Vom Durchschreiten des Himmelstores

Geliebte Gottes!

Der ganze Monat November ist besonders dem Gedächtnis der Armen Seelen gewidmet. Also dem Andenken an die Seelen jener Verstorbener, die im Stande der heiligmachenden Gnade aus diesem Leben geschieden sind. Sie sind heilig, weil sie von der übernatürlichen Gottesliebe erfüllt sind. Jesus Christus war das Fundament ihres Lebens. Auf den Glauben an Ihn haben sie ihr Lebenswerk aufgebaut. Sie haben sich während ihres Erdenlebens mittels der göttlichen Gnadenhilfe und der Einwirkung der Gaben des Heiligen Geistes große Verdienste und herrliche Tugenden erworben und sich endlich der „Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende“ würdig gemacht, durch welche sie glücklich aus diesem Leben geschieden sind.

Die Feuerprobe

Doch nach ihrem Tod wurde das Bauwerk ihres irdischen Lebens auf die Probe gestellt. Das Lebenswerk eines jeden Menschen muß eine Feuerprobe bestehen. Diese Feuerprobe soll offenbaren, aus welchem Material der Christ sein Lebenswerk errichtet hat. So schreibt der hl. Apostel Paulus im ersten Korintherbrief: „Wenn aber jemand auf dieses Fundament [d. h. auf Jesus Christus] aufbaut Gold, Silber und Edelsteine“ – also die edlen Baustoffe der übernatürlichen Liebe – oder aber auf „Holz, Heu und Stoppeln“ – also auf unnütze, vergängliche Dinge gesetzt hat – „so wird eines jeden Werk offenbar werden.“ Wie wird es offenbar werden? Durch das Feuer! „Denn … wie das Werk eines jeden beschaffen ist, das wird das Feuer erproben. – Wenn jemandes Werk, welches er aufgebaut hat, besteht“ – also wenn es von den Flammen des Fegfeuers unangetastet bleibt, weil es aus so edlen Stoffen besteht, daß das Feuer nichts daran findet, was es verzehren könnte – „so wird er Lohn empfangen. Wenn jemandes Werk verbrennt“, weil sich darin noch die Schlacken der Eigenliebe, das minderwertige Holz der Anhänglichkeit an geschaffene Güter oder die Stoppeln noch nicht abgebüßter zeitlicher Strafen befinden, „so wird er Schaden leiden“, sagt der hl. Paulus. „Er selbst wird zwar selig werden, jedoch so wie durch Feuer.“ (1. Kor. 3, 11–15).

Auf diese Worte des Völkerapostels stützten mehrere Kirchenväter die Lehre, daß jeder Auserwählte vor dem Eintritt in den Himmel gewissermaßen durch das Feuer erprobt werde, wie groß auch immer seine Heiligkeit sein mag. Der hl. Ambrosius sagt: „Alle müssen durch die Flammen gehen.“ (Serm. 20 in Ps. 118). Die Vollkommenen empfinden kein Leid von diesen Flammen und gehen unversehrt hindurch, genau so wie die drei Jünglinge im glühenden Feuerofen des Königs von Babylon von den Flammen unangetastet geblieben sind (vgl. Dan. 3,49 f.). Wenn aber bis zum Tode einige Brennstoffe der Sünde in einer Seele zurückgeblieben sind, so muß sie so lange in den Gluten des Fegfeuers verbleiben, bis auch der geringste Rückstand der Unreinheit, alle Schlacken ungeordneter Liebe verzehrt sind und nur noch reines Gold und Silber übrig bleiben, d. h. bis sich nur noch die Tugenden und die guten Werke, von jeder Unvollkommenheit gereinigt, an der Seele finden. Noch einmal: „Wie das [Lebens-]Werk eines jeden beschaffen ist, das wird das Feuer erproben; brennt aber jemandes Werk, so wird er Schaden leiden. Er selbst wird zwar selig werden, jedoch so wie durch Feuer.“

Der Glutofen des Fegfeuers besitzt zwei Tore: Das eine öffnet sich für jede auserwählte Seele, die im Gnadenstand aus diesem Leben scheidet, unmittelbar nach dem Tod. Es ist das Eingangstor. Das andere Tor findet sich am gegenüberliegenden Ende, am Ausgang. Es führt unmittelbar in den Himmel. Es öffnet sich erst, wenn eine Seele entweder unversehrt durch die Flammen geht oder nachdem sie durch die Verdienste der sühnenden Werke der Lebendigen daraus befreit worden ist oder nachdem sie ihre verbleibende Strafe abgebüßt und ganz rein geworden ist. Denn: „Nichts Unreines kann in das Himmelreich eingehen.“ (Offb. 21,27).

