Das Gleichnis vom guten Hirten

Geliebte Gottes!

Das Bild vom Hirten und von den Schafen wird schon im Alten Testament häufig gebraucht, um die Beziehung von Gott zu Seinem auserwählten Volk zu beschreiben. Aber auch die Könige, Fürsten und die Priesterschaft der orientalischen Kulturen des Altertums sahen sich im Bild des Hirten, der seine Herde weidet. Daran knüpft unser Herr Jesus Christus in Seiner Hirten-Rede an. Diese ist bei weitem umfangreicher als das heutige Evangelium, das uns nur einen kurzen Auszug daraus wiedergibt. Viele Einzelheiten des Umgangs eines Hirten mit seinen Schafen lassen sich nämlich übertragen auf das Verhältnis insbesondere des Seelsorgers zu seiner Gemeinde und auch des Familienoberhauptes, des Vaters, zur Familie und überhaupt jedes Vorgesetzten zu seinen Untergebenen.

Die Hirten haben die Verantwortung für die Schafe. Sie müssen besorgt sein für ihr Wohlergehen und ihren Schutz. Wenn sie sich verletzt oder ein Glied gebrochen haben, so müssen die Hirten es verbinden. Wenn sich ein Schaf verlaufen hat, müssen sie es suchen. Wenn die Tiere unbekümmert auf den Abgrund zusteuern, müssen die Hirten sie davor zurückhalten.

Die Hirten kennen ihre Herde. Sie führen die Schafe auf die Weide, dort finden sie Nahrung. Wenn dann der Abend hereinbricht, dann treibt der Hirte sie in den Pferch. Dort finden die Schafe Schutz vor Dieben und räuberischen Tieren, während die Hirten des Nachts abwechselnd Wache halten.

Die Tür zum Schafstall

Unter dem Schafstall im Gleichnis des Heilandes ist vor allem die katholische Kirche zu verstehen. Wer immer in den Schafstall eintreten will, der muß durch die Türe eintreten.

Die Tür zum Schafstall aber ist niemand anderes als Jesus Christus; sagt Er doch von sich selbst: „Ich bin die Tür zu den Schafen.“ (Joh. 10,7). D. h., nur der geht durch die Tür in den Schafstall, der nicht bloß den wahren Christus im Glauben annimmt, der also nicht bloß die geoffenbarte Glaubenslehre und das göttliche Sittengesetz bekennt, sondern der auch die Ehre Christi sucht, nicht das Seinige. Denn viele haben, indem sie ihre Ehre suchten, die Schafe Christi mehr zerstreut als gesammelt.

Niedrig ist die Tür zum Schafstall, hat sich doch Christus, der die Tür ist, selbst erniedrigt. „Er, der in der Gestalt Gottes war, hielt nicht wie an einem Raub daran fest, Gott gleich zu sein; sondern Er entäußerte sich, indem Er Knechtsgestalt annahm, den Menschen gleich geworden und im Äußeren als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst, indem Er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuze.“ (Phil. 2,6–8). Christus legte bei Seiner Menschwerdung den Glanz der Gottheit ab, nahm Knechtsgestalt an und erniedrigte sich bis in den schändlichen Tod am Kreuz. So niedrig ist die Tür zum Schafstall.

So muß sich auch jeder Stellvertreter des guten Hirten – sei es in der Kirche, in der Familie oder im öffentlichen Leben –, der durch die Türe zu den Schafen eintritt, erniedrigen. D. h., er muß demütig sein; darf sich den Schafen nicht in eitlem Selbstvertrauen auf sein Wissen, sein Können, seine Begabungen annehmen; er darf in seiner Fürsorge für die ihm anvertrauten nicht auf seine eigene Macht und Kraft bauen. Der hl. Augustinus sagt: „Wer durch diese Tür eintritt, der muß sich erniedrigen, um mit unverletztem Kopfe eintreten zu können. Wer sich aber nicht erniedrigt, erhebt sich.“ (In Joan. 45,5). Wer sich im Stolz aufbläst und erhebt, der stößt sich den Kopf. Und wer sich den Kopf am Türsturz stößt, dessen Gedanken sind benebelt, dessen Wahrnehmung ist verzerrt, dessen Urteil ist befangen und dessen Reden wird wirr und widersprüchlich sein. „Wer sich nicht erniedrigt, erhebt sich.“ Ein solcher tritt dann in Wirklichkeit gar nicht durch die niedrige Türe in den Schafstall, sondern wird in seiner Überhebung gleichsam über die Mauer hinweg darin einsteigen. „Wer aber nicht durch die Türe in den Schafstall eingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber.“ (Joh. 10,1).

