Die Arche des Bundes

Geliebte Gottes!

„Heute“, so begann der hl. Johannes von Damaskus eine Predigt über die Himmelfahrt Mariens, „heute läßt sich die heilige und lebendige Bundeslade des lebendigen Gottes, die ihren Schöpfer in ihrem Schoß empfangen hat, im Tempel des Herrn, der nicht von Menschenhand erbaut ist, zur Ruhe nieder …“

Es ist kaum zu sagen, ob dieser aus dem 7. Jahrhundert stammende hl. Kirchenlehrer der erste war, welcher der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria diesen Titel beilegte; ob er mit seiner Lobrede den Anlaß dafür gegeben hat, daß die gesamte Christenheit die unbefleckte Gottesgebärerin fortan mit der Bundeslade des Alten Testamentes in Vergleich gesetzt hat, und ob er damit die Grundlage dafür geschaffen hat, daß wir Maria heute in der Lauretanischen Litanei als „Arche des Bundes“ anrufen.

In jedem Fall läßt sich aber sagen, daß dieser Vergleich eine herrliche Veranschaulichung des Festgeheimnisses von der Himmelfahrt der Gottesmutter bietet, welches es sich lohnt, eingehender in Augenschein zu nehmen. Dazu wollen wir uns:

  1. in Erinnerung rufen, was die „Arche des Alten Bundes“ gewesen ist, um
  2. einzusehen, wie passend die jungfräuliche Gottesmutter als „Arche des Neuen Bundes“ bezeichnet wird; und um schließlich
  3. einige Schlußfolgerungen zu ziehen, die wir auf uns selbst anwenden wollen.

Die Arche des Alten Bundes

Als Moses im Auftrag Gottes den Gottesdienst des Alten Bundes ordnete, da errichtete er zuerst ein Zelt, das heilige Bundeszelt. Zugleich ging er daran, die Altäre herstellen zu lassen und die für den Opferdienst notwendigen heiligen Geräte anzuschaffen.

Das Kostbarste und Heiligste von allem, was das alttestamentliche Bundeszelt enthielt, war die Bundeslade, die „Arche des Herrn“. Sie war von den begnadetsten Künstlern aus fehlerlosem, unverweslichem Akazienholz gemacht. Innen und außen war sie mit feinstem Gold überzogen. An ihren vier Ecken befanden sich goldene Ringe, durch welche goldene Stangen gesteckt wurden, damit man die Lade tragen konnte.

Diese kostbare Ausstattung war jedoch kein Selbstzweck, sondern war nur recht und billig im Hinblick auf den Inhalt der Arche. In der Lade wurden die beiden steinernen Gesetzestafeln, die Moses am Sinai von Gott empfing, aufbewahrt. Dazu ein goldenes Gefäß, das mit Manna gefüllt war; also mit jener geheimnisvollen Speise, die Gott vom Himmel regnen ließ, um die Hebräer auf ihrem Zug durch die Wüste vierzig Jahre lang zu ernähren. Und schließlich wurde darin der Stab Aarons, des ersten Hohenpriesters, aufbewahrt. Diesen Stab ließ Gott auf wunderbare Weise erblühen, während die Stäbe der Anführer der anderen elf Stämme Israel, die zuvor das Priestertum Aarons in Frage gestellt hatten, totes Holz blieben. Damit hatte Gott die Auserwählung Aarons und seiner Nachkommen in der priesterlichen Würde als auch des levitischen Stammes für den Gottesdienst zu bestätigen.

Dieser überaus heilige Inhalt – die Gesetzestafeln, das Manna und der sprossende Stab Aarons – wurde in der Bundeslade aufbewahrt. Verschlossen wurde die Lade mit einem goldenen Deckel, auf dem sich zwei ebenfalls mit feinstem Gold überzogene Cherubim befanden, deren ausgespannte Flügel sich in der Mitte über der Arche trafen und die Bundeslade wie ein Baldachin überschatteten.

Moses salbte das Zelt und die Geräte mit heiligem Öl, damit sie geheiligt seien. Dann wurde das erste Opfer dargebracht. Und eine Wolkensäule bedeckte das Zelt und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte es. Sooft nun Moses und Aaron den Herrn befragen wollten, gingen sie in das Allerheiligste und der Herr redete zu ihnen vom Gnadenthron der Bundeslade aus.

