6. Sonntag nach Pfingsten
Das heilige Kreuzesopfer
Geliebte Gottes!
Bei unserer Erklärung des hl. Meßopfers haben wir uns zuletzt die Grundlagen in Erinnerung gerufen und dabei den Begriff des Opfers und die Geschichte des Opfers genauer in Augenschein genommen. Der Begriff des Opfers fordert drei wesentliche Merkmale: 1. eine sichtbare Gabe; 2. diese Gabe muß Gott dargebracht werden; und 3. bei dieser Darbringung muß die Absicht oder Meinung herrschen, daß Gott als höchster Herr aller Dinge anerkannt und verherrlicht, also angebetet werden soll. – Bei der Geschichte des Opfers hörten wir, daß es von Anbeginn der Menschheitsgeschichte und zu allen Zeiten Opfer gegeben hat; daß Gott selbst die Opfer der Juden im jüdischen Gesetz genau angeordnet hat. Schließlich haben wir uns gefragt, warum die Opfer des Alten Bundes wieder aufgehört haben. Und wir fanden die Antwort darin, daß die alttestamentlichen Opfer weiter nichts als Vorbilder und Platzhalter für das eine, wahre und vollkommene Opfer, für das Opfer des Neuen Bundes waren. Darum mußten sie aufhören, als das Opfer des Neuen Bundes dargebracht worden war. Welches war nun das Opfer des Neuen Bundes? –Das Kreuzesopfer. Das Kreuzesopfer unseres Herrn Jesus Christus auf Kalvaria!
Es wäre also nun in einem zweiten Schritt zu zeigen, daß das Opfer am Kreuz tatsächlich ein wahres Opfer gewesen ist, und daß in ihm die Opfer des Alten Bundes tatsächlich ihre vollkommene Erfüllung gefunden haben. Um eben das aufzuzeigen, wollen wir folgende Fragen beantworten: 1. Was war bei dem Opfer des Neuen Bundes der Altar? 2. Wer war der Priester? 3. Welche Gabe wurde dargebracht? und 4. Wem und in welcher Gesinnung wurde sie dargebracht?
Der Altar des Kreuzes
Der Altar, auf dem das große blutige Opfer des Neuen Bundes dargebracht worden ist, war das Kreuz, an dem unser göttlicher Heiland Jesus Christus gehangen hat. Der Sockel, worauf dieser Altar errichtet wurde, war der Felsen des Kalvarienhügels, und dessen Grundlage wiederum war die ganze Erde. Ein hoher und erhabener Altar, dessen Fundament die ganze Erde ist, dessen Spitze in den Himmel aufragt, dessen Arme in alle Richtungen der Welt zeigen.
Wir kennen den Ort nicht, wo Kain und Abel geopfert haben. Man darf aber vermuten, daß es auf einem Berg geschehen ist. Denn auf den Bergeshöhen ist der Mensch dem Allerhöchsten, dem über allen Himmeln Thronenden, am nächsten. Auf dem Gipfel berühren sich gewissermaßen Himmel und Erde. Daher sind sie seit Menschengedenken Orte der Gottesbegegnung. – Von Noe wissen wir bestimmt, daß er das erste Opfer nach der Sintflut auf dem Berg dargebracht hat, wo die Arche auf Grund gelaufen war. – Zu Abraham sprach Gott selbst: „Du sollt ihn, [deinen erstgeborenen Sohn Isaak], zum Brandopfer darbringen auf einem Berge, den ich dir zeigen werde“ (Gen. 22, 2). Abraham opferte auf einem von Gott ausgewählten Berg – dem Berg Moria. Der Berg Moria sollte als Fundament für den Altar dienen, auf dem das von Gott bestimmte Opfer dargebracht werden mußte. Isaak war nur ein Vorbild, nicht Erfüllung. Im letzten Augenblick blieb sein Leben verschont. Abraham mußte seinen eingeborenen Sohn Isaak nicht tatsächlich opfern. Das