Der ernste Weg zur Freude

Geliebte Gottes!

Ist es nicht erstaunlich, daß die Kirche uns heute, am Sonntag „Gaudete“, an dem im Hinblick auf das bevorstehende Weihnachtsfest schon alles so freudig gestimmt ist, erneut die hagere und herbe Gestalt Johannes des Täufers vor Augen stellt? Seine aufrüttelnde Predigt lautete: „Bekehrt euch, bringt würdige Früchte der Buße!“ (Mt. 3, 8) Er drohte: „Die Axt ist schon an die Wurzel gelegt. Jeder Baum der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen“ (Mt. 3, 10). Die Predigt des Johannes war klar, hart und scharf. Er hebt an mit der Anrede: „Ihr Natterngezücht!“ (Mt. 3, 7). Er vergleicht seine Zuhörer mit gefährlichen Schlangen. Das ist keine Anrede, die Freude weckt. – Wo bleibt da die Freude? Wo die „frohe Botschaft“? Ernst, abgezehrt, in rauhem Bußgewand steht er vor uns. Hat man wohl jemals in seiner Gegenwart schallend auflachen können? – Gewiß, seine Lebensweise war streng. Seine Rede war schneidend. Er brannte vor Eifer. Und doch war Johannes ein Bringer der Freude, eine geliebte und offensichtlich umschwärmte Person, von der eine friedvolle Heiterkeit ausging. Bezeichnenderweise betet die Kirche ausgerechnet an seinem Geburtsfest, am 24. Juni, in der Oration um die „Gnade geistiger Freude“! 

Die geistige Freude

Hier finden wir auch schon den entscheidenden Hinweis zur Lösung des scheinbaren Widerspruchs zwischen Ernst und Heiterkeit, zwischen Strenge und Ausgelassenheit, zwischen Trauer und Freude. Es ist die Rede von „geistiger Freude“! Das ist der charakteristische Unterschied, der die wahre Freude vom Vergnügen unterscheidet. Die wahre, die geistige Freude ist nicht mit dem Vergnügen gleichzusetzen. Das Vergnügen ist eine sinnliche Freude, ist „Gaudi“, ist Spaß. Derjenige, der Vergnügen sucht, der sucht es im Genuß sinnlicher Güter – im Essen, Trinken, in fleischlichen Genüssen, in der Geselligkeit der Freunde, im Urlaub, im Hobby. Die Freude hingegen ist geistiger Natur. Sie findet ihre Erfüllung in den geistigen Gütern. Und die höchste Freude wird demjenigen zuteil, der das höchste geistige Gut besitzt, nämlich Gott.

Es ist klar, schon der hl. Augustinus und der hl. Thomas von Aquin haben es gesagt, daß die gleichen materiellen Güter, im Gegensatz zu den geistigen Gütern, nicht zur gleichen Zeit gänzlich mehreren gehören können. Dasselbe Haus, dasselbe Auto, dieselbe Position in der Firma können nicht von mehreren Menschen gleichzeitig besessen werden. Dieselbe Frau kann nicht von mehreren Männern gleichzeitig geheiratet werden – sondern nur von einem. Auf ein und denselben Bauplatz kann nun einmal nur einer sein Haus bauen. Ein und dasselbe Kuchenstück kann nicht von vielen zur Gänze gegessen werden – sondern nur von einem einzigen. Daraus entsteht der furchtbare Widerstreit der Interessen unter uns Menschen, die Eifersucht und die Konkurrenz. – Im Gegensatz dazu können dieselben geistigen Güter gleichzeitig allen und jedem einzelnen zur Gänze gehören, wie der hl. Augustinus mit Vorliebe betont. Wir können, ohne daß dies einen anderen benachteiligt, in vollem Maße die gleiche Wahrheit, die gleiche Tugend, denselben Gott besitzen. An den geistigen Gütern können sich alle gleichermaßen erfreuen. Deshalb fordert Christus uns auf: „Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles übrige wird euch hinzugegeben werden“ (Mt.6, 33). Deshalb ruft uns der hl. Paulus zu „Freut euch allezeit – im Herrn!“ (Phil. 4, 4). Der Freude an geistigen Gütern, und erst recht am höchsten geistigen Gut, muß jedoch erst der Weg bereitet werden. Und hier spielt der Wegbereiter, der hl. Johannes der Täufer, eine wesentliche Rolle. Er zeigt uns, wie wir zur geistigen Freude gelangen können. 

