Zum 14. Sonntag nach Pfingsten
Die Gewissenserforschung
Geliebte Gottes!
Nachdem wir am vergangen Sonntag die Allmacht und die Barmherzigkeit Gottes dabei bestaunt haben, wie sie in den wenigen Augenblicken der Lossprechung im Beichtstuhl unsere Seelen vom Aussatz der Sünde zu heilt, so wollen wir heute – wie angekündigt – damit beginnen das Bußsakrament eingehender zu erklären. Und zwar vor allem die Akte, die für den Pönitenten, also für den Beichtenden, für denjenigen, der sich vor dem Priester seiner Sünden anklagt, von besonderer Wichtigkeit sind. Die katholischen Katechismen untergliedern den Weg zum gültigen Empfang des Bußsakramentes für gewöhnlich in fünf Schritte. Man spricht von den sogenannten „5 B’s“. Weil alle fünf Schritte den Anfangsbuchstaben „B“ tragen:
1. Besinnen – die Erforschung des Gewissens,
2. Bereuen – die Erweckung der Reue und Zerknirschung über die erkannten Sünden,
3. Bessern – das Fassen des Vorsatzes zur Besserung,
4. Bekennen – die Selbstanklage im Beichtstuhl,
5. Büßen – die Genugtuung nach der hl. Beichte.
Buße des ganzen Menschen
Es sind fünf Schritte, die den ganzen Menschen Buße tun lassen, die den Menschen in seiner Ganzheit fordern und in die Buße einbeziehen: Die Buße des Verstandes besteht in der Gewissenserforschung. Die Buße des Herzens ereignet sich in der Reue. Die Buße der Absicht oder des Willens finden wir im Vorsatz. Die Buße des Mundes bei der Anklage vor dem Priester. Die Buße der Hände oder des Leibes bei der Erfüllung der auferlegten Genugtuung.
„Gib Rechenschaft von deiner Verwaltung!“ (Lk. 16, 2)
Von diesen fünf Schritten wollen wir nun über den ersten, die Gewissenserforschung, oder die „Buße des Verstandes“, eingehender sprechen. Um von Gott die Verzeihung der Schuld zu erlangen, muß der Sünder seine Sünden bereuen und beichten. Das ist klar. Wenn aber der Sünder die Verpflichtung hat, die Sünden zu beichten, so hat er auch die Verpflichtung, zuvor darüber nachzudenken, welche Sünden er wie oft und unter welchen Umständen begangen hat. Wenn ein Geschäftsmann die Verpflichtung hat, seinen Kunden eine Rechnung zu schreiben, so muß er ebenso vorher nachsehen, welche Waren er wie oft, in welcher Menge und zu welchem Preis geliefert hat. Die Rechnung soll ein Bericht über die Wirklichkeit sein. Ohne eingehende Prüfung wird die Rechnung mangelhaft und nicht die wirklichen Geschäftsabläufe wiedergeben. Eine fehlerhafte Rechnung ist wertlos. Genauso verhält es sich bei der Beichte. Ein ungenügendes Sündenbekenntnis im Beichtstuhl ist wertlos. Deshalb müssen wir zuvor Rechenschaft von unserem Gewissen fordern. Erst die eingehende Gewissenserforschung bringt Licht in die Finsternis unserer Seele, fördert unseren tatsächlichen Seelenzustand zu Tage. Sie läßt uns den Zustand unserer Seele so erkennen, wie Gott ihn sieht. Oder anders herum: Ohne die Erforschung des Gewissens ist eine Erkenntnis unserer sündigen Seele und folglich auch eine wirklich heilsame Reue und damit eine gute Beichte ganz und gar unmöglich.
Sich Zeit nehmen
Wie selten aber wird die Gewissenserforschung in ihrer ganzen Wichtigkeit und Notwendigkeit erkannt! Wie selten wird sie mit dem erforderlichen Ernst vorgenommen! Da werden die Zeiträume von Wochen, Monaten oder gar von Jahren, die seit der letzten Beichte verflossen sind, in ein paar Minuten eilig überflogen mit dem Ergebnis, man habe als Sünden eines ganzen Jahres nichts anderes zu beichten, als daß man vielleicht einige Male auf das Gebet vergaß, hie und da über den Nächsten zornig gewesen ist und vielleicht auch einmal eine Notlüge gebraucht hat. – Was solche Pönitenten vielleicht nicht wissen: Eine Beichte kann auch deshalb ungültig sein, weil sie zu wenig ernsthaft vorbereitet wurde, weil das Gewissen ungenügend erforscht wurde. Es ist übrigens auch nicht genügend, wie es mancherorts vorkommt, ohne Vorbereitung in den Beichtstuhl einzutreten und sich durch den Beichtvater erforschen zu lassen; sich also ausfragen zu lassen, und zwar in der irrigen Vorstellung, daß der Priester ja dafür zu sorgen habe, daß eine gültige Beichte zustande komme. Halten wir fest: Ohne Selbsterkenntnis keine wirkliche Reue; ohne Reue keine gültige Beichte.
