10. Sonntag nach Pfingsten
Von der Tugend der Demut
Geliebte Gottes!
„Jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk. 18,14), so haben wir den Herrn soeben sagen hören. Der Pharisäer, der reich an guten Werken in den Tempel gekommen war, ist leer heimgegangen, weil er durch seine Überheblichkeit und durch seine Selbstgerechtigkeit alles Gute entwertet hatte; hingegen ist der Zöllner von seinen vielen und schweren Sünden gerechtfertigt nach Hause gegangen, weil er durch aufrichtige Zerknirschung des Herzens und wahre Buße seine Sünden von sich geworfen und durch seine Demut die Barmherzigkeit Gottes auf sich herabgezogen hatte.
Die Demut hat sich hier einmal mehr als die Mutter aller Tugenden erwiesen. Deshalb wollen wir heute gerade diese, in der Übung oft vernachlässigte Tugend, heute eingehender betrachten.
Wahrhaftige Selbsterkenntnis
Demut bezeichnet das rechte Verhalten gegenüber Ehre und Ruhm, das auf der Erkenntnis der menschlichen Stellung Gott gegenüber beruht. Sie fragt: „Was ist der Mensch im Vergleich zu Gott?“ Und sie gibt die den Menschen bis ins Mark erschütternde Antwort: „Nichts!“ Im Lichte Gottes weiß der demütige Mensch sich klein und nichtig. Gleichzeitig erkennt die Demut, daß die einzig angebrachte Haltung gegenüber Gott die Ehrfurcht ist. Demut und Ehrfurcht sind miteinander verwandt. Die Demut beruht auf der rechten Erkenntnis seiner selbst. Sie gründet also in der Gesinnung, daß man wahrhaftig gegen sich selbst ist.
Die Demut ist die Geringschätzung seiner selbst aufgrund einer wahren Selbsterkenntnis. Die Demut ist ein Instrument zur Zügelung des Ehr- und Machtstrebens, das in jedem Menschen auf der Lauer liegt. Sie richtet sich auf an der immerwährenden Pflicht zur Gottesverehrung. Nicht nur in den großen Dingen, sondern auch in den kleinen und scheinbar nebensächlichen Dingen achtet sie nicht auf die eigene Größe, den eigenen Vorteil, die eigene Geltung, sondern auf die höhere Ehre Gottes, die am besten durch Selbsterniedrigung, durch Unauffälligkeit und Bereitschaft zur Unterordnung erreicht wird.
Die wahre Erkenntnis seiner selbst, in seiner Stellung zu Gott und zu anderen Wesen, ist die Grundlage der Demut. Wir haben, wenn wir in uns selbst schauen, allen Anlaß, demütig zu sein. Im Buch von der „Nachfolge Christi“ wird einmal aufgezählt, aus welchen Gründen wir demütig sein sollten. Da schreibt der Verfasser: „Es steht keine Heiligkeit fest, wenn der Herr Seine Hand zurückzieht. Es nützt keine Weisheit, wenn Er nicht regiert. Es hilft keine Tapferkeit, wenn Er nicht beisteht. Es dauert keine Keuschheit, wenn Er sie nicht schützt. Es nützt keine Wachsamkeit, wenn Gottes heiliges Auge nicht wacht.“
Die Demut schätzt das Gute und Edle der eigenen Person, aber sie führt es eben auf seine tiefste Quelle – nämlich auf Gott, ohne den wir nichts tun können – zurück und achtet auf die rechte Ordnung der Werte. Sie bekämpft die Selbstüberschätzung des eigenen Urteils, in der das verblendete Ich sich zum Mittelpunkt macht. Die Demut sucht, ein unbefangenes, objektives Urteil über sich selbst zu gewinnen, über das eigene Ich und über die anderen Menschen. Nur im Angesicht Gottes gewinnen wir die rechte Sicht auf uns. „Ich bin nichts“, so sagt ein Heiliger, „aber ich bin Dein, o Gott.“
Anerkennung der eigenen Niedrigkeit
Demut ist aber nicht bloß ein theoretisches Erkennen, sondern auch ein praktisches Anerkennen. Gerade darin unterscheidet sich das Vorhandensein der Tugend der Demut von dem bloßen Wissen um die Demut. Die Tugend bewegt den Willen des demütigen Menschen, sich in seiner Geringheit vor Gott und auch in seiner Niedrigkeit und Unzulänglichkeit gegenüber anderen zu fügen. Die Demut zügelt und mäßigt das natürliche Streben nach Aufmerksamkeit, Geltung, Anerkennung, Größe und Vorrang. In der Demut akzeptiert der Mensch seine eigene Grenze und stellt sich unter das Gebot der Nächstenliebe und der Gottesliebe. Der Mensch weiß sich ja abhängig von Gott, aber auch von Dingen dieser Welt – Nahrung, Kleidung, Liebe und Zuneigung –, und das allein schon sollte ihn zur Demut veranlassen.
