Daheim und unterwegs

Geliebte Gottes!

Noch immer klingt der Trennungsschmerz vom Tag der Himmelfahrt Christi in den Gebeten der heutigen Sonntagsmesse nach. Sehnsüchtig haben wir im Introitus mit der Kirche gerufen: „Erhöre mein Rufen, Herr, mit dem ich zu dir flehe ... Dein Antlitz suche ist, ja, Herr dein Antlitz wende nicht ab von mir.“ Wie am Tag der Himmelfahrt sind die Blicke der Apostel immer noch nach dem Himmel gerichtet, in den sie den Meister entschwinden sahen, und ihr Herz sehnt sich nach Ihm. Sie hätten so gerne mitgewollt. – Auch jeder Katholik müßte eigentlich von einer wahren Sehnsucht nach dem Himmel ergriffen sein. Dorthin muß es unser Herz ziehen, dorthin, wo Er ist, an dessen Antlitz wir uns eine Ewigkeit nicht sattsehen werden können. Darin besteht die ewige Glückseligkeit, das nimmer endende Leben, wie uns der Herr lehrte: „Das aber ist das ewige Leben, daß sie Dich erkennen und den Du gesandt hast.“ (Joh. 17, 3). Wir müßten also von Heimweh nach dem Himmel erfüllt sein. – Doch ist das so? – Und wenn nicht, warum?

Daheim

Ein Wort unserer deutschen Sprache, hat sofern es in seiner ganzen Bedeutungstiefe bedacht wird, einen ganz besonderen Klang. Das Wörtchen „daheim“. Das Wort „daheim“ meint nicht nur den Ort, wo ich geboren oder aufgewachsen bin. Auch nicht den Ort, wo ich am meisten Zeit verbringe, wo ich in der Regel anzutreffen bin, wo ich schlafe, wo ich esse. Es beschreibt nicht nur einen Ort, sondern mehr. – Was aber ist das, „daheim“?

Die meisten glauben vielleicht, „daheim“ könne man auf jeden Fall nur in dem Land und der Gegend sein, in der man die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat. Das sei die Heimat. – Sie meinen, „daheim“ habe etwas mit den Bergen, Wäldern und Hügeln, mit der Stadt oder dem Dorf, mit den Häusern, Bächen und Gärten zu tun. Das meint man vielleicht solange, bis man eines Tages, nach längerer Abwesenheit, wieder einmal dorthin kommt. Dann kann man eine erstaunliche Entdeckung machen. Man geht durch die altbekannten Straßen und findet das Haus, in dem man die Kindheit und Jugend verlebt hat. Und doch wird man vielleicht erschrocken feststellen: Die Heimat findet man dort nicht mehr. Wieso? – Fremde Namen stehen an der Haustüren und Briefkästen. Fremde Gesichter öffneten die Tür, würden wir den Klingelknopf betätigen. Vielleicht sind diese Menschen freundlich und würden uns einladen hereinzukommen. Aber es sind eben doch Fremde. – Spätestens in diesem Augenblick würde es uns wie Schuppen von den Augen fallen, daß weder die Landschaft oder das Dorf und auch nicht Häuser die Heimat ausmachen, sondern Menschen! Nur solange noch jemand auf uns wartet, ist dort Heimat. Wenn niemand mehr da ist, ist fremdeste Fremde, wo einmal Heimat war. Wenn man das in der Fremde nicht bedacht hat, so ist die Erkenntnis vielleicht bitter. Man wollte heim und kam aus der Fremde in eine andere Fremde. Aber man hätte es eigentlich wissen müssen. Ein Ort wird zur Heimat durch ein Heim, das man dort hat, und ein Haus wird zum Heim durch die Menschen, die uns dort lieben. Daheim ist man in einem sorgenden, liebenden „Du“. Wer ein „Du“ kennt, dem er vertrauen kann, dessen liebender Sorge er sicher ist, braucht das Haus seiner Mutter und das Land seiner Väter nicht so wichtig zu nehmen. Er ist doch immer daheim. Um das Du, dem wir vertrauen, gruppieren sich dann andere Menschen, Wände, Landschaft und bilden die vertraute Heimat. Aber nimm das „Du“ weg, dann ändert sich alles; genauso wie sich ein Mensch ändert, wenn sein Herz zu schlagen aufhört. Die Heimat hier auf Erden ist unbeständig, vergänglich, „sterblich“. Mit anderen Worten: Ein bleibendes Heim für den Menschen gibt es nicht hier auf Erden. Wir haben keine bleibende Stätte. Das wirkliche „Daheim“ ist anderswo.

Woher kommt das aber nun eigentlich, daß zum Daheimsein ein „Du“ gehört, kein Ihr, keine Mehrzahl? Das kommt daher, daß es nur einen Gott gibt. Gott ist die eigentliche Heimat! Gott, der unwandelbar liebt und nie versagend uns umsorgt. Gott ist die eigentliche Geborgenheit! Jeder Mensch, der uns ein „Du“ ist, kann das nur sein, weil er ein Gleichnis, ein Ebenbild Gottes ist, weil Gott ihm von Seiner Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Liebe etwas geborgt hat.

