Pfingstsonntag
Der übernatürliche Organismus der Seele
Geliebte Gottes!
Die Aussendung des Heiligen Geistes an Pfingsten ist die Krönung des göttlichen Erlösungswerkes. Mit Seinem blutigen Opfer am Kreuz hatte unser Herr Jesus Christus die Schuld für die Sünde beglichen und uns alle Gnaden verdient, derer wir bedürfen, um das ewige Leben zu erlangen. Aber die Gnade, die Christus verdient hatte, mußte in einem weiteren Schritt ausgeteilt werden. Das geschah durch die Aussendung des Heiligen Geistes an Pfingsten. Wir feiern heute den herrlichen Abschluß der Erlösungstaten Gottes. Das Pfingstfest ist das Fest der Heiligung. – Gott ist so gut, daß Er danach verlangt, sich Seinen Geschöpfen mitzuteilen. Er gibt ihnen das Dasein und erhält sie darin, weil Er der Seiende ist. Er gibt ihnen Anteil an Seinen Vollkommenheiten, weil Er der unendlich Vollkommene ist. Er gibt ihnen Anteil an Seiner Heiligkeit, weil Er der Heilige schlechthin ist. Gott teilt sich Seinen Geschöpfen mit durch die dritte Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist der Liebeshauch, der Lebensatem Gottes. So wie Gott am sechsten Schöpfungstag dem Adam den Odem des Lebens einhauchte und ihn auf diese Weise lebendig gemacht hatte, so hat Gott an Pfingsten den Gliedern des mystischen Leibes Christi, den Gliedern Seiner Kirche, das übernatürliche Leben eingehaucht. Der Heilige Geist ist der „vivificator“, der „Lebendigmacher“. Er ist der „sanctificator“, der „Heiligmacher“. Es kommt dem Heiligen Geist zu, die Heiligkeit Gottes und das göttliche Leben mitzuteilen. Er macht uns heilig. Er macht uns Gott ähnlich. Er schenkt uns Anteil an dem Leben der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Er bringt das Samenkorn des ewigen Lebens, welches unserer Seele beim Empfang der hl. Taufe eingepflanzt wurde, zur Entfaltung und bildet in uns den ganzen übernatürlichen Organismus mit all seinen wunderbaren Bestandteilen aus: die Gnade, die übernatürlichen Tugenden, die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die zwölf Früchte des Heiligen Geistes. All diese Dinge bilden den übernatürlichen Organismus unserer Seele. Jeder hat davon schon etwas von den genannten Dingen gehört. Aber nur wenige haben eine genauere Vorstellung davon bzw. kennen das Zusammenspiel dieser Dinge in dem übernatürlichen Organismus. Wir wissen zwar gut über unseren Körper bescheid. Wir kennen die verschiedenen Organe unseres Leibes. Wir wissen, welche Funktion sie haben. Wir wissen, daß wir die Lunge zum Atmen brauchen und den Magen zum Verdauen der Speise. Wir wissen, daß unser Herz das Blut in den Adern zirkulieren läßt und daß der ganze Organismus unseres Leibes durch das Gehirn gesteuert wird. Wir wissen, wozu Augen, Ohren und Hände dienen. Wir wissen auch, wie wir diesen Organismus pflegen müssen; durch gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und körperliche Betätigung. Doch leider wissen die wenigsten Menschen auch nur annähernd so viel über den übernatürlichen Organismus ihrer Seele. Das ist um so erstaunlicher, als der Leib sterben und im Grab zerfallen wird, die Seele aber ewig bleibt.
Der übernatürliche Organismus der Seele
Das übernatürliche Leben der Seele hat seine Wurzel in der heiligmachenden Gnade. Die heiligmachende Gnade ist das „semen gloriae“, das Samenkorn der übernatürlichen Herrlichkeit. Wie der Name schon sagt, wird die Seele durch die heiligmachende Gnade heilig gemacht. Sie wird erfüllt von der übernatürlichen Liebe zu Gott; sie wird damit Gott, der die Liebe ist, ähnlich und Ihm wohlgefällig. Die Seele wird so heilig und Gott so ähnlich, daß Er Selbst Wohnung in einer solchen Seele nimmt. Wenn der Seele die heiligmachende Gnade eingegossen wird, dann zieht der Heilige Geist in die Seele ein: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen, durch den Heiligen Geist“ (Röm. 5, 5). Und im Heiligen Geist kommen auch der Vater und der Sohn in die Seele, um dort Wohnung zu nehmen: „Wenn jemand mich liebt, ... wird mein Vater ihn lieben; Wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh. 14, 23). Und so wird der Mensch durch die heiligmachende Gnade wirklich zu einem lebendigen Tempel Gottes, wie der hl. Paulus einschärft: „Wußtet ihr nicht, daß ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1. Kor. 6, 19).