Die Diebe und Räuber

Diebe und Räuber, darunter sind all jene zu verstehen, die neben Christus auftreten und in Konkurrenz zu Ihm um die Gunst der Seelen buhlen. Sie geben vor, um das Wohl der Schafe besorgt zu sein. Ihnen Gutes zu tun; ihnen „Heil“ zu bringen. Doch tatsächlich sind sie falsche, verderbliche „Hirten“, welche die Einheit der Herde spalten, indem sie Zwietracht säen, die Schafe auseinandertreiben, zerstreuen und verderben.

Die Diebe und Räuber, das sind die Häretiker und die Schismatiker. Sie sind nicht durch die Türe eingetreten. Denn sie bekennen und verkünden Christus nicht so, wie Er in Wirklichkeit ist. So haben es die Diebe und Räuber früher getan, so tun sie es heute und so werden sie es bis zum Ende der Welt tun.

Der Häretiker Arius sagte: Etwas anderes ist der Vater, etwas anderes ist der Sohn, als wäre der Vater der Träger einer anderen Natur als der Sohn; als wäre nur der Vater wahrer Gott und der Sohn lediglich ein gottähnliches Geschöpf, durch den dann alles andere geschaffen worden ist. Richtig würde Arius sich ausdrücken, wenn er gesagt hätte: „Ein anderer“, nicht: „etwas anderes“. Denn wenn er sagt: „Etwas anderes“, so widerspricht er Christus, der gesagt hat: „Ich und der Vater sind eins.“ (Joh. 10,30). Deshalb ging er nicht durch die Tür in den Schafstall Christi, sondern brach mit seiner „neuen Lehre“ darin ein, um die Schafe zu stehlen und zu morden.

Die „konziliare Kirche“ sagt: „Die Mohammedaner“ – die Christus, den Sohn Gottes zurückweisen – „beten zusammen mit uns zu dem einen Gott.“ Ratzinger sagte, der Alte Bund sei nicht aufgekündigt worden. Er stelle für die Juden auch heute noch einen Weg zum ewigen Heile dar. Die Juden könnten sich auch ohne den Glauben an Christus als ihren Erlöser retten. Und Bergoglio ging noch weiter und sagte, alle Religionen seien nur verschiedene Dialekte, um mit ein und demselben Gott zu sprechen. D. h., alle Religionen seien gleichberechtigte Heilswege; man bedürfe des Glaubens an Christus nicht. Weder Ratzinger noch Bergoglio noch die „Kirche des 2. Vatikanums“ treten durch die Tür in den Schafstall! Denn Christus, der die Türe ist, hat gesagt: „Niemand kommt zum Vater außer durch Mich.“ (Joh. 14,6).

Sie alle gehen nicht durch die Türe ein. Denn sie verkünden Christus so, wie sie sich Ihn ausmalen, nicht wie die Wahrheit Ihn lehrt. Den Namen „Christus“ führen sie zwar im Munde, aber die Sache – nämlich die Wahrheit – selber besitzen sie nicht. Deshalb noch einmal der hl. Augustinus: „Wer sich nicht erniedrigt, erhebt sich. Er will über die Mauer einsteigen. Wer aber über die Mauer einsteigt, erhebt sich – um zu fallen!“ Er stürzt und bricht sich das Genick, so wie sich Judas Iskarioth, der „ein Dieb war“ (Joh. 12,6), ins ewige Verderben gestürzt hatte, als er sich selbst erhängte.

Die Häretiker und Schismatiker kommen nicht, um die Schafe zu retten, sondern um sie abspenstig zu machen, sie zu verführen und zu verderben. Sie sind Diebe, weil sie fremdes Eigentum für das ihre erklären. Sie bemächtigen sich der Seelen unrechtmäßig. Sie rauben, was Gott gehört. Sie stehlen aus dem einen Schafstall Christi, was unser göttlicher Erlöser durch Sein kostbares Blut teuer erkauft hat.  Sie sind mörderische Räuber, weil sie durch das Gift ihres Irrglaubens und der Spaltung die gestohlenen Schafe töten, ihren Glauben zerstören, das Band der Liebe, das sie mit dem obersten Hirten verbindet, zerreißen und die geraubten Schafe so mit sich ins ewige Verderben reißen.