Die Demut steht dabei keineswegs im Widerspruch zur Hochherzigkeit des Willens. Die Demut ist nicht zu verwechseln mit Kleinmut, sondern sie weiß, daß Gott von ihr etwas fordert und daß sie dieser Forderung nachzukommen hat, daß sie sich anstrengen muß, um dieser Forderung zu genügen; ja, daß Gott von dem Menschen die höchstmögliche Entfaltung aller seiner Anlagen und deren Einsatz in dem jeweiligen Berufsfeld und Stand erwartet.
Die Demut äußert sich natürlich im äußeren Verhalten des Menschen. Sie bekundet sich im äußeren Leben. Es seien kurz einige Gelegenheiten genannt, bei denen die Demut gefragt ist.
a) Verzicht auf Eigensinn und Selbstbehauptung
Erstens: Die praktische Unterordnung unter menschliche und göttliche Autorität. Sich der Befehlsmacht Gottes und der Menschen unterstellen kann nur, wer bereit ist, den selbstsüchtigen Eigenwillen und den Drang zur Selbstbehauptung und erst recht den Eigensinn und die Selbstverwirklichung einzuschränken oder aufzugeben. Diese Bereitschaft ist bei dem gegeben, der sowohl um seine Grenzen weiß als auch um die Unentbehrlichkeit der Ein- und Unterordnung in die Gemeinschaft. Der Demütige ordnet sich willig ein, ohne Widerrede, ohne Murren und ohne Groll. Er weiß um Notwendigkeit und den Nutzen der Ein- und der Unterordnung. Er nimmt sich nicht wichtig, weiß, über sich selbst zu spaßen, und ist nicht leicht beleidigt. Die sich selbst weise vorkommen, sind selten geneigt, sich anderen unterzuordnen, nehmen sich meist übermäßig wichtig und sind deshalb schnell eingeschnappt, wenn ein Scherz auf ihre Kosten geht.
b) Selbstbescheidung und Achtung vor dem Mitmenschen
Zweitens: Die Demut lehrt die liebevolle Achtung des Mitmenschen. Der Demütige hat ein Auge für die Qualitäten und auch für die Bedürfnisse seines Nächsten. Der Demütige schaut im Mitmenschen keinen Konkurrenten, der mit Argwohn und Mißtrauen zu beäugen ist, sondern das natürliche Ebenbild Gottes, das dieser mit guten Anlagen und Talenten begabt und in unendlicher Liebe zur übernatürlichen Gotteskindschaft bestimmt hat. Das weiß der Demütige im Nächsten anzuerkennen.
Dieses Bewußtsein, daß wir alle Brüder in Christus sind, vermochte, von den Tagen der Apostel an, die Verhältnisse der Menschen untereinander umzugestalten. Die „Nachfolge Christi“ gibt Hinweise und Anweisungen, wie man sich diese Achtung des Mitmenschen erwerben kann und wie man sie sich erhalten kann. „Halte dich nicht für besser als andere, denn sonst möchtest du im Auge Gottes schlechter sein als andere. Es schadet dir nichts, wenn du dich allen anderen nachsetzest. Aber es kann dir sehr schaden, wenn du dich nur einem einzigen vorziehst. Von Rechts wegen solltest du noch schlimmer von dir selbst denken als die anderen und dich für schwächer halten, als sie dich halten.“
Weiter heißt es: „Wo Demut ist, da ist Friede.“ Warum ist da Friede? Ja, weil der Demütige sich eben in die Meinungen, Vorschläge und Entscheidungen anderer fügt. Wo aber Stolz ist, da ist eitle Selbstbehauptung und Eifersucht, da ist Zorn und Streit; ja, da ist eine ganze Hölle von Unruhe und Friedlosigkeit.
