Das Fegfeuer

Geliebte Gottes! 

Die Festwoche von Allerheiligen widmet sich neben der Verehrung der Heiligen im Himmel vor allem dem Gebet für die Verstorbenen. Am Allerseelentag gibt die Kirche dem Priester die Erlaubnis, drei hll. Messen für die Armen Seelen im Fegfeuer zu zelebrieren. Außerdem öffnet sie den Gläubigen an Allerseelen und am heutigen Sonntag die Schatzkammern ihrer Barmherzigkeit, damit vergleichsweise einfache möglichst viele vollkommene Ablässe für die Verstorbenen gewonnen werden können. 

All diese frommen Übungen machen jedoch nur Sinn, wenn es außer dem Himmel und der Hölle auch noch einen dritten Ort gibt, an den die Seele eines Menschen nach dem Tod gelangen kann. Für die Verstorbenen hll. Messen zu lesen, Ablässe zu gewinnen oder überhaupt irgendein Gebete zu verrichten macht nur Sinn, wenn es das Fegfeuer gibt. Gäbe es nur Himmel und Hölle, wie etwa die Protestanten und Orthodoxen behaupten, dann wäre jedes Gebet für die Verstorbenen völlig überflüssig und unnütz. Denn entweder ginge eine Seele nach dem Tod unmittelbar in den Himmel ein, dann bedürfte sie unserer Hilfe durch das hl. Meßopfer, die Ablässe und Gebete gar nicht. Oder aber, wenn sie zur Hölle verdammt wäre, dann nützten ihr unsere Gebete und unsere frommen Übungen nichts. Die Tatsache, daß sowohl die Protestanten als auch die Orthodoxen für ihre Verstorbenen beten, ist ein Beweis dafür, daß ihnen durch ihr natürliches Empfinden klar ist, daß wohl die meisten Sterbenden zu schlecht sind, um unmittelbar in den Himmel einzugehen, aber gleichzeitig auch zu gut, um auf ewig in die Hölle zu kommen. So strafen die Taten der Häretiker ihre hartnäckige Leugnung des Fegfeuers von selbst Lügen.

Die Existenz des Fegfeuers

Die Bestätigung dafür, daß das natürliche menschliche Empfinden hierbei richtig liegt, finden wir in der göttlichen Offenbarung. Die Häretiker stützen ihre Leugnung des Fegfeuers auf die Behauptung, es stünde davon nichts in der Heiligen Schrift. Freilich, das Wort „Fegfeuer“ ist in der Heiligen Schrift nicht zu finden, sehr wohl aber das, was mit dem Wort gemeint ist. Schon im Alten Testament. Im letzten Heldenzeitalter der Juden, welches in den beiden Makkabäer-Büchern festgehalten wurde, kämpften die Juden tapfer und siegreich gegen die Könige von Syrien. In diesem Krieg siegte eines Tages der gottesfürchtige Held Judas Makkabäus über den heidnischen Feldherrn Gorgias. Einige der jüdischen Krieger fielen in der Schlacht. Als Judas nach dem Sabbat auf das Schlachtfeld zurückkehrte, um die Gefallenen ehrenvoll zu bestatten, da fand man unter ihren Habseligkeiten goldene und silberne Götzenbilder, die sie einige Tage zuvor bei der Erstürmung und Plünderung einer heidnischen Stadt als Beutegut an sich genommen hatten. Nun war es den Juden jedoch durch das göttliche Gesetz nicht nur verboten, Götzenbilder und alles, was zum Götzendienst gehört, zu verfertigen, sondern auch derlei Dinge zu besitzen und zu behalten. Die gefallenen Soldaten hatten also kurz vor ihrem Tod gesündigt. Ihre Sünde war um so schwerwiegender, weil sie ja gerade für die Verteidigung des Gesetzes Gottes gegen die Heiden Krieg führten. Nichtsdestotrotz glaubte der Feldherr, daß sie nicht verdammt seien. Warum? – Sie waren ja gefallen unter einem heiligen Anführer, in einem gerechten Krieg, kämpfend für die Sache Gottes und Sein Gesetz. Ein schöner Tod! – Deshalb glaubte Judas Makkabäus, ein herrlicher Lohn würde die Gefallenen in der Ewigkeit erwarten. – Er sah also einerseits im Leben ihre Sünde. Andererseits ihren herrlichen Tod. – Das erste ließ fürchten. Das andere ließ hoffen. – Das eine ließ sie eindeutig zu schlecht für den Himmel erscheinen. Das andere zu gut für die ewige Verdammnis. – Was glaubte also Judas Makkabäus von seinen gefallenen Kameraden? Daß sie verloren seien? – Nein, daß sie vielmehr an einem Ort seien, wo sie einerseits der Hilfe bedürftig seien, aber wo man ihnen andererseits auch tatsächlich helfen konnte. Was tat er nämlich? – Er veranstalte eine Kollekte, eine Sammlung unter den überlebenden Kriegern seines Heeres. Es kamen 12.000 Drachmen Silber zusammen. Er schickte das Geld nach Jerusalem, damit dort von den Priestern ein Opfer dargebracht werde, durch das die Gefallenen von ihren Sünden erlöst würden. – Judas Makkabäus glaubte also an einen Reinigungsort, an dem die abgeschiedenen Seelen für ihre Sünden büßen mußten, ehe sie die ewige Ruhe finden konnten. Dasselbe glaubten auch die jüdischen Soldaten, die zu der Kollekte ihr Silber beisteuerten, sonst hätten sie nichts gegeben. – Dasselbe glaubten auch die Priester, sonst hätten sie das Geld nicht angenommen, um damit ein Opfer auszurichten und darzubringen. – Und auch der hl. Schriftsteller hatte diesen Glauben, denn er schließt seien Bericht mit den Worten: „Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöst werden“ (2. Makk. 12, 46).