Der Türhüter

Wir sagten bereits, daß unter der Tür zum Schafstall Christus selbst zu verstehen ist, genauso wie Er auch der Hirte ist, dem der Schafstall gehört. Im Gleichnis ist aber auch die Rede von einem Türhüter. Wer ist dieser geheimnisvolle Türhüter, von dem es heißt: „Diesem [dem Hirten] öffnet der Türhüter“ (Joh. 10,3)?

Der Türhüter am Eingang zum Schafstall Christi, das ist der Heilige Geist. Denn vom Heiligen Geist sagt der Heiland zu Seinen Aposteln, den künftigen Hirten der Kirche: „Er [der Heilige Geist] wird euch alle Wahrheit lehren.“ (Joh. 16,13). Dazu erklärt der hl. Augustinus: „Was ist die Türe? Christus. Was ist Christus? Die Wahrheit. Wer öffnet die Türe, als eben der, welcher alle Wahrheit lehrt.“ (In Ioan. 46,4). Also ist der Heilige Geist, der „alle Wahrheit lehrt“, der Türhüter am Schafstall Christi. In menschlicher Gestalt begegnet uns der Türhüter folglich besonders in jenem Apostel, der den besonderen Beistand des Heiligen Geistes besitzt; in jenem Apostel, dessen Lehre durch den Beistand des Heiligen Geistes unfehlbar mit der Lehre Jesu Christi und damit mit der Stimme des Hirten identisch ist und der deshalb von dem göttlichen Hirten auch die Schlüsselgewalt über die gesamte Kirche erhalten hat (vgl. Mt. 16,19). Der hl. Petrus und seine Nachfolger sind die Türhüter, von denen alle rechtmäßigen Hirten der Kirche in den Schafstall eingelassen werden. Als Mitarbeiter der Wahrheit werden sie eingelassen, wenn sie ihre Lehrverkündigung der des hl. Petrus und damit der des Heiligen Geistes angleichen, damit in dem ganzen Schafstall nur die eine Stimme des göttlichen Hirten gehört wird. Genauso hatte es Christus den Aposteln gesagt: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich.“ (Lk. 10,16). So ist dank des Türhüters im ganzen Schafstall nur die Stimme des guten Hirten zu hören.

Jeder rechtmäßige Seelsorger muß also durch Christus „hindurchgehen“, nicht nur indem er durch den gültigen Empfang des Weihesakraments in einen „zweiten Christus“ umgestaltet wird, sondern vor allem indem er sich als ein Werkzeug Christi gebrauchen läßt, welches getreu und wahrhaftig die Lehre der katholischen Kirche und damit die Stimme des Hirten von sich gibt. Unter normalen Umständen muß ein legitimer Seelenhirte durch Christus – „die Tür“ – in den Schafstall – die katholische Kirche – gesandt werden, indem er von Petrus, dem Türhüter des Himmelreiches, oder durch dessen Stellvertreter – den Ortsbischof – die apostolische Sendung erhält, einen bestimmten, ihm zugewiesenen Teil der Herde Christi zu weiden. Auch das ist in den Worten des Herrn ausgesagt: „Diesem macht der Türhüter auf, und die Schafe hören auf seine Stimme.“ (Joh. 10,3). Wer hingegen ohne Kenntnisse, ohne Weihe, ohne kirchlichen Auftrag weidet, der ist kein rechtmäßiger Hirte. In den heutigen Umständen, da es keine menschlichen Türhüter gibt, ist es bisweilen schwierig, den Hirten vom Dieb zu unterscheiden. Die Schafe müssen genau hinhören, ob sie aus den Seelsorgern während dieser papst- und hirtenlosen Zeit die Stimme des Hirten oder die eines Fremden reden hören.

Die Schafe

Deshalb heißt es weiter: „Wer aber durch die Tür eintritt, ist der Hirte der Schafe; diesem öffnet der Türhüter und die Schafe hören Seine Stimme … Und die Schafe folgen Ihm nach, denn sie kennen Seine Stimme. Einem Fremden aber folgen sie nicht, sondern fliehen vor ihm; denn sie kennen die Stimme der Fremden nicht.“ (Joh. 10,3 f.).

