Zum 4. Sonntag nach Ostern
Unser Leben - eine göttliche Sendung
Geliebte Gottes!
Die Kirche bereitet uns auf das Fest der Himmelfahrt unseres Herrn vor. Dazu versetzt sie uns heute wieder in den Abendmahlsaal zurück, als Jesus Abschied von seinen Aposteln nahm. In der Nacht vor seinem Leiden sprach unser Herr: „Ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat“ (Joh. 16, 5). Die göttliche Sendung war der Leitgedanke, der das ganze Leben unseres Herrn Jesus Christus beherrschte. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtete er auch seinen Tod. – „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh. 20, 21), fügte er später hinzu. Jesus übertrug Seine Sendung auf die Jünger und weissagte ihnen, was sie um dieser Sendung willen würden tun und leiden müssen. Auch unser Leben ist Jüngerschaft, muß eine Nachfolge Christi sein. Auch unser Leben hat Anteil an der Sendung Christi: „Der Schüler steht nicht über dem Meister“ (Lk. 6, 40).
Die Hohe Bedeutung unseres Lebens
Dieser Gesichtspunkt läßt uns erkennen welch hohe Bedeutung unserem Leben zukommt. Parallel zu unserem Herrn Jesus Christus, der „vom Vater ausging und in die Welt gesandt wurde“, so sind auch wir von Gott ausgegangen. Gott hat uns erschaffen. Gott hat uns in dieses unser konkretes Leben gestellt. Wozu? Damit wir Ihm dienen. Damit wir, wie Jesus Christus selbst, hier auf Erden Seinen göttlichen Willen erfüllen und dann, nach vollendetem Lebenslauf, durch die Pforte des Todes wieder zu Ihm zurückzukehren; um zurückzukehren zu Gott, der uns gesandt hat.
Der eine oder andere mag sich vielleicht denken: Was ist an meinem Leben schon besonderes? Meine Familie erfreut sich keiner besonderen Prominenz. Ich stamme aus einfachen Verhältnissen. Ich war zwar nicht schlecht, aber auch kein besonderer Überflieger in der Schule. Ich gehe einem gewöhnlichen Beruf nach, wie Abertausende andere auch. Nichts besonderes! „Ganz normal!“ – Aus dieser Einschätzung des eigenen Lebens heraus erwächst bei vielen der Eindruck der Bedeutungslosigkeit. Ganz normal ist zu normal. Daher der weitverbreitete Wunsch, sich von der Masse abzuheben, mit der eigenen Persönlichkeit brillieren zu können, sich Geltung und Respekt zu erarbeiten oder einfach nur durch einen exklusiven Lebensstil, schrille Mode und aktuelle Chart-Musik einfach auf sich aufmerksam zu machen. – Bloß nicht sei wie alle anderen! Und, liebe Gläubige, seien wir ehrlich. In jedem von uns schlummert mehr oder weniger ausgeprägt der Wunsch nach Beachtung. Nicht bei allen mag er so ausgeprägt sein, um immer im Mittelpunkt stehen zu müssen, ganz nach dem Motto: „Wo wir sind, ist vorne.“ Aber der Geltungsdrang, der die Bedeutungslosigkeit fürchtet, ist uns allen eigen. – Wenn wir so denken, dann vergessen wir, daß wir von Gott gesandt sind. Gott ist es, der unsere äußeren Lebensumstände so gefügt hat wie sie sind. Er weiß am besten, was notwendig und gut für uns ist, unsere einzigartige Sendung glücklich zu vollenden; unser Leben, wie es kein zweites gibt, gab und geben wird, auf sein Ziel, auf das ewige Heil bei Gott, dem Vater aller Lichter, hinzulenken. Unsere Sendung steht höher als jedes Haschen nach Erfolg, Aufmerksamkeit und Beachtung seitens unserer Zeitgenossen. Wir sind, selbst ganz unbekannt, doch ständig im Rampenlicht! Gott hält ständig sein liebevolles und allwissendes Auge auf uns gerichtet. Dabei handelt es sich um einen Gedanken, der unserem, gerade durch die beängstigenden Entwicklungen der letzten Tage aufgescheuchten Herzen Ruhe und Zuversicht schenken kann. Gott achtet nicht nur auf unseren Leib – wohin wir gehen, was wir tun – sondern Sein Blick reicht bis in jeden Gedanken und in jede Regung unseres Herzens hinein. Gott beachtet alles davon mit größter Anteilnahme, mit unermüdlicher Aufmerksamkeit und mit größter Sorge, daß unser Weg durch dieses irdische Jammertal einen glücklichen Ausgang nehme.
