Zum Fest der Kreuzauffindung
Kommt und seht!
Geliebte Gottes!
Es muß schon ein aufsehenerregende Spektakel gewesen sein, als vor genau 1700 Jahren, also im Jahr 320, die Kaiserin Mutter – Augusta Flavia Helena – in Jerusalem Einzug hielt. Insbesondere als sich die Nachricht verbreitete, warum sie gekommen war und was sie beabsichtigte zu tun. Grund für Kaiser Konstantins Mutter, eine Wallfahrt ins Heilige Land anzutreten, war ein Traum. Kaiserin Helena erhielt eines Nachts die Weisung, das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus, das bis zu diesem Zeitpunkt verschollen war, wieder aufzufinden. Die heidnischen Kaiser hatten insbesondere in der Verfolgungszeit versucht, das Gedächtnis Christi auszulöschen, indem sie Kultstätten ihrer Götzen über den Orten errichteten, die für den christlichen Glauben höchst verehrungswürdig waren. Es dürfte also einiges Aufsehen erregt haben, als Kaiserin Helena herging und in Bethlehem das Bild des Adonis und am Ort der Auferstehung Christi das Standbild des Jupiters zertrümmern ließ. Auf dem Kalvarienhügel, an dem Ort der Kreuzigung, fand die Kaiserin eine seit mehr als 180 Jahren hoch auf einer Marmorsäule erhobene Venus vor. Als wahrheitsliebende Frau reinigte Helena, ohne ökumenistische Rücksicht auf die religiösen Gefühle Andersdenkender, auch diese Stätte, indem sie die Venus-Säule umstürzen und wegschaffen ließ. Dann befahl sie zu graben. Unter dem Schutt von knapp drei Jahrhunderten förderten die Ausgrabungen die Inschrift, die Pilatus über dem Kreuz unseres Herrn anbringen ließ, und außerdem drei Kreuze zu Tage. Die Kreuzesinschrift war jedoch keinem der drei Kreuze zuordenbar. „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Schutz vor den Feinden, Mitteilung himmlischen Trostes.“ Im Glauben an diese Wahrheiten befahl Makarius, der damalige Bischof von Jerusalem, nacheinander jedes der drei Kreuze einer schwerkranken Frau aufzulegen. Während die Berührung mit den ersten beiden keine Besserung brachte, wurde die Kranke durch das dritte sofort gesund.
Das verschüttete Kreuz
Das Kreuz unseres Herrn ist selbstverständlich vor allem dem Satan ein großer Dorn im Auge. Deshalb versucht er es aus dem Gedächtnis der Menschen auszulöschen – damals wie heute sorgt er dafür, daß Götzentempel an der Stelle aufgerichtet werden, an denen Christus vom Kreuz über die Seelen herrschen müßte. Ob es sich nun dabei tatsächliche um Götzenkulte handelt wie damals oder um Hobbys, modernen Zeitvertreib oder einfach nur Körper- und Gesundheitskult, ist dem Teufel einerlei. – Selbst bei Sekten, die noch einen Christusbezug aufweisen, fällt auf, daß das Zeichen des Kreuzes darin ausgelöscht ist. Nach den Fabeleien der Zeugen Jehovas beispielsweise starb Jesus an einem Pfahl – nicht an einem Kreuz. Auch in der Konzilskirche stellen die ganz fortschrittlichen „Theologien“ das Kreuz in Frage und wollen es als zentrales Zeichen des christlichen Glaubens durch den auferstandenen Christus ersetzt sehen. Allein daraus sollte schon klar sein, wer allein nur der Urheber solcher „Glaubensgemeinschaften“ sein kann.
Doch wir brauchen gar nicht immer nur auf andere zu schauen. Wie sieht es bei uns aus? Ja, im Kreuz ist Heil. Auch wir Katholiken von heute stimmen dieser zentralen Wahrheit zu. Doch ist unser Leben tatsächlich von dieser Wahrheit durchdrungen? Lieben wir das heilige Kreuz? – Eine Seele, die diese Frage ehrlichen Herzens bejahen kann, muß schon über einen wirklich lebendigen Glauben verfügen. Der Mensch ist nicht zum Leiden geschaffen. Das Kreuz ist dem natürlich gesinnten Menschen zuwider. Und in wem von uns macht sich diese natürliche Gesinnung nicht bemerkbar? Das Kreuz wird vielleicht als notwendiges Übel erkannt und nur, wenn es sein muß, angenommen. Aber wohl wenige umarmen oder lieben es. Ist nicht auch in unserem Leben das Kreuz oft wie verschüttet?