Schaf Christi ist also nur, wer durch die Tür eingetreten ist und die Stimme Christi hört. Vor der Tür steht der Mensch, solange er die Wahrheit Christi nicht kennt. Er hört die Stimme Christi nicht, weil er kein Schaf Christi ist, und die Tür bleibt ihm verschlossen. Wenn er aber die Stimme Christi mit gläubigem Sinn annimmt, dann erschließt sich ihm die göttliche Wahrheit im Lichte des Glaubens und die Tür zum Schafstall wird ihm aufgetan.

Wie aber klingt diese Stimme? Hören wir ihren Klang: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch dasselbe geworden und ohne dasselbe ist nichts geworden, was geworden ist. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt; und wir haben Seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“ (Joh. 1,1–3.14).

Wer diese Stimme nicht hört und ihr nicht folgt, ist kein Schaf Christi. Durch das Hören auf die Stimme des Hirten ist es dem gläubigen Katholiken möglich, durch die Tür des Schafstalles ein- und auszugehen und die Weide des ewigen Heiles zu finden. Denn durch den wahren Glauben treten wir ein in die katholische Kirche. Wer glaubt, der wird sich taufen lassen und die Gebote halten. Das meint der Herr, wenn Er sagt: „Ich bin die Tür. Wenn jemand durch Mich eingeht, wird er gerettet werden.“ (Joh. 10,9). Denn außerhalb der Kirche kein Heil! Von den Menschen, die in den Pferch als Schafe Christi eintreten, sagt der hl. Petrus in der heutigen Epistel: „Einst wart ihr wie verirrte Schafe; jetzt aber habt ihr euch bekehrt zum Hirten und Bischof eurer Seelen.“ (1. Petr. 2,25). Und der gute Hirte „geht vor Seinen Schafen her und die Schafe folgen Ihm nach.“ (Joh. 10,4). D. h., wer die Lehre Christi annimmt und in die Nachfolge Christi tritt, indem er Ihm auf dem Kreuzweg nachfolgt und ein Nachahmer jenes Beispiels der Demut, der Geduld und der Liebe wird, mit dem uns Christus vorangegangen ist, der ist ein Schaf Christi.

Nun gibt es aber eine Stimme des Hirten, in welcher die Schafe die Stimme der Fremden nicht hören. Sie sagt: „Wer ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden.“ (Mt. 10,22). Das ist die Hirtenstimme, die Stimme des Heiles. Wer diese Stimme hört, ist ein Schaf Christi. Auch wenn er bisweilen vom rechten Pfad der Nachfolge abirren mag, so wird er doch immer wieder dieser Stimme Folge leisten. Wenn er abgeirrt ist, kehrt er zurück, um jene Stimme des Hirten zu hören und dem zu folgen, was er unbeachtet ließ, um zu tun, was er gehört hat. Ausharren bis ans Ende, das ist die Sache der Schafe, welche die Stimme des Hirten hören. Wenn die Schafe so in den Schafstall der Kirche eingehen und dem Hirten auf diese Weise treu nachfolgen, dann werden sie auch eines Tages davon „ausgehen“.

Der Hirte „ruft die eigenen Schafe mit Namen und führt sie heraus.“ (Joh. 10,3). Und das Schaf wird „ausgehen und Weide finden“. (Joh. 10,9). Das wird geschehen, wenn der gute Hirte die Seele eines Tages aus diesem Leben herausführen wird, hinüber in die Weite der Ewigkeit. Dort wird sie ihr Labsal finden an den übernatürlichen Gütern des Himmelreiches und dort ewige Weide finden.

Ja, Schafe Christi wollen wir sein! Schafe, welche die Stimme des Hirten hören und Ihm treu und beharrlich nachfolgen, wohin er uns auch führt. Überall werden wir Weide finden – süße und bittere Kräuter –, so wie sie unserem Wachstum und der Gewichtszunahme an Verdiensten dienlich ist. Danken wollen wir dem guten Hirten, daß wir den Dieben entrissen wurden. Und wir wollen uns hüten, zu murren und unwillig gegen denjenigen zu sein, der uns in den Schafstall Christi gerufen hat.

