Fest der Unbefleckte Empfängnis
Von der Gnadenmittlerschaft Mariens
Geliebte Gottes!
So rein und ungetrübt wie ein Sonnenstrahl und dabei ausgerüstet mit einer unermeßlichen Fülle der Gnade trat Maria in dieses Leben ein; so makellos, so reich geschmückt, so vollkommen, daß die Kirche zu Recht in der Liturgie des heutigen Festes ausruft: „Tota pulchra es, Maria!“ – „Ganz schön bist du, Maria, und kein Makel der Erbsünde ist an dir!“ Nur deshalb konnte sie der Erzengel staunend grüßen: „Du bist voll der Gnade!“
Die Gnadenfülle der Unbefleckten ist kein Selbstzweck
Je mehr wir uns die ganze übernatürliche Schönheit und den Reichtum der Gnade Mariens zu Bewußtsein bringen und wie sehr diese selbst die höchsten Engel und die Scharen der Heiligen zusammengenommen überragt, umso schmerzlicher empfinden wir die Armut unseres von der Sünde beherrschten Daseins. Es geht uns dabei wie Menschen, welche bewundernd den Prunk und den Reichtum der Paläste und Schlösser der Königshäuser besichtigen, aber gerade angesichts solcher Prachtentfaltung umso mehr die Dürftigkeit ihrer eigenen Altbauwohnung zu spüren bekommen. Kleine Geister neigen dazu – vom Neid der Besitzlosen erfaßt –, sich über solche „Protz- und Verschwendungssucht der Kaiser und Könige und Fürsten auf Kosten der Armen“ zu empören.
Dazu gibt es angesichts der Herrlichkeit Mariens keinen berechtigten Grund. Denn erstens wäre ein solcher Neid eine der „Sünden gegen den Heiligen Geist“, der Seine Gaben austeilt, wie Er will. Und zweitens kommt der unermeßliche Reichtum Mariens, den sie im ersten Augenblick ihres Lebens empfing, auch uns zugute. Die Gnadenfülle der Unbefleckten Empfängnis stellt keinen Selbstzweck dar, was selbstverständlich Gottes gutes Recht gewesen wäre, nein, sie ist eine der größten Wohltaten Seiner gütigen Allmacht. Denn diese ungetrübte Fülle der Gnade wurde Maria geschenkt, damit sie von der Unbefleckten in reichem Maße uns zukomme. Deshalb betet die Kirche, vom Heiligen Geist erleuchtet in der heutigen Festoration, daß auch wir durch die Fürbitte der Unbefleckten rein zu Seiner Anschauung gelangen mögen. Und die Väter und Lehrer der Kirche versichern uns, daß die Gnadenfülle Mariens nicht bloß für sich, sondern auch für uns erhalten hat, und daß der Überfluß ihrer Gnade uns zugutekommt. Diese Lehre von der Gnadenmittlerschaft Mariens ergibt sich teils aus Vergleichen, teils auch aus Worten der Heiligen Schrift.
Mariens Gnadenmittlerschaft in Bildern des Alten Testaments
Das Hohelied des Königs Salomon besingt in sechs Liedern die bräutliche Liebe von ihrem Keim bis zu ihrer Vollendung. Die hl. Väter deuten dabei die Braut, die Hauptperson dieses Buches, als Vorbild Mariens, welches uns das geheimnisvolle Innerste der unbefleckten Jungfrau erschließt. Da wird Maria mit der Sonne verglichen: „Wer ist diese, welche dort hervortritt gleich der aufsteigenden Morgenröte, schön wie der Mond, auserkoren wie die Sonne, furchtbar wie ein geordnetes Heerlager.“ (Hld. 6,9). Auserkoren wie die Sonne ist sie. Der Vergleich trifft in vielerlei Hinsicht zu, besonders aber, wenn wir die Gnadenfülle Mariens betrachten. Die Sonne ist für uns das hellste und glänzendste der Gestirne. Sie ist ganz Licht und Wärme. Aber behält sie denn diese Fülle des Lichtes und der Wärme allein für sich? Offensichtlich nicht! Von der Fülle ihres Lichtes empfangen wir alle. Ihr Licht belebt die ganze Welt, ihre Wärme befruchtet die Erde, ihr Glanz malt Himmel und Erde mit den schönsten Farben und Schattierungen aus.