Auch aus dem Neuen Testament läßt sich nachweisen, daß es ein Fegfeuer gibt. In einem Gleichnis sagte Christus: „Du aber, wenn du mit deinem Widersacher zur Obrigkeit gehst, so gib dir auf dem Weg Mühe, von ihm loszukommen, damit er dich nicht etwa vor den Richter ziehe und der Richter dich dem Gerichtsdiener übergebe und der Gerichtsdiener dich in das Gefängnis werfe. Ich sage dir: Du wirst von dort nicht herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahlt hast“ (Lk. 12, 58 f.). – Wen spricht der Heiland an? Jeden Menschen. – Wer ist der Widersacher? Es ist der Ankläger im Gericht. Also entweder das eigene Gewissen oder Gott Selbst. – Was ist der Weg zum Gericht? Das ist das Leben auf Erden. Es ist ein Weg zum Gericht. – Wer ist der Richter? Gott, bzw. unser Herr Jesus Christus, dem vom Vater die Gewalt übertragen wurde die Menschen einst zu richten. – Wovon sollen wir während unserer Lebenszeit loskommen? Von der Sündenschuld, derer uns unser Gewissen anklagt. – Was ist der Kerker, aus dem man nicht herauskommt, bis man auch den letzten Heller der Schuld bezahlt hat? – Ist es der Himmel? Wohl kaum. Der Himmel ist kein Kerker. – Dann aber vielleicht die Hölle? Auch nicht, weil niemand aus der Hölle wieder herauskommt. – Was bleibt also dann? Der Kerker ist nichts anderes als das Fegfeuer. Es ist ein Ort der Strafe, aus dem es keine Befreiung gibt, bis nicht die ganze Sündenschuld abgebüßt und alle Strafen getilgt sind. 