Mit der heiligmachenden Gnade erhält die Seele eine ganze Reihe übernatürlicher Fertigkeiten – die sog. übernatürlichen Tugenden. Jede Seele im Stande der heiligmachenden Gnade ist im Besitz der drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe, und außerdem auch der eingegossenen sittlichen Tugenden: Klugheit, Gerechtigkeit, Starkmut und Mäßigkeit. Die übernatürlichen Tugenden bilden den einen Teil des geistlichen Organismus, der aus der heiligmachenden Gnade erwächst. Zusätzlich zu den übernatürlichen Tugenden empfängt die Seele mittels der heiligmachenden Gnade auch noch die sieben Gaben des Heiligen Geistes mitgeteilt. Die sieben Gaben bilden den zweiten Teil des Organismus, durch den sich unsere Seele auf übernatürliche Weise betätigt: Es sind die Gaben der Weisheit und des Verstandes, des Rates und der Stärke, der Wissenschaft, Frömmigkeit und der Gottesfurcht.
Wie das Blut durch unseren Körper zirkuliert und die Organe mit der nötigen Kraft versorgt, damit diese ihre Tätigkeiten und Funktionen ausführen können, so wird der Organismus der Seele durch die helfenden Gnaden mit der notwendigen Kraft versorgt. Unter der helfenden Gnade versteht man jene übernatürliche Kraft, die uns Gott unzählige Male am Tag in hinreichendem Maße bereitstellt, damit wir die Tugenden üben können. Sie regt uns zum Guten an, begleitet unser Tun und bringt es zur Vollendung. Sie ist die Kraft, welche uns für die Einwirkung der sieben Gaben des Heiligen Geistes empfänglich macht. Die helfende Gnade ist also die Kraftquelle des übernatürlichen Bewegungsapparates. Sie bleibt nicht dauernd, sondern wird nur für den Augenblick gegeben.
Nur dank dieser beiden „Bewegungsapparate“ – der übernatürlichen Tugenden einerseits und der Gaben des Heiligen Geistes andererseits – können wir die sog. „guten Werke“ tun; also solche Taten, die für das ewige Leben verdienstlich sind. Denn bekanntlich müssen unsere Werke, um von Gott ewigen Lohn zu erhalten, nicht einfach nur „gut“, sondern „übernatürlich gut“ sein. – Sowohl die übernatürlichen Tugenden als auch die Gaben des Heiligen Geistes wurzeln in der heiligmachenden Gnade. D.h. sie können ohne die Gnade in der Seele nicht bestehenbleiben. Dieser Zusammenhang läßt uns klarer erkennen, welchen Schaden eine einzige Todsünde anrichtet. Die Todsünde ist wie ein Kopfschuß. Sie tötet das Leben der heiligmachenden Gnade. Weil aber ohne die Gnade weder die übernatürlichen Tugenden noch die Gaben des Heiligen Geistes in der Seele Bestand haben können, kollabiert mit einem Mal der gesamte übernatürliche Organismus der Seele. Dabei gehen der Seele alle Fähigkeiten verloren, Verdienste für den Himmel zu erwerben. Alle an sich guten Werke, die im Stande der Todsünde getan werden, bleiben im Hinblick auf die Ewigkeit wertlos. Eine einzige Todsünde richtet den gesamten übernatürlichen Organismus zugrunde, weil sie mit der heiligmachenden Gnade den Lebensnerv des gesamten übernatürlichen Organismus trifft und ihm die Lebensgrundlage entzieht.