Genauso verhält es sich auch bei Maria. Der Glanz ihrer Gnadenfülle ergießt sich auch über uns, wie uns das Bild, welches die hl. Katharina Labouré auf Geheiß der Gottesmutter auf der Vorderseite der Wundertätigen Medaille einprägen ließ, so schön anschaulich zeigt. Da steht Maria groß über dem Erdenrund. Mit bloßem Fuß zertritt sie der Schlange den Kopf. Sie breitet die Hände aus, von denen sich Strahlen der Gnade über die Welt ergießen. Der hl. Hieronymus zählt die Strahlen auf, die von Maria ausgehen wie von der Sonne: „Maria gab dem Himmel die Herrlichkeit, der Erde ihren Gott, brachte den Völkern den Glauben, den Lastern den Tod, dem Leben seine rechte Ordnung, den Sitten ihr Gesetz.“ (de Assumpt.). Und der Psalmist singt im 18. Psalm: „Niemand kann sich verbergen vor ihrer Wärme.“ (Ps. 18,7). In der Tat. Die Sonne ist unsere größte Wohltäterin und die Mutter allen Lebens und aller Fruchtbarkeit. Sonnige und freudige Tage sind für uns fast dasselbe. Ein sonniges Plätzchen ist uns lieb und teuer, ein sonniges Gemüt ist nicht nur froh und heiter, sondern auch bei allen gerne gesehen und geliebt. Eine solche Sonne, die alles belebt und erwärmt und erfreut, ist die Unbefleckte Empfängnis. Sie ist voll der Gnade und teilt sie so großzügig aus wie die Sonne das Licht. – Unsere Lehre wird bestätigt vom hl. Kirchenlehrer Bonaventura, welcher sagt: „Ihre Gnade war ihr nicht bloß selber sehr nützlich, sondern auch uns, ja dem ganzen Menschengeschlechte. Die Gnade Mariens bekehrt die Bösen, befruchtet die Guten und rettet alle. Sie erlöst uns von der Schuld, kräftigt uns in der Gnade und befreit uns vom ewigen Tod.“ (Spec. B. V.). Und der hl. Bernhard fügt hinzu: „Von ihrer Fülle erhält der Gefangene Erlösung, der Kranke die Heilung, der Traurige Trost, der Sünder Verzeihung, der Gerechte Begnadigung und sogar der Engel neue Freude.“ (serm. in sign. magn.).