Opfer des einziggeborenen Sohnes wollte der himmlische Vater einzig und allein Sich Selbst abverlangen: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß Er seinen eingeborenen Sohn dahingab, auf daß alle, die an Ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben“ (Joh. 3, 16). – Immer wieder finden wir in der alttestamentlichen Geschichte Menschen, wie sie auf den Bergeshöhen Gott opfern. Gott verlangte, daß die Opferaltäre auf einem Berg errichtet wurden. Kann es uns da wundern, daß das Opfer am Kreuz auch auf einem Berg dargebracht wurde? Es war die Erfüllung der Vorbilder: – Wo opferte Josue, der Nachfolger des Moses, unter dessen Führung das Volk der Hebräer in das gelobte Land einzog? Josue, der schon durch seinen Namen (latinisiert Jesus), noch mehr aber durch seine Taten ein Vorbild Jesu Christi war? Josue opferte auf einem Berge, dem Berge Ebal. – Wo opferte später der Prophet Elias, als er den wahren Gott gegen alle Götzenpriester des Baal verteidigte? Auf dem Berge Karmel. Wo fanden die zahlreichsten Opfer des Alten Bundes statt? Man kann ohne Übertreibung sagen, auf einem Berg. Denn der Salomonische Tempel, in welchem die Opfer des Alten Bundes dargebracht wurden, stand auf einem Berg. Das zweite Buch der Chronik (vgl. 2. Chr. 3, 1) versichert uns im übrigen, daß Gott anordnete, daß der Tempel Salomons auf demselben Berg Moria, ja an derselben Stelle errichtet werden mußte, wo Jahrhunderte zuvor Abraham, der Stammvater des auserwählten Volkes Israel, seinen Altar zu bauen hatte. Und mehr noch! Man kann behaupten, daß der Tempelberg und der Berg Kalvaria nur zwei Gipfel ein und desselben Berges sind, nämlich des Sionberges, auf dem die Gottesstadt Jerusalem steht. Hierin stimmen also Vorbilder und Erfüllung vollkommen überein. Die Opfer des Alten Bundes wurden auf Bergen dargebracht. Und die Erfüllung, das Kreuzesopfer Jesu Christi geschah gleichfalls auf der Höhe des Berges. Im übrigen ist das auch der Grund, warum die christlichen Altäre die Form des Hochaltares haben. Die Altarstufen sollen den Berg Kalvaria andeuten, auf dessen Gipfel der Altar des hl. Kreuzes aufgerichtet ist.
Der Priester des Neuen Bundes
Gehen wir an die Beantwortung der zweiten Frage. Wer war bei dem Opfer am Altar des Kreuzes der Priester? Jedes Opfer verlangt einen Priester. Welcher Priester hat das Opfer am Kreuz dargebracht? – Waren es vielleicht die jüdischen Hohepriester Anas und Kaiphas? Gewiß, ihre Machenschaften haben dazu geführt, daß das Blut des Heilandes vergossen wurde. Sie haben Christus ans Kreuz gebracht. Aber sie waren weit entfernt von dem Gedanken, Gott damit ein Opfer darbringen zu wollen. – Waren dann vielleicht Pilatus oder gar die römischen Henkersknechte, welche unseren Herrn gekreuzigt und getötet haben, die opfernden Priester? Sie waren es doch, die das Blut unseres göttlichen Erlösers tatsächlich vergossen haben. – Eine wahnsinnige Annahme wäre das, die keinem vernünftigen Menschen in den Sinn kommen würde. – Dann bleibt aber nur noch eine Person übrig, die als Priester in Frage käme. Der wahre Priester, der das Opfer am Kreuz darbrachte, wäre dann der Heiland selbst. Und natürlich ist es genau so.
