Das Gebet

Geliebte Gottes!

Der Herr fordert uns auf zum Gebet. Auch die Kirche tut das. Heute und in den kommenden drei Tagen, den sog. Bittagen, sollen wir Unserem Herrn Jesus Christus all unsere Anliegen vortragen, damit Er sie bei Seiner Himmelfahrt mit an den göttlichen Thron nehme. So soll der heutige Sonntag auch für uns eine Gelegenheit sein, über das Gebet nachzudenken. Über das Gebet im allgemeinen und speziell über das innerliche Gebet.

Das Gebet im allgemeinen

Unter „Gebet“ versteht man ganz allgemein, der Definition des hl. Johannes von Damaskus folgend, die „Elevatio mentis ad Deum“ – „Die Erhebung der Seele zu Gott“. Hierbei läßt die Seele alle Gedanken, die das irdische Leben betreffen, auch jene, die vielleicht nützlich wären, hinter sich und richtet ihren Blick auf Gott und die Dinge des Glaubens. Sie beginnt ein Gespräch, eine Unterhaltung mit Gott. – Gott wiederum hört uns zu wie ein Vater seinem Kind. Und Er antwortet uns auch. Zwar nicht durch hörbare Worte oder innere Einsprechungen – das wären ganz außerordentliche Gnaden –, sondern indem Er uns luzide Einsichten in die Glaubenswahrheiten schenkt und durch diese Erleuchtungen unseren Willen zum Guten anregt; etwa zu einer größeren Liebe zu Ihm, zu einer tieferen Zerknirschung über unsre Sünden, oder indem Er uns motiviert eine bestimmte Tugend fortan besser üben zu wollen. Darin besteht die Frucht des Gebets.

Jedes Gebet hat vier Zwecke: 1. Die Verherrlichung der Majestät Gottes. 2. Die Wiedergutmachung der Sünden. 3. Den Dank für die aus Gottes Hand empfangenen Gnaden und 4. die Bitte um weitere Gnaden, derer wir bedürfen, um unsere Seele zu retten.

Andacht und Zerstreuungen

Jedes Gebet erfordert Aufmerksamkeit. Der hl. Thomas von Aquin sagt, daß derjenige, der bei seinem Gebet willentlich zerstreut ist, sündigt. Die freiwillige Zerstreuung verdirbt die Frucht des Gebets. Unter freiwilliger Zerstreuung versteht man, daß dem Beter zwar bewußt ist, daß er gerade mit seinen Gedanken nicht beim Gebet ist, sondern statt dessen an etwas anderes denkt – jedoch nichts dagegen unternimmt. Das ist bei frommen Betern eher selten der Fall.

Freilich ist es dem erbsündlich geschwächten Menschen moralisch unmöglich, seine Aufmerksamkeit beständig auf den Gegenstand des Gebetes gerichtet zu halten. Jeder von uns weiß aus eigener Erfahrung, daß es wirklich sehr schwierig ist ohne jegliche Zerstreuung andächtig zu beten.

Auch wenn wir die aktuelle Andacht nicht ständig bewahren können, so genügt es, daß in uns die Absicht beten zu wollen fortbesteht. Deshalb ist es beispielsweise sehr gut, sich beim Rosenkranzgebet vor jedem Gesetz das Geheimnis bewußt zu machen und damit die Gebetsabsicht zu erneuern. Diese Absicht wird nur dann aufgehoben, wenn wir während dem Gebet bewußt anfangen, an etwas ganz anderes zu denken. Beispielsweise, wenn ich beim Rosenkranz anfange zu überlegen, was ich mir heute zum Abendessen kochen könnte, oder wenn ich mir die Einkaufsliste im Kopf zusammenstelle. Das wäre eine freiwillige, eine beabsichtigte Zerstreuung, die das Gebet aufhebt und sündhaft ist. Solange wir unseren Geist darauf gerichtet halten, daß wir jetzt beten wollen und wir nicht in irgendwelche abschweifenden Gedanken einwilligen, ist unser Gebet gut, verdienstlich und wirkungsvoll.

Obwohl die unfreiwilligen Zerstreuungen beim Gebet also nicht sündhaft sind, so leidet unser Gebet natürlich dennoch unter ihnen. Zwar wird dadurch nicht sein Wert und sein Verdienst vor Gott gemindert. Der Mangel findet sich jedoch auf unserer Seite. Ein zerstreutes Gebet nährt die Seele des Beters kaum oder gar nicht. Die Seele wird durch das Gebet nicht getröstet, sondern bleibt innerlich trocken und dürr. Damit unsere Seele durch das Gebet gestärkt und gekräftigt wird, müssen wir uns also unbedingt nach Kräften um die Andacht beim Beten bemühen.

