Täglich sterbe ich.“ (1. Kor. 15, 31)

Geliebte Gottes!

Der Mensch besteht aus Leib und Seele. Das ist bekannt. Der Mensch muß in diesem Leben auf Erden wählen, welchen von beiden er zum König krönt. Entweder erhebt er die Seele auf den Thron. Dann wird der Leib unter der Herrschaft der Seele dienstbar sein. Das ist der christliche Weg. – Oder aber der Mensch krönt das Fleisch seines Leibes; dann wird die Seele dessen Begierden unterworfen sein wird und dem Verlangen des Fleisches Frondienste leistet. Das ist der breite, bequeme Weg, der am Ende ins Verderben führt. Die Königswahl, die jeder Mensch Tag für Tag trifft, gibt unserem Leben einen ungeheuren Ernst. Denn es gibt einen Augenblick, in dem diese Wahl unwiderruflich und endgültig wird. – Unser Leben wäre bedeutungslos, wenn es nicht einen Augenblick gäbe, an dem sich unsere ewige Bestimmung entscheidet; einen Punkt, an dem endgültig feststeht, ob wir die in Christus angebotene Erlösung annehmen oder sie zurückweisen. Der Herr warnt uns deshalb: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können; fürchtet vielmehr den, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann“ (Mt. 10, 28). Und an anderer Stelle sagt er: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber an seiner Seele Schaden leidet. Was kann denn der Mensch geben als Lösegeld für seine Seele?“ (Mk. 8, 37).

Der Ernst des Todes

Es gibt einen Punkt, an dem dieses Leben endet. Es ist der Augenblick, da die Seele vom Leib geschieden wird. Es ist nicht einfach, die Aufmerksamkeit des modernen Menschen auf dieses Thema zu lenken. Der moderne Mensch will nichts davon hören, daß dieses Leben einmal endet. Der Tod wird ausgeblendet, als könne man ihn damit aus der Welt schaffen, indem man so tut, als gäbe es ihn nicht. Ungeachtet dessen bleibt es wahr: Jeder Mensch muß sterben. Auch ich werde sterben. – Vielleicht ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie unbehaglich dem modernen Menschen angesichts des Todes wird? Vor wenigen Dingen schaudern die Menschen heute noch zurück. Gewaltverherrlichende Filme, in denen das Blut in Strömen fließt und Krimis in denen die Grausamkeit brutaler Morde detailliert gezeigt wird, bereiten ihm keine schlaflosen Nächte. Die Konfrontation mit dem Tod aber, insbesondere mit dem eigenen Tod, ändert das schlagartig. – Manche versuchen die Beklemmung, die sie dabei beschleicht, damit zu überwinden, indem sie sich einreden: „Mit dem Tod ist alles aus. Da tut mir wenigstens nichts mehr weh.“ Und trotzdem fürchten diese Menschen den Tod. Ist das nicht seltsam? Wird in der Furcht derer, die an kein Leben nach dem Tod glauben, nicht offenbar, wie sehr die Gewißheit darüber, daß mit dem Tod eben doch nicht alles aus ist in das menschliche Herz eingeschrieben ist? Daß der Tod kein Schlußpunkt ist, sondern ein Wendepunkt, der Beginn von etwas Neuem? Die Gewißheit, daß der Moment des Todes die ganze Ewigkeit in sich schießt – nämlich Himmel und Hölle? Der Augenblick des Todes schließt eine Ewigkeit in sich!

Die Ursache des Todes

Andere Menschen sind der Auffassung, der Tod sei ein ganz natürlicher Prozeß. Der Tod gehöre nun einmal zum Leben dazu. Der Mensch sterbe ebenso wie auch ein Schwein oder ein Hund, wie ein Elefant oder eine Stubenfliege stirbt und zwar aus demselben biologischen Grund. Doch das ist nicht wahr! Der Mensch hat eine Geistseele, eine unsterbliche Seele. Und deshalb ist der Tod eines Menschen etwas völlig anderes als der Tod eines Marienkäfers. Das Leben eines Tieres nimmt einen kreisförmigen Verlauf. Es geht aus der Materie des Muttertieres hervor, entfaltet sich, pflanzt sich fort, welkt dahin, stirbt und kehrt wieder zur Materie des Staubes zurück. Es durchläuft einen Kreislauf. Das menschliche Leben hingegen ist nicht kreisförmig, sondern wie eine Linie, die von einem Punkt ausgeht und in die Unendlichkeit weiterverläuft. Man kann es eher mit einem Lichtstrahl vergleichen, der von einem Projektor ausstrahlt. Das Leben des Menschen nimmt seinen Ausgang und strebt nach vorne, immer weiter nach vorne, bis es auf jemanden trifft, der es auffängt; bis es auf den trifft, dem es die ganze Zeit entgegen gestrebt ist. So wie der Lichtstrahl auf die Leinwand triff, wo er die Erfüllung seines Daseins im Lichtbild findet.