Der Ernst als Quelle der Freude

Johannes sagt von sich: „Ich bin die Stimme eines Rufenden“ (Joh. 1, 23). Stimme ist er, nicht Wort. Die Stimme trägt das Wort. Kein leeres und auch kein leichtes Wort trug Johannes, sondern ein gewichtiges und ernstes: Das ewige Wortes Gottes verkündete er. Davon war er erfüllt. Daher rührte seine Freude (vgl. Joh. 3, 29). – Das Leben Johannes des Täufers war deswegen voll Freude, weil so viel Ernst darin war. Wenn der Ernst des Lebens falsch oder gar nicht gesehen wird, wenn unser Leben nicht mehr auf unsere geistigen Pflichten gegen Gott hinzielt, sondern auf das sinnliche Vergnügen, dann wird dadurch der Weg zur Freude versperrt. Weil Johannes seine Pflichten gegenüber Gott ernst genommen hat, deswegen konnte er Freude erleben. Denn: „Erfüllte Pflicht ist eine Quelle der Freude.“ Die Pflicht des Johannes war es, das Volk zur Umkehr zu rufen, Israel zu sammeln und es für den Messias zu bereiten. Der Ruf zur Buße ist immer eine harte Pflicht, denn die Menschen wollen nicht zur Buße, sondern zum Genuß gerufen werden. Johannes sprach zu König Herodes Antipas: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben“ (Mk. 6, 18). Das bezahlte Johannes mit Kerkerhaft, denn die Menschen wollen nichts von Verboten hören, sondern daß alles erlaubt sei. Er warnte und mahnte. Darin bestand die Pflicht des hl. Johannes. Er hat sie angenommen und erfüllt. Und schließlich ist er dieser Aufgabe zum Opfer gefallen.

Johannes war ganz den Pflichten seiner Berufung hingegeben. Die treue Pflichterfüllung trägt ihren Lohn in sich selbst. Treue gegen Gott, Treue Seinem Willen, Seinen Geboten gegenüber, all das schenkt einen tiefen Frieden und ein stilles Glück. Freilich nicht um der Pflicht willen, wie in der idealistischen Ethik Emanuel Kants behauptet wird, sondern aufgrund der Pflichterfüllung „für jemanden“, für Gott, aus Liebe zu Gott. Das schenkt die Freude und das Glück. Die Pflicht ist also kein Freudenkiller. Die Pflicht ist eine Freudenquelle, ein nie versiegender Brunnen der Freude. Nicht die Lockerung, nicht die Minderung der Pflicht bringt Freude, sondern die Erfüllung!

Sinnlosigkeit aufgrund mangelnder Ernsthaftigkeit

Die Welt ist heute so voll Traurigkeit, Verzweiflung und Sinnlosigkeit, weil sie so wenig ernst ist. In dieser Welt findet sich so wenig Freude, weil sie das Leben als ein Spiel begreifen möchte. Das Leben ist aber kein Spiel. Es hat einen großen Ernst. Es ist einmalig und unwiederholbar. Die Menschheit ist eben keine Spaßgesellschaft. Sie hat einen ernsten Sinn. Nämlich die von Gott angebotene Erlösung anzunehmen und dadurch Gott zu verherrlichen. Das Christentum ist eine ernste Angelegenheit. Dabei geht es um Wahrheit und Irrtum, um Gut und Böse, um Gott und Satan, Himmel und Hölle, um ewiges Heil und ewige Verdammnis. Der Ernst des Christentums ist die Folge seiner Erhabenheit und seiner Unentbehrlichkeit.

Wir alle wissen, daß dem Christentum der Ernst weitgehend ausgetrieben worden ist, seit die Konzilskirche die gesetzgebenden Organe der katholischen Kirche erobert hat. Schon Angelo Roncalli, alias Johannes XXIII., wollte vom Ernst des Verurteilens gefährlicher Glaubensirrtümer nichts mehr wissen. Im Zuge des 2. Vatikanums wurde das sehr ernste Dogma: „Außerhalb der Kirche kein Heil“ zugunsten des Ökumenismus preisgegeben und uminterpretiert. Die Aufweichung der kirchlichen Disziplin tat ihr übriges. Auch die Einstellung zur Pflicht hat sich gewandelt. Man müsse für alles Verständnis haben und dürfe nichts mehr verlangen und einfordern. Die Konzilspäpste und ihre Handlanger auf den Bischofsstühlen und in den Pfarrhöfen haben dem Christentum den Ernst ausgetrieben. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß dort oberflächliche Bespaßung an die Stelle der wahren Freude am religiösen Leben getreten ist. In dem bekannten Büchlein von der „Nachfolge Christi“ findet man den bedeutsamen Satz: „Du kannst nun einmal nicht doppelte Freude genießen. Du kannst dich nicht hier auf Erden ergötzen und dich drüben mit Christus freuen“ (I, 24) Und vom hl. Petrus Chrysologus stammt der Satz: „Wer Spaß haben will mit dem Teufel, kann nicht Freude haben mit Christus.“