Ferner vergleichen die Heiligen die unbefleckte Mittlerin aller Gnaden mit dem Meer, mit einem Ozean, in dem alle Ströme der Gnade zusammenfließen. Mit einem Meer, das ein unergründlicher Abgrund von Barmherzigkeit ist und eine solche Fülle von Verdiensten in sich schließt, daß nur Gott sie erfassen kann. Aber auch das Meer behält seine Wassermassen und seine Schätze nicht für sich allein. Schon der weise König Salomon sagt im Buch Kohelet: „Alle Flüsse strömen ins Meer, und das Meer geht nicht über. Woher sie gekommen sind, dahin gehen die Flüsse zurück, um wiederum zu fließen.“ (Pred. 1,7). – Dieses Meer ist Maria. In sie ergoß der Heilige Geist die ganze Fülle seiner Gnadenströme. Aber dieses Meer ging nicht über. D. h., Maria erhob sich deswegen nicht, sondern blieb demütig wie zuvor. Aber wie das Meer behält Maria die Fülle der in sie eingegossenen Gnaden nicht für sich. Wie der Dunst sanft von der Wasseroberfläche aufsteigt, um sich in großen Wolken zu sammeln, so steigen die Gebete und Fürbitten der Allerseligsten Jungfrau vor Gottes Angesicht empor und wo diese Wolken vom Sturmwind des Heiligen Geistes, der weht, wo er will, hingetragen werden, da ergießt sich ein ergiebiger Regenschauer auf die Seelen: auf Große und Kleine, auf Männer und Frauen, auf Priester und Laien, auf Gerechte und Sünder. Da werden gleichsam die Quellen der Bäche und Flüsse und Ströme mit himmlischem Segen gespeist, damit sie plätschernd und gurgelnd fortfließen in das ewige Leben (vgl. Joh. 4,14). – Die Ozeane senden ihr Wasser nicht mehr in alle Teile der Erde zurück. Es gibt Gegenden, die so wasserarm sind, daß dort nichts gedeihen kann und die nur trockene Ödnis und Wüste bilden. Das geistige Meer, das den Namen Maria trägt, läßt niemanden unbeschenkt, sondern gießt seine Gnaden nach allen Richtungen aus. Überallhin fließen die Gewässer ihrer Güte und Barmherzigkeit. Kein Sünder bekehrt sich ohne ihre Hilfe. Kein verhärtetes Herz wird weich ohne ihre Einwirkung. Kein Büßer wäscht sich rein von seiner Schuld ohne ihren Beistand. Wo sie aber fehlt, da vertrocknet die Seele wie eine Wüste. Alles Gute geht darin zugrunde. Wo aber Maria wirkt, da entspringen die Quellen der Gnade, da gedeihen die Früchte guter Werke, da blühen die Tugenden auf, da reifen die Früchte des Heiligen Geistes und die prächtigen Ähren der Verdienste geben Hoffnung auf großen Lohn.
Ein drittes Bild zur Veranschaulichung der Gnadenmittlerschaft der Unbefleckten stammt vom hl. Bernhard von Clairvaux. Er nennt Maria eine Wasserleitung, ein Aquädukt, und erinnert an die Worte, die im Buch Jesus Sirach über die Weisheit zu lesen sind: „Wie eine Wasserleitung bin ich ausgegangen vom Paradiese.“ (Sir. 24,41). Die Schönheit, die Anmut und die Fruchtbarkeit des Paradieses schreibt die Heilige Schrift selbst den Flüssen zu, mit denen Gott den Garten des Paradieses bewässern ließ. – Eine solche Wasserader des Paradieses ist auch die Unbefleckte Empfängnis. Wo sie wirkt und verehrt wird, da erblühen wie ein Paradies die schönsten Tugenden und die herrlichsten Verdienste. Mit ihrer Gnadenfülle befruchtet sie auch uns. – Die Gegend um Babylon ist heute eine Wüste. In alter Zeit aber war sie eine der fruchtbarsten Kornkammern der Welt, weil nämlich die Babylonier es verstanden, Wasserleitungen anzulegen und so den Boden zu einer fabelhaften Fruchtbarkeit zu bringen. Als aber die Mohammedaner diese Gegend eroberten, ließen sie die Wasserleitungen verfallen, und damit ging auch alle Fruchtbarkeit verloren. – Genauso ist es bei Maria. Wo die Wasserleitung ihrer Gnade fließt, da ist Heil und Glück, Segen und Leben. Wo aber diese Leitung fehlt, da verdurstet und vertrocknet alles. – Als der assyrische Feldherr Holofernes die Stadt Bethulia belagerte, da grub er den Einwohnern die Wasserleitung ab, um sie zur Kapitulation zu zwingen. In derselben Weise geht der Teufel vor. Wenn er sich anschickt, eine Seele zu erobern, dann sucht er, sie von Maria zu entfernen und den Gnadenfluß, der von ihr ausströmt, von der Seele abzuschneiden. Unsere größte Sorge muß es darum sein, uns diese Gnadenquelle vom Teufel nicht zerstören zu lassen. Solange sie uns fließt, wird alle Macht des Teufels zunichte, und er wird uns nicht im Geringsten schaden können. Es läßt also tief blicken, wenn Glaubenspräfekt „Tucho“ im Namen von Robert Prevost, alias „Leo XIV.“, den Gläubigen der „konziliaren Kirche“ die Anrufung Mariens als Miterlöserin und Mittlerin aller Gnaden verbietet, um auf diese Weise der Verehrung Mariens das Wasser abzugraben.