Und noch einen letzten Rat gibt die „Nachfolge Christi“, nämlich: „Wenn Gott in unserer Mitte wohnt, müssen wir oft unsere eigene Meinung aufgeben.“ Wenn Gott in unserer Mitte wohnt – also in unserem Herzen –, so müssen wir oft unsere eigene Meinung aufgeben.
c) Mut zum Dienen
Drittens: Die Demut lehrt Pflichttreue auch in unscheinbarer Arbeit und Stellung. Demut ist eben – sprachlich – „De-Mut“, d. h. „Mut zum Dienen“, ja „Sehnsucht zu dienen“. Sie ist die Gesinnung des Dienens. Der Demütige ist zufrieden mit einer bescheidenen Stellung in der Gesellschaft. Er bescheidet sich mit seinem Platz und drängt sich nicht in den Vordergrund. Dabei drückt er sich jedoch keineswegs vor der Verantwortung, nicht vor Schwierigkeiten und Anstrengungen – das wäre nicht Demut, sondern Feigheit. Er weiß um seinen Wert und um sein Können, aber er boxt sich nicht nach oben. Wer die Stellung nicht erreichen kann, die er erstrebt, für die er sich auch geeignet hält, wird deswegen nicht mißmutig, unzufrieden und bitter. Er fügt sich in das, was ihm beschert ist, wohlwissend, daß Gott ihm auf diese Weise viele Versuchungen erspart. Demut ist Mut zum letzten Platz.
d) Annahme von Zurechtweisungen
Viertens: Demut bringt Zufriedenheit bei Zurücksetzung und bei Zurechtweisung. Der Demütige nimmt hin, wenn ihm Fehler vorgehalten werden, ohne aufzubegehren, ohne zornig zu werden. Er bewahrt seinen Gleichmut bei Rüge und Tadel. Der Demütige grollt nicht und sinnt nicht auf Rache, wenn andere ihm vorgezogen werden und ihm selbst Unrecht geschieht. Oft trägt es viel zu unserer Demut bei, wenn andere unsere Fehler kennen und sie rügen. Ein Mensch, der sich wegen seiner Fehler demütigt, ist leicht geneigt, andere zu besänftigen. Wenn er nämlich die Schuld auf sich nimmt und seinen Fehler eingesteht, dann ist der andere gleichsam entwaffnet.
Ein weiser Bischof lehrte seine Priesteramtskandidaten: „Wenn Sie gedemütigt werden, wenn Sie zurückgesetzt werden, wenn Sie getadelt werden, dann sprechen Sie bei sich: Es ist gut für mich, daß Du mich gedemütigt hast.“ Es ist gut für mich, daß Du mich gedemütigt hast.
e) Geduld mit eigenen und fremden Fehlern
Fünftens: Die Demut lehrt Geduld mit sich und mit anderen. Der Demütige verliert nicht die Fassung, wenn die Dinge nicht so laufen, wie er es sich vorstellt, wie er es sich wünscht oder wie er es sich vorgenommen hat. Er schickt sich in Harren und Warten und murrt nicht wegen verpaßter Gelegenheiten.
Der Demütige denkt sodann, wenn Schwächen und Fehler bei anderen beobachtet werden, an seine eigenen Fehler. Und auf diese Weise kann er sich im Frieden mit anderen und vor Schadenfreude und Selbstüberhebung bewahren.
f) Ergebung in die göttliche Vorsehung
Sechstens: Die Demut lehrt Ergebung in schmerzlichen Prüfungen und im Leiden. Der Demütige ist gefaßt auf Ungemach und Enttäuschung. Er weiß: Heimsuchungen und Prüfungen müssen über den Menschen kommen. Ohne Schmerz und ohne Trübsal geht niemand durch dieses Leben. Der wahrhaft Demütige ist deshalb ein unerschütterlicher Mensch, denn er ist dafür gerüstet, daß Prüfungen und Leiden ihn treffen. Er ist nicht überrascht; sondern er erwartet so etwas.