Wie kann man das beweisen? Zunächst zeigen sich an unserm Herrn Jesus Christus alle Eigenschaften und Tugenden, die ein Priester vorweisen können muß. Der hl. Paulus handelt hierüber im Hebräerbrief, wo es heißt: „Es ziemte sich, daß wir einen solchen Hohenpriester hätten, der da wäre heilig, schuldlos, unbefleckt, ausgeschieden von den Sündern und höher als der Himmel“ (Heb. 7, 26). Ja, wenn es sich darum gehandelt hätte, aus allen Menschen der Erde „den Priester“ für das Opfer des Neuen Bundes auszusuchen, auf wen würden sich die Augen des Himmels und der Erde richten? Natürlich auf denjenigen, der durch seine Person und sein heiliges Leben Gott am nächsten seht. – Wer aber kann heiliger sein als Jesus Christus? Wer unschuldiger? Wer ist so unbefleckt wie Er? Wer ist weiter von jeder Sünde entfernt? Wer seht näher bei Gott? Unser Herr Jesus Christus ist selbst wesensgleicher Sohn Gottes. Geboren aus Gott vor aller Zeit, „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“. Mensch geworden in der Zeit aus Maria, der Jungfrau. Wenn Himmel und Erde sich einigen müßten, einen Priester für das Opfer des Neuen Bundes auszusuchen, sie würden keinen besseren, keinen geeigneteren, keinen würdigeren Priester für dieses Opfer finden als Ihn – Jesus Christus.
Jedoch kommt es bei einem Kandidaten für das Priestertum bekanntlich nicht darauf an, ob dieser von den Menschen oder selbst von den Engeln des Himmels erwählt, sondern ob einer von Gott dazu berufen ist. „Niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern wer von Gott berufen ist, wie Aaron“ (Heb. 5, 4). Jesus Christus war von Ewigkeit her von Gott zu diesem Amt berufen. König David vernahm in prophetischer Erleuchtung den ewigen Anruf des himmlischen Vaters, als Er den Sohn zum ewigen Hohepriester bestellt: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedech“ (Ps. 109, 4). Wann wurde der Sohn in Sein Priestertum eingesetzt? Wann wurde Er geweiht? – Damals, im Augenblick der Menschwerdung. Als der Sohn Gottes im Schoß der unbefleckten Jungfrau Maria eine menschliche Natur annahm. Der jungfräuliche Schoß Mariens war gewissermaßen die Kathedrale in, welcher die erste Priesterweihe des Neuen Bundes stattgefunden hat. Durch das Salböl des Heiligen Geistes wurde die menschliche Natur Christi mit der Gottheit gesalbt. In der Person Jesu Christi wurden Gottheit und Menschheit miteinander verbunden. So ist Er der ideale Mittler zwischen Gott und den Menschen. Der Gottmensch ist derjenige, der den unendlichen Abgrund zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen dem allheiligen Gottes und dem schuldbeladenen Menschengeschlecht überbrücken kann. In Seiner Person sind die beiden auseinanderklaffenden Extreme – Gott und Mensch – miteinander ausgesöhnt, verbunden und vereint. Kurzum: Die heilige Menschheit Jesu Christi war im Schoß der Jungfrau Maria durch die Überschattung des Heiligen Geistes mit der Gottheit zum Priesteramt berufen, geweiht und gesalbt worden. Darum wird der Priester des Neuen Bundes „Christus“ genannt, also „der Gesalbte“.