Der gute Hirte

Erst jetzt, nach dieser Vorbereitung, kommt Jesus zu der entscheidenden Aussage über sich selbst, die im heutigen Evangelium vorgelegt wird: „Ich bin der gute Hirt.“ (Joh. 10,11). – Worin besteht das Wesen des Gutseins? Der Herr beantwortet die Frage unmittelbar, indem er hinzufügt: „Der gute Hirte gibt sein Leben für seine Schafe.“ (ebd.). Das Gutsein zeigt sich in der Gefahr. Es zeigt sich dann, wenn der Wolf kommt. Der gute Hirte verläßt seine Herde nicht. Er setzt vielmehr sein Leben ein, damit die Schafe dem sicheren Tod entkommen. Er stirbt an ihrer Stelle. Sie sind ihm teurer als sein eigenes Leben! Unser Herr hat in Seinem Leiden und Sterben am Kreuz gezeigt, daß Er ein Hirte aus solch gutem Holze ist. Er hat den Wolf der Sünde, welcher das Leben der Schafe bedrohte, auf Sich gelenkt. Er hat sich an unserer Stelle vom Wolf zerreißen lassen. „Er trug unsere Sünden an Seinem Leibe auf das Kreuzesholz hinauf, damit wir … leben.“ (1. Petr. 2,24). Jesus liebte die Seinen mehr als Sein eigenes Leben. Damit hat Er Sein Gut-Sein, Sein Guter-Hirt-Sein unter Beweis gestellt. Er ist der gute Hirte schlechthin.

Zwischen dem Guten Hirten und Seinen Schafen besteht eine sehr enge Beziehung – nämlich Hingabe, Vertrauen und Liebe. Diese betrifft sowohl den Einzelnen als auch die Gesamtheit. Den Einzelnen: Der Hirte ruft die Schafe bei ihrem Namen. Jedes Schaf hat seinen eigenen unverwechselbaren Namen. Jesus sorgt sich um jede einzelne Seele, als gäbe es nur diese eine. Genauso bekümmert ist Er um die Gemeinschaft: Alle folgen dem Hirten auf die Weide des Lebens. Alle, die Seinen, hat Christus auserwählt. Seine gesamte Herde empfängt Leben und Heil von Ihm. Diese Vertrautheit und Nähe zwischen dem Hirten und den Schafen gründen auf deren Erwählung durch Christus und auf Seinem Lebensopfer für sie.

Der Mietling

Was sagen wir aber vom Mietling? Auch er steht in einem Gegensatz zum guten Hirten, ähnlich wie der Dieb und der Räuber. Vom Mietling heißt es: „Er sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht; und der Wolf raubt und zerstreut die Schafe.“ (Joh. 10,12).

Der Mietling steht im Gegensatz zum Hirten. Er unterscheidet sich von ihm wesentlich in seiner Gesinnung, in seinem inneren Antrieb. Die Gesinnung eines wahren Hirten finden wir in dem Befehl Christi angedeutet, den Er dem hl. Petrus gab, als Er ihn nach Seiner Auferstehung zum Papst einsetzte. Was sprach der göttliche Hirte dabei zu Simon Petrus? „Weide Meine Schafe! Weide Meine Lämmer!“ (Joh. 21,15.16). Dazu läßt der hl. Augustinus den Heiland erklärend sagen: „Wenn du Mich liebst, denke nicht daran, dich zu weiden! Weide vielmehr Meine Schafe; und zwar weide sie als die Meinen, nicht als die Deinen! Suche in ihnen Meinen Ruhm, nicht deinen; Mein Eigentum, nicht deines; Meinen Vorteil, nicht Deinen!“ (In Joan. 73,5). Das gilt nicht nur für die Hirten der Kirche, sondern auch für die Väter und Mütter und für alle Vorgesetzten!

Der hl. Kirchenlehrer zieht daraus den Schluß: „Wir wollen also nicht uns, sondern Ihn lieben und beim Weiden Seiner Schafe Seinen Vorteil, nicht unseren suchen. Denn ich weiß nicht, auf welche unerklärliche Weise es geschieht, daß ein jeder, der sich selbst liebt, weder Gott noch sich selbst liebt. Und wer aber Gott liebt und nicht sich selbst, der ist es, der sich liebt.“ (ebd.). Wer Gott liebt, der ist ein Kind Gottes und der trägt die Gesinnung des Sohnes in sich.

Zur Gesinnung des Sohnes steht im Gegensatz die Gesinnung des Mietlings. Während der Sohn uneigennützig für den Vater arbeitet, so als wäre der Besitz des Vaters schon sein eigener, erwartet der Mietling einen anderen Lohn. Deshalb wird er auch „Mietling“ genannt, weil er „gemietet“ ist, weil er um der Bezahlung willen im Dienste seines Herrn steht, nicht aus Liebe.