Die übernatürlichen Tugenden
Doch gehen wir noch etwas genauer auf die beiden Bereiche des übernatürlichen Organismus unserer Seele ein. Stellen wir uns zuerst einmal die Frage, was denn überhaupt eine Tugend ist? Die Tugend ist ein Habitus, der es uns einfach macht, gute Akte zu setzen. Um das Wesen der übernatürlichen Tugenden zu verstehen, müssen wir zunächst drei Begriffe klären: 1. Anlage, 2. Habitus und 3. Akt.
Eine Anlage ist die allgemeine Möglichkeit irgend etwas zu tun. Wenn Sie von jemandem gefragt werden: Spielen Sie Klavier? So können Sie darauf antworten: Nun ja, ich habe zwei Hände. D.h. Ich habe prinzipiell die Anlage dazu, um das Spielen auf dem Klavier zu erlernen, obwohl ich derzeit nicht wüßte, wie ich den vielen Tasten das „Alle meine Entchen“ entlocken könnten. Das ist die Anlage. Sie stellt die Grundvoraussetzung dar, um eine bestimmte Handlung auszuüben, obwohl die Fertigkeit selbst noch nicht entwickelt ist. – Wenn aber jemand von sich sagen kann: Ich hatte von Kindesbeinen Klavierunterricht und immer die besten Lehrer. Ich kann alles mögliche von Bach, Mozart oder Chopin auswendig spielen. So hat diese Person durch langes, wiederholtes Üben den Habitus des Klavierspiels erworben. Die prinzipielle Anlage zum Klavierspielen wurde derart vervollkommnet, daß sie sich der Schüler vollkommen zueigen gemacht hat. In dem Wort „habitus“ steckt das lateinische Wort „habere“, was auf deutsch „haben“ bedeutet. Der Habitus ist eine durch stetige Wiederholung und permanente Übung erworbene Fertigkeit. Die Fertigkeit ist so zum erworbenen Besitz geworden, etwas „Gehabtes“. Durch täglich konzentriertes und angestrengtes Üben ist das Klavierspiel gleichsam zur zweiten Natur geworden. Es wurden immer und immer wieder dieselben Bewegungen geübt, bis die Finger ganz natürlich über die Tasten gleiten. Ein Zeichen für das Vorhandensein eines Habitus ist der Umstand, daß die Tätigkeit sehr einfach von der Hand geht und Freude bereitet. Wenn der Klavierschüler ganz am Anfang am Klavier die Tonleitern übt, so ist das für ihn langweilig und ermüdend. Der Schüler muß sich stark konzentrieren. Es geht nicht leicht von der Hand. Es macht keinen Spaß, Tonleitern rauf und runter zu spielen. Niemand hat daran Freude. Weder der Schüler noch die Menschen, die sich derlei Übungen anhören müssen. Es macht keine Freude, und doch eignet er sich durch die ständige Wiederholung der Bewegungsabläufe nach und nach den Habitus an. Wenn er sich eines Tages die Gesetze der Harmonielehre vollkommen angeeignet und verinnerlicht hat, dann wird er sich an das Instrument setzen, die Finger werden über die Klaviatur fliegen, ohne daß er noch groß dabei überlegen muß, und dabei werden die herrlichsten Melodien erklingen. Schwierige Stücke können mühelos vom Blatt gespielt werden. Das bereitet Freude, sowohl dem Spieler als auf dem Zuhörer. Pianisten setzen sich oft instinktiv an ein Klavier oder einen Flügel und fangen einfach an darauf zu spielen. Mühelos. Mit Freude. Die prinzipielle Anlage ist zum Habitus ausgebildet worden. – Bleibt noch die Erklärung des letzen Begriffes: der Akt. Der erworbene Habitus des Klavierspielens bleibt zwar dauerhaft im Pianisten, wird aber nicht die ganze Zeit „aktuell“ von ihm ausgeübt. Im Schlaf spielt er nicht Klavier. Der Akt ist die aktuelle Ausübung einer einzelne Handlung. Bei unserem Beispiel besteht der Akt im Spiel eines bestimmten Klavierstücks. Der Habitus des Klavierspiels wird aktuell, jetzt im Augenblick ausgeführt; z.B. indem der Pianist jetzt eben Chopins „Winter Wind“ (Op. 25 No. 11) spielt. Durch die wiederholten Akte wird ein Habitus erworben.
