Erster Fastensonntag
Wir müssen durch viele Bedrängnisse hindurch in das Reich Gottes eingehen.
Geliebte Gottes!
Es ist doch bemerkenswert, was uns der hl. Matthäus über den Zweck berichtet, warum unser Herr Jesus Christus unmittelbar nach Seiner Taufe im Jordan, vom Heiligen Geist in die Wüste geführt, bzw. nach dem Markusevangelium sogar „in die Wüste hinausgetrieben“ (Mk. 1, 12) wurde. Der Zweck ist der: „Um vom Teufel versucht zu werden“ (Mt. 4, 1). Ja, ist es nicht seltsam, daß unser göttlicher Erlöser dem entgegeneilt, wovor wir ängstlich fliehen? – Der Sohn Gottes fastet und läßt den Versucher an sich herantreten, um, wie der hl. Papst Gregor sagt, „in Seiner Versuchung auch unsere Versuchung zu überwinden.“ Die Versuchung ist auch in unserem geistlichen Leben ein alltägliches Phänomen. Lassen sie uns dieses Thema deshalb genauer in Augenschein nehmen, damit wir besonders in den Tagen der Fastenzeit dafür gewappnet sind.
Das Wesen der Versuchung
Im allgemeinen versteht man unter einer Versuchung jede Art von Antrieb, Anreiz oder Anziehung zur Sünde. Jeden Reiz etwas Sündhaftes zu denken, zu reden oder zu tun. Nicht jeder Anlaß zur Sünde ist schon Versuchung. Innere Gedanken und Vorstellungen, äußere Dinge wie Bilder, Bücher, Gespräche bieten die Möglichkeit zur Sünde, ohne aber schon notwendigerweise einen anziehenden Reiz zur Sünde auf uns auszuüben. Eine Versuchung ist erst dann vorhanden, wenn derlei Dinge einen fühlbaren Anreiz zum Bösen in der Seele wecken. Das ist z.B. der Fall, wenn die eigene Phantasie ein Begehren nach etwas Unerlaubtem wachruft; wenn ein Mensch durch herausfordernde Worte zum unmäßigen Trinken reizt und auffordert; wenn eine Filmszene unkeusche Lust erregt. – Die Versuchung als solche ist noch keine Sünde, sonst hätte sie Christus gar nicht an sich heranlassen können. Sie ist nur der Anlaß, der Anreiz, der zur Sünde treibt.
Die drei Phasen der Versuchung
Mit dem hl. Augustinus und dem hl. Gregor unterscheidet man in der Versuchung drei Phasen: 1. die Einflüsterung, 2. das wohlgefällige Verweilen und 3. die Einwilligung. Die erste Phase besteht in der Einflüsterung, also in einem unfreiwilligen Gedanken oder Gefühl, das uns in den Sinn kommt. Phantasie oder Verstand stellen sich die Reize der verbotenen Sache mehr oder minder lebhaft vor. Zuweilen ist diese Vorstellung sehr verführerisch und drängt sich hartnäckig auf. Wie gefährlich diese Einflüsterung auch sein mag, sie ist nicht Sünde, es sei denn, man hätte sie freiwillig heraufbeschworen.
Die zweite Phase ist das sinnlich spürbare, oder geistige Wohlgefallen an dem, was die Einflüsterung uns vorschlägt. Der hl. Franz von Sales sagt: „Es geschieht oft, daß die niederen Triebe und Instinkte ohne Einwilligung, ja sogar gegen den Willen der höheren Seelenkräfte, Wohlgefallen an der Versuchung finden.“ Solange unser Wille nicht mit seiner Zustimmung in das Wohlgefallen einwilligt, ist auch das Wohlgefallen der niederen Triebe und Instinkte noch keine Sünde. Verweigert der Wille seine Zustimmung, ist er unzufrieden über die Belästigung durch die Versuchung, kämpft er gegen das Wohlgefallen an und stößt es voll Abscheu zurück, so bleibt er Sieger über die Versuchung und handelt in verdienstlicher Weise. Sobald er aber bei dem Wohlgefallen verweilt und schwankend in Erwägung zieht, seine Zustimmung zu geben, nimmt er durch seine bereits halb erfolgte Einwilligung an dem sündhaften Wohlgefallen Anteil. Halber Widerstand ist aber schon halbe Einwilligung, also läßliche Sünde.