Die Hochschätzung der Demut
Die Demut wird von der Heiligen Schrift an vielen Stellen gepriesen und gefordert. Im Alten Testament wird vor allem darauf hingewiesen, daß der Mensch abhängig ist von seinem Schöpfer und deswegen demütig sein muß. Der Stolze, der Mächtige, der Reiche erhebt sich gegen Gott und ist voll Groll und Bitterkeit, voll Argwohn und Mißtrauen, voll Verstellung und Trug gegen die Mitmenschen. Der Demütige dagegen bemüht sich, im Bewußtsein seiner Abhängigkeit von Gott und seiner Schwäche und Sündhaftigkeit, um die redliche Erfüllung des Willens Gottes und auch um das Zufriedenstellen der Menschen.
Im Neuen Testament erhält die Demut als die dem Erlösten angemessene Tugend eine neue Begründung und Vertiefung. Die neue Ordnung der Erlösung Christi kehrt ja die Verhältnisse in der Welt um. „Mächtige stürzt Er vom Thron und Niedrige erhöht Er“, so heißt es im Lobgesang der Gottesmutter. Das ist die neue Ordnung. „Die Sanften und Demütigen werden das Land besitzen“, heißt es in den Seligpreisungen der Bergpredigt. Man muß sich unter Verzicht auf Vorrang erniedrigen bis zur Kleinheit des Kindes, um groß zu sein. „Wer klein wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“
Dazu kommt das Beispiel Christi, der durch Sanftmut und Demut die Menschen an Sich ziehen will, der gekommen ist, um zu dienen, den Willen des Vaters zu erfüllen bis zum Tode am Kreuze. Schließlich bringt auch Sein Erlösungswerk den Menschen ihre Sündhaftigkeit und Schwäche zum Bewußtsein.
Die kirchliche Überlieferung und die Lehrer des geistlichen Lebens haben stets großes Gewicht auf den Erwerb der Tugend der Demut gelegt.
Die Heiden kannten anscheinend eine ähnliche Verfaßtheit. Sie warnten vor der „Hybris“. Hybris ist ein griechisches Wort und bedeutet „Übermut“, „Stolz“, „Vermessenheit“, „Selbstüberhebung“.
Die griechischen Heiden forderten gegenüber der Hybris die „dikê“, das „Maßhalten“, das „Wissen um die Grenze“, die „Pietät“, die „Selbstbescheidung“. Das war eine Vorform der christlichen Demut.
Die Demut ist aber freilich deswegen eine christliche Tugend, weil nur das Licht des Glaubens den unendlichen Abstand zwischen Gott und den Menschen und damit eine wahre Selbsterkenntnis herausstellt. Außerdem ist das Christentum eine Religion der Erlösung, d. h., das Christentum setzt ein tiefes Bewußtsein der menschlichen Unzulänglichkeit und Sündhaftigkeit aufgrund der Erbsünde voraus. Im Christentum ist die Grundlage der Glaube. Zum Glauben aber wird sich einer leicht bekehren, der demütig ist, der sich gerne belehren läßt und nicht wissensstolz ist; der nicht meint, er habe anderen nichts zu verdanken und er brauche weder Gott noch die Mitmenschen.
Das praktische Christentum, also der Glaube, der als Früchte gute Werke zeitigt, ist Folgsamkeit gegen die Gnade, ist Hellhörigkeit auf die sanften Winke der Gnade. Es zeigt sich in der geduldigen Nachfolge des Willens Gottes, nicht im eiligen Vorauseilen. Folgsam gegen die göttliche Gnade wird aber nur der sein, der demütig ist. Die Gnade des Heiligen Geistes sucht immer nur ein demütiges Herz! Man kann das nicht oft genug wiederholen: Die Gnade des Heiligen Geistes sucht immer nur ein demütiges Herz!
Gegensätze der Demut
Es gibt zwei Arten von Gegensätzen gegen die Demut. Der erste Gegensatz zur Demut findet sich in einer unwürdigen und unwahren Selbsterniedrigung. Es ist eine heuchlerische, gespielte Demut, die entweder sich selbst gefallen will oder Eindruck auf fromme Menschen machen soll.