Jeder Mensch hat nun bestimmte Habitus – gute oder schlechte. Die guten Habitus nennt man Tugenden. Die schlechten Habitus nennt man Laster. Jeder Mensch erwirbt einen Habitus, indem er immer und immer wieder dieselben Akte setzt. Durch die Wiederholung der Akte übt er eine bestimmte Handlung oder Verhaltensweise ein, bis sie ihm leicht fällt und sie gleichsam zur zweiten Natur wird. Die Gewohnheit macht es leicht, den Akt immer wieder zu setzen. Er macht uns geneigt, aus Gewohnheit Gutes zu tun bzw. aus Gewohnheit zu sündigen. Man nennt die vom Menschen durch wiederholte Übung erworbenen Habitus natürliche Tugenden bzw. Laster. Die natürlichen Tugenden sind an sich für die Erlösung wertlos. Einige von ihnen finden sich in jedem Menschen, selbst im größten Sünder. Ein in der Todsünde lebender Mensch kann sehr wohl freundlich, höflich und hilfsbereit sein. Wir kommen aber in den Himmel nicht, weil wir einfach gute Menschen sind, sondern weil wir übernatürlich gute Menschen sind. – Durch die heiligmachende Gnade empfängt die Seele übernatürliche Tugenden: die eingegossene Klugheit, die eingegossene Gerechtigkeit, den eingegossenen Starkmut und die eingegossene Mäßigkeit. Diese von Gott geschenkten übernatürlichen Tugenden richten unsere guten Handlungen auf Gott aus. Sie machen es uns leicht, aus Liebe zu Gott klug, gerecht, tapfer und mäßig zu sein. Dies ist jedoch nur möglich, wenn in unserer Seele die den Tugenden entgegenstehenden Hindernisse – unsere ungeordneten Leidenschaften und Laster – aus dem Weg geräumt sind. – Hier kommen die an sich für das ewige Leben wertlosen natürlichen Tugenden ins Spiel. Indem wir die natürlichen Tugenden erwerben, räumen wir die Hindernisse aus, welche die übernatürlichen Tugenden an ihrer Betätigung hindern. Die Lebendigkeit der übernatürlichen Tugenden hängt nämlich vom Vorhandensein der durch Übung erworbenen Tugenden ab. Deshalb ist es auch so wichtig, daß wir sie uns durch mühsame Arbeit aneignen. Gewohnheit wird nur durch Gewohnheit überwunden. Eine schlechte Gewohnheit, ein Laster kann nur ausgeräumt werden, indem durch wiederholte Akte der entgegengesetzten Tugend eine gute Gewohnheit etabliert wird. Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Ein Akt der Mäßigkeit gibt noch nicht die Tugend. Erst recht nicht, wenn eine Gewohnheit vorliegen sollte, in der Regel unmäßig zu sein. Wir müssen uns die Tugenden mit Hilfe der helfenden Gnade erkämpfen, nur so können die aus der heiligmachenden Gnade erwachsenden übernatürlichen Tugenden ihre Wirktätigkeit entfalten.
Bei der Übung der Tugenden überläßt uns Gott die Initiative. Wir selbst sind aktiv. Die Setzung tugendhafter Akte liegt in unserer Hand. Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zu dem andern Bereich unseres geistlichen Organismus – den Gaben des Heiligen Geistes.
Die Gaben des Heiligen Geistes
Den Gaben des Heiligen Geistes gegenüber verhält sich die Seele passiv. Sie gleicht eher einer Funkantenne für die Anregungen und Einsprechungen Gottes. Das bedeutet nicht, daß Gott zu uns spricht wie wir miteinander reden. Aber die Gaben machen uns in einer unmittelbaren Weise empfänglich für das, was der Heilige Geist will daß wir denken, reden oder tun. Bei den Gaben liegt die Initiative bei Gott. Wir können die Gaben nicht aktivieren. Wir können die Seele nur auf Empfang geschalt halten. Ob wir von Gott angefunkt werden, liegt allein bei Ihm. Gott bewegt uns. Wir können uns nur bereithalten.