In der dritten Phase gibt der Wille dem Reiz nach, macht ihn sich durch seine volle Zustimmung zu eigen und folgt ihm. Der Wille läßt sich dazu hinreißen, die böse Lust freiwillig zu wünschen oder zu genießen. In diesem Augenblick hört die Versuchung auf und wird zur Sünde, wie der hl. Jakobus anschaulich sagt: „Ein jeder wird versucht, indem er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Alsdann, wenn die Lust empfangen hat [nämlich die Zustimmung des Willens], gebiert sie die Sünde, die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod“ (Jak. 1, 14 f.).
Ein Beispiel. Jemand ist beleidigt worden. In ihm flammt der Gedanke auf, sich zu rächen. Eine Einflüsterung. Bei diesem Gedanken stellt sich von selbst eine unfreiwillige Lust ein, sich zu rächen; ein Wohlgefallen, das lockt und reizt. Jetzt meldet sich das Gewissen und sagt: „Wenn du Rache nimmst, begehst du eine Sünde.“ Es folgt ein längerer oder kürzerer innerer Kampf zwischen dem Verlangen, sich zu rächen, und dem Einspruch des Gewissens. Der freie Wille muß sich jetzt entscheiden. Er verweilt dabei, schwankt eine Zeitlang. Er zögert zwar, dem Rachegedanken ganz zuzustimmen, doch kann er sich nicht dazu entschließen, die Versuchung entschieden abzuweisen. Das ist eine halbe Einwilligung, denn wer das Böse nur halbherzig zurückweist, will es irgendwie doch. Schließlich sucht der Mensch das Gewissen durch eine Ausrede zu beschwichtigen: „Das darfst du dir nicht gefallen lassen!“ und faßt den Entschluß, Rache zu nehmen. Das ist die volle Einwilligung. Damit ist die Sünde innerlich bereits vollbracht, selbst wenn die Ausführung der Rache eventuell noch verschoben wird oder nachher vielleicht sogar doch unterbleibt. Die Sünde ist da, weil die Einwilligung in den Rachegedanken erfolgt ist. Die Schwere der Sünde hängt davon ab, ob das Beabsichtigte schwer oder läßlich sündhaft ist.
Aus dem Gesagten wir deutlich, daß ein plötzlich auftauchender böser Gedanke, solange wir ihn nicht wollen oder uns nicht freiwillig daran erfreuen, keine Sünde ist. Noch viel weniger liegt eine Sünde vor bei jemandem, der von penetranten Gedanken und Vorstellungen geplagt wird, die er nicht will und verabscheut. Wer jedoch freiwillig der bösen Lust nachgibt, begeht eine schwere oder läßliche Sünde, je nachdem ob das Gewollte oder Ersehnte schwer sündhaft ist oder nicht.
Ursachen der Versuchungen
Nachdem wir die Grenze zwischen Versuchung und Sünde abgesteckt haben, wollen wir uns fragen, wo die Versuchungen herstammen. Was sind ihre Ursachen? Aus dem Katechismus wissen wir, daß jede Versuchung aus mindestens einer von drei Quellen hervorgehen kann: Entweder stammt sie, wie im heutigen Evangelium, unmittelbar vom Teufel selbst; oder aber 2. sie stammt von dem, was man „böse Welt“ nennt, also von äußeren Einflüssen, von schlechten Menschen oder zur Sünde reizenden Dingen und Gelegenheiten. Die dritte Quelle der Versuchung ist schließlich eine innerliche, nämlich unsere ungeordnete Eigenliebe, die sich im Begehren der Leidenschaften Bahn bricht. – Jede Versuchung stammt entweder vom Teufel, von der bösen Welt, oder von der ungeordneten Selbstliebe. Die Ursachen können auch zusammenwirken. Meist bedient sich der Satan der übrigen Ursachen.