Dazu können folgende drei Mittel behilflich sein: 1. Sich vor dem Beginn in die Gegenwart Gottes versetzen; sich also bewußtmachen. „Ich spreche jetzt mit Gott. Alles andere muß warten.“ Oft sind die vielen Zerstreuungen in unserem Gebeten einer Überstürzung an Anfang anzulasten. Das kann verhindert werden, indem wir uns kurz in der Gegenwart Gottes sammeln und dann aufmerksam und bewußt mit dem Kreuzzeichen das Gebet beginnen. 2. Während dem Gebet immer wieder bewußt die Aufmerksamkeit erneuern – etwa am Anfang jedes neuen Rosenkranzgeheimnisses. 3. Den Blick auf den Tabernakel, das Kreuz, eine Figur oder ein Bild richten und Gott bzw. die Jungfrau Maria in diesem Bild wirklich ansprechen, als wären sie in diesem Bild gegenwärtig.

Beten ist an sich nicht schwierig. Schwierig ist es aber gut zu beten. Es kostet Mühe. Es ist geistige Arbeit. Gott ist reiner Geist. Er hat keinen Leib. Wir Menschen sind Sinnenwesen, deren Konzentrationsfähigkeit stark von den Sinnen abhängt. Es braucht eine große Anstrengung den Geist auf einen Gegenstand zu konzentrieren, der für unsere Sinne nicht faßbar ist. Lassen wir uns davon aber nicht entmutigen. Diese Anstrengung lohnt sich! Unsere Gebete zählen zu jenen unserer Werke, die für immer bestehenbleiben. Unser körperlichen Errungenschaften geht dahin. Unsere Gebete haben ewig Bestand – sowohl in ihrem Verdienst, als auch in ihrer gnadenreichen Wirkung. Sie verlieren nie an Wert. Und sie werden das einzige sein, was wir über den Tod hinaus in die Ewigkeit mitnehmen. Alles andere lassen wir zurück und unsere Erben können sich darum streiten.

Das innerliche Gebet

Es gibt nun zwei Formen des Gebets, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Die eine Gebetsform wird „mündliches Gebet“ genannt. Die andere „innerliches Gebet“. Das mündliche Gebet ist jenes, das wir mit Worten und äußeren Zeichen zum Ausdruck bringen. Darunter fallen alle Gebete, die wir gemeinschaftlich verrichten – etwa die Gebete der hl. Messe, dann der Rosenkranz, aber auch alle anderen Gebete, die wir in unseren Gebetsbüchern finden und die sich vorgefertigter Formulierungen bedienen.

Das innerliche Gebet – auch betrachtendes Gebet genannt – wird definiert als das stille Gebet im Innern des Herzens, bei dem die Seele sich zu Gott erhebt ohne sich irgendwelcher Worte zu bedienen und zwar zu dem Zweck, Gott damit zu verherrlichen und selbst tugendhafter zu werden. Gerade Letzteres ist ein sehr wichtiger Aspekt des innerlichen Gebets! Das innerliche Gebet zielt auf die Praxis. Es besteht darin, mit Gott zu sprechen, mit Gott zu verkehren, um selber besser und tugendhafter zu werden! Der Zweck der Betrachtung besteht nicht darin, irgendwelche geistreichen Überlegungen über Gott und die Glaubensgeheimnisse anzustellen oder fromme Gefühle zu haben. Es geht darum, unsern Geist zu Gott zu erheben, um ihn mehr zu lieben – also, um besser zu werden.

Wenn wir mit einem engen Freund zusammen sind, so wird durch die persönliche Begegnung und durch den Gedankenaustausch die gegenseitige Verbundenheit und Hochachtung gestärkt. Der persönliche Kontakt stärkt die Bindung aneinander. Dasselbe gilt auch anders herum: Es gibt Personen, mit denen wir in unseren Kindertagen befreundet waren. Wir haben mit ihnen die Schulbank gedrückt oder waren mit ihnen im Sportverein. Selten bestehen diese Freundschaften auch noch im Erwachsenenalter. Man schreibt sich, wenn überhaupt, nur noch zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Und das, obwohl man vor zehn, zwanzig Jahren nahezu unzertrennlich war. Was ist geschehen? Man hat nichts gegen den alten Freund. Man haßt ihn nicht. Im Gegenteil! Warum dann lediglich die stereotype Grußkarte? – Die Freundschaft ist weg, weil man sich auseinander gelebt hat; weil kein andauernder persönlicher Umgang mehr stattfindet. Wenn aber der persönliche Umgang abreißt, dann stirbt die Freundschaft. Wie der hl. Thomas, sich auf Aristoteles stützend, sagt: Der persönliche Austausch und Umgang miteinander ist das notwendige Fundament einer Freundschaft.

Das mündliche Gebet ist in unserer Freundschaft mit Gott eher einer Grußkarte vergleichbar. Die vorgefertigten Gebetsformeln sind sehr gut und nützlich, jedoch nur sehr wenig persönlich. Sie gleichen eher einer vorgefertigten Rede, die wir Gott vortragen. Wo findet man Freunde, die nur in Form von förmlichen Reden und vorgefertigten Ansprachen miteinander kommunizieren? – Das innerliche Gebet ist der persönliche Umgang mit Gott. Er ist der ungezwungene Austausch, wie der Freund mit dem Freund redet: von Herz zu Herz.

