Zum Fronleichnamsfest
Triumphzug der kleinen Hostie
Geliebte Gottes!
Schon vor wenigen Tagen durften wir am Dreifaltigkeitsfest das erhabenste und faszinierendste Geheimnis unserer Religion im Glauben betrachten – den einen Gott in drei Personen. Heute öffnet die Kirche schon wieder ihre Schatzkammer, um uns eine weitere geheimnisvolle Kostbarkeit vor das gläubige Auge zu stellen und uns abermals dazu aufzufordern anzubeten. Die Kirche hat hierfür sogar eine eigene Gerätschaft entwickelt – die Monstranz –, die uns das Allerheiligste Altarsakrament, die kleine weiße Hostie, zur Anbetung präsentiert. Wir Katholiken sollen ja generell nichts gedankenlos tun. Erst recht sollen wir nicht gedankenlos anbeten.
Der Schatz
Der hl. Thomas von Aquin, der die Gebete, Lesungen und Hymnen der gesamten Fronleichnamsliturgie zusammengestellt hat, bringt uns in seiner Festpredigt auf staunenswerte Gedanken. Er sagt: „Es gibt kein, und es gab auch nie ein Volk, wenn es auch noch so groß war, das die Gottheit so nahe hätte, wie unser Gott uns nahe ist.“ Schon durch die Menschwerdung des Gottessohnes hat die Liebe Gottes die unendliche Kluft zwischen der transzendenten Gottheit und dem Geschöpf überwunden; eine Kluft, die noch tiefer und unüberwindlicher gemacht wurde durch die Sünde. Die Fleischwerdung des göttlichen Wortes war ein erster Brückenschlag über diesen unüberwindlich scheinenden Abgrund. Schon dieser erste Schritt Gottes, mit dem Er dem gefallen Menschengeschlecht entgegenkam, gibt ein fast schon unglaubliches Zeugnis Seiner unendlichen Liebe. Doch daß sich Gott selbst soweit erniedrige, daß Er in Gestalt einer Speise den Weg bis in unser Herz auf sich nehme, um uns dadurch so nahe zu sein zu können wie sonst nichts und niemand anderes; daß Er wirklich und wesentlich zu uns kommen und in uns wohnen will, das ist ein Gedanke, der selbst die kühnsten Träume des Menschen übertrifft und unsere Herzen eigentlich vor Freude, Dankbarkeit und Liebe zum Zerspringen bringen müßte.
Liebe macht erfinderisch. Deshalb ersann die weise Liebe und liebende Weisheit Gottes die kleine weiße Hostie; das Wunderbrot, welches die göttliche Substanz in sich enthält. „Ich bin das lebendige Brot das vom Himmel herabgekommen ist“ (Joh. 6, 51). „Das Brot das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt“ (Joh. 6, 52). Unter der unscheinbaren Gestalt der heiligen Hostie ist Christi Leib und Christi Blut wirklich und wesenhaft gegenwärtig. Der wahre Gott und der wahre Mensch. Er wird von uns genossen, aber dabei nicht aufgezehrt oder zerteilt. Selbst wenn die Gestalten des Sakramentes, selbst wenn die Hostie zerbrochen und geteilt wird, bleibt Er – wenn auch in der Brotsgestalt zerteilt und gebrochen – in jedem, selbst im kleinsten Partikel ganz und unversehrt gegenwärtig. Jeder Teil dieses Wunderbrotes enthält den ganzen unermeßlichen Gottessohn, der sich in die Gestalt des Brotes gehüllt hat. Denn es ist lediglich die Gestalt des Brotes, die zurückgeblieben ist, während die Substanz des Brotes durch die schöpferischen Worte „Das ist mein Leib“ (1. Kor 11, 24) in der hl. Wandlung umgewandelt, umgeschaffen wurde in den anbetungswürdigen Leib des Gottmenschen. An dieser Stelle muß unser Glaube greifen. Denn mit der kleinen weißen Hostie haben wir zwar etwas Sichtbares vor Augen – den wahren Gottessohn – und doch ist Er, zwar sichtbar, doch ganz verborgen unter einer fremden Gestalt. Nur der Glaube öffnet uns das Auge, damit wir erkennen können, was wir genießen, und wer es ist, der da in Gestalt dieses Wunderbrotes zu uns kommt. „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“ (Joh. 6, 57). Tiefe Abgründe, in denen sich unser Geist verlieren kann, tun sich da vor uns auf, wenn wir uns solche Gedanken machen. Gedanken voll Staunen, voll Liebe und Dankbarkeit, die ihren Ausdruck in der Feierlichkeit des Fronleichnamsfestes gefunden haben und jedes Jahr aufs neue finden sollen. An und für sich wäre die feierliche Prozession durch die Straßen der Höhepunkt des heutigen Festes: Das öffentliche Bekenntnis unserer Liebe zum eucharistischen Heiland, verborgen in der weißen Hostie; auf festlich geschmückten Prozessionswegen, quer durch das Viertel, das Dort, die Stadt, die Felder und Wiesen.