Der Lebensweg unseres Herrn Jesus Christus wurde durch die Propheten des Alten Testamentes minutiös vorgezeichnet. Man kann fast sagen, die Fußabdrücke waren schon gesetzt, noch ehe unser Herr Seinen Fuß an jene Stelle bewegte. Christus ist diesem vorgezeichneten Weg treu gefolgt und ist auf diese Weise uns zum Weg geworden. Es war der Wille des Vaters. Bei uns sind es nicht Prophetenworte, sondern unsere Begabungen, Anlagen und das persönliche Umfeld, in das wir hineingestellt wurden und heute hineingestellt sind, die den Verlauf unserer Sendung grundlegten und lenken. Es äußert sich darin in gleicher Weise der Wille Gottes, der sich auch hinter den rätselhaften Irrungen und Wirrungen, aber vor allem hinter allen lichten Gnadenstunden unseres Lebens verbirgt. Wenn ich diesen meinen Lebensweg annehme; ihn auf Gott vertrauend verfolge und keinen anderen begehre; mich nicht, beständig mit andern vergleichend, nach den Dingen ausstrecke, die vielleicht von Seiten der Welt glänzender und nach meinen rein menschlichen Urteil erstrebenswerter erscheinen, jedoch für mich in Wahrheit zu gefährlich, zu hoch und deshalb schädlich sind; wenn ich der göttlichen Vorsehung nach-folge, und ihr nicht vorauseile, dann folge auch ist Christus nach. Dann gehe auch ich „hin zu dem, der uns gesandt hat“.
Aus dieser Warte betrachtet hat gerade das Alltägliche unserer Lebenssendung ein ganz besonderes Gewicht und einen ganz entscheidenden Wert. Letztlich wird die treue Verfolgung des Pfades unserer Standespflicht gerade in den bedrängten Zeiten von heute über unsere ewige Glückseligkeit entscheiden. Der Gedanke, wie Christus von Gott gesandet zu sein, von Gott ausgehend und zu Gott zurückkehrend, enttarnt auch all jene Güter dieses irdischen Lebens, die uns so vielversprechend winken: Sicherheit, Ehre, Macht, Reichtum, Ansehen und Genuß. Die Besinnung auf unsere Sendung lehrt uns, sie gering zu achten. Denn all diese Güter sind nur Kleinigkeiten; sind trügerisch, zerbrechlich, stets gefährdet und flüchtig im Vergleich zu jenen, um deren Willen wir geschaffen sind. Die Heiligen, die wir das gesamte Kirchenjahr hindurch verehren, lehren uns durch ihr Vorbild, daß es vorteilhafter ist auf all diese Dinge zu verzichten, sie zu opfern; ja, sie sogar zu fliehen; und statt dessen unser ganzes Vertrauen auf Gott und Seine weise Vorsehung zu setzen.
Für uns schwache Adamskinder erweisen sich die irdischen Glücksgüter nicht selten als heilsgefährdend, wissen wir sie doch oft nur zu unserem Schaden zu gebrauchen. Dann gefährden sie unsere ganze Sendung. „Leichter geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als daß ein Reicher in das Reich Gottes eingeht“ (Lk. 18, 25), sagt der Herr. Doch ist das Geld, der Reichtum und die mit ihm einhergehende Macht in unseren Tagen vielleicht mehr denn je der Antrieb allen Tuns und Strebens. Wie nahe liegt es dem Reichem, dem Selbstherrlichen, dem Unabhängigen und in jeder Hinsicht materiell Abgesicherten, stolz, übermütig, despotisch, genußsüchtig, teilnahmslos, ja herzlos zu werden. – Wir sehen das nicht nur, aber auch nicht zuletzt an der führenden Klasse der politischen Eliten unserer Tage.
Seien wir deshalb eingedenk, daß alle irdischen Güter nur insofern nützlich und Gott wohlgefällig sind, insofern wir sie für die Erfüllung unserer Sendung recht gebrauchen. Sie sind nicht Ziel unserer Sendung und dürfen es deshalb auch für uns nicht sein. Sie sind lediglich Mittel zum Zweck; von Gott anvertraute Güter, die er mit Zinsen zurückfordert und deren Veruntreuung er bestraft.
Wir alle haben zwar hier auf Erden nicht den gleichen Weg zu gehen. Und doch ist die Sendung aller in der Zielausrichtung absolut deckungsgleich. Wir alle sind auf Erden, um in den Himmel zu kommen. Das bedeutet einerseits natürlich, daß jeder für sich selbst dieses hohe Ziel stets vor Augen haben muß. Nur so kann jeder seiner Gedanken, Worte und Werke in seiner unendlichen Tragweite und Bedeutsamkeit erkannt und tatsächlich auf das letzte Ziel, auf Gott, ausgerichtet werde. Jeder muß also zuallererst an sich selbst arbeiten.