Am deutlichsten spricht der hl. Paulus im ersten Korinther-Brief vom Fegfeuer. Er erklärt seinen Gläubigen, daß Christus das einzige Fundament der Erlösung ist, auf welches jeder Mensch während seiner Lebenszeit auf Erden das Gebäude errichtet, das er einst in der Ewigkeit beziehen wird. Und er sagt: „Ob einer auf diesen Grund mit Gold, Silber, Edelsteine oder mit Holz, Heu und Stoppeln aufbaut, so wird eines jeden [Menschen] Werk offenbar werden; denn der Tag des Herrn wird es kundmachen, weil es im Feuer offenbar werden wird, und wie das Werk eines jeden ist, wird das Feuer erproben. Hält das Werk stand, das einer baute, so wird er Lohn empfangen. Wessen Werk aber niederbrennt, der wird Schande erleiden. Er selbst wird zwar selig werden, doch so wie durch Feuer hindurch“ (1. Kor. 3, 12-15). Die Baumaterialien, mit denen der Mensch auf das Fundament des katholischen Glaubens und der heiligmachenden Gnade aufbaut, sind entweder Gold, Silber und Edelsteine. Also überaus kostbare, edle Baustoffe, die allesamt feuerbeständig sind. Sie sind ein Bild für die durch die Gnade gewirkten übernatürlich guten Werke. Wenn die Werke des Menschen jedoch von der Sünde befleckt sind, ist es so, als wären unter die kostbaren Baustoffe minderwertige, billige und unbeständige Materialien gemischt worden, eben Holz, Heu und Stoppeln. Der hl. Augustinus sagt: „Das Nachsinnen über Gott ist wie Gold, die Nächstenliebe ist wie Silber, die guten Werke sind wie Edelsteine. Läßliche Sünden aber sind Holz, Heu und Stoppeln.“ – Wann wird die Bauabnahme erfolgen? – Am „Tage des Herrn“, d.h. am Tag des Gerichts. – Wie wird die Qualität des Bauwerkes geprüft? – Durch das Feuer, d.h. durch das unbestechliche Urteil Gottes, welches nicht nur außen an der Fassade bleibt, sondern prüfend bis ins Mark hinein dringt und schonungslos die Qualität der Bausubstanz offenlegt. – Hält das Werk stand, so wird der Erbauer belohnt. Womit? Mit der ewigen Glückseligkeit. – Doch was geschieht mit dem, dessen Werk niederbrennt? Wird er verdammt? – Nein, denn er hat ja auf das richtige Fundament gebaut. Er hat den Glauben an Christus und den Stand der heiligmachenden Gnade bewahrt. Deshalb heißt es von ihm: „Er selbst wird zwar selig werden.“ Doch zunächst werden ihm seine Sünden Schande und Pein bereiten. Sein Bauwerk muß erst von aller Unreinheit gesäubert werden. Und zwar „so, wie durch Feuer hindurch.“ Die Glut des Feuers muß alles Unedle, Unbeständige, Schmutzige verzehrt, so daß nur das Reine, Edle und für die Ewigkeit Beständige zurückbleibt. – Viele Väter, besonders die hll. Cyprian, Ambrosius, Papst Gregor der Große haben die Worte des hl. Paulus in derselben Weise wie der hl. Augustinus auf das reinigende Feuer das Fegfeuers bezogen.

Ganz allgemein muß gesagt werden, daß alle hll. Väter, nicht bloß diejenigen aus der späteren Zeit, sondern auch diejenigen aus der ältesten Zeit; nicht bloß des Väter des Abendlandes, sondern auch diejenigen des Morgenlandes bezeugen, daß es Brauch sei, für die Verstorbenen beim hl. Opfer zu beten. Diesen Brauch führen sie alle ausdrücklich auf die hll. Apostel zurück. So sagt Tertullian, ein Kirchenschriftsteller des 2. Jahrhunderts, die Fürbitte für die Verstorbenen sei eine apostolische Überlieferung. – Deshalb deklarierten die Konzilien von Lyon und Florenz, später dann noch einmal das Konzil von Trient, die Lehre von der Existenz des Fegfeuers als Dogma des katholischen Glaubens.

Die armen Seelen

Wenden wir uns sodann den Bewohnern des Reinigungsortes zu. Welche Seelen kommen in das Fegfeuer? – In das Fegfeuer kommen die Seelen der Gerechten. Also nur solche, die frei von Todsünden, im Stand der heiligmachenden Gnade gestorben sind. Die des Himmels sicher sind. Die künftigen Bewohner des Himmels. – Es sind Seelen, die mit aller Kraft auf das ewige Leben hoffen; Seelen, die Gott lieben und die von Gott geliebt werden. Doch sind diese Seelen noch nicht vollkommen. – Der hl. Evangelist Johannes sagt ausdrücklich in der Geheimen Offenbarung: „Nichts Unreines wird in sie [die Herrlichkeit des Himmels] eingehen“ (Offb. 21, 27). Aufgrund ihrer Unvollkommenheit ist diesen Seelen der Zutritt zum Himmelreich noch verwehrt. – Das Fegfeuer ist also der Ort der Unvollkommenen; der Ort, an dem das nachgeholt wird, was zur vollkommenen Heiligkeit fehlt. 