Wer ist also der Mietling? Der hl. Papst Gregor sagt: „Mietling nämlich ist der, welcher das Hirtenamt besetzt, aber um das Heil der Seelen nicht besorgt ist, sondern nur zeitlichen Vorteilen nachjagt.“ (Hom. in Ev. 14,2). Es gibt in der Kirche – aber nicht nur in ihr – gewisse Vorgesetzte, von denen der hl. Apostel Paulus sagt: „Sie suchen das Ihrige und nicht das, was Jesu Christi ist.“ Was heißt „Sie suchen das Ihrige“ anderes, als daß sie Christus nicht selbstlos lieben? Sie suchen und dienen Gott nicht wegen Gott, sondern streben nach irgendeinem zeitlichen Vorteil. Sie sind auf Gewinn aus. Manche auf materiellen Gewinn: Geld, Pfründe, ein wohldotiertes (Pfarrer‑)Gehalt. Andere – und das sind die meisten – rechnen sich einen geistigen Lohn für ihre Arbeit aus: Sie haschen nach Ehren und Ansehen bei den Menschen. Sie wollen beliebt sein! Mehr bei den Menschen als bei Gott. Wenn Vorgesetzte diese Dinge lieben und ihretwegen Gott dienen, dann sind sie zu den Mietlingen zu zählen und nicht zu den Söhnen. Von ihnen sagt der Heiland: „Sie haben ihren Lohn schon empfangen.“ (Mt. 6,5).

Nichtsdestotrotz sind auch die Mietlinge notwendig! Viele nämlich, die in der Kirche zeitliche Vorteile gesucht haben, predigten dennoch Christus, und durch sie wurde die Stimme Christi gehört, und es folgten die Schafe, nicht dem Mietling, sondern der Stimme des Hirten durch den Mietling. Sagt doch der Herr selber: „Die Schriftgelehrten und Pharisäer sitzen auf dem Stuhle des Moses. Alles also, was sie euch sagen, das haltet und tut. Nach ihren Werken aber handelt nicht, denn sie sagen zwar, aber tun es nicht.“ (Mt. 23,2 f.). Auch durch die Mietlinge hört man also die Stimme des Hirten. Sie lehren das Gesetz Gottes. Darauf sollen wir hören. Wenn sie aber selber davon abweichen, so sollen wir sie darin nicht nachahmen. In ähnlicher Weise schrieb auch der Völkerapostel an die Philipper: „Ich habe keinen, der brüderlich für euch besorgt wäre; denn alle suchen das Ihrige, nicht das, was Jesu Christi ist.“ (Phil. 2,20 f.) „Einige predigen Christus aus Neid und Streitsucht, andere aber auch aus guter Gesinnung, einige aus Liebe, weil sie wissen, daß ich zur Verteidigung des Evangeliums aufgestellt bin; einige aber verkünden Christus auch aus Widerspenstigkeit, nicht in reiner Absicht, in der Meinung, daß sie meinen Banden Trübsal erwecken“ (Phil. 1,15–18). Das waren Mietlinge, sie waren eifersüchtig auf den hl. Apostel Paulus. Warum waren sie eifersüchtig? Weil sie nach Zeitlichem – etwa nach Vorrang, Vorzüglichkeit, Beliebtheit und Einfluß in Konkurrenz zum Völkerapostel – strebten? Doch beachten wir, was der Völkerapostel beifügt: „Doch was liegt daran? Wenn nur auf jede Weise, sei es aus Vorwand, sei es in Aufrichtigkeit, Christus verkündet wird; darüber freue ich mich, ja, werde mich auch ferner freuen.“ (Phil. 1,20).

Es gibt also Hirten und Mietlinge. Sie auf den ersten Blick voneinander zu unterscheiden, ist für die Schafe kaum möglich, weil wir nicht wie Gott in das Herz der Menschen hineinblicken können und ihre wahren Motive weder ermessen noch gerecht beurteilen können. Doch gibt es Situationen, in denen die verborgene Gesinnung offenbar wird, sagt doch der Heiland: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ (Mt. 7,16). Für den Hirten und den Mietling ist der Zeitpunkt des Fruchtbringens gekommen, wenn der Wolf naht.