Jeder kennt den Einfluß der Gaben wahrscheinlich aus eigener Erfahrung. Wenn uns etwa ein frommer Gedanke, eine klare Einsicht in den Sinn kommt, dann haben wir nicht vorher darüber nachgedacht: Ich könnte doch jetzt einen guten Einfall haben. Er kommt ungerufen über uns. Es ist ein guter Ein-fall. Gott ist sein Urheber. – Im Tierreich finden wir etwas vergleichbares in den Instinkten. Ein Tier denkt nicht nach. Es überlegt nicht, was es angesichts eines Feindes tun könnte. Ohne Überlegen ergreift es entweder die Flucht oder es wird kämpfen. Das Tier verfügt über Instinkte, die es bewegen. Und so sind die Gaben des Heiligen Geistes gleichsam übernatürliche Instinkte, welche die Seele dieses oder jenes denken oder tun lassen. Unter dem Einfluß der sieben Gaben denken wir nicht nach, wir folgen der Anregung Gottes, sofern wir dem Heiligen Geist kein Hindernis in den Weg legen. Dadurch wird jedoch unsere Freiheit nicht aufgehoben. Der Einfluß der Gaben lädt uns vielmehr zur Zustimmung ein. Je mehr die Seele vom Geist der Welt losgelöst ist, um so empfänglicher ist sie für den Einfluß des Heiligen Geistes; und um so selbstverständlicher wird sie die Einsprechungen des Heiligen Geistes aufnehmen und in die Tat umsetzen.
Am deutlichsten sichtbar finden wir den Einfluß der Gaben des Heiligen Geistes im Leben der Heiligen. Beim Lesen ihre Lebensbeschreibungen staunen wir über ihre Weisheit, über die Tiefe ihrer Einsichten, wie sie so einfach über die schwierigsten Gegenstände des Glaubens sprechen. So lichtvoll, genau und vollständig. Kein Wort zuviel und keines zu wenig. Wir staunen über ihr Opfer, ihre Abtötungen, ihre Keuschheit, über die Tapferkeit bis hin zum Martyrium. – Als der hl. Thomas von Aquin gefragt wurde, gab er zu, daß er vor dem Kreuz kniend mehr gelernt habe, als aus irgendeinem Buch. Auf Knien flehte der hl. Thomas um die Gaben der Weisheit, des Verstandes und der Wissenschaft. Gott schenkte sie ihm. Und der hl. Thomas überließ sich freiwillig dem Einfluß der Gaben, wie man beim Studium seines Werkes staunend feststellen wird.
Je mehr das geistliche Leben in einer Seele zur Entfaltung gelangt, um so mehr nimmt der Einfluß der Gaben des Heiligen Geistes auf ihre Tätigkeiten zu. Für den Anfänger, der nach seiner Bekehrung erst einmal den Rückfall in die Todsünde meiden, seine Laster überwinden und die freiwillige läßliche Sünde bekämpfen lernen muß, sind die Gaben zwar in der Seele vorhanden, aber die vorherrschende übernatürliche Tätigkeit der Seele erfolgt durch die Übung der Tugenden. Bei den Fortgeschrittenen, die in der Tugend gefestigt sind, tritt der Einfluß der Gaben mehr und mehr in den Vordergrund bis er eine derartige Vollkommenheit erlangt, wie wir ihn an den großen Heiligen finden. Unter dem Einfluß der Gaben haben die Heiligen gesagt, was Gott sagen würde. Unter dem Einfluß der Gaben haben die Heiligen getan, was Gott getan hätte.