Wenn wir einst selig sterben werden, dann werden uns die Augen aufgehen, und wir werden im Lichte des göttlichen Gerichtes mit größter Wahrscheinlichkeit zahlreiche Unvollkommenheiten an unserer Seele erkennen. Deshalb werden wir ein tiefes Verlangen haben, in das Fegfeuer zu gehen und uns von diesen Unvollkommenheiten reinigen zu lassen. – Stellen wir uns vor, wir wären zu einem hohen gesellschaftlichen Festakt geladen. Viel Prominenz ist zugegegen. Alle Geladenen sind in vornehmer Gewandung erschienen; die Männer in Frack und Zylinder, die Damen in edlem Schmuck und herrlichen Kleidern. Nur wir stünden in schmutziger Unterwäsche da. – Was würden wir denken? „O wie peinlich! Wie unpassend, ja anstoßerregend sehe ich aus! So wie ich aussehe, kann ich nicht an dem Fest teilnehmen. Hier bin ich völlig fehl am Platz.“ – Was würden wir also tun? Wir würden uns zurückziehen, uns waschen und versuchen, irgendwoher bessere Kleidung zu bekommen. – Wenn wir also unmittelbar nach dem Tod im persönlichen Gericht schonungslos mit all unseren Unvollkommenheiten konfrontiert sein werden, dann wird uns ganz automatisch klar werden, daß wir, so wie wir sind, unmöglich in den Himmel eingehen können.

Was sind diese Unvollkommenheiten genau, die uns den Zutritt ins Himmelreich verwehren? – Drei Dinge; 1. Läßliche Sünden, die wir zu Lebzeiten nicht gebeichtet haben oder nicht mehr beichten konnten. 2. Die ungeordneten Anhänglichkeiten an geschaffene Dinge, von denen wir es versäumt haben, uns zu Lebzeiten davon loszulösen. 3. Die zeitlichen Strafen, die wir für die Sünden, die wir begangen haben, auf uns geladen haben, es aber zu Lebzeiten versäumt haben. dafür hinreichende Genugtuung zu leisten, sei es durch Vernachlässigung der Werke der Buße – Fasten, Gebet, Almosen – oder durch Vernachlässigung der Gewinnung von Ablässen.

Die noch-nicht-nachgelassenen läßlichen Sünden

Jeder Mensch, selbst ein heiliger (außer die unbefleckte Jungfrau Maria), begeht jeden Tag läßliche Sünden. Gott sagt: „Der Gerechte sündigt siebenmal am Tag“ (Spr. 24, 16). Nicht aus willentlicher Bosheit, sonst wäre er nicht gerecht, sondern aus Schwäche. Auch diese läßlichen Sünden müssen nachgelassen werden. – Sie können zu Lebzeiten leicht nachgelassen werden etwa durch die hl. Beichte oder durch eine mit Zerknirschung und großer Gottesliebe empfangene hl. Kommunion. Vorausgesetzt freilich, daß uns diese Sünden wirklich leid tun. Auch durch Werke der Nächstenliebe werden läßliche Sünden nachgelassen – ebenso unter der Voraussetzung, daß uns die läßlichen Sünden wirklich leid tun und wir uns ernsthaft bessern wollen. – Ganz allgemein gilt: Nicht einmal das Bußsakrament kann irgendeine Sünde nachlassen, die nicht mit der Absicht, sich zu bessern, bereut wird. Reue ist nichts anderes als Haß gegen die Sünde. – Viele Menschen bereuen ihre läßlichen Sünden nicht allzusehr, selbst wenn sie diese beichten. Sie beichten zwar viele läßliche Sünden, ohne aber dabei von einer tiefen Reue zerknirscht zu sein. Sie hassen sie nicht wirklich. Deshalb fehlt ihnen auch oft die Kraft, sie zu überwinden. Der Mangel an Reue setzt nämlich der helfenden Gnade, die Gott im Bußsakrament an und für sich zur Überwindung der läßlichen Sünden gibt, ein Hindernis. Die helfenden Gnaden perlen an der Seele ab wie ein Tropfen Wasser an einer Entenfeder. – Bereuen bedeutet, die Sünde zu hassen. Das Herz des reuigen Sünders ist zerknirscht darüber, Gott beleidigt zu haben. – Der Haß gegen die Sünde muß dabei nicht spürbar sein. Ein Zeichen dafür, daß die Seele die Sünde wirklich haßt, besteht in ihrem Kampf gegen die Sünde. Und zwar gerade darin, daß sie 1. der nächste Gelegenheit zur Sünde meidet und 2. zur sofortigen Wiedergutmachung bereit ist, sollte sie aus Schwäche erneut gefallen sein. 