Der hl. Paulus warnt uns: „Wir haben den Kampf nicht wider Fleisch und Blut zu führen, sondern wider die Mächte und Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die Geister der Bosheit unter dem Himmel“ (Eph. 6, 12). Es ist gut, dies stets im Gedächtnis zu behalten. Sinnlichkeit, Lügen, glänzende Versprechungen, Argwohn, Drohungen, Verblendung, Wut, Grausamkeit, Stolz, Bosheit; all das sind Waffen des Teufel, um die gläubige Seele anzugreifen. Die Seele des Todsünders hingegen wird vom Teufel meist in Ruhe gelassen, solange er keine ernsthaften Anstalten macht, sich zu bekehren. Der hl. Johannes Chrysostomus erklärt dies wie folgt: „Gleichwie diejenigen auf der See, deren Schiff leer ist, sich nicht vor dem Angriff der Seeräuber fürchten müssen, ebenso greift auch der Satan nicht so leicht einen Sünder an als einen Gerechten, der einen großen Reichtum an Tugenden [als Ladung] besitzt.“ Deswegen wurde den Heiligen unheimlich zumute, wenn sie über längere Zeit keine Versuchungen erleiden mußten, wenn alles glatt lief und keine Schwierigkeiten vorlagen. Wir würden meinen, das sei ein Anzeichen des Segens Gottes, wenn alles problemlos läuft. Die Heiligen nicht. Man sagt vom hl. Ignatius, daß er eine Phase ohne Versuchungen stets als ein Anzeichen des nahenden Zusammenbruchs einstufte. Solange wir leben, werden wir versucht. Die Versuchungen folgen wie die Wellen auf dem Meer, wie die Glieder einer Kette. Wenn der Teufel auf die eine Weise erfolglos bleibt, wird er es auf eine andere Weise versuchen. – Wenn er selbst erfolglos bleibt, ruft der böse Geist seine Helfer im Fleische herbei, nämlich Menschen, die dem Teufel – meist unbewußt – dienen. Das sind entweder die Sünder in unserem unmittelbaren Bekanntenkreis, die durch ihr gottloses Leben und durch ihren schlechten Einfluß als schlechte Vorbilder zum Sündigen verleiten. Oder es sind „Menschen des öffentlichen Lebens“, welche offen die guten Sitten verderben. – Schließlich kann der Teufel leicht Einfluß auf den sinnlichen Bereich unserer Seele nehmen, indem er die dreifache Begierlichkeit aufstachelt, nämlich „die Augenlust, die Fleischeslust und die Hoffart des Lebens.“ Also all das, was unserer ungeordnete Eigenliebe schmeichelt: Besitz, Genuß und Anerkennung.
Notwendigkeit des Kampfes
Doch haben die Versuchungen im Heilswillen Gottes Sinn und Zweck. Sie sind durchaus notwendig. Christus sagt nämlich: „Von den Tagen Johannes des Täufers an, bis jetzt leidet das Himmelreich Gewalt und diejenigen, welche Gewalt brauchen, reißen es an sich“ (Mt. 11, 12). Der hl. Paulus weist in der Apostelgeschichte darauf hin: „Daß wir durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müssen“ (Apg. 14, 21). Es führt demnach kein breiter und bequemer Weg in den Himmel. Wir müssen uns das Heil erkämpfen. Das ist eine Setzung Gottes. Und deshalb ruft und der hl. Ambrosius zu Beginn der Fastenzeit zu: „Allein jener Sieg bringt Ruhm ein, der durch einen vorangegangenen Kampf errungen worden ist. Und der Siegespreis wird nur dem verliehen, der mit Tapferkeit gekämpft hat. – Wie kannst du also die Siegeskrone einfordern, bevor du siegreich warst? Wie kannst Ruhe begehren, ehe du den Lauf vollendet hast? Erst wenn du den Sieg errungen hast, dann hast du Anspruch auf Ruhm und Ehre.“ Und der hl. Johannes Chrysostomus fügt hinzu: „Du wärest einfältig, o Soldat Christi, wenn du meintest siegen zu können, ohne einen Kampf; wenn du glaubtest den Triumph davontragen zu können, ohne eine Schlacht.“ – Nun, warum ist das so? Der hl. Erzengel Raphael klärt uns darüber auf. Er sagte damals zu Tobias: „Weil du vor Gott wohlgefällig warst, mußte die Versuchung dich bewähren“ (Tob. 12, 13). Gerade weil du gut bist, muß die Versuchung über dich kommen, um deine Tugend zu prüfen, um deine Tugenden ans Tageslicht zu fördern. Das ist aber nur möglich, indem deine Tugend angefochten wird. Die Sterne werden nur in finsterer Nacht sichtbar. In der Versuchung erst trennt sich die Spreu vom Weizen und es wird sichtbar, was wirklich in einem Menschen steckt. Deshalb müssen Versuchungen sein. Sie sind notwendig im geistlichen Leben und haben sogar einen großen Wert.