Der Grund für den Tod des Menschen, der für die Unendlichkeit geschaffen ist, liegt nicht in der natürlichen Ordnung begründet, sondern vor allem in der Ordnung der Geschichte. Die Ursache des Todes ist ein historisches Ereignis, keine biologische Anlage. Es gab einen historischen Zeitpunkt in der Geschichte des Menschen, an dem er, der unsterblich erschaffen wurde, gesündigt hatte. Und die Strafe für die Sünde des ersten Menschen war der Tod. „Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod“ (Röm. 5, 12). Die Sünde Adams, die sich in der Erbsünde auf uns überträgt, ist die Ursache, warum jeder Mensch sterben muß. Hätte es keine Sünde gegeben, dann gäbe es auch keinen Tod. – Um die Sünde und deren Folge – den Tod – zu überwinden, kam unser göttlicher Erlöser in die Welt. Die Sünde überwand Er durch Sein Leiden und Sterben am Kreuz. Den Tod überwand Er in Seiner glorreichen Auferstehung. Christus hat uns ein Mittel gegeben, wie auch wir, die gefallenen und sterblichen Menschen, in das Geheimnis Seines Sieges über die Sünde und den Tod hineingenommen werden. Er gab uns die heilige Eucharistie. Er gab uns das hl. Meßopfer und die hl. Kommunion. In der heiligen Kommunion nehmen wir Anteil an der Erlösung vom Tod. Durch die geheimnisvolle Vereinigung mit Seinem gekreuzigten und auferstandenen Leib im Genuß der eucharistischen Speise werden wir in die Auferstehung Christi hineingenommen. So hat Er es uns erklärt: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“ (Joh. 6, 54)Die Auferstehung Christi an Ostern ist eine Bürgschaft für unsere Auferstehung am Ende dieser Weltzeit.

Wie einer jeden Auferstehung, so muß auch unserer Auferstehen ein Tod vorausgehen. Und zwar nicht irgendein Tod. Wollen wir mit Christus auferstehen, so dürfen wir nicht irgendwie sterben. Wenn wir mit Christus auferstehen wollen, so muß unser Tod irgendeine Ähnlichkeit mit dem Tod Christi haben. Ob wir der Auferstehung Christi teilhaftig werden wird also davon abhängen, ob der einmalige Augenblick unseres Sterbens dem Sterben des Gekreuzigten ähnlich sein wird. – Darauf kommt es an! Deshalb müssen wir das Sterben einüben. Der hl. Paulus sagt sogar, daß wir zu diesem Zweck täglich sterben müssen (vgl. 1. Kor. 15, 31)! Was ist damit gemeint?

Die „Ars moriendi“ – Die Kunst zu sterben

Ein guter Tod ist ein Meisterwerk. Doch gibt es kein herausragendes Kunstwerk, das von einem großen Meister an einem einzigen Tag geschaffen, das gleichsam aus dem Handgelenk geschüttelt worden wäre. Michelangelo ist nicht morgens mit der Idee aufgestanden, er könne doch heute ein Bild der Schmerzensmutter mit dem Leichnam ihres göttlichen Sohnes auf dem Schoß verfertigen und als die Sonne an jenem Tag gerade am untergehen war, wäre dann die weltberühmte Pieta, fertig aus dem Marmorblock geschlagen, vor ihm gestanden. Nein, so war es nicht! Die Entstehung eines Meisterwerkes ist nicht das Werk eines Tages. Es entsteht in einem Prozeß. Es hat einen langen Vorlauf.