Die Begrenztheit, Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit dieses Ebenbildes aber soll uns nicht trostlos lassen, sondern uns Hinweis auf die schönste aller geoffenbarten Tatsachen sein: Droben ist Heimat, weil wir erkennen dürfen, daß dort jemand in unvergänglicher Liebe auf uns wartet: „der allein wahre Gott.“ – Ja, es ist kein geringerer als Gott, der uns liebt und auf uns wartet. Weil wir Menschen aber einen zu kleinen Horizont haben, um uns von diesem Gedanken faszinieren zu lassen, darum ist Gott uns noch einen Schritt näher gekommen, um in unserem Herzen das Heimweh nach Ihm zu entflammen. Gott wurde Mensch. Da ist einer, der Gott und zugleich Mensch ist, der uns liebt und dort auf uns wartet: Jesus Christus. Darum mußte der vollständige Satz lauten: „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus.“

Es ist nicht jedem Menschen gegeben, so tief nachzudenken, daß er auf letzte Erkenntnisse stößt. Deswegen haben es ungläubige Menschen unvergleichlich schwerer. Wer aber an den dreifaltigen Gott glauben darf, ist ein gesegneter Mensch. Er kann nie heimatlos werden, sofern seine Hoffnung dort wurzelt, wo seine wahre Heimat ist. Mögen die Menschen, die ihm gut sind, kommen und gehen. Mögen sie ihn enttäuschen oder halten, was er von ihnen erhoffte, eines bleibt unwandelbar: Die Tatsache, daß Gott uns liebt und wir bei Ihm daheim sind. Darum ist für den Katholiken, der von dem Festgeheimnis der Himmelfahrt Christi wirklich durchdrungen ist, Heimat etwas Unverlierbares, noch nicht einmal etwas auf ein Menschenleben Beschränktes. Die Worte Christi klingen stets in seiner Seele nach: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingegangen bin, und euch eine Stätte bereitet habe, so komme ich wieder, und werde euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin“ (Joh. 14, 2 f.). Für den, der dies beherzigt, ist jedes Heim hier auf Erden wie eine gemütliche Herberge am Rande seines Pilgerweges der zum ewigen „Daheim“ hinführt. In dieser Herberge kann er sich aufwärmen, wohlwissend, daß er weiterziehen muß, der ewigen Heimat, der bleibenden Stätte, die Christus bereitet hat, entgegen.

Unterwegs

Wir haben eine Szene überliefert aus dem Alten Testament. Der Prophet Elias war müde, traurig und erschöpft im Schatten eines Ginsterstrauchs zusammengesunken. Er hatte resigniert und wolle seine Traurigkeit über die vermeintliche Sinnlosigkeit des Lebens ersticken im Wunsch nach dem Tod. Da stieß ihn ein Engel Gottes an und befahl ihm von dem Brot zu essen, das er vor sich in der Asche vorfinde. Er solle sich stärken, da er noch einen weiten Weg vor sich habe, bis er Gott begegnen werde. – Elias gehorchte und aß. Dann heißt es weiter: „Er ging in der Kraft dieser Speise vierzig Tage und vierzig Nächte hindurch bis zum Gottesberg Horeb“ (3 Kg. 19, 8).

Wie Elias, so sind vielleicht auch wir schon einmal müde geworden in der Liebe zu Christus. Wir verspürten keine Sehnsucht nach der ewigen Heimat, die Er uns bereitet hat; nach dem Ort, wo man uns liebend erwartet. So sind wir niedergesunken, haben uns niedergelassen, haben uns dieses Leben zur Heimat erklärt. Und ... werden doch nicht heimisch, weil unser irdisches „Heim“ stets gefährdet ist. Zukunftsängste, Niedergeschlagenheit, Mißerfolge, Enttäuschungen, womöglich sogar Lebensüberdruß haben vielleicht schon nach unserer Seele gegriffen. „Wozu das alles? Es hat doch alles keinen Sinn mehr.“ Die Aussichten sind nicht rosig. „Corona-Krise“, der heraufdämmernde Zusammenbruch der Weltwirtschaft, die sich andeutende Überwachungsdiktatur und natürlich die menschlich gesprochen aussichtslose kirchliche Lage. All das macht uns traurig und depressiv. Das Problem liegt nicht in unserer Traurigkeit, die, sofern sie sich auf diese Zeit richtet, durchaus berechtigt ist. Sondern das Problem liegt bei der „Erwartung“, die wir an diese Welt und dieses Leben haben. Sie soll uns Heimat sein, obwohl sie es nicht ist und nicht sein kann. Zahlreiche unserer Sorgen und Ängste rühren daher, weil wir falsche Erwartungen in die Dinge und in die Personen dieses Leben setzen. Erwartungen, die sich nicht erfüllen werden und von denen wir eigentlich wissen, daß sie sich nicht erfüllen können. Weil wir unsere Erwartungen zu wenig auf Christus und Seine Verheißungen von den ewigen Wohnungen im Hause seines Vaters richten, deshalb beherrschen und beflügeln sie uns auch nicht zu freudiger Pflichterfüllung, nicht zu hoffnungsvoller Geduld und auch nicht zu opferbereiter Nächstenliebe um Seinetwillen. Wie Elias sind wir niedergesunken und deprimiert.