Maria hat in ihrer makellosen Reinheit Jesus Christus, die Quelle aller Gnaden, empfangen und Ihn der Welt geschenkt. Deshalb ist sie, die Unbefleckte, die Gnadenvolle, die Muttergottes, auch die Mittlerin aller Gnaden für uns. Das sagen uns deutlich, wie wir gesehen haben, die Gleichnisbilder der Heiligen Schrift, welche uns die hl. Väter gedeutet haben.
Aber die Mittlerschaft Mariens braucht sich nicht nur auf bildhafte Vergleiche zu stützen. Sie geht auch direkt aus den Worten der Heiligen Schrift hervor.
Mariens Gnadenmittlerschaft auf Worten des Neuen Testaments
Der hl. Albertus Magnus wirft die Frage auf, warum der Engel Gabriel bei der Verkündigung Maria voll der Gnade und nicht voll der Glorie nannte, da doch die Glorie noch herrlicher als die Gnade ist, und auch wir Maria viel öfter als die glorreiche, die glorwürd’ge Königin, als die gnadenvolle Königin bezeichnen. Warum gebrauchte der Erzengel Gabriel nicht die vornehmere und höhere Anrede? Der hl. Kirchenlehrer gibt auf die Frage, die er sich stellt, diese Antwort: Die Fülle der Gnaden ist die Quelle und die Ursache aller geistigen Güter, die ein Mensch erlangen kann. Die Gnade ist der Anfang der ewigen Seligkeit, die Glorie ist ihre Vollendung. Der Engel will also andeuten, daß Maria mit der Gnade Gottes das Unterpfand ihrer Herrlichkeit besitzt, und will zugleich uns Menschen darauf hinweisen, daß wir die ewige Herrlichkeit nur durch den treuen Gebrauch der Gnade Gottes erlangen können. Er sagt: Ich könnte Maria freilich auch die glorreiche Jungfrau nennen. Ich nenne sie aber die Gnadenvolle, um den Ursprung ihrer Herrlichkeit zu bezeichnen und euch anzuweisen, bei der die Gnade zu suchen, die voll der Gnade war, und euch so auch der ewigen Herrlichkeit würdig zu machen. Ihr, sagt er gleichsam, könnt nur dann zur ewigen Herrlichkeit gelangen, wenn ihr Gnade findet bei Gott. Ihr könnt aber diese Gnade am besten gewinnen, wenn ihr bei derjenigen eure Zuflucht sucht, die Gottes Gnade in so hohem Grad und in solcher Fülle besitzt, daß sie davon übervoll ist und auch euch reichlich mitteilen kann, ohne deshalb selbst etwas von ihrer Fülle zu verlieren. Merkt euch also diesen Hinweis des Engels und sucht die Gnade bei Maria, die voll der Gnade ist! (vgl. super ‚Missus est‘ c. 62).