Ja, Jesus Christus ist der Hohepriester des vollkommeneren Bundes, was sich daran zeigt, daß Er die Vorbilder des unvollkommenen erfüllt. Es fehlen Ihm bei Seinem Opfer nicht die Amtsabzeichen, welche der Priester des Alten Bundes bei seinem Opfer zu tragen hatte. Der Hohepriester des Alten Bundes trug, wenn er opferte, ganz bestimmte, von Gott vorgeschriebene liturgische Gewänder, die sich von der herkömmlichen Alltagskleidung unterschieden. Er trug eine Tiara als Kopfbedeckung mit einem goldenen Stirnband, auf dem eingraviert die Worte standen: „Heilig dem Herrn.“ Seine Brust war geziert mit dem Ephod, einem goldenen Brustschild, auf dem zwölf verschiedene Edelsteine in vier Reihen angebracht waren. In jedem Stein war der Name eines der zwölf Stämme des Gottesvolkes Israels eingraviert. Durch das Ephod sollte angezeigt werden, daß der jüdische Hohepriester das gesamte auserwählte Volk Gottes auf seinem Leib eingeschrieben tragen und so mit an den Altar trägt, daß er nicht als Einzelner, sondern im Namen des ganzen Volkes opfere. – Schauen wir auf unseren ewigen Hohenpriester, wie Er an Seinen Alter – an das hl. Kreuz – herantritt. Er hat auch Sein gewöhnliches Gewand abgelegt. Man hat es Ihm ausgezogen. Er ist bekleidet mit dem reinen Purpurgewand Seines unschuldigen Blutes. Er ist geschmückt mit fünf Edelsteinen; mit den Rubinen Seiner tiefen Wunden, die Ihm mit stählernem Griffel in Seine Hände, Füße und in Seine Seite eingraviert worden sind. Gemäß dem Wort Seinem Wort, „In Meine Hände habe Ich dich eingeschrieben“ (Is. 49, 16), trägt Er in Seinen unzähligen Wunden die Namen der „Vielen“, welche durch Sein Opfer das ewige Leben finden werden. – Auch trägt der Hohepriester des Neuen Bundes eine Tiara, eine Krone, ein Stirnband: nämlich die Dornenkrone. Auf dem Schild darüber steht in den damaligen Weltsprachen eingeschrieben: I.N.R.I. „Jesus der Nazarener, König der Juden“ (Joh. 19, 19). Der Ausdruck „Nazarener“ hatte damals nicht nur die Bedeutung „aus Nazareth stammend“, sondern war auch der Ausdruck für „Gottgeweihter“. Die Wortbedeutung von „Jude“ ist keine andere als „der Gläubige“. Man liest also im Vollsinn an der Stirn des ewigen Hohenpriesters des Neuen Bundes den Titel: „Jesus, der Gottgeweihte, König der Gläubigen.“ – Wenn wir also zum Kreuz aufschauen, können wir nicht mehr daran zweifeln, daß dieser der höchste Priester und das Kreuz Sein Altar ist.
Die Opfergabe
Wo aber ist die Opfergabe, die Er am Kreuz darbringt? Die Opfergabe ist Er selbst: Das kostbare Blut, das Er vergießt. Der hl. Leib, der ans Kreuz geschlagen ist. Seine heilige Seele, die Er in die Hände des Vaters befiehlt: „Vater, in Deine Hände befehle Ich Meinen Geist“ (Lk. 23, 46). Das sind die Opfergaben. Und Christus selbst ist es, der sie darbringt. Er sagt von sich: „Niemand nimmt Mein Leben von Mir, sondern Ich gebe es von mir Selbst hin. Ich habe die Macht es hinzugeben und die Macht es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich empfangen von meinem Vater“ (Joh. 10, 18). Christus ist der eigentlich Handelnde am Altar des Kreuz, nicht die Henkersknechte. Niemand hat Ihm Sein Leben genommen. Er Selbst hat es hingeopfert; weil Er es wollte, wie Er es wollte und wann Er es wollte.
Seit dem Sündenfall mußte ein vollgültiges Opfer gleichzeitig auch ein blutiges Opfer sein. Die Opfergabe mußte geschlachtet werden. Durch die Sünde hatte der Mensch sein Leben vor Gott verwirkt und sich des Todes schuldig gemacht. Zur Sühne mußte die Sünde stellvertretend mit Leben für Leben, mit Blut für Blut aufgewogen werden. Darauf wiest der hl. Paulus abermals im Hebräerbrief hin: „Mit Blut wird nach dem Gesetz fast alles gereinigt, und ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung“ (Heb. 9, 22).