Wenn wir uns hingegen den läßlichen Sünden gegenüber gleichgültig verhalten, sie nicht ernst nehmen, uns ganz nach dem Motto – „nun, so bin ich halt eben“ – damit abgefunden haben; wenn wir die Gelegenheit dazu nicht aufgeben wollen, weil sie uns so lieb ist; solche läßlichen Sünden werden nicht nachgelassen und unser Gewissen geht mit ihrer Last beschwert in die Ewigkeit ein. – Häufige läßliche Sünden sind beispielswiese Regungen der Ungeduld, der Empfindlichkeit; vorschnelles Urteilen, großes Vertrauen auf das eigene Urteil; Reden über die Fehler anderer; das Verlangen nach Aufmerksamkeit; Selbstgefälligkeit in unseren Stärken; unschamhafte Blicke; Unmäßigkeit im Essen und Trinken sowie in bei allen anderen erlaubten Genüssen. – Wenn wir derlei Dinge nicht bereuen und bekämpfen, werden sie nicht nachgelassen. Und wenn wir mit diesen Brandlasten – Holz, Heu und Stoppeln – sterben, können wir nurmehr durch das Fegfeuer von diesen Unvollkommenheiten befreit werden.

Die ungeordneten Anhänglichkeiten an geschaffene Güter

Doch nicht nur die „noch nicht nachgelassenen läßlichen Süden“, auch die „ungeordneten Anhänglichkeiten an die Geschöpfe“ stehen dem sofortigen Einzug in den Himmel im Wege. – Es ist prinzipiell nichts gegen die Liebe zu geschaffenen Dingen zu sagen; vorausgesetzt, daß wir sie nur bis zu dem Grad lieben, den Gott will. Und daß wir sie auf die Art und Weise lieben, wie es Gott wohlgefällig ist. – Gott will, daß ein Ehemann seine Frau liebt. Aber nur bis zu einem bestimmten Grad. Er soll sie lieben, aber nicht mehr als Gott. Aber auch nicht weniger als andere Frauen, nicht weniger als seine Arbeit, nicht weniger als sein Geld, sein Auto, sein Hobby. – Der Mensch soll die Nahrung lieben. Gott will, daß wir essen und trinken. Aber nur bis zu dem Grad der Sättigung.

Jedes geschaffene Gut hat einen gewissen Grad, bis zu dem hin wir es lieben sollen. Jedes geschaffene Gut hat für uns einen gewissen Nutzen im Hinblick auf unser ewiges Heil. Die geordnete Liebe zu den Geschöpfen besteht gerade darin, daß wir sie bis zu dem Grad lieben und sie zu dem Zweck gebrauchen, wie es Gott will, daß wir sie lieben und gebrauchen sollen. Dazu gehört auch, daß wir sie auf die richtige Art und Weise lieben. Gott will, daß wir die Liebe unserem Ehepartner anders ausdrücken als die Liebe zu unseren Eltern, anders als die Liebe zu unseren Kindern, anders als die Liebe zu einem Freund, anders als die Liebe zu einem Feind. Alle sollen wir lieben, auch uns selbst, aber alle auf die ihnen zukommende Art und Weise. – Alles, was über das rechte Maß und die rechte Art und Weise hinausgeht, ist eine ungeordnete Anhänglichkeit an irdische Güter. Jede exzessive Anhänglichkeit an materielle, natürliche Güter ist unvereinbar mit dem Himmel, der nur geistige, übernatürliche Güter zu bieten hat. – Zudem ist jede ungeordnete Anhänglichkeit die Wurzel für zahllose läßliche Sünden. Der Grund, warum wir läßlich sündigen und im Laufe der Zeit daraus vielleicht sogar Todsünden werden, besteht darin, daß wir die geschaffenen Dinge übermäßig lieben – meistes uns selbst. Die ungeordnete Eigenliebe ist die am tiefsten in uns verwurzelte Anhänglichkeit und damit die Hauptursache der meisten läßlichen Sünden. – Ein solcher Mensch gleicht einem Bogenschützen. Der Pfeil ist die Sünde. Die ungeordnete Anhänglichkeit ist der Bogen. Sündigen heißt, den auf die Sehne eingelegten Pfeil durchzuziehen und abzuschießen. Die ungeordnete Anhänglichkeit an ein geschaffenes Gut nicht ablegen bedeutet, den Bogen stets griffbereit zu haben, um immer und immer wieder zu schießen. – Das bedeutet, wenn wir die ungeordneten Anhänglichkeiten nicht überwinden oder gar nicht überwinden wollen, so halten wir uns in ständiger Bereitschaft zu sündigen. Und oft sind wir dann auch blind für die zahllosen läßlichen Sünden, denn Liebe macht bekanntlich blind – gerade die ungeordnete Liebe. 