Die Wert der Selbstüberwindung
Eine Versuchung zu überwinden heißt, sich selbst zu besiegen. Darin besteht der glänzendste Sieg, den ein Mensch erringen kann. Der größte aller Siege, ist der Sieg über sich selbst. Der hl. Cyprian von Karthago sagt: „Es gibt nichts, was die Seele des Gerechten mehr erfreut, als die Bewahrung der Reinheit und der anderen Tugenden in der Anfechtung durch die Versuchung. Die Versuchung zu überwinden ist der größte Genuß, den die Seele verkosten kann. Es gibt keinen größeren Sieg, als den über die eigenen Leidenschaften.“ – Demnach bedeutet es die größte Schande und ist nichts anderes als Feigheit, wenn man sich den Versuchungen kampflos ergibt und sich von seinen Leidenschaften treiben läßt. Der hl. Patriarch von Venedig, Laurentius Justiniani, sagte: „Die gesamte Weisheit und Macht der christlichen Religion besteht nicht darin Wunder zu wirken, die Zukunft vorherzusagen, nicht in geistreicher Beredsamkeit und auch nicht in tiefsinnigen Erkenntnissen, sondern im Triumph über Versuchungen. Wer Gott in seinem Herzen liebt, zeigt seine Liebe nach außen in der Gewalt, die er zur Anwendung bringt, um die Feinde, die ihn versuchen, zu besiegen.“ Mit anderen Worten: Die Intensität des Widerstandes, den wir bei Versuchungen an den Tag legen, ist Gradmesser für die Temperatur unserer Gottesliebe. Der hl. Benedikt von Nursia wälzte sich in einem Dornengestrüpp, zerstach sich den ganzen Leib vom Scheitel bis zur Sohle, um Versuchungen der Fleischeslust zu unterdrücken. In diesem rücksichtslosen Vorgehen gegen sich selbst ttrat die immense Liebe zu Gott in seinem Herzen nach außen in Erscheinung! All die erstaunlichen Abtötungen, die wir an den Heiligen bewundern, sind äußere Zeichen für die Intensität und Stärke ihrer Gottesliebe. Sie waren aus Liebe zu Gott eher dazu bereit zu leiden, als in die Sünde einzuwilligen. Zum eifrigen Kampf in der Versuchung versucht uns auch der hl. Augustinus zu ermuntern, wenn er sagt: „Die unsichtbaren Mächte werden besiegt, wenn wir die sichtbaren Lockungen überwinden; wenn wir hinsichtlich unserer Leidenschaften über uns selbst triumphieren. Es ist notwendig, daß wir denjenigen [nämlich den Teufel], der den Menschen durch die Leidenschaften beherrscht, in uns besiegen. Gott sprach zur Schlange: ‚Staub sollst du fressen, dein Leben lang‘ (Gen. 3, 14). Zum Sünder spricht Gott: ‚Staub bist du, und zum Staube sollst du zurückkehren‘ (Gen. 3, 19). Damit wird der Sünder als Fraß für den Teufel bezeichnet. Laßt uns also zu unserem eigenen Wohl nicht staubiger Sündenschmutz sein, damit wir nicht von der Schlange verschlungen werden.“
Gottes Beistand in der Versuchung
Die Versuchungen können an sich leicht überwunden werden – wenn Gott uns dabei hilft. Gott verlangt nichts Unmögliches von uns. Niemand wird über seine Kräfte versucht (vgl. 1. Kor. 10, 13). Wenn wir also von schweren Versuchungen heimgesucht werden, so will Gott, daß wir tun, was in unseren Kräften steht, um zu widerstehen. Und Er will, daß wir Ihn im Gebet um das anflehen, was wir aus eigener Kraft nicht vermögen. Etliche Heilige geben den uns denselben Rat: „Handle stets so, als ob alles Gelingen allein von deiner Anstrengung abhinge. Und gleichzeitig vertraue und bete so, daß du alles Gelingen allein von Gottes Hilfe erwartest.