Man kann unser Leben mit dem Entstehungsprozeß einer Bronzestatue vergleichen. Alles entscheidet sich zwar in einem einzigen Moment. Alles entscheidet sich in dem Augenblick, wenn das flüssige Metall in die vorgefertigte Form für die Statue hineingegossen wird. Doch wieviel Arbeit steckt in der Herstellung einer solchen Gußform? Unzählige Skizzen sind zu ihrer Herstellung im Vorfeld gezeichnet worden. Mehrere Modell wurden angefertigt und von Mal zu Mal entweder verworfen oder verbessert. Erst entsteht das Meisterwerk in weichem Wachs, bis es in dem einen alles entscheidenden Moment des Gusses seine bleibende, unabänderliche Form erhält. Der Augenblick des Todes ist der Moment in dem das Lebenswerk eines Menschen in seine unveränderliche, ewige Form gegossen wird. Beim Gericht erhalten wir den Lohn für die Mühe, die wir jeden Tag unseres Lebens aufgewendet haben, um darin das Ideal der christlichen Vollkommenheit darzustellen: Jesus Christus, den Gekreuzigten. Ob nun bewußt oder unbewußt, ob wir wollen oder nicht: Jeden Tag arbeiten wir an der Gußform. Jeder Tag ist gleichsam eine Skizze, ein Modell. Jeder Tag ist uns geschenkt, um einen guten Tod einzuüben. Damit er im alles entscheidenden Augenblick Ähnlichkeit mit dem Tod Christi hat. Damit unser Sterben dem Seinen gleiche. Damit wir „im Herrn sterben“! Heißt es doch: „Selig sind die Toten, die im Herrn sterben“ (Offb. 14, 13). Folglich müssen wir tun, was der hl. Paulus von sich sagt: „Täglich sterbe ich“ (1. Kor. 15, 31).

Der eigentliche Grund, warum wir den Tod fürchten, besteht darin, weil wir nicht darauf vorbereitet sind. Die meisten von uns sterben nur ein einziges Mal. Und dabei sollte doch jeder von uns tausende Male gestorben sein, damit der eine und alles entscheidende Versuch gelingen kann. – Der Tod ist etwas Schreckliches für denjenigen, der nur stirbt, wenn er stirbt. Aber der Tod ist ein glücklicher Augenblick für denjenigen, der stirbt, bevor er stirbt! Der sich selbst bereits abgestorben ist, ehe er aus diesem Leben scheidet. „Selig sind die Toten, die im Herrn sterben.“ Als ein „Toter“ zu sterben, darin liegt die Kunst. Eine Kunst, die denjenigen, der sie beherrscht zur Seligkeit führt.

Das „Gesetz des Opfers“

Was muß der Mensch tun, um diese hohe Kunst zu erlernen? Wie muß diese Kunst geübt werden? Indem der Mensch täglich seiner ungeordneten Eigenliebe abstirbt. Indem er täglich dem abstirbt, was man die Versuchungen und Lockungen der Welt, die Versuchungen und Lockungen des Fleisches und die Versuchungen und Lockungen des Teufels nennt. Wenn der Tod kommt, ist keine Zeit mehr, um das Sterben durch die Übung der christlichen Abtötung einzustudieren. Aber bevor der Tod kommt, wäre Zeit dazu. Im Grunde ist uns die ganze Dauer unseres Leben dazu gegeben, diesen einen Augenblick vorzubereiten. Dazu muß unser Denken und die Gesinnung unseres Herzens ganz von der Geltung eines Naturgesetzes durchdrungen sein, von der Geltung der Gesetzmäßigkeit des Opfers. Das „Gesetz des Opfers“ durchdringt der ganzen Schöpfungsordnung Gottes, wie wir schon öfters betont haben. Es lautet: „Es gibt keine andere Möglichkeit in ein höheres Leben einzutreten, als dem niedrigeren Leben abzusterben.“ In Anwendung auf den Menschen muß es so formuliert werden: „Es gibt keine andere Möglichkeit das ewige Leben in Christus zu finden, bevor nicht der alte Adam in uns gekreuzigt ist!“ Das Opfer ist das Grundgesetz des Lebens! Deshalb ruft der Herr seine Jünger auf den Weg des Opfers: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Denjenigen, der Christus täglich durch ein abgetötetes Leben nachfolgt und wie der hl. Paulus von sich sagen kann „ich züchtige meinen Leib züchtigt und halte ihn in Dienstbarkeit“ (1. Kor. 9, 27), den wird der Tod nicht „wie ein Dieb in der Nacht“ (1. Thess. 5, 2) überfallen und hinwegraffen. Wer sein Leben unter Berücksichtigung des „Naturgesetzes des Opfers“ aus dem Glauben heraus gestaltet, der baucht die Geltung der anderen unumstößlichen Gesetzmäßigkeit nicht zu fürchten. Diese lautet: „Wie man glaubt, so lebt man. – Wie man lebt, so stirbt man. – Und wie man stirbt, so bleibt man – in Ewigkeit.“ Amen.

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