Der Ernst des Christentums ist weitgehend verschwunden. Auch unter den Traditionalisten. Diejenigen von ihnen, die Jorge Mario Bergoglio als ihren rechtmäßigen „Papst“ anerkennen, spotten über ihn. Sie machen Witze über ihren „Papst“, kritisieren ihn, schütteln den Kopf über das, was er sagt und was er tut. Sie geben ihn auf ihren Internetseiten mit spöttischen Karikaturen der Lächerlichkeit preis. Wo ist da der heilige Ernst und die Ehrfurcht vor dem Stellvertreter Jesu Christi auf Erden? Der Glaube an das Papsttum, ausgestattet mit der göttlichen Autorität „Was du auf Erden binden wirst wird auch im Himmel gebunden sein“ (Mt. 16, 18) ist von höchstem Ernst! Doch die „erzkonservativen“ Traditionalisten haben daraus eine Spielerei werden lassen, die selbst von ihnen nicht mehr erstgenommen wird. Was soll das aber für ein „Papst“ sein, der in der Regel alles falsch macht? Wozu überhaupt einen solchen „Papst“, wenn man ohnehin nicht auf ihn hören soll und ihm ohnehin nicht gehorchen braucht? Ein solcher „Papst“ macht keinen Sinn! Die Konzilspäpste geben seit gut sechzig Jahren eine Komödie zum besten, eine blasphemische Komödie, welche offensichtlich die Heiligkeit Gottes und die Verheißungen Christi Seiner Kirche gegenüber kompromittieren soll. Eine Komödie ist ein Schauspiel. Sie ist nicht ernst und auch nicht echt. Jeder weiß das. Und doch sind bei dieser Komödie die meisten felsenfest davon überzeugt, daß es sich bei diesem Cast, bei dieser Rollenbesetzung, um wahre Päpste handle. Der Papst als Witzfigur, das ist eine böswillige Spielerei, die jeden gebührlichen Ernst vermissen läßt. – Das Leben des hl. Johannes war voll Freude, weil er so ernst war; weil er Gottes Wort und Gottes Forderungen ernst nahm, weil er voll Ehrfurcht war. 

Freude aus der Entschiedenheit

Wir haben letzten Sonntag gehört, daß Christus dem hl. Johannes ein großes Lob ausgesprochen hatte. Johannes war kein Schilfrohr, sondern ein standhafter, zuverlässiger Charakter: „Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste? Was wolltet ihr denn sehen? Etwa ein Schilfrohr, das vom Wind hin und hergetrieben wird?“ (Mt. 11, 7). Das Schilfrohr steht für einen Menschen, der keine gefestigten Überzeugungen hat. Er wird gleichsam von den jeweiligen Stimmungen, Strömungen und Meinungen hin und her getrieben. Heute so und morgen anders. Ein Mensch, der ein schwankendes Rohr ist, steht nicht fest. Er hat keinen Standpunkt. Er läßt sich verschieben und ist leicht manipulierbar. Auf einen solchen Menschen kann man sich deshalb auch nicht verlassen. Im Epheserbrief schreibt der hl. Paulus: „Daß wir nicht mehr unmündige Kinder seien, hin- und herschwankend und umhergetrieben von jedem Winde der Lehre, durch die Bosheit der Menschen, durch die Arglist, welche durch Ränke der Irrlehre zu verführen weiß“ (Eph. 4, 14). Die Unbeständigkeit ist ein großer Feind der wahren Freude. So vielen hat sie schon die Freude an der katholischen Religion verdorben. Der unentschiedene Mensch, der wie ein Schilfrohr zwischen Gott und der Sünde hin und her schwankt, gleicht einem Turner, der einen Spagat macht. Er versucht in seinem Leben zwei unvereinbare Gegensätze unter einen Hut zu bringen. Ein Spagat, wir wissen es, ist anstrengend. Einen Spagat hält man nur eine Zeitlang, aber nicht ein ganzes Leben aus. Man wird sich erheben, entweder in die eine Richtung oder in die andere. Entweder wird man mit der Sünde brechen oder mit Gott. Wir sollen keine schwankenden Rohre sein, sondern uns ernsthaft entscheiden für die Nachfolge Christi und dieser im Ernst getroffenen Entscheidung treu bleiben. Nur so werden wir verläßliche Menschen und von diesem Bewußtsein mit großer Freude erfüllt sein. 