Hierin finden wir vielleicht auch die Antwort auf die Frage, warum die katholische Religion, die Religion des Kreuzes Christi, so in Verfall geraten konnte. Das Kreuz Christi ist wie verschüttet!
Nichts wissen als Jesus Christus, und diesen als Gekreuzigten
War das nicht auch einmal im Leben des hl. Paulus so? Der hl. Lukas beschreibt uns die Stadt der griechischen Gelehrsamkeit und Weltweisheit als die Stadt des Götzendienstes, der Neugier und der Schwatzhaftigkeit. „Die Athener aber insgesamt und die sich dort aufhaltenden Fremden hatten für nichts Anders Sinn, als dafür etwas Neues zu reden, oder zu hören“ (Apg. 17, 21). Paulus wurde von großem Eifer erfaßt und predigte in der Synagoge und auf dem Marktplatz. Seine Worte erregten Aufsehen, und er wurde tatsächlich von den angesehensten Philosophen und Gesetzesgelehrten der Stadt vor deren Gremium auf den Areopag gebeten. Was für eine herausragende Möglichkeit für den hl. Paulus, vor großen Staatsmännern, den Gebildeten und weisesten Menschen der damaligen Zeit, die Lehre Christi bekanntmachen zu können. Wenn es gelang sie zu überzeugen, wäre ein bedeutender Schritt in der Heidenmission getan.
Vom Standpunkt der Redekunst aus betrachtet, stellt die Rede des hl. Paulus auf dem Areopag sowohl in ihrer Form als auch in ihrem Aufbau eine Meisterleistung dar. Es war eine perfekte Predigt! Zunächst geht der hl. Paulus mit großem pädagogischen Fingerspitzengefühl auf seine Zuhörern ein. Er holt sie dort ab, wo sie stehen – wie man heute sagen würde. Er führt sie, ausgehend von ihrem Götzenglauben und dem Altar des „unbekannten Gottes“, psychologisch geschickt an die Lehre von dem einen Gott, der alles geschaffen hat und der Seinen Sohn in die Welt sandte, heran. Psychologisch einfach brillant! Nicht minder perfekt war seine Ausdrucksweise. Er sprach mit Intellektuellen. Also griff Paulus zu gehobener Redeweise. Er zitierte ihre Dichter wörtlich im Hexameter. Da er wußte, daß er vor den Professoren der Athener Universität und den Erben der griechischen Philosophie stand, wurde er in seiner Rede philosophisch und sprach über Gott als Schöpfer und Lenker der Geschichte. Schließlich mündete seine Predigt ein in der Verkündigung der Auferstehung von den Toten. „Als sie aber von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten einige, die anderen aber sagten. Wir werden dich hierüber ein anderes Mal hören“ (Apg. 17, 32). – Beschämt wurde Paulus einfach weggeschickt. Und lediglich eine Handvoll Athener wurde gläubig. Unter dem Strich war diese perfekte Predigt des hl. Paulus ein riesiger Mißerfolg! – Warum das? – Paulus ließ Athen hinter sich und brach nach Korinth auf. Auf der Wegstrecke hatte er viel Zeit darüber nachzudenken. – Korinth war eine verkommene Stadt. Dort lebten keine Gelehrten, sondern Menschen, die von allen Lastern einer antiken Hafenstadt gezeichnet waren. Der Mißerfolg in Athen steckte ihm noch tief in den Kochen. Er sprach zu den Korinthern über die Torheit des Menschen, die daran glauben, daß ihre Weisheit die Wahrheit sei. Doch Paulus hatte seinen Fehler erkannt! – Paulus erwähnte bei all seiner vollendeten Beredsamkeit in Athen mit keinem Wort Christus, den Gekreuzigten! Er sprach nicht vom Kreuz! – Und deshalb machte er es in Korinth genau anders herum: „Ich nahm mir vor, nichts unter euch zu wissen, als Jesus Christus, und diesen als Gekreuzigten“ (1. Kor. 2, 2). Paulus erkannte, daß die Torheit Gottes die wahre Weisheit für den Menschen ist und den Menschen auch so verkündet werden mußte. „Denn das Wort vom Kreuz ist zwar denen, die verlorengehen, Torheit. Uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. Denn es steht geschrieben: Zu Grund richten werde ich die Weisheit der Weisen, und die Klugheit der Klugen werde ich verwerfen. Wir aber verkünden Christus, den Gekreuzigten. Den Juden ein Ärgernis, den Heiden aber eine Torheit, den Berufenen dagegen, Juden wie Griechen, Christus Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1. Kor. 1,18. 23f.) Das ist, was auch wir beachten müssen. Das Kreuz ist „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ auch wenn es der menschlichen Natur noch so unwillkommen erscheint. Wo das Kreuz fehlt oder verschüttet wird, kann der Mensch nur in Torheit fallen und letztlich im Verderben enden.
