehr ernstgemeinte und „innerliche Reue“. Vielleicht sogar eine umfassende „allgemeine Reue“. – Aber, und das ist der springende Punkt: Es ist bloß eine „natürliche Reue“! Die Personen in den genannten Fällen bedauern ihr Fehlverhalten nur wegen der Folgen für ihr irdisches Leben. Es steht doch nur meine Gesundheit, meine Freiheit, mein Ansehen, meine Selbstachtung, die Misere für mein irdisches Leben im Zentrum. Der gekränkte Stolz des eigenen Ich ist das Motiv, ist der eigentliche Grund, für solch eine Reue. „Ach hätte ich das bloß nicht gesagt oder getan, dann ginge es mir jetzt besser. Dann wäre es nicht zu diesem Zerwürfnis gekommen. Dann wäre ich noch gesund. Dann wäre ich noch ein freier Mann. Dann stünde ich noch mit gutem Gewissen vor mir selbst da.“ Diese bloß natürlichen Motive sind jedoch für den gültigen Empfang des Bußsakramentes unzureichend. Die Reue muß übernatürlich sein!
Wann ist die Reue aber übernatürlich? Wenn wir die Sünde bereuen wegen ihrer schlimmen Folgen in bezug auf Gott und für unser ewiges Leben. Die Sünde beleidigt Gott. Sie beraubt uns der heiligmachenden Gnade, der sieben Gaben des Heiligen Geistes, der übernatürlichen Tugenden und all unserer Verdienste! Die Sünde raubt uns den Himmel, stürzt in das ewige Feuer, verfeindet uns mit Gott, hat den Heiland gekreuzigt und kreuzig ihn erneut. Das sind auch Folgen einer jeder Sünde, schlimme Folgen, viel schlimmere Folgen als die hinsichtlich meines irdischen Glückes und Wohlbefindens. Es sind Folgen für das ewige Leben, das Gott mir schenken will. Wenn wir die Sünden wegen dieser Folgen in Bezug auf die Ehre Gottes und mit Blick auf das ewige Leben bereuen, dann ist die Reue übernatürlich. Sie regt sich aufgrund eines übernatürlichen Motivs in der Seele.
Daß die Sünde in vielen Fällen an der Gesundheit, am Vermögen, an der Freiheit, an der Ehre, am Familienglück schadet, kann auch ein Grund sein zu bereuen. Auch diese Motive sind berechtigt! Aber mit all diesen natürlichen Gründen muß es unbedingt auch übernatürliche Gründe geben, weshalb wir jetzt wünschen, die Sünde nicht begangen zu haben. So lehrt es der Katechismus also: „Die Reue ist übernatürlich, wenn man seine Sünden aus einem Beweggrund bereut, den der Glaube uns lehrt, z. B. weil man Gott beleidigt, den Himmel verloren, die Hölle verdient hat.“ Bitten wir die allerseligste Jungfrau Maria – sie, welche die Zuflucht der Sünder ist –, daß sie uns bei Gott die Gnade erflehe, einen wahren Abscheu gegen die Sünde in unserer Seele erwecken zu können. Eine Reue, die innerlich ist, allgemein und übernatürlich. Amen.