Noch ein anderes Geheimnis finden die Heiligen in den Worten des Erzengels Gabriel. Als nämlich der Engel sah, daß Maria über die lobenden Worte seines Grußes erschrak, da sprach er: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott.“ (Lk. 1,30). Warum sagt er nicht: „Es gibt keinen Grund, dich zu fürchten, Maria, die ganze Fülle der Gnade Gottes ist dein Besitz, du bist ja Gott so angenehm wie kein Geschöpf im Himmel und auf Erden“? Warum sprach er diese Wahrheit nicht so klar aus, wie es doch richtig gewesen wäre, und sagte stattdessen „Du hast Gnade gefunden“? Der hl. Bernhard antwortet darauf, der Engel Gabriel habe diesen Ausdruck nicht ohne Grund gebraucht. Besitzen kann man eine Sache auf verschiedene Weise, z. B. durch Erbschaft, durch Erwerb, durch Schenkung usw., aber „finden“ gebraucht man bei Dingen, die verlorengegangen sind. Wenn also Maria die Gnade gefunden hat, so war sie früher eine verlorene Sache. Wer hat sie aber verloren? Niemand anders als unsere Stammeltern, die ersten Menschen, als sie das Gebot Gottes übertragen. Maria hat diese Gnade gefunden, die Gnade, die uns allen verlorengegangen war. Aber was tut man, wenn man selber etwas verloren und ein anderer es gefunden hat? Man sucht diesen auf und bittet ihn, uns das Verlorene zurückzugeben. So gab schon der Erzengel durch die Wahl seiner Worte einen sanften Hinweis auf die Gnadenmittlerschaft Mariens, indem er zu uns sprach: „Maria hat gefunden, was euch allen zu eurem größten Unglück und Schaden verlorengegangen war. Da sie die Gnade gefunden hat, könnt ihr euch vertrauensvoll an Maria wenden und von ihr zurückfordern, was euch so nötig ist. Sie wird sich nicht weigern, es zu tun.“
Man muß unbedingt an der unverbrüchlichen Wahrheit festhalten: Wir haben keinen Rechtsanspruch auf die Gnade, denn wir haben uns ihrer durch die ererbte Schuld und durch unsere persönliche Sünde unwürdig gemacht. In gleicher Weise ist es jedoch wahr, daß Maria gütig ist und daß sie keinen Schaden erleidet, wenn sie uns die gefundene Gnade mitteilt. – Wir alle kennen das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen. Als der Bräutigam endlich kam, hatten die Klugen Öl in ihren Krügen, um damit ihre Lampen neu zu befüllen. Die Törichten hatten keine Ölvorräte mitgenommen. Sie baten die Klugen darum: „Gebt uns doch von eurem Öl, denn unsere Lampen erlöschen!“ Diese aber sprachen: „Nein, es wird nicht ausreichen für uns und euch. Geht vielmehr hin zu den Krämern und kauft es für euch.“ (Mt. 25,8 f.). Die klugen Jungfrauen handelten recht, denn sie brauchten ihr Öl für ihre Lampen, um dem Bräutigam die weite Wegstrecke nach Hause zu leuchten. Da konnten sie nichts davon abgeben. – Bei Maria aber ist das ganz anders. Sie hat nicht bloß ein Ölgefäß für ihre eigene Lampe, sondern ihr wurde auch noch ein anderes geschenkt. Ein Gefäß mit dem nie versiegenden Gnadenöl ihrer überfließenden Barmherzigkeit. Dieses verwendet Maria für uns. Dieses Gefäß ist so groß und so voll, daß sie allen davon abgeben kann und daß es für alle genügt. Es ist so unerschöpflich wie das Ölgefäß jener Witwe aus dem 4. Buch der Könige. Ihr Mann hinterließ ihr einen großen Schuldenberg und die Gläubiger drohten, ihre Söhne in die Sklaverei zu verkaufen, um die Schuld zu tilgen. Da wies sie der Prophet Elisäus, nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, daß die Witwe nur noch ein Ölgefäß besaß, an, sich bei ihrer Nachbarschaft viele leere Gefäße zu borgen, sich damit in ihr Haus einzuschließen und aus ihrem Ölgefäß die vielen leeren anderen zu befüllen. Da hieß es: „Da ging das Weib hin und schloß die Tür hinter sich und ihren Söhnen; und diese reichten ihr die Gefäße; sie aber goß in dieselben ein. Als nun die Gefäße voll waren, sprach sie zu ihrem Sohn: ‚Bringe mir noch ein Gefäß her!