Die Freude des guten Gewissens

Eine weitere Quelle geistiger Freude war für Johannes den Täufer der Umstand, daß er so viel verlassen hatte. Er war ein Asket. Er lebte in der Wüste. Er hatte kein behagliches Heim, kein warmes Bett. Er ernährte sich kümmerlich von Heuschrecken und wildem Honig. Er trug keinen Maßanzug, keine bequemen Jeans, sondern ein Gewand aus kratzigen Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel. In seinem Leben fehlte jede Bequemlichkeit. Dennoch war er voll Freude. Denn die Freude stellt sich dort ein, wo der Mensch sich unabhängig macht von Bedürfnissen. Nicht der ist voll Freude, der alles besitzt, sondern jener, der nichts verlangt. Die Freude kommt nicht vom Genießen, sondern vom Überwinden. Wer auf Genießen aus ist, findet keine Ruhe. Warum nicht? – Weil der Genußtrieb immer nach mehr und nach anderem Genuß verlangt. Wie der hl. Hieronymus treffend sagt: „Semper voluptas famem sui habet. ... Libido numquam satiatur, ... usu crescit.“ (ad Damasum) – „Die Begierde ist stets hungrig. Die Wollust wird niemals gesättigt sein. Sie wächst, indem man ihr nachgibt.“ – Wer der Lust nachjagt, dem entflieht die Freude.

Zu der unersättlichen Gier nach Lustbefriedigung und der zunehmenden Schalheit irdischer Freuden tritt nämlich außerdem die Marter des bösen Gewissens. – Es gibt Christen, die verstohlen mit einem neidischen Auge auf die Weltmenschen blicken, weil sie meinen, daß es diejenigen, die sich nicht um Gott kümmern, leichter haben. Sie sündigen hemmungslos und haben scheinbar doch kein schlechtes Gewissen dabei. – Doch dieser Anschein trügt. Mag sein, daß der Rausch eine Zeitlang vorhält. Mag sein, daß die große Masse derer, die auf dem Weg ins Verderben geht, ihr Gewissen nicht mehr hört, weil sie von einem Genuß in den nächsten fliehen. Aber eben diese Flucht ist das Zeugnis ihres schlechten Gewissens. Die innere Rast- und Ruhelosigkeit, mit welcher der Sünder versucht sein Gewissen zu ersticken, ist gerade dessen rächender Arm. So absurd es für den Weltmenschen klingt: Genügsamkeit, Bescheidung, Enthaltsamkeit, sie bringen wahre Freude. Nämlich die Freude eines ruhigen und sicheren Gewissens.