Der Wolf ist der Teufel. Der Wolf ist die Versuchung. Der Wolf ist die Sünde, der Irrtum, der Versuch der Spaltung, das Laster, das Ärgernis. Ferner spricht Christus auch von „falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, in Wirklichkeit aber reißende Wölfe sind“. (Mt. 7,15). Und als der hl. Apostel Paulus in Milet von seiner Gemeinde Abschied nahm, da ließ er die Bischöfe und Priester zu sich kommen und hielt ihnen eine Ansprache: „Ich weiß, nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen.“ (Apg. 20,29). Der Wolf steht also auch für die tödliche Gefahr, die sich einschleicht und das Seelenheil bedroht. Kurz: Unter dem Wolf ist all das zu verstehen, wogegen der Hirte einschreiten müßte, um die Schafe vor Schaden zu bewahren.

Während es deshalb vom Hirten heißt, daß er dem Wolf entgegentritt und sein Leben hingibt für seine Schafe, heißt es vom Mietling: „Wenn er den Wolf kommen sieht, flieht er, weil ihm die Schafe nicht zu eigen sind und er sich um die Schafe nicht kümmert.“ (Joh. 10,15).

Es prüfe sich also ein jeder von uns, ob er in seinem Verantwortungsbereich Hirte oder Mietling ist! Wer ist der Mietling, der den Wolf kommen sieht und flieht? Antwort: Wer das Seinige sucht und nicht das, was Jesu Christi ist. Der es also nicht wagt, den Sünder freimütig zurechtzuweisen, der ihn nicht rügt, nicht straft; weil er das Seinige sucht und nicht das, was Jesu Christi ist. Weil er den Lohn der menschlichen Freundschaft mit dem Sünder höher schätzt, als sich durch den gerechten Tadel dessen Abneigung oder gar Feindschaft zuzuziehen. Der hl. Augustinus sagt: „Siehe, der Wolf hat das Schaf an der Kehle gepackt, der Teufel hat den Gläubigen zu einem Ehebruch verführt. Du schweigst. Du tadelst nicht. O Mietling! Du hast den Wolf kommen sehen und bist geflohen. – Er antwortet mir vielleicht und sagt: ‚Siehe, ich bin da. Ich bin nicht geflohen.‘ Sehr wohl bist du geflohen, weil du geschwiegen hast. Du hast geschwiegen, weil du dich gefürchtet hast [vor der Zurechtweisung und dem damit einhergehenden Sympathieverlust]! Die Flucht der Seele, das ist die Furcht. Dem Leibe nach bist du stehen geblieben, dem Geiste nach bist du geflohen.“ Warum ist er geflohen? Weil er Mietling ist. Weil er den zeitlichen Lohn der menschlichen Freundschaft höher schätzte und weil ihn das Schaf Christi, also das Seelenheil dieses Menschen, weniger kümmerte als der Lohn der Beliebtheit.

Den Mietlingen aber sprach Gott durch den Mund der Propheten eine deutliche Warnung aus. Beim Propheten Jeremias heißt es etwa: „Wehe den Hirten, welche die Schafe Meiner Weide sich verirren und sich zerstreuen lassen!“ (Jer. 23,1). Und beim Propheten Ezechiel lesen wir: „Wehe den Hirten, welche sich selber weiden!“ (Ez. 34,2).

Deshalb mahnt der hl. Paulus in seinem Schüler Timotheus einen jeden Hirten in seinem Verantwortungsbereich: „Verkünde das Wort, tritt auf, sei es gelegen oder ungelegen. Rüge, mahne, weise zurecht in aller Geduld und Lehrweisheit.“ (2. Tim. 4,2).

Das Hirtenopfer

Die wahre Hirtensorge verlangt also eine große Opferbereitschaft. Weil dabei gerade die Priester in der unmittelbaren Nachfolge des guten Hirten stehen, müssen sie sich gerade darin besonders auszeichnen. Das Priestertum verlangt außerordentliche Opfer, darunter jenes besondere und vollständige Erstlingsopfer der liebenden Selbsthingabe an Christus durch den Zölibat. Wohlgemerkt! Der Zölibat ist kein Gesetz, das die Kirche dem jungen Mann aufzwingt. Der Zölibat ist ein freier Entschluß, den der Priesteramtskandidat selbst faßt. Lediglich will die Kirche keine Diener in ihren Reihen aufnehmen, welche einer solchen Aufopferung ihrer selbst nicht fähig sind! Ein Hirte nach dem Vorbild Jesu Christi muß dazu in der Lage sein, sein Leben hinzugeben. Die Kirche will deshalb nur Diener haben, deren Streben ungeteilt auf Gott ausgerichtet ist. Sie will Hirten haben, die großmütig genug sind, wenn es erforderlich ist, sogar ihr Leben für ihre Schafe hinzugeben. Wie könnte sie dies aber von denjenigen erwarten, die nicht einmal ein natürliches Verlangen opfern können oder opfern wollen?