‘ Dieser aber antwortete: ‚Ich habe keines mehr!‘ Da stand das Öl still.“ (4. Kön. 4,5 f.). Sie verkaufte das Öl und konnte durch den Erlös ihre Gläubiger zufriedenstellen und auf diese Weise verhindern, daß ihre Söhne versklavt würden. – Maria liebt uns wie ihre Söhne. Doch durch die Erbsünde und unsere persönliche Sünde lastet eine unbezahlbare Hypothek auf uns, die uns zu Sklaven des Teufels macht. Aber Maria besitzt ebenfalls ein wundersames Ölgefäß, nämlich Jesus Christus, den Gesalbten. Jedes leere Gefäß, das man ihr anreicht, d. h. jede Seele eines Sünders oder eines Bedürftigen, die man ihr empfiehlt; jedes Anliegen, das man ihr vorbringt, befüllt sie aus dem nie versiegenden Gefäß der unendlichen Gnade Christi. Erst wenn das letzte Gefäß bis zum Rand gefüllt ist, d. h., bis der letzte Auserwählte zur Vollendung gelangt und die letzte Seele aus der Gefangenschaft erlöst ist, erst dann wird der wundersame Gnadenfluß aus dem Gefäß der Fülle Mariens versiegen. Wenn wir also auch bisher in unserem Leben oft töricht gewesen sind, so werden wir jetzt klug! Gehen wir zu Maria! Sie wird uns nicht abweisen, wenn wir sie um das Öl der Gnade bitten, sondern uns gern davon mitteilen, denn sie bleibt ja stets voll der Gnade, so viel sie auch Gnaden austeilt. Von Mariens Fülle können wir also alle empfangen, Gnade um Gnade.
Alles durch die unbefleckte Gnadenvermittlerin
So ist Maria nicht bloß für sich selbst die Gnadenvolle, sondern auch für uns. Sie ist die Sonne, die nicht bloß für sich selbst leuchtet, sondern auch allen ihr Licht und ihre Wärme spendet. Sie ist das Meer, wohin nicht bloß alle Ströme zusammenfließen, sondern woraus sich alle Gewässer der Welt stets aufs Neue speisen. Sie ist das stets wasserführende Aquädukt, das jedes dürre Land befruchtet und zu einem neuen Paradies macht, in dem Gott lustwandeln kann. Sie ist voll der Gnade, um uns anzuzeigen, daß wir vor allem die Gnade haben müssen und uns ohne sie keine Hoffnung auf die ewige Herrlichkeit machen dürfen.
Sie hat die Gnade gefunden, die uns verlorengegangen ist, und gibt sie uns gerne zurück, da sie daran keinen Schaden leidet, wenn sie uns von ihrem Gnadenschatz reichlich austeilt. Sie gibt also den Guten die Gnade, standhaft zu bleiben, sie bietet den Bösen die Gnade der Bekehrung an. Für die Verfolgten hat sie die Gnade des Trostes, für die Leidenden die Gnade der Geduld, für die Versuchten die Gnade des Überwindens und des Sieges, für die Sterbenden die Gnade der Beharrlichkeit.
Beten wir also mit großem Vertrauen das Schlußgebet aus dem Meßformular zu Ehren „Unserer Lieben Frau von der Wundertätigen Medaille“: „Herr, allmächtiger Gott, der Du wolltest, daß wir alles durch die unbefleckte Mutter Deines Sohnes empfangen, gib uns, daß wir mit Hilfe dieser Mutter die Gefahren der gegenwärtigen Zeit meiden und das ewige Leben erlangen.“ Amen.