Im Kreuz ist Heil – „Kommt und seht!“ (Joh. 1,39)
Das erste Wort, das Jesus zu Beginn Seines öffentlichen Lebens an Seine Jünger gerichtet hat, lautete: „Kommt und seht!“ (Joh. 1, 39). Und das letzte: „Gehet also hin und lehret!“ (Mt. 28, 19). Bevor wir hingehen, müssen wir kommen. Bevor wir lehren, müssen wir – nicht lernen! Lernen sollen wir lediglich die Sanftmut und Demut Christi (vgl. Mt. 11, 29). Das wichtige ist, daß wir sehen! Daß wir einsehen!
Schon im Alten Bund war das „sehen“ von überlebenswichtiger Bedeutung für das auserwählte Volk. Als die Hebräer in der Wüste gegen Gott aufbegehrte, ließ der Herr giftige Schlagen über sie kommen, um dem halsstarrigen Volk vor Augen zu führen was die Sünde sei. Viele starben durch die Schlangenbisse. In Seinem Erbarmen gab Gott dem Moses schließlich Anweisung, einen Pfahl zu errichten und daran eine eherne Schlange zu befestigen. Außerdem befahl Er: „Wer gebissen ist, und sie (die eherne Schlange) anblickt, soll am Leben bleiben“ (Num. 21, 8). Die eherne Schlange ohne Gift ist, wie der hl. Johannes Chrysostomus erklärt, das Vorbild des sündenlosen Erlösers Jesus Christus, der sich am Kreuz selbst zur Schlange, d.h. zur Sünde gemacht hat, um die von der Sünde verwundeten Menschen zu heilen. Wie die Hebräer in der Wüste müssen wir gläubig unseren Blick zum heiligen Kreuz erheben. Wir müssen sehen und einsehen.
Was aber müssen wir einsehen! – Daß das Kreuz die einzige Möglichkeit und das einzige Mittel ist, um mit der Sünde fertig zu werden! Daß wir nur im Kreuz und allein durch das Kreuz Heil finden können. – Was „sehen“ wir am Kreuz? Den Gekreuzigten. Den unendlichen Gottessohn, der dem Staubgebilde „Mensch“ in allem gleich werden wollte. Wir sehen das ewige Leben selbst, welches mit dem Tode ringt. Den Gottmenschen, wie er tödlich verwundet wurde durch meine Sünden.
„Kommt und seht!“ (Joh. 1, 39). Da ist sichtbar: Die Größe meiner Sünde! Aus Seinen Wunden können wir die Gesamtheit unserer Sünden herauslesen und müssen bekennen: Ich bin schuldig an Seinem Blut. Was muß die Sünde sein, wenn Gottes Sohn am Kreuz durch sie ermordet wurde.
„Kommt und seht!“ (Joh. 1,3 9) Da ist sichtbar: Die überragende Größe Seiner Liebe! Daß Gott Mensch wurde, das ewige Leben starb, der Gottessohn für meine Sünden litt, statt mich zu verdammen, ist Frucht Seiner Liebe. „Er hat mich geliebt und sich für mich dahingegeben“ (Gal. 2, 20).
Wie weit mußte Seine Liebe zu mir Sünder gehen? „Kommt und seht!“ (Joh. 1, 39) – Bis zum letzten Blutstropfen! Die Sünde ist Unrecht. Unrecht kann nur durch Gerechtigkeit ausgeglichen werden. Leben für Leben. Dafür vergießt der Menschensohn an meiner statt sein Erlöserblut. Denn „ohne Blutvergießen findet keine Vergebung statt“ (Heb. 9, 22). Deshalb ist Seine Liebe die größte und vollkommenste Liebe: „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh. 15, 13).