Freude aus der Selbstdisziplin

Das Stichwort für diese dritte Adventwoche, die uns zur wahren Freude führen will und uns gerade deshalb das Fasten und die Abstinenz der Quatember auferlegt, lautet „Selbstzucht“ oder „Selbstdisziplin“. Diese soll durch den Abbruch in der Nahrung geübt werden. Die Gaumenlust muß bezähmt werden. Um aber der Weihnachtsfreude den Weg in unsere Herzen zu bahnen, muß der ganze Mensch in Zucht genommen werden. Mit dem hl. Johannes müssen auch wir rufen: „Ich muß abnehmen, damit er zunehmen kann“ (Joh. 3, 30). Die „Selbst-Zucht“ überwindet in uns die „Selbst-Sucht“. Deshalb wollen wir uns wieder auf einige wohlbekannte Grundsätze besinnen. Da wäre zum Beispiel der Grundsatz des gesunden Menschenverstandes: „Nicht mehr ausgeben als man einnimmt.“ Haushalten, sich bescheiden, nicht über die eigenen Verhältnissen leben. Schulden machen, ist eine gefährliche Sache. Ein anderer Grundsatz lautet: „Nicht versprechen, was man nicht halten kann.“ Vorher überlegen, bevor man eine Zusage gibt. – Erst recht braucht es Ordnung im religiösen Leben. Früher hat man gesagt: „Kein Tag ohne Gebet. Kein Sonntag ohne heilige Messe. Kein Monat ohne Beichte und Kommunion.“ Wie wünschenswert wäre es, wenn dieser Rhythmus wieder Allgemeingut unter den Katholiken würde. – Häufig rührt unsere Wankelmütigkeit in der Überzeugung oder in der Lebensführung aus der Furcht vor dem Urteil der Mitmenschen her. „Was werden die Leute von mir denken?“ Das schreckt die meisten mehr als das Bewußtsein, was Gott über sie denkt. Die Menschenfurcht übt mehr Zwang und Druck auf die persönliche Freiheit aus als alle Gebote. Diejenigen, die aus Menschenfurcht hin und her schwanken, mögen den Satz des hl. Paulus verinnerlichen:„Wollte ich noch Menschen gefallen, dann wäre ich nicht mehr Diener Christi“ (Gal. 1, 10). – Die tägliche Selbstzucht beginnt mit dem regelmäßigen pünktlichen Zubettgehen am Abend. Das erst ermöglicht nämlich das regelmäßige pünktliche Aufstehen am Morgen. Nur durch diese Regelmäßigkeit läßt sich das Tagesprogramm, das jedem auferlegt ist, bewältigen. Es ist eine Tugend, sich jeden Morgen zu gebotener Stunde zu erheben. Es kostet Überwindung. Es stählt den Willen und verhilft zur Selbstachtung. – Wer Selbstdisziplin gelernt hat, der geht die Erfordernisse des Tages nach einer bestimmten Reihenfolge an. Sie lautet: „Erst das Notwendige, dann das Nützliche, schließlich das Angenehme.“ Nicht umgekehrt! Erst das Notwendige. Dann das Nützliche. Und zum Schluß erst das Angenehme! Wer diese Ordnung umdreht, der versinkt im Chaos. Mit der Unordnung wird sich unweigerlich die Hektik einstellen und der Mensch wird seines Lebens nicht froh. „Halte die Ordnung. Und die Ordnung erhält dich!“ – Selbstdisziplin ist auch gefordert, die anfallenden Arbeiten und Aufgaben rechtzeitig anzugehen, damit sie pünktlich erledigt werden können. Nur so erspart man sich Ärger, Streß und schmerzliche Mißerfolge. Nur so kann man zuverlässig bleiben. Das unbegründete Aufschieben von Arbeiten zwingt häufig zu hastiger, ungenügender Erledigung auf den letzten Augenblick. Die Unpünktlichkeit verschafft Verdruß. Unter Zeitdruck unterlaufen Fehler, die dann auch nicht mehr ausgebessert werden können. – Der Mensch, der gelernt hat sich selbst zu ordnen, ist außerdem kein Drückeberger. Er flieht nicht vor unangenehmen Arbeiten. Es ist schäbig, lästige Aufgaben liegenzulassen, zu versäumen oder auf andere abzuwälzen. Nein wir müssen uns allen Anforderungen des täglichen Lebens stellen und uns dem Gesetz der Arbeit beugen; auch wenn die Arbeit unliebsam und schmutzig sein mag. – Es gibt außerdem Menschen, die an ihren Liebhabereien zugrunde gehen. Deshalb muß man auch seine Freizeit, sein Hobby, seinen Zeitvertreib scharf bewachen. „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“ Freilich, man kann sich zu Tode arbeiten. Aber man kann sich auch zu Tode faulenzen. Selbstdisziplin bedingt die vernunftgemäße Abwechslung von Arbeit und Erholung. Man kann nicht immer nur arbeiten, man muß sich auch erholen. Aber das eine wie das andere muß von der Vernunft geleitet sein. Die Ruhe hat erst nach der Arbeit ihre Berechtigung, nicht vorher. Sie muß der Lohn der Arbeit sein.