Man kann sich, im Gegensatz zur Wahrheit, schlechter machen, als man selber ist. Das ist von der Demut nicht gefordert, denn das ist unwahrhaftig. Nein, Demut ist von serviler Gesinnung, von Minderwertigkeitsgefühlen weit entfernt. Sie ist Ausdruck für das echte Bewußtsein der eigenen Würde. Sie ist eben wahre Selbsterkenntnis! Diese wahre, demütige Selbsterkenntnis befähigte etwa die Gottesmutter nicht nur zu dem heroischen Wort „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Wort“, sondern in ihrer wahrhaften Selbsterkenntnis ihrer gottgegebenen Würde bekannte sie nicht minder unverhohlen: „Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter.“ Keine Spur von Heuchelei oder unwahrer Selbsterniedrigung, aber auch nicht von Überheblichkeit, sondern in der reinsten Wahrhaftigkeit sprach die Magd des Herrn aus, was ist: „Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter.“
Der schlimmste Gegensatz zur Demut ist jedoch der Stolz, der Hochmut, die unsittliche Selbstüberschätzung. Der Stolze legt sich Vorzüge bei, die er nicht besitzt; maßt sich Urteile an, die er nicht fällen kann. Auch führt er Vorzüge, die er tatsächlich besitzt, nicht auf den wahren Grund – nämlich auf Gott – zurück. Ferner leugnet und verdunkelt er die Vorzüge anderer Menschen. – Der Stolze strebt über sein wahres und wirkliches Sein hinaus, macht sich gewissermaßen zu einem kleinen Herrgott, dessen Meinung jeder zu akzeptieren und dessen Entscheidungen jeder hinzunehmen hat.
In diesem Sinne ist der Stolz eine schwere Sünde, ja die Hauptsünde. Die Ursünde des Menschen war die Überhebung gegen Gottes Gebot.
Die Neigung zum Stolz ist dem Menschen angeboren. Wir Menschen wollen mehr gelten, als wir sind. Deswegen gehört die Überwindung des sündhaften Stolzes durch die rechte Demut zu den wichtigsten sittlichen Aufgaben des menschlichen Lebens.
Eine oberflächliche Art der Selbstüberhebung ist die Eitelkeit. Der Stolze will mehr sein, als er ist, der Eitle will mehr scheinen, als er ist. Hier wird das rechte Maß des Strebens nach Ehre und Anerkennung überschritten. Die Demut gestattet durchaus das rechte Maß im Streben nach Ehre, ebenso wie es erlaubt ist, in geordneter Weise nach Geld und Gut zu streben. Maßvolles Streben nach Ehre ist nicht verboten, denn die Ehre ist ja ein Vehikel unseres Wirkens. Wenn wir als unehrenhaft gelten, nimmt niemand von uns einen Knochen an. Deshalb ist es ja auch eine so gewichtige Sünde, die Ehre des Mitmenschen durch üble Nachrede oder gar durch Verleumdung zu mindern, denn damit werden der Einfluß eines Menschen und damit seine Möglichkeiten, Gutes zu tun, auf ungerechte Weise eingeschränkt.
Kurzum: Das maßvolle Streben nach Ehre ist ebenso erlaubt wie das geordnete Interesse für Geld und Gut. Aber Menschenlob und Menschengunst sind wandelbar. Sie verderben zudem leicht die gute Absicht des Menschen. Sie lösen die wahre Würde des Menschen von Gott ab und nähren die tiefe Unordnung der Selbstsucht im Menschenherzen.
„Weder Lob noch Tadel.“
Der große Bischof von Münster, Clemans-August Kardinal von Galen, hatte als Leitwort seines Wirkens als Bischof das Motto gewählt: „Nec laudibus, nec timore.“ – „Weder Lob noch Tadel.“ Er wollte sich in seinem Handeln also nicht bestimmen lassen vom Lob der Menschen, aber auch nicht von ihrem Tadel. „Weder Lob noch Tadel.“ – und danach hat er gehandelt. Wer wahrhaft demütig ist, der macht sich nicht von der Gunst und Ungunst der Menschen abhängig.
Wenn wir nach der Demut sterben, werden wir erfahren, was der Verfasser der Nachfolge Christi sagt: „Den Demütigen nimmt Gott in seinen Schutz. Den Demütigen liebt und tröstet Er. Zum Demütigen neigt Er sich hernieder. Dem Demütigen schenkt Er große Gnade und erhöht ihn nach den Tagen der Erniedrigung. Dem Demütigen offenbart Er Seine Geheimnisse und zieht ihn freundlich an sich.“ Amen.