Was erwartet die Seligen beim Durchschreiten des Himmelstores?

Nachdem wir zuletzt das Elend und die Qualen jener Seelen, die im Fegfeuer leiden, ins Bewußtsein gerufen haben, wollen wir heute jene Seelen begleiten, die im Begriff stehen, das zweite Tor zu durchschreiten, das Tor ins himmlische Paradies, hinter dem sich ihr ewiger Lohn verbirgt.

Worin besteht dieser Lohn, den wir erst dann zu fassen vermögen, wenn wir ganz rein geworden sind? Er besteht im Wesentlichen aus zwei Komponenten: 1. In der beseligenden Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht, in der unsere Seele in innigster Liebe mit Gott vereint sein wird. Und 2. in dem Genuß der beglückenden Gemeinschaft der Engel und Heiligen, frei von allem Übel.

Um uns den Inhalt der ewigen Belohnung anschaulich zu machen, müßten wir einen der Seligen aus dem Himmel herabrufen können, damit er uns davon berichte. Jedoch selbst wenn das möglich wäre und er zu uns reden würde, so könnte er auch nur sagen: „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, und in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben.“ (1. Kor. 2,9).

Um uns die himmlische Seligkeit wenigstens in etwa vorstellen zu können, wollen wir uns eines biblischen Bildes bedienen, nämlich des Bildes der Königin von Saba aus dem Alten Testament. Das dritte Buch der Könige berichtet uns von ihrem Besuch am Hofe des Königs Salomon. – Die Königin von Saba traf dort nach langer Reise aus dem fernen Äthiopien mit großem Gefolge, mit Gold, kostbaren Schätzen, mit Weihrauch und Edelsteinen in Jerusalem ein, um den ob seiner Weisheit vielgerühmten König Israels zu treffen. Drei Punkte sind bei diesem Besuch für unsere Erwägungen über den Himmel von Bedeutung:

  1. Was die Königin hörte.
  2. Was die Königin sah, und
  3. Was die Königin sagte.

In diesen drei Punkten haben wir ein treffendes Bild von dem, was wohl geschieht, wenn eine Seele, nachdem sie das Fegefeuer durchlaufen hat, zum ersten Mal vor dem Angesicht Gottes, des ewigen Königs des Himmelreiches, erscheint.

Zuwachs an Erkenntnis

Was hörte die Königin von Saba, als sie König Salomon besuchte? – Die Heilige Schrift sagt: „Sie redete zu ihm alles, was sie im Herzen hatte.“ (3. Kön. 10,2). Sie befragte den König. Und wer könnte sagen oder vermuten, welche und wie viele und wie schwierige und wie wichtige und verwickelte Fragen diese Königin dem König Salomon vorgelegt hat! – „Und Salomon“, so fährt die Schrift fort, „belehrte sie über alles, was sie ihm vorgelegt hatte“, d. h. über ausnahmslos alles, was sie ihn gefragt hatte. Salomon beantwortete ihre Fragen. Er löste ihre Zweifel. Er hellte alles auf, was in ihrer Seele dunkel war. Die erste Frucht ihres Besuches bestand also darin, daß die Königin von Saba eine Bereicherung und Vermehrung ihrer Erkenntnis erlangte.

Das Gleiche wird jedem von uns widerfahren, wenn wir ins himmlische Vaterhaus eintreten und vor das Angesicht des Königs der ewigen Herrlichkeit hintreten werden. Auch uns wird eine außerordentliche Vermehrung der Erkenntnis zuteil werden. Wir dürfen Gott fragen, was wir wollen; alles, was wir auf dem Herzen haben. Der göttliche König wird antworten oder besser gesagt: Er wird uns ungefragt alle Geheimnisse aufdecken, uns lehren und uns alles erklären.