“ Gott verspricht uns Hilfe, um in jeder Versuchung zu bestehen. Deshalb sagt Christus mit voller Berechtigung: „Mein Joch ist süß und meine Bürde leicht“ (Mt. 11, 30). Der hl. Jakobus versichert uns, daß der Teufel von uns Reißaus nehmen wird, wenn wir uns in der Versuchung Gott zuwenden. „Unterwerft euch also Gott; widersteht dagegen dem Teufel, so wird er von euch fliehen“ (Jak. 4, 7). – Wir brauchen keine Angst vor dem Teufel zu haben. Durchaus jedoch einen ernsthaften Respekt. Der hl. Augustinus vergleicht den Satan mit einem wilden Hund, der jedoch von Christus an die Kette gelegt worden ist: „Vielleicht entgegnet einer: Wenn er [der Teufel] gefesselt ist, warum ist er dann noch so mächtig? Geliebteste Brüder! Es ist wahr, er ist noch sehr mächtig, aber nur Lauen und Lässigen gegenüber. Er hat nur Gewalt über diejenigen, welche Gott nicht wahrhaft fürchten. Er ist gefesselt wie ein angeketteter Hund. Er kann keinen beißen außer den, der sich in wahnwitziger Selbstsicherheit selbst in seine Nähe begibt. Ihr wißt doch, Brüder, wie töricht ein Mensch ist, der sich von einem angeketteten Hund beißen läßt. Geh also nie, dadurch daß du irdischen Wünschen und Begierden nachgibst, in seine Nähe, und er wird dir nichts anhaben können. Er kann bellen, er kann locken, aber beißen kann er dich nicht, außer wenn du selbst gebissen werden willst.“ Wie dem Propheten Jeremias, so sichert uns Gott im Kampf gegen die Versuchungen zu: „Ich will dich deinem Volke [deinen Feinden] gegenüber zu einer ehernen, festen Mauer machen. Kämpfen sie wider dich, so werden sie nichts über dich vermögen. Denn Ich bin mit dir, um dir zu helfen und dich zu erretten, spricht der Herr. Und Ich will dich aus der Hand der Bösen befreien und dich aus der Hand der Gewalttätigen erlösen“ (Jer. 15, 20 f.). Da dürfen auch wir mit dem hl. Paulus die logische Schlußfolgerung ziehen: „Was werden wir also hierzu sagten? Wenn Gott für uns ist, wer ist wider uns?“ (Röm. 8, 31).
Der Nutzen der Versuchung
Die Versuchungen haben, außer daß sie uns Gelegenheit bieten unsere Gottesliebe unter Beweis zu stellen auch noch zahlreiche andere wertvolle und sehr nützliche Wirkungen. Zählen wir einige davon auf:
Erstens: Es ist eine wirkungsvolle Buße, in der Versuchung geduldig auszuharren. Viele Sündenstrafen können damit schon in diesem Leben getilgt werden.
Zweitens: Die Versuchung demütigt uns. Gottwohlgefällige Seelen erlangen mit der Gnadenhilfe des Heiligen Geistes die höchsten Tugendgrade und die vollkommensten übernatürlichen Gaben. Damit sie sich darin nicht überheben, ist es für sie von großem Nutzen, daß sie durch Versuchungen gedemütigt werden. So haben wir vor zwei Wochen den hl. Paulus sagen hören: „Damit ich mich nicht wegen der Größe der Offenbarungen überhebe, wurde mir ein Stachel in mein Fleisch gegeben, ein Engel des Satans, daß er mich mit Fäusten schlage“ (2. Kor. 12, 7). Die Versuchung hält uns in der Demut, ohne deren Fundament das Bauwerk der göttlichen Gnade in unserer Seele notwendigerweise zum Einsturz gebracht werden würde.
