Zum Sonntag in der Herz-Jesu-Oktav
Arme Gerechte!
Geliebte Gottes!
Als der Sohn Gottes daranging, zu uns Menschen auf die Erde herabzusteigen, da schuf ihm der Heilige Geist ein Gefäß, ein Gefäß, in dem Er die ganze unendliche Liebe Seiner Gottheit bergen sollte. Dieses heilige Gefäß, aus dem reinsten Blut der unbefleckten Jungfrau Maria gebildet, ist das gottmenschliche Herz unseres Erlösers Jesus Christus. Ein Menschenherz, aber ganz anders als das unsere. Ein Menschenherz so groß, so rein, so lauter, so stark und vollkommen, daß darin die ewige und unermeßliche Liebe Gottes wohnte; eine Liebe, die nur dieses Herz kannte und sonst keines mehr. Dieses Herz wurde zerschlagen. Zerschlagen um unserer Missetaten willen. Mit der Lanze durchbohrt! Wie hat sich dieses Herz verströmt! Wie hat es seine unendlich Liebe ausgegossen! Wenn wir andächtig und aufmerksam die Evangelien lesen, da wird es uns warm ums Herz, wenn wir den Herrn betrachten, wie Er redet und wie Er handelt. „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ (Mt. 11, 28). „Lernet von mir, denn ich bin sanft und demütig von Herzen“ (Mt. 11, 29). Er geht den Verirrten, den Gestrandeten, den Verlorenen nach. Der reuigen Ehebrecherin hat er sich angenommen: „Auch ich werde dich nicht verdammen. Geh hin und sündige nicht mehr!“ (Joh. 8, 11). Dem reuigen Schächer am Kreuz verheißt er: „Noch heute, wirst du mit mir im Paradiese sein“ (Lk. 23, 43). Alles in allem läßt sich die suchende Liebe des heiligsten Herzens Jesu in dem Wort zusammenfassen: „Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder“ (Mk. 2, 17). Ja, das ist die Sendung des heiligsten Herzens Jesu, nicht Gerechte zu berufen, sondern Sünder.
Eine größere Freude?
Dieses Sendungsbewußtsein deckt sich genau mit dem Abschnitt des heutigen Evangeliums vom Sonntag in der Herz-Jesu-Oktav. Da lesen wir den Ausruf: „Ich sage Euch, ebenso wird im Himmel Freude sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen“ (Lk. 15, 7). Wenn wir diesen Satz nur oberflächlich lesen, dann könnte aus dem ersten Wort – „Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder“ (Mk. 2, 17) – ein verhängnisvolles Mißverständnis entstehen. So, wie es gesagt ist, könnte man meinen, daß nämlich die Bewahrung der Taufunschuld und der damit einhergehenden Gerechtigkeit gar kein so erstrebenswertes Ziel sei. Daß es sich stattdessen eher lohne, so richtig drauf los zu sündigen, sich auszutoben und auszuleben, sich im Schlamm der Sünde zu suhlen, um dann nachher ein wahres Prachtexemplar eines heimkehrenden Sünders auf den Schultern des Guten Hirten abzugeben, damit es dann im Himmel eine um so frenetischere Festfreude gäbe. – Ganz abgesehen von dem Risiko, ob es dann noch zur Buße reicht – wie viele wurden nicht schon während sie sündigten vom Tode ereilt, so daß keine Zeit mehr für Reue geschweige denn Buße blieb. Ganz abgesehen davon, kann das doch unmöglich der wahre Sinn des Herrenwortes sein, daß im Himmel größere Freude über einen bekehrten Sünder herrsche als über 99 Gerechte.
Die „Gerechten“
Hätten wir die Stimme Christi gehört, so wäre wohl durch den Klang, wie Er das sagte, einiges richtiggestellt worden. So aber müssen wir uns schon einige Mühe machen, um Ihn richtig zu verstehen. Christus spricht über bestimmte Leute zu ganz bestimmten Leuten! Der Sünder ist anwesend und die 99 Gerechten auch. Da ist die Rede von murrenden Pharisäern und Schriftgelehrten, denen es nicht paßt, daß unser Herr sich mit Sündern und Zöllnern abgibt, sich mit ihnen an einen Tisch setzt – ja, gleichsam freundschaftlichen Umgang mit ihnen pflegt. Sie sind die 99 Gerechten. Wir müßten beim Lesen in unseren Bibelausgaben allerdings noch Anführungsstriche dazu lesen. Sie sind „Gerechte“! Sie hatten nämlich ihre eigene Auffassung vom gerechten Menschen verinnerlicht. Dazu gehörte die peinlich genaue Beobachtung gewisser Gebräuche – etwa den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel zu geben (vgl. Mt. 23, 23). Unwichtig schien ihnen hingegen das ein oder andere Gesetz Gottes oder auch die Gesinnung der Demut und Liebe. Sie hatten sich ihre eigene Moral gemacht und ihre eigenen Wertvorstellungen festgelegt: was gut, was schlecht, was lau, was übertrieben, was nüchtern und was fanatisch ist. Sie wußten, was „gerecht“ war, wobei sie Mücken siebten und Elefanten verschluckten (vgl. Mt. 23, 24). Letzten Endes waren sie sehr arrogant und glaubten, der Herrgott könne sehr froh sein, daß es noch überhaupt Leute ihres Schlages gäbe. Sie waren gerecht in ihren eigenen Augen, und wähnten sich deshalb als gerechtfertigt vor Gott. Von Liebe zu Gott aber, von Dankbarkeit gegen Seine Güte und Hilfe, von Verständnis für andere, die es schwerer haben als sie, vom Eifer, gerade diesen beizustehen und zu helfen, kann keine Rede sein. Viel echte Leistung frommer Gesetzestreue wird in ihrem Wert gemindert durch diesen Gesinnungsmangel. Der Herr beurteilt sie eigentlich noch gnädig, wenn Er sie „Gerechte“ (in Anführungszeichen) nennt. Mit einer eigenartigen Betonung allerdings.