Freude aus wahrhaftiger Selbsterkenntnis

Selbstdisziplin – das soll das letzte sein – ist auch gefordert in unserer Selbsteinschätzung und in der Weise, wie wir uns vor anderen geben. Der verführerische Grundsatz der Welt lautet: „Mehr Schein als Sein.“ Der Mensch ist geneigt seine Schattenseiten zu verbergen und sich vor anderen größer zu machen als er ist; sich in ein besseres Licht zu stellen. Die Selbstdisziplin fordert von uns die radikale Wahrhaftigkeit, die der hl. Johannes uns im heutigen Evangelium vorlebt. Die Frage lautete: „Bis du der Messias?“ – Ein „Ja“ hätte genügt. Es wäre zwar ein Lüge gewesen, aber man hätte ihm geglaubt. Was antwortete Johannes? „Ich bin die Stimme eines Rufers“ (Joh. 1, 23). Das ist die Wahrheit. Johannes ist nur Stimme, nicht Wort! Nur der Laut, der das Wort in das Herz der Menschen trägt. Die Stimme ist nichts ohne den Rufer. Der Rufer ist die Ursache der Stimme. Ihm hat sie ihr ganzes Dasein zu verdanken. Die Stimme steht ganz im Dienste des Wortes. Ihm hat sie getreulich zu dienen. Sie kann es nur bewahren durch behutsame Wahrhaftigkeit. – An Johannes müssen wir uns ein Beispiel nehmen und wie er erkennen, daß wir aus uns selbst nichts sind. Daß wir alles was wir sind und haben von Gott empfangen haben. Wir sind nichts ohne Ihn und ganz von Ihm abhängig, wie die Stimme vom Rufenden. Das wäre eine wahrhaftige Selbsterkenntnis! Wir können nur klingen, wenn wir Christus in uns tragen. Wir müssen unser Herz, das doch so sehr von sich selbst eingenommen ist, leer machen, damit das Wort Gottes darin Platz finden kann. Damit auch wir, vom ewigen Wort erfüllt, Ihm als Stimme dienen können. – Ein wichtiger Gedanke, gerade im Hinblick auf die heilige Kommunion! – Der Laut muß erst zum Wort geformt werden. Dazu muß sich die Stimme ganz dem Wort anpassen und behutsam darauf achten, daß sie es nicht durch Unwahrhaftigkeit verfälscht. Wenn wir uns hierfür nicht ernsthaft in Zucht nehmen, wird unser Leben ein verzerrtes, sinnloses Getöse sein, das keine Freude beinhaltet und niemanden froh macht. Wenn wir uns hingegen vom Ernst der Pflicht und der Selbstdisziplin formen lassen, dann wird unser Leben mit Sinn erfüllt – mit dem Sinn des ewigen Wortes. Es wird selbst voll Freude sein und anderen Freude bereiten. Bis der Herr eins unsere Freude vollenden wird. 

Meine Freude ist damit vollkommen.“ (Joh. 3, 29)

Wir wollen heute schließen mit einem längeren Ausspruch des hl. Augustinus, der uns den Weg der vollkommenen Freude in der von ihm gewohnten Schönheit der Sprache und Dichte der Gedanken beschreibt: „Johannes ist die Stimme. Der Herr aber ist das Wort. Von Ihm heißt es: ‚Im Anfang war das Wort.‘ (Joh. 1,1). Johannes war die Stimme zu einer bestimmten Zeit. Christus ist das ewige Wort von Anfang an. Nimmst du das Wort weg, was bleibt von der Stimme? Wenn in der Stimme kein Gedanke ist, so ist sie leerer Lärm. Die Stimme ohne Wort pocht zwar ans Ohr, doch das Herz erbaut sie nicht. Wenn ich denke, was ich sagen will, ist das Wort schon in meinem Herzen. Wenn ich aber zu dir sprechen will, suche ich nach einem Weg, wie das Wort, das in meinem Herzen schon ist, auch in dein Herz eingehen kann. Dann nehme ich die Stimme zu Hilfe und spreche zu dir. Der Klang der Stimme trägt den Sinn des Wortes zu dir, um sogleich zu verhallen. Das Wort hingegen, das der Laut zu dir gebracht hat, ist nunmehr in deinem Herzen, ohne mein Herz verlassen zu haben. ... Da es schwierig ist, das Wort von der Stimme zu unterscheiden, wurde Johannes selbst für den Messias gehalten. Die Stimme hielt man für das Wort. Um das Wort zu ehren, gab sich die Stimme als das aus, was sie war – Stimme. So spricht sie: ‚Ich bin nicht der Messias, noch Elias, noch der Prophet.‘ Wer bist du also? Sie antwortet: ‚Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Ebnet den Weg des Herrn!‘ (Joh. 1,23). ... Der Laut der Stimme tat seinen Dienst und verging, als wollte er sagen: ‚Meine Freude ist damit vollkommen.‘ (Joh. 3,29)“ (Sermo 293, 3). Amen.

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