Der Triumphzug
Doch gibt es auch eine andere Prozession des Wunderbrotes zu bestaunen – nämlich die Fronleichnamsprozession durch die Geschichte. Gehen wir also in Gedanken einmal zurück in der Zeit. Ganz an den Anfang. Da war es noch nicht so feierlich und so andächtig um dieses einzigartige Wunderbrot bestellt. Als es zum ersten Mal in den reinsten und heiligsten Händen Jesu Christi selbst lag, da war es in einem schlichten Saal, wie man sie in Jerusalem für einen Abend an Fremde vermietete. Anwesend waren nur zwölf Männer. Sonst hatte niemand auf der ganzen weiten Welt eine Ahnung davon. Die Zeremonie der ersten hl. Messe war vergleichsweise kurz. Osterlamm, Psalmengesang und alles war vorüber. Ein Aufblick zum Himmel, zwei kurze Sätze über das Brot und den Kelch mit Wein. Dann brachen die beiden heiligen Hände das Wunderbrot und reichten jedem Apostel davon zum Genuß. So bescheiden, so einfach und still ist alles verlaufen, damals. Und dabei wäre es auch geblieben, wenn nicht unser Herr Jesus Christus am Schluß einen denkwürdigen Satz hinzugefügt hätte: „Tut dies zu meinem Andenken“ (1 Kor. 11, 24). Ob die Apostel sich in dieser Stunde des letzten Abendmahles viele Gedanken über die kleine weiße Hostie, die ihnen der Herr gereicht hatte, gemacht haben, wissen wir nicht.
Wenn wir aber die folgende Prozession der kleinen weißen Hostie durch die Geschichte betrachten, so finden wir darin das Wort von dem einzelnen Weizenkorn, das hundertfältige Frucht bringt, erfüllt. – Ein oder zwei Jahre später gab es in Jerusalem ein paar tausend Menschen, die gingen eifrig in den Tempel. Man sah sich auch in den Synagogen. Sie lebten genau nach den Gebräuchen und Gesetzen ihres Volkes und doch waren sie anders: Reiner waren sie, zufriedener; sie lebten in Eintracht zusammen; waren ein Herz und eine Seele (vgl. Apg. 4, 32). Das konnte man feststellen. Aber warum das so war, das konnten sich nur die Eingeweihten erklären. An den Abenden, wenn der Lärm der Stadt abflaute, fanden sie sich in größeren Wohnungen um einen der Apostel geschart zusammen. Der Apostel nahm, genau wie der Herr es getan hatte, Brot in seine Hände, sprach wieder das Wort, mit dem Christus das Brot in Seinen Leib und den Wein in Sein Blut verwandelt hatte, und reichte es den Gläubigen zum heiligen Genuß. Die Feierlichkeit um die kleine weiße Hostie fand schon größere Anteilnahme als damals beim letzten Abendmahl. Die Hostie hatte ihren Siegeszug angetreten. Damals konnte freilich noch niemand ahnen, wie gewaltig diese Prozession durch die Jahrhunderte einmal werden würde; wie das im Brot verborgene schweigende Wort Gottes die Welt erobern würde.