Es bedurfte eines blutigen Opfers, in dem die Vorbilder, nämlich die blutigen Opfer des Alten Bundes, ihre wahre Erfüllung fanden. Bei den blutigen Opfern des Alten Bundes mußte die Opfergabe, d.h. das Opfertier, eine dreifache Vollkommenheit aufweisen, daß sie für das Opfer geeignet war: Sie bedurfte 1. der Vollkommenheit des Alters. Sie durfte weder zu jung, noch zu alt sein. 2. der Vollkommenheit der Beschaffenheit. Sie mußten fehlerlos sein, durfte keine Mißbildung oder Behinderung an sich tragen. Und 3. der Vollkommenheit der Geburt. In vielen Fällen wurde das erstgeborene Jungtier als Opfer verlangt. „Mein ist alle Erstgeburt“ (Num. 3, 13), spricht Gott der Herr. – Prüfen wir, ob Christus nicht die vollkommenste Opfergabe ist. Er opferte sich im 33. Lebensjahr, in jenem Alter, das gleich weit von der Schwäche der Kindheit und von der Schwäche des Alters entfernt ist; also in der Blüte und Fülle Seines Lebens. – Wie war die Opfergabe beschaffen? Man sagt zu wenig, wenn man sie „fehlerlos“ bezeichnen wollte. Nein, überaus vollkommen war sie! Der vollkommenste Leib, gebildet durch die Kraft des Heiligen Geistes und aus dem Blut der reinsten Jungfrau. Eine Seele, nicht bloß reiner, seliger, gnadenreicher als alles, was es an Geschöpfen gibt, sondern reiner, heiliger und gnadenreicher, als wir überhaupt denken können. – Außerdem ist Er der erstgeborene und einzige Sohn Gottes, und gleichzeitig der erstgeborene und einzige Sohn Mariens. Er ist der Erstling des Himmels und der Erstling der Erde. Im Himmel und auf Erden können wir suchen, und wir werden keine Opfergabe finden, die vollkommener und geeigneter wäre, Gott dargebracht zu werden, als jene Gabe, die Christus am Kreuz geopfert hat. Er ist Priester und Opfergabe zugleich! „Sacerdos et victima“.
Die Opfertiere bei den blutigen Opfern des Alten Bundes mußten außerdem vorbereitet werden, ehe sie auf dem Altar dargebracht werden durften. Dem Sündenbock wurden die Sünden des Volkes durch Handauflegung übertragen. Bei diesem Entsühnungsritus breitete der Priester beide Hände flach über dem Kopf des Opfertieres, wodurch die Sündenschuld auf das Opfertier übergehen sollten. Dieser alttestamentliche Entsühnungsritus mit der Übertragung der Schuld des Volkes auf das Sühnopfertier findet sich übrigens heute noch im Ritus der hl. Messe, wenn der neutestamentliche Priester kurz vor der Wandlung beide Hände über den Opfergaben ausbreitet und auf diese Weise die Sündenlast des Volkes dem Gotteslamm aufbürdet, damit die Sündenschuld im Opfertod des makellosen Lammes mitsterbe und so aus der Welt geschafft werde. Auf die Handauflegung folgte im Alten Bund die Schlachtung, die Ausgießung des Blutes und die Zerteilung der Opfergabe. Dann erst wurde das Fleisch der Opfertiere auf den Altar gelegt und in dem Feuer, das dort brannte, verzehrt. – Und auch das war bei den blutigen Opfer vorgeschrieben: Der Priester mußte seinen Finger in das Blut der Opfertiere eintauchte und damit die vier Hörner des Altares, d.h. seine vier Ecken bestreichen. Das restliche Blut des Opfertieres mußte sodann vom Priester am Sockel des Altares ausgegossen werden, so daß es zu Boden lief.
Blicken wir auf zum Kreuzaltar des Neuen Bundes, so stellen wir fest, wie die blutigen Opfer des Alten Bundes dort getreu erfüllt sind. Auch die Opfergabe unseres Hohenpriesters ist vorbereitet worden. Vorbereitet durch die Hand Gottes, die im Ölgarten die Sündenlast der Welt dem unschuldigen Gotteslamm auferlegte; eine Sündenlast, so schwer, daß sie dem Lamm Gottes den Blutschweiß auspreßte. Vorbereitet wurde die Opfergabe durch die Hände der Menschen, die Christus geißelten, dabei Seinen heiligen Leib in Stücke rissen, ehe sie Ihn ans Kreuz brachten. Die Geißelung hatte bei den Römern die Bezeichnung „Zerpflückung“. – Wie die jüdischen Priester, so hatte auch Christus mit Seinen blutigen Händen die vier Hörner Seines Altares, d.h. die vier Arme des hl. Kreuzes, mit Seinem Blut bestrichen. Auch Er vergoß Sein heiliges Blut aus Seinen fünf Wunden, damit es den Sockel Seines Kreuzaltares hinab rann und die sündenbeladene Erde entsühnte. Auch Sein Opfer wird verzehrt im Feuer. Nicht im materiellen Feuer, sondern in dem Feuer Seines göttlichen Herzens, welches als Feuerofen der göttlichen Liebe ist und von dieser zu lieblichem Wohlgeruch vor das Angesicht Gottes empor zum Himmel getragen wird. Dieses Feuer ist himmlisch, ist göttlich, ebenso himmlisch und ebenso göttlich wie jenes Feuer, welches damals vom Himmel herabfiel und jenes Opfer verzehrte, das zuerst in dem neugebauten Tempel Salomons dargebracht worden war; ja, himmlischer und göttlicher als jenes Feuer, das vom Himmel fiel und auf dem Berge Karmel das Opfer des Elias verzehrte.