Die Sünder
Die Sünder sind in unserem Fall die Zöllner und ähnliche Leute. Man darf sich darunter nicht einen Staatsbeamten von heute vorstellen. Damals zog der römische Staat selbst nicht unmittelbar Steuern ein, sondern ließ sich das durch Schätzung ermittelte Steueraufkommen einer Provinz oder einer Stadt von einem kapitalkräftigen Mann vorstrecken. Dieser erhielt dann das Recht, die Summe – mit Zinsen versteht sich – von den in diesem Gebiet lebenden Menschen wieder hereinzuholen. Um diese nicht ganz unerhebliche Summe wieder einzutreiben brauchte der Reiche einen Stab von Mitarbeitern, die ohne Gehalt, eben wieder mit Prozenten, arbeiteten. Kleinlich und mit Skrupeln behaftet durfte so ein „Zöllner“ natürlich nicht sein, wenn er nicht Hungers sterben wollte. Und das waren sie auch nicht. Als Blutsauger und Parasiten waren sie im Volk verhaßt. Aber es ist wohl möglich, daß manch einer besser war als sein Ruf. Man hätte erwarten können, daß diese Menschen, deren Beruf es war, den widerwilligen Bürger soviel Abgaben als möglich abzupressen, hartgesottene Materialisten gewesen sind. Aber siehe da, so hart waren sie nun auch wieder nicht. Ihr übler Leumund war ihnen auch nicht gleichgültig. Jedenfalls drängten sie zu Jesus, um Ihn zu hören, Ihn, der nicht von materiellen, sondern von geistigen Gütern redet; von Gott und Seele, von Schuld und Vergebung, vom Gottesreich und der Ewigkeit. Und wie sie zuhörten! Der seltene Fall von Menschen, die eine Predigt direkt auf sich selbst beziehen und dann auch noch keinerlei Entschuldigungen vorbringen. Sie werden sicher nicht von heute auf morgen Engel geworden sein, und nicht alle gleich wie etwa der Zöllner Zachäus ausgerufen haben: „Siehe, Herr, die Hälfte meines Besitzes gebe ich den Armen, und wenn ich jemand betrogen habe, so erstatte ich es vierfach“ (Lk. 19, 8). Aber sie hatten doch den besten Willen wiedergutzumachen.
Der Vergleichspunkt
Diese beiden Typen von Gerechten und Sündern, und nur diese beiden, werden im Gleichnis vom Guten Hirten und der verlorenen Drachme miteinander verglichen. Die Selbstgerechten mit den bußfertigen Sündern. Da schneidet der bußfertige Sünder bei weitem am besten ab – 1 zu 99 mehr Freude! – gegenüber dem Selbstgerechten, der nach seiner unmaßgeblichen Meinung der Buße nicht bedarf. Der eingangs erwähnte Fall, daß ein Mensch in demütigem Gebete und heroischer Liebe zu Gott es schließlich schafft, ein Leben lang ohne schwere Schuld durchzukommen, ist hier überhaupt nicht berücksichtigt! Christus hat auf keinen Fall etwas sagen wollen und können, was zum Beispiel auf Seine reinste Mutter, die unbefleckte Jungfrau Maria angewandt, sehr merkwürdig geklungen hätte.