Viele Priester haben am Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Rote Armee immer weiter vorrückte, diesen Zusammenhang nicht nur verstanden, sondern ihn im Leben wie im Sterben bewährt. Der Priester Johannes Frank betreute seit 1942 die Gemeinde in Flamberg in Ostpreußen. Bei einer Zusammenkunft mit seinen Gemeindemitgliedern wurde er 1944 gefragt: „Herr Pfarrer, wenn die Russen auch nach Flamberg kommen, werden Sie uns wohl verlassen?“ Der Priester antwortete: „Ich bleibe bei Euch, und wenn wir alle von den Russen erschossen werden.“ Er blieb. Die eindringenden Russen ergriffen und deportierten ihn; und er ist an einem unbekannten Ort gestorben. „Der gute Hirte gibt sein Leben für seine Schafe.“

Der damalige Pfarrer Bruno Weichsel von Saalfeld, ebenfalls in Ostpreußen, sah die russischen Truppen im Januar 1945 heranrücken. Man riet ihm zur Flucht. Er aber gab zur Antwort: „Solange noch ein Mitglied meiner Gemeinde hier ist, gehe ich nicht von meinem Platz.“ Die Russen besetzten den Ort. Er befand sich in der Kapelle. Ein Soldat zerschmetterte ihm mit dem Gewehrkolben den Kopf. Sein Blut spritzte an die Wand. „Der gute Hirte gibt sein Leben für seine Schafe.“

Der Priester Norbert Sobel betreute eine Schwesterngemeinschaft in Naumburg, in Schlesien. Als die Rote Armee anrückte, schrieb er in seinem letzten Brief vom 18. Februar 1945: „Es ist notwendig, daß ich als Hirte bei meiner Herde bleibe, die noch etwa dreißig an der Zahl mißt. Es wird zwar mein irdisches Leben kosten, aber ich hoffe auf das himmlische.“ Am 2. März 1945 wurde er erschossen. „Der gute Hirte gibt sein Leben für seine Schafe.“

Solch opferbereitem Hirtenbeispiel eiferten auch tapfere Ehemänner und Familienväter nach. Der Mann und Vater, der das Ideal des guten Hirten in seiner Ehe und Familie verwirklichen will, muß ein Schützer seiner Frau und seiner Kinder sein. Dieser Schutz kann extreme Formen annehmen, etwa wie es in Kriegs- und Nachkriegszeiten oft geschehen ist, wo sich so mancher heldenhafte Ehemann schützend vor seine Frau, vor seine Tochter gestellt hat, um feindliche Bedränger von gewalttätigen Schandtaten abzuhalten, und dafür den Tod erlitten hat.

Es ist an der Zeit, sich auf das Gleichnis und die Wirklichkeit von Hirte und Herde zu besinnen und um gläubige, fromme, opferbereite Priester, Familienväter und Ehemänner zu beten. Wir wissen, wie solche Priester und Väter aussehen müssen: Wie der gute Hirte! Es sollen gute Hirten sein, die ihre Herde kennen, die sich für ihre Herde aufopfern, die dem Wolf, sowohl in Form schlechter Menschen, schlechter Vorbilder und Freunde als auch in der unsichtbaren Gestalt, schlechter Ideen, Überzeugungen und Lebensgewohnheiten, entgegentreten und ihn abwehren. Die Schäfchen sollen sich als willige Gemeinschaft um ihren Hirten versammeln. Sie sollen Gläubige oder Familienmitglieder sein, die ihrem Vater vertrauen, die ihm folgen und die für ihn eintreten. „Christus hat für uns gelitten und euch ein Beispiel hinterlassen, damit auch ihr in Seine Fußstapfen tretet.“ (1. Petr. 2,21). Amen.

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