Es ist offensichtlich: Das Kreuz ist der Altar. Jesus Christus ist der ewige Hohepriester. Sein Leib und Sein Blut ist die Opfergabe; ein blutiges Opfer, ein vollkommenes Opfer; ein Brandopfer, verzehrt im Feuer der göttlichen Liebe Seines heiligsten Herzens.
Die Verherrlichung Gottes im Gehorsam Christi
Bleibt schließlich noch zu zeigen, daß unser Herr Jesus Christus dieses Opfer in der Absicht dargebracht hat, Gott zu verherrlichen. – Und nichts ist leichter als das, denn die Verherrlichung des Vaters war der Inhalt Seines ganzen Lebens. Er selbst sagte von Sich: „Mein Speise ist es, daß ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat“ (Joh. 4, 34). Das sind Seine Worte. Wie der Mensch täglich nach Speise verlangt, so, sagt Christus, sei es Seine Speise, die Majestät des Vaters durch Seinen Gehorsam zu ehren. Wir müssen den Worten des Heilandes entnehmen, daß alle Seine Gedanken, alle Seine Worte und alle Seine Taten auf den Willen des Vaters ausgerichtet waren. Wenn das bei allen seinen Gedanken, Worten und Werken der Fall war, dann war es vor allem und in erster Linie der Fall bei dem letzten und erhabensten Werke, das zu vollbringen Er überhaupt in dies Welt gekommen war – bei Seinem Opfer am Kreuz. Das bestätigt uns der hl. Paulus, wenn er an die Philipper schriebt: „Er ist gehorsam geworden bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze“ (Phil. 2, 8). Der Tod Christi geschah aus Gehorsam, also zu dem Zweck, den himmlischen Vater zu verherrlichen. Und an die Hebräer schreibt der Völkerapostel sogar ganz ausdrücklich: „Er hat sich Selbst als ein unbeflecktes Opfer Gott dargebracht“ (Heb 9, 14). Christus hat sich am Kreuz hingegeben in der Absicht, Gott zu verherrlichen. Weil Gott durch den Gehorsam des Heilandes über die Maßen geehrt wird, deshalb wurde die Beleidigung unseres Ungehorsams, der in jeder Sünde enthalten ist, über die Maßen aufgewogen und gesühnt.
Welch ein Opfer! Wie vollkommen! Wie gewaltig! Wie wirksam! Als dieses Opfer vollbracht war, da zerriß der Vorhang des Tempels von oben bis unten, zum Zeichen, daß die Opfer des Alten Bundes fortan überflüssig sind, daß nun der Eingang zum Allerheiligsten des Himmels wieder geöffnet sei. – Voll Ehrfurcht und Dankbarkeit wollen wir unserem Erlöser zurufen: Ewiger Hoherpriester des Neuen Bundes, Jesus Christus, Dein Kreuz ist der höchste Altar auf Erden; Dein Opfer die vollkommenste Verherrlichung Gottes. Durch Dein Opfer sind Himmel und Erde versöhnt worden. Möge es auch für uns die Ursache des ewigen Lebens werden. Trage jetzt auch unsere Namen eingeschrieben in die Wunde Deines heiligsten Herzens an den Altar; entsühne unsere Seelen mit Deinem kostbaren Blut und eröffne uns so den Zutritt zur Herrlichkeit auf dem ewigen Sionsberg des himmlischen Jerusalem. Amen.