Die Anhänglichkeiten an die irdischen, materiellen Güter sind wie Ketten, die uns an das Geschaffene binden. Sie verhindern, daß sich unsere Seele vom Irdischen loslöst und sich für den Genuß der geistigen und himmlischen Dinge öffnen kann. Ihre materiellen Bande halten die Seele zurück, daß sie nicht in den Besitz des ungeschaffenen, höchsten Gutes gelangen kann; denn Gott ist Geist. – Diese Ketten können im Himmel nicht fortbestehen. Deshalb müssen diese Anhänglichkeiten zerrissen oder eingeschmolzen werden. Entweder werden sie in diesem Leben von uns selbst nach und nach zerrissen; etwa durch die geistliche Lesung, das betrachtende Gebet, den morgendlichen Vorsatz, die abendliche Gewissenserforschung, die Abtötung der Sinne und des Geistes. Oder aber diese Ketten werden nach dem Tod eingeschmolzen – durch das Fegfeuer.

Die noch-nicht-abgebüßten zeitlichen Strafen

Die dritte Unvollkommenheit, welche durch das Fegfeuer korrigiert wird, besteht in den noch nicht abgebüßten zeitlichen Strafen, die aus den im Bußsakrament nachgelassenen Todsünden und aus den nachgelassenen läßlichen Sünden resultieren. Die Buße, die wir vom Priester bei der Beichte aufbekommen, tilgt zumeist bei weitem nicht die gesamte zeitliche Strafe, die wir für unsere Sünden verdient haben.

Die Sünde besteht darin, ein Geschöpf in der falschen Weise zu lieben, wie wir erklärt haben. – Die Sünde schädigt dabei natürlich die Seele. Die Todsünde tötet das übernatürliche Leben der Seele. Die läßliche Sünde schwächt das übernatürliche Leben der Seele. Der Schaden an der Seele wird durch Reue und sakramentale Lossprechung vollständig geheilt, indem der Gnadenstand wiederhergestellt wird. – Jede Sünde schädigt jedoch nicht nur die Seele des Sünders, sondern sie schädigt die göttliche Ordnung und damit die Ehre Gottes. – Es ist, wie wenn wir unserem Nachbarn ein Fenster einschlagen haben. Unsere Hand, die wir uns dabei gebrochen oder blutig geschlagen haben, heilt der Arzt. Das wirkt das Bußsakrament. Es heilt die Seele. – Wir werden sodann mit mehr oder weniger zerknirschtem Herzen zu unserem Nachbarn sagen: „Verzeihen Sie, daß ich Ihr Fenster eingeschlagen habe.“ Das wird den gerechten Zorn des Nachbarn mehr oder weniger besänftigen. Aber die verletzte Ordnung, d.h. die zerstörte Scheibe bleibt. Wer wird sie ersetzen? – Die Sünde kann einem leid tun. Trotzdem ist dabei ein Schaden entstanden, der wiedergutgemacht werden muß. Das „Herz der Buße“ besteht darin, den Schaden, den wir an der Schöpfungsordnung Gottes mit unseren Sünden angerichtet haben, tatsächlich zu reparieren. – Das geschieht durch die Werke der Buße. Deshalb die Bußzeiten des Kirchenjahres. Die 40-tägige Fastenzeit, die Adventszeit, die Quatembertage, die Vigilien vor den Hochfesten. Deshalb der Aufruf der Kirche zur regelmäßigen Beichte, zum Gebet und zu Werken der Nächstenliebe. Die Ordnung der göttlichen Ehre muß wiederhergestellt werden. Entweder in diesem Leben oder nach dem Tod. 