Hundert oder zweihundert Jahre später hatte sich die „Religion von der kleinen weißen Hostie“ zum Staunen der damaligen Völker in den ganzen Ländern um das Mittelmeer verbreitet. Man nannte sie Christen. Man fand sie in Spanien so gut wie in Nordafrika, in Griechenland wie im Morgenland. Vor allem in Italien und in der Weltstadt Rom. Man verleumdete diese Christen, man erzählte sich Schauermärchen über ihre Lehre und über ihren Gottesdienst; daß sie dabei kleine Kinder, in Brot eingewickelt, verspeisen würden. Man verfolgte sie von Staats wegen. Man haßte sie, weil sie eben gut waren. Wieviel Tausende im Laufe der Jahre ihr Leben lassen mußten unter dem Richtschwert, wie viele andere vor Not und vor ständiger Drangsal zugrunde gegangen sind, das hat keine Chronik genau festhalten können. Lediglich die Märtyrerakten geben einen kleinen Widerhall von der Prozession der Blutzeugen, die der kleinen weißen Hostie nachfolgten bis in den Opfertod hinein. – Weder Verfolgung und Grausamkeit noch Armut, Unrecht, Haß und Spott vermochten es, diese Religion auszurotten oder auch nur ihr Wachstum zu hindern, so daß ein Schriftsteller der damaligen Zeit den bekannten Satz niederschrieb: „Das Blut der Martyrer ist der Same neuer Christen.“ – Wenn einer aber nachforschen wollte, wie das eigentlich möglich war, daß sich der katholische Glaube so rasch verbreitete, daß die Verfolgungswellen nichts erreichten, daß so viele den Heldenmut zum Martyrium fanden, dann hätte er schließlich nur den einen Grund finden können: An vielen tausend Orten, oft tief unter der Erde, oft in Gefängnissen, in verborgenen Privathäusern der Armenviertel aber auch in den Stadthäusern und Landgütern adliger Familien kamen in heimlicher Nachtstunde die Christen zusammen. Sie hatten verschiedene Muttersprachen, trugen verschiedene Tracht, wie es nun einmal jeweilige Landessitte war; aber eines war überall gleich: Der Bischof, der das Opfer des Herrn erneuerte, indem er Brot in seine Hände nahm, wieder die Worte Christi zur Konsekration sprach und das himmlische Manna an die Anwesenden austeilte. Der Triumphzug der Hostie war weitergegangen durch die Länder, und Christus in Seinem weißen Schweigen strahlte die Allmacht Seiner Bekehrungsgnade aus, wandelte Menschen um in Heilige, Kinder in Helden, schaffte in einer verkommenen Welt das Ideal reiner Jungfräulichkeit.
Jahrhundert für Jahrhundert wurde der Triumphzug der kleinen weißen Hostie glänzender. Es kam die Zeit der Freiheit für die Kirche. Da wölbten sich die großen Dome über dem Sakramentshäuschen, in dem das weiße Wunderbrot ruhte. Vor ihm brannte das ewige Licht. Es wurden Orgeln gebaut, auf denen die Lieder zu Ehren des Allerheiligsten Altarsakraments gespielt wurden. Da arbeiteten viele fleißige Hände mit der Nadel, um kostbare Paramente zu sticken zum heiligen Opferdienst, zum Hofzeremoniell vor der kleinen weißen Hostie. – Es kam die Zeit, da der Himmel selbst durch die Vermittlung der hl. Juliana von Lüttich anordnete, daß sich der liturgische Kult und die Anbetung der kleinen weißen Hostie nicht allein auf den Kirchenraum beschränken sollte, sondern daß am Donnerstag nach der Pfingstoktav feierliche Prozessionen abgehalten werden sollten. Die katholischen Völker sollten sich öffentlich zu ihrem Glauben bekennen, indem sie alles, was Menschen überhaupt an Schönem ersinnen können, Blumen und Grün, Bilder und Lieder, Altäre, Kränze und Fahnen, damit sie einfach alles aufbieten zum Lobpreis der immer stillen Hostie.
Doch die Hostie hat auch Widerstand gefunden. Gegen den schweigenden Christus haben sich Irrlehrer erhoben, die Seine reale Gegenwart in der Hostie leugneten. Ganze Länder haben den katholischen Glauben aufgegeben und den Gehorsam gekündigt. Der moderne Unglaube erhob sein stolzes Haupt und wollte den Nacken nicht mehr beugen. Zunächst stand er noch an den Straßenrändern und schüttelte den Kopf. Die ungläubigen Gelehrten spotteten über den vermeintlichen Aberglauben. Heute straft man den eucharistischen Heiland mit Gleichgültigkeit – mit ungläubiger und gläubiger Gleichgültigkeit. Denn auch bei den sogenannten Christgläubigen bereitet sich doch kaum noch jemand auf den ehrfürchtigen Empfang der hl. Kommunion durch Buße und Nüchternheit vor. Wer ist schon noch besorgt um den Gnadenstand, die unbedingte Voraussetzung zum Kommunionempfang? Wer fürchtet schon noch, sich durch eine unwürdige Kommunion „das Gericht“ zu essen und zu trinken? Ja, ist es da noch erstaunlich, daß diese Leute mit derselben Andacht zur Kommunion gehen, wie sie das Weihwasser nehmen?