Unsere Seele ist ein Geist und damit für die Erkenntnis der Wahrheit erschaffen. Unsere Seele dürstet nach jener Erkenntnis, welche in die allerhöchste Höhe hinauf- und in den tiefsten Abgrund hinabreicht. Alles wollen wir wissen. Dabei dürstet unsere Seele jedoch nach einer Erkenntnis, die fest und unumstößlich sicher ist; nach einer Erkenntnis, die erfreulich, ja beseligend ist. Nach einer Erkenntnis, die wirklich den Durst der Seele stillt!

Wie verschwinden gering und dürftig und unsicher und mit Zweifeln behaftet ist im Vergleich dazu all das, was wir auf Erden wissen oder auch nur wissen können. Der hl. Paulus nennt das irdische Wissen „Stückwerk“. „Stückwerk ist mein Erkennen“ (1. Kor. 13,12). Alles irdische Wissen kommt einem Scherbenhaufen gleich. Es ist bruchstückhaft, nicht ganzheitlich. Die Erkenntnis, die jede Seele im Himmel erlangt, wird alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. In einem einfachen, ganzheitlichen Blick werden ihr alle Geheimnisse der Natur gelüftet. Sie wird mit Leichtigkeit schauen und begreifen, was viele intelligente, begabte Naturwissenschaftler und die genialsten Denker trotz allem Fleiß und Scharfsinn niemals erreichen konnten. Bei diesen warf nämlich jede Antwort, die sie fanden, eine ganze Reihe neuer Fragen auf. – Im Angesicht Gottes hingegen werden uns alle Geheimnisse auf einen einzigen einfachen Blick entschleiert. Wir werden über den geheimnisvollen Schöpfungsvorgang, über Himmel und Erde, über die Elemente, über Sonne und Sterne in einem Augenblick mehr gelernt und erkannt haben, als alle Naturwissenschaftler zusammen jemals gewußt und erkannt haben. Denn Gott ist der Schöpfer der Natur, der König des Weltalls, der nicht bloß, wie König Salomon, von der Zeder auf dem Libanon bis zum Ysop, der aus der Mauer wächst, reden kann, sondern Anfang und Ende; Wesen und Eigenschaften all Seiner Geschöpfe kennt.

Aber nicht nur die Geheimnisse der Natur, sondern auch die Geheimnisse der Übernatur werden uns eröffnet. Jene Geheimnisse, die wir auf Erden allein auf die Autorität des sich offenbarenden Gottes und aufgrund der Verkündigung durch die unfehlbare Kirche hin demütig geglaubt haben, ohne sie einzusehen. Jene Geheimnisse des Glaubens, worüber sich die großen hl. Väter und Kirchenlehrer oft ein Leben lang den Kopf zermartert haben, worüber sie so viel geredet und geschrieben haben, ohne diese Geheimnisse jedoch ergründen zu können.

Dann werden wir fragen: „Warum hast du mich, armseliges Geschöpf, erschaffen?“ Und wir werden schauen das Geheimnis der Güte Gottes. – „Warum hast du mich, Sünder, aus dem Abgrund meiner Laster emporgezogen und mich zur Bekehrung geführt?“ Und wir werden schauen das Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes. – „Warum sind mir auf meinem irdischen Pilgerweg so viele Leiden und so schwere Versuchungen begegnet? Ja, warum hast du mich so oft in die Sünde, vielleicht sogar in schwere Sünden fallen lassen?“ Das Geheimnis der Vorsehung Gottes, die selbst das Übel zu nutzen weiß, um daraus noch größere Güter in uns erwachsen zu lassen: wie etwa die Tugenden der Buße, der Demut, der Reue und Zerknirschung. – „Warum durfte ich das wahre Glaubens- und Sittengesetz, die römisch-katholische Kirche und ihre Gnadenmittel kennenlernen, um meine Seele zu retten? Und warum andere nicht, die deshalb nun ewig verdammt sind?“ Und wir werden schauen das Geheimnis der Auserwählung Gottes.