Uns sollte klar sein, daß ein Mensch einen unüberschaubaren Schuldenberg im Laufe eines langen Lebens aufhäuft; einen Schuldenberg, der, wenn er nicht durch freiwillige Buße abgetragen wird, von Gott mit zeitlichen Strafen bedacht wird. Entweder in diesem Leben, durch Krankheiten, Schicksalsschläge und sonstige Kreuze; oder nach dem Tod, durch das Fegfeuer. – Überschlagen wir nur den Sündenberg unseres bisherigen Lebens. Jedes Jahr hat 365 Tage. Wenn wir alle Tage unseres Lebens recht und heiligmäßig verlebt hätten, – und wer kann das schon von sich behaupten – dann würden wir aufgrund unserer Schwäche trotzdem wenigstens siebenmal am Tag läßlich gesündigt haben. – Nun stellen wir uns vor, wir hätten eine Kreditkarte, von der jeden Tag unseres Lebens für jede zerbrochene Fensterscheibe, also für jede Sünde – sowohl für schwere Sünden als auch für läßliche Sünden – ein entsprechendes Entgelt abgebucht würde. Wie hoch wäre der Schuldenstand auf dem Konto, von dem ein Leben lang abgebucht, aber kaum etwas eingezahlt worden ist? Die Schuld muß bezahlt werden. Die verletzte göttliche Ordnung muß wiederhergestellt werden. Das verlangt die Gerechtigkeit Gottes. Entweder geschieht das durch uns in diesem Leben oder im nächsten Leben, durch die Flammen des Fegfeuers. – Nicht jeder Mensch sündigt in der gleichen Weise. Deshalb ist das Fegfeuer auch nicht für alle gleich lang und gleich schmerzhaft. Je weniger ausstehende Schuld auf unserem Konto bis zu unserem Tod zurückbleibt, um so weniger tief werden wir im Fegfeuer begraben und um so schneller werden wir gereinigt daraus hervorgehen.

Die Mittel, um den Schuldenberg schon zu Lebzeiten abzutragen sind folgende: 1. Eifriges Gebet, Abtötung der Sinne, Abtötung des Geistes, Werke der Gottes- und der Nächstenliebe. – 2. Die Gewinnung von Ablässen. Dabei wird dem Pönitenten die Buße, welche Jesus Christus und die Heiligen des Himmel zu ihren Lebzeiten geleistet haben, durch die Vollmacht der katholischen Kirche so angerechnet, als habe er selbst diese Buße geleistet. Die Kirche hat dazu die Macht, durch die Worte Christi: „Was auch immer du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“ Die Ablässe sind also ein besonders wertvolles Mittel, um die zeitlichen Strafen wirksam abzubauen. Wichtig ist, daß wir immer wieder die allgemeine Absicht erneuern, alle Ablässe gewinnen zu wollen, welche die Kirche auf so viele Gebete gewährt. Wer diese Absicht regelmäßig erneuert, der gewinnt alle gewährten Ablässe, selbst wenn er beispielsweise im Augenblick des Rosenkranzbetens nicht daran denkt, den dafür gewährten Ablaß gewinnen zu wollen. Es empfiehlt sich auch einige Ablaßgebete auswendig zu lernen und sie regelmäßig zu beten. – 3. Man soll den Angehörigen gegenüber immer wieder eindringlich den Wunsch äußeren, daß sie im Falle der Todesgefahr einen gültig geweihten, katholischen Priester rufen sollen. Die Letzte Ölung läßt alle zeitlichen Sündenstrafen nach, wenn es in der rechten Disposition empfangen wird. Sie ist das Sakrament der Sterbenden. Sie ist Gottes Barmherzigkeit für die letzten Augenblicke unseres Lebens. Sie öffnet uns das Tor zum Paradies. Sie läßt Sünden nach, die zu bereuen wir längst vergessen haben. Darüber hinaus tilgt sie die zeitlichen Strafen und kann unseren Aufenthalt im Fegfeuer immens abkürzen, ja sogar komplett überflüssig machen, sofern wir alle ungeordneten Anhänglichkeiten überwunden haben.