Der Unterschied zwischen den Tugenden und den Gaben
Fassen wir nochmals zusammen: Die übernatürlichen Tugenden machen uns geneigt, mit Hilfe der helfenden Gnade übernatürlich gute und für die Ewigkeit verdienstliche Werke zu tun. Die Tugenden werden geübt durch die übernatürliche Klugheit. Wir müssen selbst abwägen, was hier und jetzt zu tun ist. Wir müssen überlegen. Wir selbst haben die Initiative. – Bei den Gaben hingegen sind wir passiv. Wir folgen den Anregungen, die von Gott kommen. Gott ist der Aktive. Sein Einfluß durch die Gaben dränt uns. Und zwar soweit, daß unsere Klugheit gar nicht mit einbezogen wird. Christus hab gesagt: „Wenn sie euch aber vor die Gerichte führen werden, so sorgt euch nicht, wie oder war ihr reden sollt; denn es wird euch zu der Stunde gegeben werden“ (Mt. 10, 19). Das ist die Wirkung der Gaben. Einige Bilder, um den Unterschied zwischen den Tugenden und den Gaben zu veranschaulichen: Die Tugenden üben ist vergleichbar mit dem Rudern eines Bootes. Es ist die eigene Muskelkraft, die das Boot voranbringt. Der Ruderer wiederholt immer und immer wieder dieselbe Bewegung. Der Ruderer hat die Initiative. Er bestimmt die Richtung. Er bestimmt das Tempo. Das Rudern ist anstrengend. Man muß immer wieder den Kurs korrigieren. Man kommt trotz aller Anstrengung vergleichsweise langsam voran. Die Gaben hingegen sind sieben Segeln am Maß der Seele vergleichbar. Wenn sie der Sturmwind des Heiligen Geistes wölbt, so übernimmt Er die Bewegung des Bootes. Die Initiative kommt allein von Ihm. Der Wind bestimmt die Richtung und die Geschwindigkeit. Das Vorwärtskommen ist mit viel geringerer Anstrengung verbunden und viel zielsicherer, weil der Wind stets in Richtung des Hafens der Ewigkeit weht. – Bei der Tugendübung ist Gott einem Vater vergleichbar, der seinem kleinen Kind dabei hilft Gehen zu lernen. Es dauert. Nur kleine Schritte sind möglich. Viele Stürze und wieder erneutes Aufstehen begleiten den mühsamen Lernprozeß. Durch die Gaben nimmt der Vater das Kind auf Seinen starken Arme und trägt es trittsicher und zielsicher nach Hause. – Schließlich kann man sich den Unterscheid zwischen den Tugenden und Gaben durch die Vorstellung von der Bewässerung eines Feldes veranschaulichen. Man kann einen Acker bewässern indem man aus einem Brunnen Wasser schöpft. Das ist die Tugend. Wasserschöpfen ist mühsam. Man muß den Eimer oft in den Brunnen hinablassen und wieder hochzeihen bis genug Wasser geschöpft ist. Mühelos wird der Acker bewässert, indem die Wolken des Himmel darüber abregnen. Das geschieht durch die Einwirkung der Gaben.
Bedingungen für die Entfaltung der Gaben in der Seele
Nun stellt sich vielleicht dem einen oder anderen die Frage: Wenn es unter dem Einfluß der Gaben doch viel einfacher und schneller ginge unsere Seelen zu retten, warum bemühen wir uns dann überhaupt um die Tugenden? Wenn die Tugenden viel ineffizienter sind als die Gaben, warum sollten wir sie uns dann überhaupt erst aneignen? Laßt uns doch einfach um die sieben Gaben beten, dann könne wir die Beine hochlegen und uns vom Sturmwind des Heiligen Geistes in den Hafen der ewigen Seligkeit tragen lassen.
So einfach ist es leider nicht. Der hl. Thomas von Aquin antwortet darauf, daß die Entfaltung der Gaben den Besitz der Tugenden voraussetzt. Der Mensch wird nämlich erst dadurch fähig, sich der unmittelbaren Leitung Gottes durch die Gaben des Heiligen Geistes zu unterwerfen, wenn er es zuvor zuwege gebracht hat, sich der rechten Vernunft zu unterwerfen. Der Mensch unterwirft sich aber der rechten Vernunft, indem er vernünftig handelt, d.h. indem er die Tugenden übt. Wenn wir uns nicht angewöhnt haben tugendhaft zu handeln, sind wir nämlich gar nicht in der Lage die Anregungen des Heiligen Geistes durch die Gaben aufnehmen und, von ihnen geleitet, handeln können. – Ehe sich ein meisterlicher Harfenspieler an ein Instrument setzt, um darauf eine virtuose Melodie zu spielen, müssen die einzelnen Saiten der Harfe gestimmt sein. Kein Meister rührt ein verstimmtes Instrument auch nur an. Warum? Nicht weil er arrogant ist, sondern weil er weiß, selbst der größte Meister einem verstimmten Instrument keine harmonischen Klänge entlocken kann. Der Heilige Geist ist der Meister. Die Seele ist die Harfe. Die Saiten sind die Kräfte des Menschen. Damit sie harmonisch klingen, d.h. gute Werke hervorzubringen, müssen die Saiten gestimmt sein; d.h. die Kräfte des Menschen müssen in der Stimmung der Tugenden sein. Nur auf einer in der Tugend gestimmte Seele kann der Heilige Geist durch die Gaben sein virtuoses Spiel der Heiligkeit entfalten.