Deshalb muß man in die Gewissenserforschung ausreichend Zeit investieren, sie am besten schon zu Hause in aller Ruhe machen. Je länger die letzte Beichte zurückliegt, um so mehr Zeit muß investiert werden! Es dauert einfach länger, das Unkraut auf einem großen Acker ausfindig zu machen als auf einem schmalen Blumenbeet. Das ist übrigens auch ein Grund dafür, warum die Kirche zur Praxis der monatlichen Beichte rät. Der Zeitraum von vier Wochen ist noch einigermaßen leicht zu überschauen und damit die Gewissenserforschung vergleichsweise mühelos.
Außerdem hängt die notwendige Dauer für die Erforschung auch von der Zahl und Schwere der Sünden ab. Auf einem weißen Gewand sieht man leicht auch kleinste Flecken. Auf einem schmutzigen hingegen entgehen einem scharfen Auge selbst große Flecken. Wer sich bewußt ist, viele und schwere Sünden begangen zu haben, muß mehr Sorgfalt und mehr Zeit auf die Gewissenserforschung verwenden als einer, der nur selten schwer oder „nur“ läßlich gesündigt hat. In Todsünden fällt man nämlich nicht einfach so. Jeder Todsünde geht eine Kette läßlicher Sünden voraus, die ebenfalls erforscht werden müssen, um sich zukünftig gerade vor diesen in acht zu nehmen, gerade weil sie zur Todsünde führen.
Den Heiligen Geist anrufen
Was nun die Gewissenserforschung angeht, so werden bei derselben häufig Fehler gemacht. Erster Fehler: Die Gewissenserforschung wird „im Dunkeln“ gemacht. Stellen Sie sich vor, ein Zahnarzt würde bei einer Kontrolluntersuchung auf das scharfe Licht seiner Mundleuchte verzichten. Was würden wir von so einem Zahnarzt halten? Seine Untersuchung auf Karies und Parodontose wird womöglich einige kranke Winkel unseres Gebisses übersehen. Wenn man etwas sucht, muß man das Licht anmachen. So ist es auch, wenn wir in unserem Gewissen die Sünden suchen. Man sollte nie anders beginnen als mit einer andächtigen Anrufung des Heiligen Geistes. Denn wir sind oft blind für unsere Sünden. Wir machen uns oft etwas vor und beschwichtigen uns. Wir brauchen das Licht aus der Höhe, das uns die Schwere unserer Sünden, ihre Zahl, ihre Umstände, ihre Beweggründe und ihre Folgen richtig erkennen läßt. Der hl. Paulus schreibt an die Korinther: „Der Geist durchforscht alles, auch die Tiefen der Gottheit“ (1 Kor. 2, 10). Wenn der Heilige Geist die Tiefen der Gottheit durchforscht, dann wird Er auch die Tiefen unseres Herzens und unserer Seele durchdringen. Da ist keine Falte, die Er nicht aufdeckt; keine Tiefe, in die Er nicht eindringt; keine Finsternis und keine Dunkelheit, die Er nicht aufhellen könnte. Er kann uns an Sünden erinnern, die wir längst vergessen haben; uns Sünden zeigen, die wir als solche noch gar nicht erkannt haben oder nicht als solche sehen wollten. Unsere Gewissenserforschung muß damit beginnen, daß wir zuallererst den Beistand des Heiligen Geistes auf uns herabrufen. So wird die Seele vom Licht Gottes durchflutet und jede kranke Stelle erkannt werden können.
Umfassende Prüfung
Zweiter Fehler: Unsere Gewissenserforschung ist oft nicht breit genug angelegt. Die Gewissenserforschung mancher Pönitenten begnügt sich mit der Selbstprüfung bezüglich des fünften und vor allem bezüglich des sechsten Gebotes. Das war’s! Andere gehen immerhin systematisch die 10 Gebote im Geiste durch, eines nach dem andern. Sie fragen sich, ob sie in Gedanken, Worten, Werken dagegen gesündigt haben. Soweit so gut. Aber wo bleiben die Gebote der Kirche? Wie sieht es mit der Anzahl der Sünden aus? Bei schweren Sünden muß die Anzahl notwendigerweise im Sündenbekenntnis angegeben werden. – Dann gibt es aber noch einen Bereich, der gewöhnlich übersehen wird. Denn oft vergessen wir, uns auf die sogenannten „fremden Sünden“ zu erforschen. Fremde Sünden, das sind Sünden, an denen wir mitschuldig geworden sind ohne daß wir sie selbst begangen haben. Wir können an fremden Sünden mitschuldig werden: durch unser schlechtes Vorbild, durch unseren schlechten Rat, aber auch weil wir Böses nicht verhindert haben und andere deshalb sündigten. Ihre Sünde wird deshalb auch zu unserer Sünde, an denen wir mitschuldig sind. Denken wir an die Sünden des Ehegatten, der Kinder, der Untergebenen, der Freunde und Arbeitskollegen, wozu wir durch unser schlechtes Beispiel oder durch unsere Nachlässigkeit beigetragen haben, wozu wir geraten, welche wir vielleicht befohlen, oder dazu geholfen haben, die wir gelobt, oder wenigsten nicht getadelt oder gerecht gestraft haben. Der Prophet und König David betet mit Recht: „Wegen der fremden Sünden schone deinen Diener. Wenn sie nicht über mich herrschen, so werde ich fleckenlos und von der größten Sünde frei sein“ (Ps 18, 14).
Endlich und vor allem zu bemerken bleibt noch, daß sich eine gute Gewissenserforschung nicht bloß auf die Sünden in Gedanken, Worten und Werken beschränken, sondern auch auf diejenigen Sünden ausgedehnt werden muß, die durch Unterlassung begangen wurden. Unterlassung der notwendigen Aufsicht, der gebührenden Bestrafung, der pflichtmäßigen Arbeit, des pflichtmäßigen Almosens oder einer Hilfeleistung. Wie viele werden ob ihrer Unterlassungssünden verlorengehen! Vielleicht mehr als solche, die wegen der Sünden des Fleisches verlorengehen! In dem Urteilsspruch des göttlichen Richters am Jüngsten Tag werden als Ursache der Verwerfung jedesmal Unterlassungssünden angegeben: „Ich war hungrig, und ihr habt mich nicht gespeist. Ich war durstig, und ihr habt mich nicht getränkt. Ich war fremd, und ihr habt mich nicht beherbergt. Ich war nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht“ (Mt. 25, 42 f.). Alles Unterlassungssünden! Und das Urteil: „Weichet von mir, ihr Verfluchten!“ (Mt. 25, 41).
Am besten ist es, für die Gewissenserforschung einen guten Beichtspiegel zur Hand zu nehmen, wie er etwa im Rottenburger „Gesangbuch“ enthalten ist. Wie der Name schon sagt, handelt es sich hierbei um einen geistigen „Spiegel“, in dem wir unsere Seele nach allen Gesichtspunkten betrachten sollen. Durch den Blick in den Spiegel fällt alles, was an unserem Äußeren unpassend ist, sofort auf. Und in derselben Weise zeigt uns auch der Beichtspiegel, wenn wir ihn gewissenhaft durchgehen, alles, wo wir hinter den Forderungen als Kinder Gottes zurückgeblieben sind.
Gedankensünden sind ernst zu nehmende Sünden
Der dritte und letzte Fehler bei der Gewissenserforschung besteht darin, daß manche bei derselben nicht genug in die Tiefe gehen. Zwar geht man den Gewissensspiegel durch, macht sich evtl. sogar einen Beichtzettel. Man gibt die Todsünden auch der Zahl nach an. Aber die Quelle und Wurzel der Sünden sucht oder findet man nicht. Man nimmt die Gedankensünden zu wenig ernst. Es sind ja „nur“ Gedanken, mag vielleicht einer meinen. Dabei sagt doch unser Herr Jesus Christus, daß so furchtbare Taten wie Diebstahl, Ehebruch oder Mord im Herzen, in der Absicht der Seele, also in absichtlichen Gedanken ihren Ursprung nehmen. Gedankensünden können schon Todsünden sein! Doch leider: Wie die Seele eines Verstorbenen, sobald sie erst einmal im Tod das Kleid des Leibes abgelegt haben, bald in Vergessenheit gerät, so werden auch die Sünden, die niemals das Kleid eines Wortes oder das Gewand der Tat übergestreift bekommen haben, leicht übersehen und leicht vergessen. Wieviele solcher Sünden gibt es aber! Wie viele eitle und stolze Gedanken. Wie viele unreine Gedanken, die kein Mund jemals ausgesprochen hat. Wie viele unzüchtige, rachsüchtige Wünsche beherbergt das Herz, die niemals zur Tat geworden sind und vielleicht überhaupt niemals zur Tat werden konnten! Sind das keine Sünden? Sehr wohl! Sie können sogar schwere Sünden sein, wenn wir diese Gedanken freiwillig hervorgerufen oder mit Wohlgefallen unterhalten, also in sie eingewilligt haben! Die Gewissenserforschung muß auch diesen, soweit es mit der Schwäche unseres Gedächtnisses möglich ist, nachspüren.
Wir sehen also, daß die Gewissenserforschung im Licht des Heiligen Geistes beginnen muß, daß sie eine allumfassende Prüfung sein muß; nicht nur über Worte und Werke, sondern auch über Unterlassungen, fremde Sünden und Gedankensünden, derer wir uns vielleicht schuldig gemacht haben.
Keine Ängstlichkeit!
Für alle, aber besonders für die Ängstlichen unter uns, sei jedoch noch eine wichtige Bemerkung hinzugefügt. Die Kirche hat zwar vorgeschrieben, daß wir unser Gewissen erforschen und sorgfältig erforschen müssen. Aber sie hat nie und nirgends vorgeschrieben, daß wir auch tatsächlich alle Sünden entdecken müssen. Wie gesagt ist es zwar leider so, daß manche, die seit langem nicht gebeichtet haben, in den Beichtstuhl stürzen, als wäre es verboten das Gewissen zu erforschen. Aber auch das andere Extrem kommt vor – die übertriebene, ja ängstliche Gewissenserforschung. Sie findet sich bei Pönitenten, die bei ihrer Beichtvorbereitung mit einer quälenden Angst alle Winkel der Seele akribisch durchstöbern, daß sie sich selber damit schaden, weil sie natürlich niemals zu der Gewißheit kommen werden, auch tatsächlich jede Sünde erkannt zu haben. Die Pönitenten verschwenden 1. vor der Beichte Zeit mit Grübeln, die sie nützlicher zum Erwecken der Reue verwenden sollten; 2. in der Beichte werden sie unsicher und unklar, klagen sich zahlreicher Dinge an, die gar keine Sünde sind und 3. nach der Beichte sind sie sofort wieder unruhig und trostlos, weil sie meinen, sich nicht aller Sünden angeklagt zu haben. Für ängstliche Seelen, die sogenannten „Skrupulanten“, sei also besonders betont, daß für sie die Gewissenserforschung auch nicht zu lang sein darf. Eine aufmerksames Durchgehen des Beichtspiegels ist dafür in jedem Fall hinreichend!
Die allabendliche Gewissenserforschung
Um sich die Gewissenserforschung vor der Beichte zu erleichtern, gibt es ein gutes Mittel, das Ihnen zum Abschluß an die Hand gegeben sei: die allabendliche Gewissenserforschung. Schon von dem vorchristlichen römischen Philosophen Seneca weiß man, daß er sich jeden Abend vor dem Schlafengehen kurz über den verflossenen Tag Rechenschaft gab. Er prüfte seine Gedanken, Worte und Werke. Und wenn er fand, daß er gefehlt hatte, so bestrafte er sich und nahm sich vor, sich fortan zu bessern. An diesem Heiden können wir uns als getaufte Katholiken ein Beispiel nehmen. Der Schlaf ja ist der Vorbote des Todes. Jeden Abend haben wir Gelegenheit, einen guten Tod vorzubereiten und einzuüben, indem wir unser Gewissen über den zurückliegenden Tag erforschen, Reue erwecken, einen Vorsatz der Besserung fassen und uns vielleicht auch freiwillig eine kleine Buße auferlegen. Abgesehen davon, daß wir damit auch ein gutes Abendgebet gemacht haben, erleichtert diese Übung auch die eingehende Gewissenserforschung vor der hl. Beichte. Ein Pönitent, der sich täglich zwei bis drei Minuten Zeit nimmt, um sein Gewissen nur über den verflossenen Tag zu erforschen, wird, wenn der Beichttag gekommen ist, nicht lange nachdenken müssen, was er zu beichten hat. Seine Sünden stehen ihm noch klar vor Augen, und er wird sich leicht tun, eine gute Beichte vorzubereiten.
Erforschen wir aber wenigstens vor der Beichte unser Gewissen in der Gegenwart Gottes mit dem ernsten Vorsatz, die Sünden so zu sehen, wie sie sind; sie zu bekennen, so gut, wie wir sie erkennen. Erforschen wir unser Gewissen in Ruhe und Aufmerksamkeit, mit dann ist die Gewissenserforschung der erste Schritt zu einer wirksamen und heilsamen Reue, eine Vorbereitung zur Beichte, ein großer Schritt zur Verzeihung unserer Schuld. Im Bewußtsein dessen beten wir noch einmal mit König David: „Um Deines Namens willen, o Herr, wirst Du meiner Sünde gnädig sein, denn sie ist sehr zahlreich“ (Ps. 24, 11). Amen.