Aber die kleine Hostie hat doch ihre Macht gezeigt, diesmal allerdings furchtbar. Wo die Hostie nicht mehr in Ehre war, da wurde der Glaube kalt und ging auf weiten Strecken völlig verloren. Der schweigende Christus ließ es zu, daß den Feinden der katholischen Religion ihr von langer Hand erarbeiteter teuflisch- genialer Plan aufging, um dem Triumphzug der kleinen weißen Hostie durch die Jahrhunderte endlich ein Ende zu bereiten; um die Herrschaftsansprüche des im Brote schweigsamen Wortes Gottes aus der Öffentlichkeit zu verdrängen; ja um den Schatz der kleinen weißen Hostie selbst zu rauben, indem es ihnen gelang, eine andere Kirche an die Stelle der katholischen zu setzen; eine ungültige Mahlfeier an die Stelle des Meßopfers und solidarisch-betroffene Seelsorger an die Stelle geweihter Priester. Das ist die Tragödie unserer Zeit: In Liebe zur Hostie kann man wachsen bis zum Heldentum, im Widerstreit gegen die Hostie kann man zugrundegehen. So oder so: Der Siegeszug der Hostie, die immer gleich unbeweglich ist, die Macht des schweigenden Christus geht weiter, zwar nicht mehr auf großen glanzvollen Prozessionen und Kongressen, wo Tausende wie auf Befehl das Knie beugen, sobald die Monstranz zum Segen erhoben wird, sondern wieder wie am Anfang im Verborgenen und nur an wenigen Orten.
Der Einzug
Das führt uns zu einem letzten Gedanken. Auch heute muß es eine Prozession geben! Der Triumphzug der kleinen weißen Hostie darf auch 2020 nicht abreißen. Eine kleine Wegstrecke wenigstens muß ihr Triumphzug auch heute vorwärts kommen. Dazu muß jeder einzelne von uns den Weg bahnen. Diese kleine Wegstrecke ist dem verborgenen Heiland die wichtigste überhaupt. Sie ist Ihm mehr als die glänzendste Feier und die schönste Prozession. Es ist Sein Einzug in unsere Herzen. Wir müssen Monstranz werden; die kleine weiße Hostie in Herzen aufnehmen und durch unser Persönlichkeit hindurch scheinen lassen, auf den Prozessionsweg unseres Lebens, auf unsere Zeit und Zeitgenossen.
Derjenige, dem der ganze Kosmos unterworfen ist, der mit Seiner geheimnisvollen Kraft alle Zeiten beherrscht, Er sehnt sich nach der kleinen Welt unserer Seele. Darin will Er die Wunder Seiner Liebe wirken. Darin will Er den Blumenschmuck übernatürlicher Tugenden wachsen lassen, das Leben der heiligmachenden Gnade stärken und den Opferaltar unseres Herzens mit dem Feuer Seiner göttlichen Liebe entfachen.
Christus in meiner Seele! Es hat noch nie ein Mensch begriffen, was das ist. Es hat noch nie einer sagen können, was da genau vor sich geht, wenn Christus in Hostiengestalt Einkehr hält bei einem Menschen. Es ist das Geheimnis Seiner Liebe. Wir können eigentlich nur das tun, was die Generationen und Generationen, die sich vor uns in die Fronleichnamsprozession durch die Jahrhunderte einreihten, auch getan haben: Uns in Demut in Seine göttliche Liebe ergeben; es mit dankbarem Jubel vergelten, daß Er zu uns kommen, in unserer Seele wohnen und dort bleiben will, um uns mit der Übermacht Seiner Gaben zu beschenken. Wir können dabei lediglich stammeln: „Hochgelobt und angebetet sei Jesus im Allerheiligsten Sakrament des Altares; von nun an, bis in Ewigkeit.“ Amen.