Damit leisten wir aber auch unseren Nächsten einen großen Dienst. Im Ziel unserer irdischen Sendung geeint sind wir sogar verpflichtet, füreinander zu arbeiten. Denn wir sollen den Nächsten lieben wie uns selbst. Es gilt also das Motto: „Einer für alle und alle für Einen“. Das Eheband, Familien- und Blutbande, Liebes- und Freundschaftsbande; Nachbarschaften, Bekanntschaften und Kameradschaften; jede menschliche Verbundenheit ist ein Mittel, dem Seelenheil des Nächsten zu dienen und förderlich zu sein. Insbesondere müssen jene, die im Organismus der Kirche Gottes, vereint durch das Band des katholischen Glaubens und durch das Leben der heiligmachenden Gnade, welche die Kinder Gottes untereinander und auch schon jetzt mit dem letzten Ziel, mit Gott selbst, verbinden, einander auf dem Weg zum Heil bestärken und unterstützen. Wäre doch der Gedanke an das gemeinsame – nicht nur an das eigene – ewige Heil für uns alle der maßgebliche Grundzug all unserer Bestrebungen im Umgang miteinander, statt uns in tausenderlei untergeordnete Sonderinteressen, wie es leider so oft geschieht, beständig zu entzweien und einander zu zerfleischen.
Die große Bedeutung unseres Sterbens
Schließlich wird die hohe Bedeutung unserer Sendung im alltäglichen Leben ihren entscheidenden Höhepunkt erreichen in unserem Sterben. Um das zu erkennen, müssen wir den Tod als das betrachten, was er ist. Er ist der Schlußstein unseres Lebensgebäudes. Die Vollendung dessen, woran wir in unserem ganzen Leben gebaut haben. Der Tod wird dem Leben entsprechen. Der Tod ist das Siegel unter unsere Lebensgeschichte. Wie einer lebt, so wird er sterben. Wie das bekannte Sprichwort sagt: „Wie dein Sonntag, so dein Sterbetag.“ Haben wir ein Leben als Gesandte Gottes auf den Wegen der Gebote Gottes geführt, so werden wir wie heimkehrende Kinder vom himmlischen Vater empfangen werden. Haben wir diese Sendung als bedeutungslos, zweitrangig vernachlässigt, so wird uns Gott im Tod als ein Fremder begegnen. – Der Tod ist das Hingehen zu dem, der uns gesandt hat. Für den Gottlosen ist er eine Ent-Täuschung im wahrsten Sinne des Wortes. Der Tod zerreißt alle Trugbilder dieser gottvergessenen Weltzeit. Die Täuschung hört auf. Die nackte Sünde, das unverhohlene Versagen, das totale Scheitern der eigenen Existenz wird mit einem Mal glasklar offenbar. Die große hl. Theresia von Avila soll nach ihrer Höllenvision einmal gesagt haben: Es befinden sich nicht nur Heiden, Ungläubige, Mörder, Ehebrecher, und sonstige verkommene Gestalten in der Hölle. Nein, auch viele anständige Leute finden sich dort wieder. Anständige Leute, die in ihrem Leben unanständig genug waren, Gott aus dem Weg zu gehen.
Den gottliebenden Seelen wird der Tod ein freudiger Gast, ein willkommener Befreier sein. Sie können im Augenblick ihres Hinscheidens wie der Herr sagen: „Ich gehe nun hin.“ Alle Mühen sind vorüber. Alle Gefahren gemeistert. Alle Schmerzen durchlitten. Alle Tränen ausgeweint. „Ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat.“ Dessen Vorsehung ich vertraut, auf dessen Wegen ich gewandelt, dessen Willen ich getan habe. Den ich nun für meinen Glauben ewig schauen werde. Den ich für meine Hoffnung unverlierbar empfangen und genießen darf. Den ich in verklärter Liebe ewig, zusammen mit allen Heiligen lieben werde von Ewigkeit zu Ewigkeit. Mögen uns die Worte des Herrn der Leitstern für unser Leben und Sterben sein: „Ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat.“ Darum beten wir in der heutigen Messe ganz besonders: „Gott, du machst die Gemüter der Gläubigen willenseins. Laß dein Volk lieben, was du gebietest, und begehren, was du versprichst; so daß inmitten der Wechselfälle dieser Welt unsere Herzen dort verankert seien, wo die wahren Freuden sind.“ Amen.