Praktische Schlußfolgerungen

Wir wollen schließen mit einigen Folgerungen: 1. Im Hinblick auf die armen Seelen im Fegfeuer. – Die armen Seelen leiden große Qualen. Denn die geringste Pein dieses Feuers ist größer als die erdenklich größten Qualen, die ein Mensch hier auf Erden leiden kann. – Sie leiden gerne, weil sie wissen, daß sie wie das Gold im Schmelzofen mit jedem Augenblick mehr und mehr geläutert werden und so dem ersehnten Ziel, nämlich dem Besitz Gottes näher kommen. Dennoch leiden sie eine unvorstellbare Pein. – Wir können ihnen helfen, indem wir für sie hll. Messen lesen lassen, für sie beten und für sie Ablässe gewinnen – vor allem die vollkommenen Ablässe. 2. Im Hinblick auf unsere verstorbenen Familienangehörigen: Glauben wir nicht, was man oft auf Novus-Ordo-Begräbnissen zu hören bekommt, als würden unsere Verstorbenen ihrem Begräbnis schon vom Himmel aus beiwohnen und selig auf uns niederschauen. Das klingt schön und wir würden es ihnen freilich wünschen. Doch sollten wir davon ausgehen, daß es so schnell nicht geht. Einige Heilige, denen Gott einen Blick ins Fegfeuer gewährte, berichten, daß der Aufenthalt im Fegfeuer in Jahrhunderten bemessen wird. – Vergessen wir auch nicht, daß die hll. Messen, die wir für bestimmte Verstorbene lesen lassen, und auch die Ablässe nur fürbittweise Gott für bestimmte Verstorbene angeboten werden können. Er ist nicht gezwungen, sie auch tatsächlich dieser bestimmten Seele zuzuwenden, sondern kann, aus Gründen Seiner Gerechtigkeit und Seiner Barmherzigkeit, auch andere Seelen damit bedenken. – Das bedeutet dann 3. auch für uns selbst: Wir müssen die Zeit unseres Lebens gut nutzen, um einen möglichst hohen Grad der Vollkommenheit zu erreichen. Wir müssen an uns arbeiten, um nicht nur die Todsünden, sondern auch die freiwilligen läßlichen Sünden abzustellen; um unsere Anhänglichkeit an die Geschöpfe – vor allem unsere Eigenliebe – zu überwinden; und um eifrig Werke der Buße zu tun. – Wir dürfen uns nicht auf die hll. Messen, die (vielleicht) nach unserem Tod für uns gelesen werden, und auf die Ablässe, die unsere Angehörigen (vielleicht) für uns gewinnen werden, verlassen! – Der hl. Katharina von Genua wurde in einer Vision die Seele eine verstorbenen Kardinals gezeigt. Er hatte ein weltliches, unabgetötetes Leben geführt und sich damit getröstet, sein großes Vermögen nach seinem Tod für die Zelebration unzähliger heilige Messen aufwenden zu wollen. So meinte er zu Lebzeiten auf Buße verzichten zu können und nach seinem Tod doch bald in den Himmel einzugehen. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Die heiligen Messen wurden zwar alle gelesen. Doch ließ Gott nichts von dem genugtuenden Wert all diesen hll. Messen der Seele des Kardinals zukommen, den die hl. Katharina von Genua in den Tiefen des Fegfeuers begraben sah. Alle Gnaden aus den gelesenen Messen ließ Gott hingegen Seelen im oberen Bereich des Fegfeuers zufließen, von denen die Heilige viele durch die sühnende Kraft Blutes Christi geläutert in die ewige Herrlichkeit eingehen sah. – Deshalb wollen wir uns selbst um ein heiligmäßiges, vollkommenes Leben bemühen und mit dem hl. Augustinus zu Gott sprechen: „Herr, in diesem Leben säge, brenne, schneide, wie Du es willst. Doch schone meiner in der Ewigkeit.“ Amen.

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