Wir werden fragen wie die Königin von Saba und der Salomon des Himmelreiches, Gott selbst, wird uns belehren über alles, was wir Ihn fragen. Nicht mit Worten, sondern durch die Entschleierung Seines dreimalheiligen Angesichtes. Er wird uns belehren über Vergangenheit und Zukunft, über Zeit und Ewigkeit, über die Geheimnisse des menschlichen und des göttlichen Lebens. So wird in einem Augenblick das ergänzt und bei weitem übertroffen, was schulische oder akademische Bildung nicht vermittelt hat, ja gar nicht vermitteln konnte. Es mögen sich also alle trösten, welche aus Mangel an geistiger Kapazität, des Verstandes, des Gedächtnisses, der schulischen Unterweisung oder der Zeit gehindert waren, das zu lernen, was tausend andere gelernt haben. Die Zeit wird kommen, wo wir in einem Augenblick alles nachholen können! Trösten wir uns, die wir jetzt im Dunkel des Glaubens wandeln und die geheimnisvollen Lebensschicksale nicht enträtseln können. Es kommt der Tag, an dem die Sonne des göttlichen Angesichtes dieses Dunkel vollständig aufhellt und wir erkennen, daß alles gut und notwendig gewesen ist, was Gottes weise Vorsehung uns an Prüfungen, Kreuzen und Leiden zugemutet hat.

Schau der Herrlichkeit Gottes

Gehen wir aber weiter. Was sah die Königin von Saba? Das dritte Buch der Könige berichtet: „Als die Königin von Saba alle Weisheit Salomons sah und das Haus, das er gebaut hatte, und die Speisen seines Tisches und die Wohnungen seiner Knechte und die Ordnung der Dienerschaft, da hatte sie keinen Atem mehr.“ (3. Kön. 10,4 f.).

Sie war zwar selbst eine Königin: in einem Palast geboren, an einem glänzenden Hof erzogen und dort lebend. Sie war also an königliche Pracht gewöhnt und deshalb nur schwer zu beeindrucken. Sie selbst brachte königliche Dienerschaft und königliche Geschenke mit sich. Aber all das war am Jerusalemer Hof viel prächtiger als in ihrer Heimat. Die Diener König Salomons waren zahlreicher, wohlgeordneter, ihre Wohnungen herrlicher, die Speisen des königlichen Tisches so erlesen und köstlich, der Palast so geräumig, so strahlend, so kunstvoll mit Gold und Elfenbein ausgestattet. Ja, und der König selbst war ein Wunder männlicher Anmut, edler Liebenswürdigkeit und geistreicher Weisheit. So herrlich war alles, daß diese reiche, mächtige Königin außer sich geriet vor Staunen. Sie hatte, wie die Heilige Schrift sagt, „keinen Atem mehr“!

Nicht anders wird es uns ergehen, wenn wir einst die Tore der Stadt Gottes, des himmlischen Jerusalems, das gleichsam aus Gold und Edelsteinen erbaut ist, durchschreiten und diesen wundersamen Palast Gottes besichtigen werden (vgl. Offb. 21,9–27). – Schauen wir allein nur diese vergängliche Erde an. Wie schön ist sie durch den Wechsel von Berg und Tal, von Wäldern, Wiesen und Feldern, von Wasser und Land, von Licht und Schatten. Wie schön und reich ist sie durch den Wechsel der Jahreszeiten; durch die Heiterkeit des Frühlings, den Glanz des Sommers, die Fruchtbarkeit des Herbstes und die Geruhsamkeit des Winters. Welche Fülle der Farben und Gerüche, der Blumen und des Lichtes! Und welch ein Gewölbe ist darüber aufgespannt! Der sternengeschmückte Himmel! Die ganze Weite des Weltalls! – Wenn nun diese Erde – also jener Ort, wo die Sünder wohnen, wo Sünden begangen werden, wo Sünden bestraft werden –, wenn eben diese Erde so schön und groß ist, wie schön und wie groß wird dann erst jenes Haus sein, das Gott für Seine Freunde und Auserwählten gebaut hat? Das Haus, wo Sein Thron steht! Das Haus, wo Er Seine Herrlichkeit offenbart! Das Haus, wo Er Sein Angesicht enthüllt! – Der hl. Johannes beschreibt die Gottesstadt in der Geheimen Offenbarung wie folgt: „Ihre Mauer ist aus Jaspis gebaut und die Stadt ist aus reinem Gold, wie aus reinem Glas. Die Grundsteine der Stadtmauer sind mit edlen Steinen aller Art geschmückt. … Die zwölf Tore sind zwölf Perlen. Die Straße der Stadt ist aus reinem Gold, wie aus klarem Glas. Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm.“ (Offb. 21, 18 ff.).