Unsere Aufgabe
Um diese Stimmung zu erlangen, müssen wir zuvor die Mißtöne unsere Laster und Leidenschaften ausmerzen. Wir müssen den Geist der Welt aus unserem geistigen Organismus ausscheiden, wie der Körper, um zu gesunden, alle Schadstoffe ausscheidet. Denn der Geist dieser Welt steht dem Geist Gottes unversöhnlich gegenüber. Der hl. Paulus sagt: „Wir haben aber nicht den Geist diese Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt“ (1. Kor. 2, 12). „Der weltlich gesinnte Mensch aber faßt nicht, was des Geistes Gottes ist; denn Torheit ist es ihm, und er kann es nicht begreifen, da es im Geiste zu verstehen ist“ (1. Kor. 2, 14). Was versteht man unter dem „Geist dieser Welt“? Der hl. Paulus beschreibt seine Werke. Es sind: „Unzucht, Unlauterkeit, Unschamhaftigkeit, Unkeuschheit, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Streitigkeiten, Eifersucht, Zorn, Hader, Zerwürfnisse, Spaltungen, Mißgunst, Mordtaten, Trunkenheit, Schwelgerei und diesen ähnliches“ (Gal. 5, 19-21). Stolz, Ehrgeiz, üble Nachrede, Unglaube, Auflehnung, Rebellion, Verachtung der Autorität. Also ungefähr alles, was wir aus den Nachrichten erfahren und was die Werbung an uns heranträgt; der Glitzer der Stars und Sternchen aus Film und Fernsehen; die liberale Haltung alledem gegenüber, was Gott verboten hat. Das alles ist zusammengefaßt in dem Ausdruck „Geist dieser Welt“. Es ist ein ungeheuer schädlicher Geist, der darauf abzielt aus Menschen Tiere zu machen. Der Geist Gottes hingegen schenkt uns Eifer im Glauben, in der Liebe, in der Demut, in der Abtötung der Sinne. Er bringt in der Seele Seine zwölf Früchte hervor: „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Langmut, Sanftmut, Treue, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit, Keuschheit“ (Gal. 5, 22). Diese zwölf Fürchte bewirkt der Heilige Geist in uns.
Um den Geist dieser Welt in unserer Seele zurückzudrängen und dem Heiligen Geist mit Seinen Gaben mehr Raum zu verschaffen müssen wir vor allem zwei Mittel zur Anwendung bringen: das Gebet und die Abtötung. Diese Mittel beseitigen den hinderlichen Einfluß des Weltgeistes. Sie machen uns würdig vom Heiligen Geist als Instrumente gebraucht zu werden. Wenn wir alles in unserer Macht stehende getan haben; wenn wir beten; wenn wir unsere Laster und Leidenschaften bekämpfen, dann werden wir unfehlbar erhört werden, und auf den rechten Weg geführt werden.
Dazu leitet uns die Kirche in dieser Pfingstwoche an. Sie befiehlt uns in dieser Woche besonders das Gebet um den Heiligen Geist und die Abtötung. Sie befiehlt uns die ganze Pfingstoktav über täglich nach der Epistel auf die Knie zu sinken und den Heiligen Geist auf uns herabzuflehen. Und die Kirche befiehlt uns, obwohl wir in einer Festwoche stehen, am Mittwoch, Freitag und Samstag durch das verordnete Fasten unsere Sinne abzutöten. Die Kirche erinnert uns an unsere Abhängigkeit vom Heiligen Geist, ohne dessen Einfluß der faszinierende übernatürliche Organismus unserer Seele nicht lebensfähig ist. Der Heilige Geist und Er allein, teilt uns die Ströme des Ewigen Lebens, welche vom Kreuz unseres Herrn Jesus Christus herabrieseln, mit. Deshalb rufen wir: „Komme Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer Deiner Liebe.“ Amen.