Wirksames Mittel zur Vollkommenheit

Je intensiver unser persönlicher Kontakt mit Gott ist, um so mehr werden wir Ihm ähnlich, um so mehr werden wir Ihn lieben. Wahre Freunde machen einander besser. Die Freunde bereichern und fördern sich gegenseitig in ihren Vorzügen. Gott ist der vollkommenste Freund. In Ihm ist alles was gut, edel und erstrebenswert ist in vollkommenem Maß. Durch das innerliche Gebet schenkt er uns Anteil daran. Denn das innerliche Gebet facht die Liebe zu Ihm in unserer Seele an: Damit wir uns von der Sünde zum Guten bekehren; vom Guten zum Besseren; und vom Besseren zur Vollkommenheit. – Alles im Leben hat seine Vollkommenheit; die Kochkunst, die Kenntnis einer Sprache oder handwerkliches Geschick. So auch das geistliche Leben. Die Vollkommenheit des geistlichen Lebens besteht darin Gott in Seinen Vollkommenheiten so ähnlich wie möglich zu werden. Unser Herr Jesus Christus befiehlt es uns sogar: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Das innerliche, das betrachtende Gebet ist das vollkommenste Mittel, diese Vollkommenheit zu erreichen, das vollkommenste Mittel, unsere Seele innerlich umzuwandeln und zu bekehren. Diese Gedanken, liebe Gläubige, machen uns klar welch hohe Bedeutung dem innerlichen Gebet für unser ganzes geistliches Leben zukommt.

Der hl. Alphons von Liguori sagt, daß in einer Seele entweder das innerliche Gebet oder die Sünde Bestand haben wird. Beide zusammen können unmöglich für längere Zeit in ein und derselben Seele fortbestehen. Wenn ein Mensch, der durch ein lasterhaftes Leben im Stand der Todsünde lebt und anfängt, regelmäßig, d.h. täglich eine Betrachtung zu halten, so wird entweder das innerliche Gebet die lasterhaften Gewohnheiten austreiben, oder aber das Laster wird dafür sorgen, daß die tägliche Betrachtung wieder aufgegeben wird. Beide sind nicht miteinander vereinbar. Beide sind inkompatibel. Denn wer die Sünde liebt, der hält es auf Dauer nicht in Gottes Gegenwart aus. Beim innerlichen Gebet steht die Seele vor ihrem König. Sie blickt auf Gott. Das geschieht, wenn wir beispielsweise das Leben Jesu betrachten. Man sinnt über Gott und über göttliche Dinge nach. Man ist in Berührung mit Ihm; mit Seinen Worten. Sein Wille wird für den Beter glasklar. Wenn wir langsam in der Heiligen Schrift oder einem Betrachtungsbuch über die Ereignisse des Lebens unseres Herrn meditieren, seine Worte auf uns wirken lassen, so wird immer klarer, wer Gott ist und was Gott will. Es wird immer klarer wer ich bin und was ich tun muß. Die Sünde, die wir oft so geschickt vor uns selbst tarnen und rechtfertigen wird dadurch entlarvt. Das Gewissen meldet sich notwendigerweise. Deshalb wird man entweder dem Ruf des anklagenden Gewissens folgen und mit der Sünde brechen oder man wird das innerliche Gebet unterlassen, um das leidige Gewissen endlich zum Schweigen zu bringen.

Bedauerlicherweise pflegen die wenigsten Gläubigen die tägliche Betrachtung. Vielleicht deshalb, weil sie noch nie darin unterwiesen worden sind, wie man innerlich betet. Da eine hinreichende Erklärung heute den Rahmen sprengen würde, werden wir bei nächster Gelegenheit genauer darauf eingehen und zu erklären versuchen, wie man innerlich mit Gott verkehrt. Wie eine Betrachtung anzustellen ist und was besonders dabei zu beachten ist.

„Bittet und es wird euch gegeben“

Liebe Gläubige, nutzen wir die kommenden Tage für das Gebet! Es gibt so viele dringende Anliegen, nicht nur hinsichtlich unserer zeitlichen Nöte und Bedrängnisse. Es geht um das ewige Heil! Um unser Heil und um das Heil unserer Mitmenschen. Die Rechnung die uns unser Herr Jesus Christus vorlegt ist ganz einfach. Er sagt: „Bittet, so wird euch gegeben werden; suchet, und ihr werdet finden; klopfet an und es wird euch aufgetan werden.“ Das bedeutet: Wer nicht bittet, wird nicht empfangen. Wer nicht sucht wird auch nicht finden. Wer nicht anklopft, wird draußen bleiben, wo Heulen und Zähneknirschen sind. Lassen wir es uns also gesagt sein: Nur derjenige, „der bittet, empfängt, und wer sucht, der findet, und wer anklopft, dem wird aufgetan“. Amen.

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