Aber da wäre ein Brot, das stark machen könnte für den ganzen langen Weg eines Menschenlebens. Die Kirche bietet es uns an, und das nicht nur einmal wie bei Elias, sondern viele, viele Male. Ein Brot, dessen Genuß die Liebe wachhalten soll, weil wir in Brotsgestalt den uns liebenden Herrn selbst haben. Ein bißchen Himmel auf Erden! Aber siehe da, man mißdeutet schon wieder durch einseitige Erwartungen: Die Seelenspeise muß nicht nur gegessen werden. Was nützt dem Menschen Nahrung, wenn er sie nicht verdauen kann? Er kann sie essen und doch wird sie ihn nicht stärken. Die Kommunion muß nicht nur empfangen, sondern auch verwertet werden. Sie will deshalb gut vorbereitet sein durch Reinigung der Seele von der Sünde, Reinigung der Absicht durch die wahre Andacht, Reinigung des Leibes durch sonntägliche Gewandung, durch die eucharistische Nüchternheit und andere Opfer, die wir aus Liebe bringen. Mit einem Wort: Wir selber müssen demjenigen ein „Heim“ bieten, der als Seelengast zu uns kommt. Wir müssen eine liebendes Du sein, das Ihn erwartet. Nur so kann die Kraft des Geistes Christi, den Er uns durch das Sakrament seines Leibes und Blutes mitteilt; jene übernatürliche Kraft, des göttlichen Tröstergeistes in unserer Seele wirksam werden.

Aber selbst damit ist es noch nicht getan! Wie Elias, so müssen wir uns dann immer noch selber aufraffen und den anstrengenden Weg unserer irdischen Pilgerschaft Schritt für Schritt in Angriff nehmen. Gerade wenn es auf dem letzten Stück steil wird, wenn es also den Gottesberg Horeb nach oben geht, wenn die Begegnung mit Gott im Tod in Sichtweite kommt. – Welches sind die Schritte, die uns auf unserem irdischen Pilgerweg vorwärts bringen? Der hl. Petrus spricht davon in der Epistel: „Seid klug und wachet im Gebet. Vor allem aber habt beständige Liebe zueinander, denn die Liebe deckt eine Menge Sünden zu. Seid gastfreundlich untereinander ohne Murren.“

Herberge bieten

Was der erste Papst mit „Gastfreundschaft, ohne Murren“ bezeichnet, führt uns zu einem letzten Gedanken. – Die meisten von uns sind erwachsen und keine Kinder mehr. Kinder kennen nur ein Daheimsein oder ein Heimatsuchen. Erwachsene sollten ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes richten: Ein Daheim, bzw. eine Herberge bieten. Nicht nur dem Heiland in der hl. Kommunion, auch den Gliedern Christi! Nicht unbedingt jedem unterschiedslos in den eigenen vier Wänden, aber in dem Fall im eigenen Herzen! Ein erwachsener Mensch, der nie versucht, Heimat zu bieten, bleibt infantil, oder er kommt in Gefahr, selbst die ewige Beheimatung zu verlieren. Das hängt wieder mit Gott zusammen, der seinen Menschenkindern ein ewiges Daheim in Aussicht stellt. Er will, daß ein jeder von diesem Glück etwas weitergibt, indem er Herberge bietet für andere. In dem Maße, in dem ein Mensch das tut, wird er das Glück der Geborgenheit auch für sich selbst erleben dürfen. Auch hier ist Geben seliger als Nehmen. Dazu braucht man nicht unbedingt Geld oder Haus oder Kenntnisse und Beziehungen. Dazu braucht man lediglich ein anspruchsloses Herz, diskrete Aufmerksamkeit, echte, hilfsbereite Nächstenliebe und ein bißchen Treue.

Doch sollten wir trotz dem Tage erleben, in denen wir vom Leben „im Regen stehen gelassen werden“, so ist doch für uns gesorgt. Vergessen wir es nie, was Jesus am Kreuz zu dem Jünger, den Er liebte, und durch ihn zu uns sprach: „Siehe, deine Mutter!“ Maria ist uns zur Mutter gegeben. Seither finden wir wenigstens im unbefleckten Herzen Mariens stets liebevolle Aufnahme. So hat es die allerseligste Jungfrau durch Sr. Lucia auch zugesichert: „Mein unbeflecktes Herz wird dir eine Zuflucht sein.“ – Unser Herr hat also für alles gesorgt, daß wir trotz der Trübsale und Bedrängnisse stets, Geborgenheit, Lebenssinn und die Aussicht auf das ewige „Daheim“ finden. Dort, wo wir das Antlitz dessen in Ewigkeit schauen werden, der uns liebt. und von dessen Anblick wir leben werden in Ewigkeit. Amen.

Kategorie:

Veröffentlicht: