Zum Fest Mariä Himmelfahrt
Ein großes Zeichen erschien am Himmel
Geliebte Gottes!
Das Fest Mariä Himmelfahrt ist das höchste Marienfest im ganzen Kirchenjahr. Dieser Rang liegt darin begründet, daß wir bei der Himmelfahrt der allerseligsten Jungfrau die Erfüllung dessen feiern, was Gott im Augenblick der Unbefleckten Empfängnis grundgelegt hat, und was sich in allen anderen marianischen Geheimnissen, die wir das ganze Jahr über feiern nach und nach entfaltet. Das vollkommenste Geschöpf aus der Schöpferhand Gottes geht in den Himmel ein und erreicht auf diese Weise das Ziel seines Daseins. Die Gottesmutter wird mit Seele und Leib in den Himmel aufgenommen. Sie ist nun dort, wo sie der allmächtige und allgütige Schöpfer schon vor Grundlegung der Welt gesehen hat; sie ist nun dort, wo Er sie immer schon haben wollte. Dieses Festgeheimnis richtet damit unseren Blick über den beschränkten Tellerrand unseres zeitlichen Existenz hinaus, in die Weiten der ewigen Herrlichkeit Gottes. Am Firmament der Ewigkeit leuchtet uns das entgegen, was uns die Kirche im Introitus gerade eben auf die Lippen gelegt hat: „Ein großes Zeichen erschien am Himmel: eine Frau, mit der Sonne umkleidet, zu ihren Füßen der Mond, auf ihrem Haupte ein Kranz von zwölf Sternen“ (Offb. 12, 1). Das Bild der apokalyptischen Frau ist gleichsam Überschrift und Zusammenfassung des heutigen Festgeheimnisses von der Himmelfahrt Mariens. Daher lohnt es sich auch dieses Bild, das der hl. Apostel Johannes am Himmel über Patmos geschaut und uns in seiner Geheimen Offenbarung überliefert hat, eingehender zu betrachten.
Den Mond zu Füßen
Von dieser Frau heißt es nun, daß sie den Mond zu ihren Füßen hat. Den Mond, der in der andauernden Veränderung seiner Phasen, in seinem beständigen Schwanken zwischen Neumond und Vollmond, ein anschauliches Sinnbild für die Wankelmütigkeit, Unbeständigkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen und Zeitlichen darstellt. Das Licht des Mondes ist Illusion. Es ist nur eine Spiegelung. Der Mond ist nicht selbst Lichtquelle. Er kann nur leuchten, weil und insofern er angestrahlt wird. Genaus verhält es sich mit dem zeitlichen Glück. Die zeitlichen Güter verheißen dem Menschen das Glück, sind aber nicht das Glück. Sie glitzern, bezaubern und, ziehen uns an; können aber nicht halten was sie versprechen. Das zeitliche Glück ist den Wechselfällen des Lebens unterworfen und hat keinen Bestand, so wie die Mondphase. – Maria hat in ihrer Himmelfahrt das Zeitliche verlassen. Sie hat es unter sich gelassen. Sie hat das Zeitliche zu ihren Füßen. Ja, mehr noch: sie hat das Zeitliche gewissermaßen mit Füßen getreten. Um in die Herrlichkeit des Himmels einzutreten, hat Maria alle irdischen Güter, die den Wechselfällen der Vergänglichkeit unterworfen sind, und doch in uns die dreifache Begierlichkeit reizen, geringgeschätzt und verachtet. – Die eitle Ehre trat sie mit Füßen. Sie führte ein demütiges, bescheidenes Leben in verborgener Unauffälligkeit. Zunächst in Nazareth später in Jerusalem und Ephesus. – Die Reichtümer der Welt trat Maria mit Füßen durch ein armes, anspruchsloses Leben, das sich mit dem täglich Notwendigen zufriedengibt. Sie hat weder zahlreiche materielle Güter besessen, noch nach solchen Ausschau gehalten. Auch war sie frei von jeder ängstlichen Sorge um das Morgen „was werden wir essen, was werden wir trinken, was werden wir anziehen“ (Mt. 6, 31), Sorgen welche uns doch so oft befallen und unser Herz ans Irdische gefesselt halten. Davon war sie ganz frei. – Schließlich hat Maria auch die Annehmlichkeiten, die Genüsse und Lüste der Welt verachtete, die wir so eifrig suchen. Sie ist immerwährende Jungfrau; eine zuchtvolle Frau, die ihre Sinne zu beherrschen wußte. Maria hat sich nicht täuschen lassen von dem silbrigen Glanz und Glitzer dieser Welt. Und so liegt der Monde, als Symbol alles Irdischen und Zeitlichen, vollkommen zurecht zu Füßen der Frau, die am Himmel erscheint.
Mit der Sonne umkleidet
Maria ist eingegangen in das ewige Heute der Ewigkeit, in die beseligende Schau dessen, der in „unzugänglichem Lichte wohnt“ (1. Tim. 6, 16); an dem es „keinen Wandel oder einen Schatten der Veränderlichkeit“ (Jak. 1, 17) gibt. Mit ihrer Himmelfahrt tritt Maria in den Lichtkreis der Herrlichkeit Gottes. Das drückt auch die Apokalypse aus, indem sie uns beschreiben, wie diese Frau eingetaucht ist in das göttliche Licht, ja wie sie damit bekleidet ist. Es erschien „eine Frau, mit der Sonne umkleidet“. Anders als der Mond, so strahlt die Sonne aus sich selbst heraus immer mit dem gleichen, unveränderlichen Glanz. Die Sonne ist das Zentrum, das unbewegliche Gestirn des Sonnensystems, um das sich alles andere dreht. Die Sonne ist somit ein Sinnbild für Gott, der selbst in unüberbietbarer, unendlich klarer Vollkommenheit und Unveränderlichkeit alles andere mit dem Licht Seiner Wahrheit, mit der Wärme Seiner Liebe und mit Seiner mit Seins- und Lebensstiftenden Kraft erfüllt.
Maria erscheint als Frau, „mit der Sonne umkleidet“. Schon vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis ist sie die Gnadenvolle, nimmt sie in einzigartiger Weise am übernatürlichen Leben Gottes, am Leben der Allerheiligsten Dreifaltigkeit Anteil. Maria ist nicht Gott; sie selbst ist nicht die Sonne. Aber ihre Seele war derart von Gott erfüllt, daß nun auch ihr verklärter Leib wie eine Kristallkugel, die ins Sonnenlicht gehalten wird, am Glanz der göttlichen Herrlichkeit Anteil erhalten hat. Aus ihrem Schoß ist ja Jesus Christus, das göttliche Licht, das „Licht der Welt“ (Joh. 8, 12), die „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal. 3, 20) hervorgegangen. Deshalb sehen wir Maria als die Frau, die mit der Sonne umkleidet ist. Die Fülle der heiligmachenden Gnade, die Gott vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis wie ein Samenkorn in Maria hineingelegt hat, und nach Meinung der Theologen schon in jenem ersten Augenblick das Gnadenmaß aller Engel und Heiligen zusammengenommen übertroffen hatte, ist dann im Verlaufe ihres irdischen Lebens weiter gewachsen, und ist am Tag ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel zur vollendeten Reife gelangt. Wie sich eine Blütenknospe öffnet und dabei dem Auge des Betrachters die Schönheit, die in ihrem Innern verborgen liegt, preisgibt, so tritt bei der Himmelfahrt Mariens das Licht ihrer Gnadenfülle, das Licht der Heiligkeit ihrer Seele, gleich einer Sonne hervor und ergießt sich über ihren hl. Leib. Sie ist die Frau „mit der Sonne umkleidet“.
Ein Kranz von zwölf Sternen
Schließlich erklärt uns die Geheime Offenbarung, daß sich auf dem Haupte der verherrlichten Gottesmutter „ein Kranz von zwölf Sternen“ befindet. Dieses königliche Diadem gibt uns einen Hinweis auf die Stellung und auf die Tätigkeit, die Maria fortan einnimmt bzw. ausübt. Sie ist nun nicht mehr die unscheinbare Magd, die vor aller Welt verborgen lebt. Sie ist jetzt Königin des Himmels, von Gott über alle Geschöpfe erhoben, wo sie von nun an seliggepriesen wird von alle Geschlechter, wie sie es selbst vorhersagte. An ihr ist das Wort Jesu in Erfüllung gegangen. „Wer sich selbst erniedrigt wird erhöht“ (Lk. 18, 14). Über allen Geschöpfen thront die allerseligste Jungfrau Maria als die Königin des Himmels.
Die Zwölfzahl der Sterne belehrt uns darüber, wie Maria ihr Amt als Königin des Himmels ausübt. Die Zahl Zwölf weist in der Zahlensymbolik stets auf die Fülle des Heiles hin. Es sind zwölf Söhne Jakobs, welche zu Vätern des auserwählten Volkes Israel werden, jenes Volkes, das Gott heilig ist. Aus der Mitte der zwölf Stämme dieses Gottesvolkes ging der Erlöser, der Heiland der Welt, und damit der Inbegriff des Heiles hervor. Christus hatte wiederum zwölf Männer zu Aposteln berufen, deren Aufgabe darin bestand die Fülle der Wahrheit und des Heiles, zu allen Völkern zu tragen; und das nicht nur bis an die Grenzen der Erde, sondern durch deren Nachfolgern bis ans Ende der Weltzeit. Die Zwölf-Zahl hat demnach eine solch große Bedeutung bezüglich der Vermittlung des Heiles, daß auch das Apostelkollegium nach dem Ausscheiden des Judas Iskarioth nicht einfach auf elf zusammengeschrumpft belassen werden konnte. Der Heilige Geist erwählte den hl. Matthias, um die Zwölfzahl wiederherzustellen. – Die zwölf Sterne in der Krone Mariens wollen uns also sagen, daß Gott ihr die Fülle der Heilsgüter anvertraut hat. Alle Gnaden legte Gott Maria in die Hände, um sie den Menschen auszuteilen. Weil Christus, der ja Quelle und Fülle des Heil zugleich ist, einzig und allein durch Maria zu uns kommen wollte, so ist es angemessen, daß alle Heilsgnaden, welche Christus, vor allem in Seinem Kreuzesopfer verdient hat, einzig und allein durch Maria ausgeteilt werden. Es gibt daher keine Gnade, welche uns von Gott gewährt wird, die uns nicht durch die Hände Marias zukommen würde.
Freilich ist ihre Gnadenmittlerschaft keine selbständige und absolute, sondern eine abhängige. Maria handelt ganz im Sinne Gottes. Sie weiß sich auch in ihrer Stellung als Königin des Himmels ganz an den göttlichen Willen gebunden und von demselben bestimmt. Sie bleibt bis in Ewigkeit das ergebene Werkzeug in der Hand des Schöpfers. Maria teilt die Gnaden zu wie Gott es will. Das ist gemeint, wenn die Königin des Himmels vollkommen zurecht „Mittlerin aller Gnaden“ genannt wird.
So eröffnet uns die Vision des hl. Johannes auf Patmos ein klein wenig das Festgeheimnis von Mariä Himmelfahrt: Die Frau mit dem Mond zu Füßen – Maria läßt alles Irdische unter sich zurück. Sie ist mit der Sonne umkleidet – d.h. mit verklärtem Leib tritt sie in die himmlische Herrlichkeit ein. Sie trägt eine Krone von zwölf Sternen – sie ist Königin und damit vermittelnde Sachwalterin über die Fülle aller göttlichen Heilsgaben.
Die kosmische Dimension des Festes
Die Größe und Tragweite des Festes Mariä Himmelfahrt erschließt sich uns jedoch erst vollständig, wenn wir in unserer Betrachtung der Vision von Patmos auch die einleitende Bemerkung berücksichtigen. – Dort heißt es: „Ein großes Zeichen erschien am Himmel.“ Die Vision von der apokalyptischen Frau ist ein Zeichen. Ein Zeichen steht nicht für sich allein, sondern verweist auf etwas anderes; auf etwas Unsichtbares; oder auf etwas, was noch nicht ist, aber einst sein wird. Mit dem Bild von der verklärten Frau eröffnet uns Gott die überzeitliche Dimension der Aufnahme Mariens in den Himmel. Maria steht in ihrer leiblichen Himmelfahrt als Typus, als Urbild und Vorbild. – Zum einen bezeichnet nämlich ihre Himmelfahrt den Triumph und die Verherrlichung der katholischen Kirche. Die Kirche ist ja die vollkommene Braut Christi, ohne Falten und Runzeln, ganz makellos und heilig. Der Irrtum und die Verderbnis haben an ihrer Lehre, ihrer Liturgie und ihrer Disziplin keinen Anteil. Im Gegenteil! Alle Neuheiten in Glaubenslehre, Kult und Lebensführung, alle wechselnden Mondphasen der Mode verwirft sie, ja tritt sie nieder. Dabei lehrt sie auch ihre gläubigen Kinder die Welt und ihre Lüste zu verachten; alles was nicht ewig ist, mit Füßen treten. Denn die Kirche selbst ist mit dem Sonnenlicht der göttlichen Unfehlbarkeit, mit dem Licht des Evangeliums Christi, umkleidet. Sie ist „die Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1. Tim 3, 15) und damit der gleißende Leuchtturm in der Finsternis dieser Weltzeit, der vor dem Schiffbruch der Sünde bewahrt. – Die katholische Kirche ist mit der Fülle aller Gnadenschätzen ausgestattet, die Christus Seiner Braut anvertrauen wollte: mit dem hl. Meßopfer, den hl. Sakramente und den Verdienste der Heiligen. Diese Gnadenschätze soll sie, und nur sie, austeilen. Die katholische Kirche ist die alleinige Heilsvermittlerin. Alle Völker der Erde können das ewige Leben nur durch ihre Vermittlung erlangen. Denn außerhalb der katholischen Kirche gibt es kein Heil! So erkennen wir in der verklärten und mit zwölf Sternen gekrönten Frau, die uns der hl. Johannes schildert die katholische Kirche, welche die Züge Mariens an sich trägt.