Wenn wir diese Zusammenhänge nicht nur aus dem Katechismus gelernt und als Glaubenswissen im Gedächtnis abgespeichert haben, sondern tatsächlich einsehen, dann können wir auch die Worte Christi im heutigen Evangelium verstehen: „Gleichwie Moses die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muß der Menschensohn erhöht werden, damit jeder der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern das ewige Leben habe“ (Joh. 3, 14f.).
Die Einsicht in das Heilsgeheimnis des Kreuzes ist eine übernatürliche. Sie muß mehr erbetet und gläubig geübt werden, als daß man sie erlernen oder sich auf sonst ein Weise aneignen könnte. Ohne diese Einsicht werden wir keine tiefe Zerknirschung über unsere Sünden empfinden. Ohne diese Einsicht werden wird auch keine allzu große Dankbarkeit für die gnadenhafte Erlösung durch das Leiden unseren Herrn verspüren. Ohne diese Einsicht werden wir schließlich auch keine große Gegenliebe zu Ihm in unserm Herzen erwecken können. Statt dessen werden wir immer wieder versucht bleiben, so zu leben wie Paulus in Athen predigte – ohne Jesus Christus, als den Gekreuzigten.
„Von der Erde erhöht, werde alles an mich ziehen“ (Joh. 12, 32).
Nur die gläubige Einsicht in das Geheimnis der Heilskraft des Kreuzes Christi gibt uns die Befähigung, selbst in den Lichtkreis der Erlösung einzutreten. Wenn wir voll Zerknirschung die Größe unserer Sünde erkannt und die Unermeßlichkeit der göttlichen Liebe, welche unser Schuld getilgt hat, erfaßt haben, dann werden wir von wahrer Gegenliebe angetrieben im Angesicht des Gekreuzigten sprechen: „Was darf ich für dich tun, mein Jesus? Was darf ich für Dich leiden? Was darf ich über alle Pflicht hinaus für Dich tun, nachdem ich so oft und vielleicht so lange unter der Pflicht geblieben bin?“ Diese Gedanken wären die Anziehungskraft Seiner göttlichen Erlöserliebe, mit der Er mich mit heiliger Gewalt an sich zieht. Sie wären ein Feuerbrand im Herzen, der es innerlich reinigt, läutert und mit Seiner göttlichen Liebe eint. Dann könnten wir begreifen, daß es eine Gnade ist, als Glied an Seinem mystischen Leibe durch Ihn, mit Ihm und in Ihm alle Leiden dieses Lebens anzunehmen und dem himmlischen Vater für das Heil der Welt zum lieblichen Wohlgeruch anzubieten. Dann würden so viele unserer täglichen Widerwärtigkeiten, die deshalb unfruchtbar bleiben, weil wir sie nicht im gläubigen Aufblick zu Christus, dem Gekreuzigten annehmen, Gelegenheiten werden, in denen wir das Heil in unsere heillose Welt herabziehen könnten. Dann würden wir nicht mehr zurückschrecken, wenn Er uns plötzlich im Alltag „von der Erde erhöht, an sich zieht“ und könnten mit dem hl. Paulus ausrufen: „Jetzt freue ich mich in den Leiden für euch, und ergänze das an meinem Fleische, was an den Leiden Christi noch mangelt für Seinen Leib, welcher die Kirche ist“ (Kol. 1, 24).
Für die junge Christenheit war es ein großes Glück die kostbare Reliquie des heiligen Kreuzes wieder aufgefunden zu haben. Kaiser Konstantin ließ in Rom zu seiner würdigen Aufbewahrung eine herrliche Basilika bauen, die heute zu den sieben Hauptkirchen der Stadt zählt. In „Santa Croce in Gerusalemme“ wird das heilige Kreuz seither von der gesamten Christenheit in hohen Ehren gehalten. Möge das hl. Kreuz auch von uns immer wieder im Alltag aufgefunden und sein Geheimnis gläubig eingesehen werden, damit es in unserem Herzen stets eine würdige Verehrungsstätte finde und uns das Heil der Erlösung bringe. Amen.