Die himmlische Dienerschaft, die Scharen der Engel und Heiligen werden uns in Empfang nehmen und uns vor den Thron Gottes führen. Dort werden wir die Scharen der hl. Engel erblicken, die neun Chöre der Heerscharen Gottes. Wie viele! Wie wohlgeordnet! „Tausendmal Tausend standen vor Ihm, und zehntausendmal Hunderttausend dienten Ihm“, berichtet der Prophet Daniel von den hl. Engeln, von der erhabenen Thronassistenz, die dem göttlichen König aufwartet, um Ihm die Ehre zu erweisen, die Ihm gebührt.

Ja, und wenn wir dann den Herrn dieser Stadt von Angesicht zu Angesicht schauen dürfen, so wird auch uns der Atem stocken. Wir werden von Angesicht zu Angesicht das Antlitz des Vaters schauen, der uns erschaffen hat; das Antlitz Jesu Christi, der uns erlöst hat, und das Antlitz des Heiligen Geistes, der uns geheiligt hat. – Und was werden wir dann fühlen? Als der junge Tobias nach langer Abwesenheit seinen blinden Vater wiedersah, da stürzten sie einander in die Arme und beide weinten vor Freude. Sie stürzten einander in die Arme! Sie weinten! Sie weinten beide! Sie weinten vor Freude! Und dabei sah der junge Tobias nur das Gesicht seines greisen, blinden, alten Vaters. – Wenn wir im Himmel ankommen, wird die Schönheit und Herrlichkeit des Angesichtes Gottes unsere Seele derart in Bann schlagen, sie derart mit Erstaunen, mit Bewunderung, mit Entzücken und freudiger Wonne durchfluten, daß sie sich eine Ewigkeit nicht mehr von Ihm abwenden möchte. Daß sie sich eine Ewigkeit gar nicht sattsehen kann an Seiner unendlichen Vollkommenheit. Daß sie nur Ihn sehen will, nur Ihn, nur Gott allein: von Angesicht zu Angesicht.

Unfaßbares Staunen

Schließlich wollen wir noch erwägen, was die Königin von Saba nach all diesen Eindrücken sprach. Sie sagte nämlich: „Wahrhaftig ist die Rede, die ich in meinem Land [von dir] gehört und nicht geglaubt habe, bis ich selbst kam und mit meinen Augen sah und erfuhr, daß mir nicht die Hälfte so verkündet worden ist. Deine Werke und deine Weisheit sind größer als das Gerücht, das ich gehört habe.“ (3. Kön. 10,6 f.).

Was für ein herausragendes Lob dieser Königin! – Und auch wir werden einst nicht anders sprechen, wenn wir die Herrlichkeit Gottes, die Pracht des himmlischen Königs, bewundern. Wir werden dem Völkerapostel zustimmen und mit ihm ausrufen: „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, und in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben.“ Jetzt sehe auch ich, daß nicht die Hälfte, ja nicht ein Bruchteil von der Wirklichkeit des Himmels von den Predigern und Lehrern der Kirche hier auf Erden so verkündet wurde, wie sie tatsächlich ist. Die Schönheit Gottes und die Herrlichkeit Seiner Werke sind größer als alles, was ich davon gehört habe; größer als alles, was ich davon zu träumen gewagt hätte; vollkommener als alles, was ich überhaupt fähig war, mir vorzustellen! Und wir werden wie die Königin von Saba fortfahren: „Selig deine Untertanen, selig deine Knechte, die immer vor dir stehen und deine Weisheit hören“ (3. Kg. 4,8). Mit Recht pries die Königin von Saba jene Männer selig, die tagtäglich den weisesten aller Könige sehen, hören, mit ihm verkehren und in seinem Haus wohnen durften. Aber dagegen sind die Seligen des Himmels unendlich glückseliger zu preisen, da die bis in alle Ewigkeit vor dem Thron und vor dem Angesicht Gottes stehen dürfen.