Maria steht zeichenhaft auch für die ganze sichtbare und unsichtbare Schöpfung, die Gott am Tag der großen Wiederherstellung, nach dem Ende dieser Welt, in ihrer vollendeten Schönheit im Licht der Verklärung erstrahlen lassen will. So ist Maria nach der Lehre der Kirchenväter das Urbild nicht nur der Kirche, sondern auch der verherrlichten, gekrönten und zu Gott heimgekehrten Schöpfung. In Maria ist das Erdendrama bereits zu Ende gegangen, das Erlösungswerk Christi präsentiert in ihr seine höchste Vollendung, die Idee des vergöttlichten und mit Gott vereinigten Menschen ist Wirklichkeit geworden. In ihr ist bereits vorweggenommen, was mit der Kirche, der Schöpfung, ja, was mit jedem einzelnen von uns, noch geschehen soll. So ist die Aufnahme Mariens in den Himmel Prophetie und Verheißung an uns. Alles was wir an ihr heute bestaunen und bejubeln dürfen, soll auch an uns Wirklichkeit werden. Gott wird auch uns dereinst in Seiner Kirche und durch Seine Kirche zusammen mit der ganzen Schöpfung heimholen in einen neuen Himmel und eine neue Erde. Nicht nur unsere Seele, sondern auch unseren Leib. Unser Körper soll nicht für immer dem Stachel des Todes verfallen und ein Fraß für die Würmer bleiben, sondern noch herrlicher erstehen, als wir es uns auszudenken vermögen.
Nachfolge Mariens
Um dieser Berufung würdig zu werden, müssen wir jedoch dem großen Zeichen am Himmel, also dem Vorbild Mariens nacheifern: Also 1. den Mond zu Füßen haben: d. h. das Irdische um des Himmlischen willen, geringschätzen; das Zeitliche, sofern es uns zur Versuchung oder zum Anlaß zur Sünde wird, mit Füßen treten, also unterdrücken. – 2. Mit der Sonne umkleidet sein: d.h. stets das Gewand der heiligmachenden Gnade rein und strahlend bewahren und pflegen. Das geschieht durch den würdigen Empfang der heiligen Sakramente insbesondere durch die regelmäßige Beichte, die den Glanz der Gnade in unserer Seele immer wieder erneuert, reinigt und vermehrt. – Und schließlich 3. die Krone auf dem Haupt tragen: d.h., daß wir mit der Gnadenhilfe Gottes zur königlichen Herrscher über uns selbst gelangen müssen; durch das Gebet, durch die Inzuchtnahme unserer Sinne, durch die Disziplinierung unserer Gedanken, sowie durch die Übung der Tugenden, damit wir nicht, statt die königliche Freiheit der Kinder Gottes zu gewinnen, der Sklaverei unserer ungezügelten Leidenschaften und der Knechtschaft der Sünde verfallen.
Wenn wir so getreu dem Bild unserer himmlischen Mutter nachstreben, werden wir das große Zeichen Gottes, das am Himmel erschienen ist, in Ewigkeit bestaunen und preisen dürfen: die „Frau mit der Sonne umkleidet, zu ihren Füßen der Mond, auf ihrem Haupte ein Kranz von zwölf Sternen“. Amen.