Wir aber tun gut daran, nicht allzulange beim Vergleichen zu verweilen, sondern nur das eine Vergleichsstück zu beherzigen, die Freude über den bußfertigen Sünder. Nicht über den Sünder wohlgemerkt, sondern über den „Sünder, der Buße tut“ (Lk. 15, 10). – Es liegt ein wunderbares Wohlwollen in den Worten des Herrn über den Büßer. Deshalb auch so klare Worte über die Freude des Himmels über den bekehrten Sünder. Danach verlangt Sein heiligstes Herz. Das Entscheidende ist also die Bußfertigkeit! Der Sünder ohne Bußfertigkeit wird verdammt. Auch der in seinen eigenen Augen „Gerechte“ läuft Gefahr verdammt zu werden, weil er sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit etwas vormacht, sich in Sicherheit wähnt und unterläßt, was in diesem Leben von uns allen verlangt ist – Sühne zu leisten. Um das einzufordern, ist der Heiland der hl. Margareta Maria Alacoque erschienen, um die Menschen zur Buße und zur Sühne aufzufordern. Damit aus bloßen Sündern Sünder werden, die Buße tun.
Wir bedürfen der Buße!
Am Kreuz konnte unser Herr in Seiner Todesqual für Seine Peiniger beten: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk. 23, 34). Er kannte einen gerechten Entschuldigungsgrund für Seine Henker. Diese rohen Gesellen wußten nicht, was sie taten. Wir schon! Wir wissen, was wir tun. Wir wissen, was wir tun müßten. Und auch das Heiligste Herz Jesu weiß, daß wir es wissen. Deshalb beklagte sich der Heiland bei der hl. Margareta Maria Alacoque, daß Ihm die unendlich barmherzige Liebe Seines göttlichen Herzens durch die Menschen mit allerlei Undank, Kälte und Gleichgültigkeit vergolten wird. Deshalb verlangt unser Herr Sühne. Besonders die Herz-Jesu-Freitage sollen jeden Monat eine besondere Gelegenheit dazu sein. – Sühnen heißt, das Böse nicht bloß bereuen, sondern wiedergutmachen, gleichsam aus der Welt schaffen. Es ist die Gesinnung „des Sünders, der Buße tut“. Sühne heißt wiedergewinnen, was durch die Sünde verlorenging. Sühne muß sein. Wir müssen wiedergutmachen, was wir in unserem Leben durch Schuld und Sünde gefehlt haben. Sühne also für die eigenen Sünden. – „Ach Herr, was du erduldet, ist alles meine Last. Denn ich hab das verschuldet, was du getragen hast. Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat! Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad!“ Sühne für eigene Sünden. Es bedarf aber auch der Sühne für die Sünden anderer. Wir können auch für andere sühnen kraft der Gemeinschaft der Heiligen. Gott nimmt die Sühne, die wir für andere leisten, an. – Wer hingegen die Notwendigkeit der Sühne nicht erkennt oder sich zur Wiedergutmachung und Besserung nicht veranlaßt sieht, der trägt die Gesinnung jener Selbstgerechten in sich, die meinen „der Buße nicht zu bedürfen“.
Im 18. Jahrhundert regierte in Frankreich König Ludwig XV. (1710-1774). Ein erbärmlicher König. Ein Mann der Unzucht, ein Mann der Genußsucht und Bequemlichkeit. Ein Mann der Schwäche, der sicher auch zu seinem Teil das Verhängnis der Revolution, das Frankreich unter der Herrschaft seines Nachfolgers heimsuchen würde, heraufbeschworen hat. Aber Ludwig XV. hatte eine Tochter, Louise (1737-1787). – Louise-Marie de Bourbon trat in ein Kloster ein, um für ihren sittenlosen Vater zu sühnen. Im Karmeliterorden wurde aus der Bourbonen-Prinzessin Schwester Thérèsia de Saint-Augustin. Sie weihte ihr Leben Gott als Opfergabe, damit sich ihr Vater wie der hl. Augustinus bekehre. Und ihre Sühne war nicht vergebens. Auf dem Totenbett hat König Ludwig XV. eine öffentliche Erklärung an sein Volk gerichtet, in der er sein Leben verurteilte.
Sühne leisten, das ist auch unsere Aufgabe. Freiwillig die Widrigkeiten einer schlechten Gesundheit, großer Arbeitslast, von Anfeindungen und Ungerechtigkeiten anzunehmen und aufzuopfern; freiwillige Bußwerke; Werke der leiblichen, aber vor allem der geistigen Barmherzigkeit; sich aus Liebe zu Gott einzusetzen für die Gerechtigkeit, d.h. für die Rechte Gottes in meinem Leben und dann generell. Es gibt heute leider nicht mehr viele Sühneseelen. Um so mehr sind wir dazu aufgerufen. Und so wollen wir uns heute in der hl. Kommunion ganz dem Heiligsten Herzen Jesu übergeben. „Göttliches Herz ich verbinde mein Herz innig und fest mit Dir. Entflamme es mit Deiner göttlichen Liebe! Nichts soll mich bis zum Ende meines Lebens von Dir trennen. Meiner eigenen Erbärmlichkeit eingedenk will ich, der ich mit Sünde beladen bin, Dir wohlgefällige Buße tun, damit einst im Himmel eine größere Freude sein wird als über die armen Selbstgerechten, die fälschlich meinten, der Buße nicht bedurft zu haben.“ Amen.