„Gehe ein in die Herrlichkeit deines Herrn.“

Wenn wir aber die Engel und Heiligen des Himmels selig preisen, so dürfen wir dabei nicht vergessen, daß auch wir zu derselben Seligkeit berufen sind; daß sich dort, wo sie sind, unsere eigentliche Heimat befindet, unser wahres und eigentliches Vaterland, wohin so viele der Unsrigen uns nach der bestandenen Feuerprobe des Fegfeuers vorangegangen sind und wo auch wir einst ewige Ruhe und unvergänglichen Frieden finden sollen. Das müssen wir im lebendigen Glauben für uns festhalten. Niemals dürfen wir vergessen, daß alles Irdische ein Verfallsdatum trägt. Daß diese Erde nur eine vorübergehende Durchgangsstation, nur ein Mittel zu einem höheren Zweck ist und sein darf. Eine Stätte, wo wir uns das ewige Leben verdienen sollen durch Arbeit, durch Leiden, durch Überwindung von Versuchungen, durch Loslösung von den geschaffenen Gütern. Ein weises Sprichwort sagt: „Diese Welt ist nur eine Brücke, die dem Einsturz nahe bevorsteht. Gehe darüber. Aber baue nicht dein Haus darauf.“ So ist es!

Setzen wir also all unsere Kräfte daran, dieses letzte Ziel unserer irdischen Pilgerfahrt zu erreichen. Scheuen wir weder Arbeit noch Mühe; schrecken wir vor keinem Opfer zurück, mag es auch noch so groß sein. Die ewige Ruhe, das ewige Glück, die ewigen Freuden stehen in keinem Verhältnis dazu!

Die Reisebüros werben in schönen Hochglanzprospekten mit Bildern von traumhaften Sandstränden, malerischen Naturschauspielen, bekannten Sehenswürdigkeiten und luxuriös ausgestatteten Hotelzimmern.  Meist bleibt jedoch die Wirklichkeit hinter solch schönen, durch Grafikprogramme aufgehübschten Bildern zurück. Und doch. Wie viele Strapazen nehmen Touristen auf sich, um nur wenige Tage in einem fremden Land zu verbringen? Wieviel Geld und Kraft sind sie bereit aufzubieten für Urlaubstage, die bald vorbeigehen? Für wenige Tage, die nur ein wenig Abwechslung vom grauen Alltag und dabei dem ruhigen Genuß doch kaum Zeit lassen? – Das Glück des Himmels ist unermeßlich größer! Das Wohnrecht im Himmel erlischt nie! Der friedliche Genuß der ewigen Seligkeit ist unverlierbar! Was sollten uns also die Opfer und Leiden schrecken? Der freiwillige Verzicht, die geduldig ertragenen Leiden und die beschwerlichen Wege, die wir Katholiken in dieser papstlosen Zeit auf uns nehmen müssen, sind uns Quellen des Verdienstes und der Reinigung. Genauso wie sich für die Königin von Saba alle Mühen und Beschwerden der weiten Reise aus Äthiopien ins Gelobte Land mehr als gelohnt haben, werden sich auch alle Strapazen unserer irdischen Pilgerschaft als überaus lohnend herausstellen. Wenn wir als Pilger durch alles Irdische hindurchziehen, ohne es uns auf Kosten des Glaubens in dieser Welt bequem einzurichten; wenn wir dabei auch noch darauf bedacht sind, den Seelen im Fegfeuer durch die sühnenden Verdienste unserer guten Werke dazu zu verhelfen, daß sie das Himmelstor schneller erreichen, dann dürfen wir darauf hoffen, einst vom König der ewigen Herrlichkeit umso glorreicher am Tor Seiner glänzenden Gottesstadt in Empfang genommen zu werden. Und dann wird der Heiland zu uns sprechen: „Du guter und getreuer Knecht. Weil du über weniges getreu gewesen bist, will Ich dich über vieles setzen. Gehe ein in die Herrlichkeit deines Herrn.“ (Mt. 25,21). Amen.

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