Drittens: Die Versuchung reinigt uns wie das Feuer. „Wie Gold im Ofen hat Er sie erprobt, und wie ein Brandopfer hat Er sie angenommen, zu seiner Zeit wird Er sie heimsuchen. Die Gerechten werden glänzen und wie Funken, die sich im Stoppelfeld sich ausbreiten“ (Weis. 3, 5-7). Die Versuchung wird oft mit dem Feuer verglichen, welches das Gold im Schmelztiegel von der Schlacke reinigt. „Denn Gold und Silber wird durch Feuer bewährt, die aber Gott angenehm sind, im Feuerofen der Demütigung“ (Sir. 2, 5). Die Versuchung reinigt die Seele, den Leib, das Herz, die Absicht, die Werke und die Gedanken von den Schlacken der Selbstsicherheit und Selbstgefälligkeit, was nichts anderes ist, als ungeordnete Eigenliebe. Der hl. Augustinus ruft uns deshalb auf seinem Beispiel zu folgen: „Ertrage den Feuerofen, gläubige Seele, damit du gereinigt werdest vom Schmutz und du vor Gott fleckenlos erscheinest. Im Feuerofen befindet sich Stroh, Gold und Feuer. Wenn das Feuer angelegt wird, so brennt das Feuer und das Gold wird gereinigt. Das Stroh wird aufgezehrt. Von ihm bleibt nur Asche zurück. Das Gold wird gereinigt von allen Schlacken. Der Feuerofen ist die Welt. Die Bösen sind das Stroh. Die Guten sind das Gold. Das Feuer sind die Versuchungen. Und Gott ist der Goldschmied. Ich mache das, was der Goldschmied will. Er legt mich in den Schmelztiegel und ich mache mich Seinem Willen gleichförmig. Er fordert von mir geduldiges Ertragen. Dadurch macht Er mich glänzend und reinigt mich.“
Ein vierter Nutzen besteht darin, daß uns die Versuchung wachsam und kampfbereit hält. Solange der Feind weit entfernt ist, legt der Soldat seine Waffen nieder und macht ein Schläfchen. Wenn hingegen der Feind in unmittelbarer Nähe ist, so bleibt er wachsam und hält die Waffen kampfbereit in der Hand. Die Versuchungen erinnern uns daran, daß wir uns in diesem Leben nie sicher fühlen können. Der Feind lauert stets vor der Tür unserer Seele. Deshalb müssen wir wachsam bleiben.
Schließlich noch ein fünfter Nutzen. Die Versuchung befestigt und vermehrt in uns die Tugenden. Der hl. Gregor sagt: „Der beste Schutz der Tugend ist die Schwäche, entweder durch Trübsale oder Versuchungen. Der Auserwählte macht nur Fortschritte in der Versuchung. Und was der Teufel zu seinem Verderben ausgelegt hat, das wandelt Gott um zu seinem Ruhm.“ Gott sorgt also dafür, daß die Versuchung uns nicht wirklich schadet, sondern uns zum inneren Wachstum in der Tugend anregt, was uns wiederum an Gnade und Verdiensten zunehmen läßt. Gott läßt eine Versuchung nur zu dem Zweck zu, um in der Seele die entgegengesetzte Tugend wachsen zu lassen. Alle Versuchungen zur Unkeuschheit, zur Maßlosigkeit, zum Stolz, zur Habsucht, zum Neid, zum Argwohn oder zu anderen Sünden, vermehren die Tugenden der Reinheit, der Mäßigkeit, der Demut und der Liebe.
Christus kämpft in uns
Unser Herr Jesus Christus hat die Versuchungen Satans in der Wüste überwunden. Er ist der unüberwindliche Sieger über alle Versuchungen. Er führt uns als Feldherr auf das Schlachtfeld dieser Fastenzeit. Er ist mit uns. Er kämpft in unserer Seele, wenn wir Ihm mutig und opferbereit nachfolgen, wozu uns auch der hl. Cyprian insbesondere für die kommenden Tage und Wochen anspornen will, wenn er sagt: „Der Herr führt uns in die Schlacht. Er ist es der kämpft. Er ist es der siegt. Und es kommt dir zu, daß er den Verdienst des Sieges [in deiner Seele] davontragen kann. Dein Krieg [hier auf Erden] ist der Krieg Gottes. Dein Kampf ist ein Kampf Jesu Christi. Warum fürchtest du dich? Etwa weil du meinst aus eigener Kraft siegreich sein zu müssen? Ergreife die Waffen! Stelle dich dem Kampf! Kämpfe wie ein Mann. Und es wird derjenige, welcher niemals besiegt worden ist, mit dir sein“ (Ep. ad Mart.). Amen.