Als später König David sein Königtum durch zahlreiche Kämpfe gesichert, die Stadt Jerusalem erobert und zu seiner Residenz erkoren hatte, da ließ er neben seinem Palast das Bundeszelt aufschlagen und die Bundeslade zu sich auf den Sionsberg holen, damit sie dort ihre Ruhestätte fände. In einem feierlichen Triumphzug, bestehend aus 30.000 seiner besten Krieger und dem ganzen Volk, geleitete sie David durch den Dienst der Priester und Leviten nach Jerusalem. Viele Opfer ließ der fromme König dabei auf der Wegstrecke darbringen, sang den 24. Psalm und tanzte voll freudiger Begeisterung vor der heiligen Lade, bis sie ihren Ruheort inmitten Jerusalems, auf der Höhe des Sion, gefunden hatte. Mit einem letzten Brand- und Friedopfer, mit einem Segen für das Volk und einem allgemeinen Festmahl schloß David diesen freudigsten Tag seines Lebens, an dem er die Lade des Herrn an ihren Bestimmungsort verbracht hatte (vgl. 2. Sam. 6). Das war die Bundeslade des Alten Testamentes. Sie ist, wie alles im Alten Bund, ein schattenhaftes totes Vorbild, welches im Neuen Bund seine vollkommene lebendige Erfüllung findet.

Die Arche des Neuen Bundes

Stellen wir also der toten Bundeslade des Alten Bundes die lebendige des Neuen Bundes gegenüber.

Auch die „Arche des Neuen Bundes“ wurde nach göttlichem Ratschluß von der Hand eines Künstlers gefertigt. Wer ist dieser Künstler? Es ist kein Geringerer als Gott selbst. Gott-Vater ordnete sie an. Gott-Sohn, die Ewige Weisheit, ersann ihre edle Ausstattung; und Gott-Heiliger-Geist brachte sie in staunenswerter Vollkommenheit zur Ausführung. Gott selbst, der Urheber aller Heiligkeit, hat Maria als die lebendige Lade Gottes gebildet.

Dabei bediente er sich der vorzüglichsten Materialien. Nicht Akazienholz und Gold. Diese waren nur Vorbild und Hinweis auf die übernatürlichen Baustoffe Gottes. Auch Maria sollte gewissermaßen aus unverweslichem Akazienholz gebildet sein durch ihre unbefleckte Empfängnis.

Denn warum gibt es Verwesung und Zerfall? Sie sind Folgeerscheinungen des Todes. Was aber ist die Ursache für den Tod? Wir kennen die Antwort des Völkerapostels: „Durch einen einzigen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod. Und der Tod ist auf alle Menschen übergegangen, weil alle sündigten haben.“ (Röm. 5,13). Die Sünde ist die Ursache des Grauens von Tod und Verwesung.

War die tote Lade des Alten Bundes damit gesegnet, daß sie aus unverweslichem Akazienholz verfertigt war, so mußte die lebendige Arche des Neuen Bundes aus einem makellosen Leib bestehen, der von einer durch jegliche Sünde gänzlich unangetasteten, unbefleckten Seele bewohnt wurde. Die Unbefleckte Empfängnis ist also die Grundlage, auf welche Gott nun Schicht für Schicht das übernatürliche Gold des Himmelreiches auftrug. Wenn das irdische Gold schon über einen einzigartigen Glanz verfügt, der es über alle übrigen Metalle herausragen läßt, so übertrifft das Gold der göttlichen Gnade, von welchem Maria ganz und gar umhüllt ist, denselben bei weitem, sah sie doch der hl. Johannes als eine „Frau, mit der Sonne umkleidet, den Mond zu ihren Füßen und auf ihrem Haupt einen Kranz von zwölf Sternen“ (Offb. 12,1). Mit allen Gaben und Früchten des Heiligen Geistes ist sie geschmückt wie mit Edelsteinen. Und wie Perlen reiht sich an ihr Tugend um Tugend, wie das Kirchenlied ausschmückend hinzufügt: „Sie strahlt im Tugendkleide, kein Engel gleichet ihr; die Reinheit ihr Geschmeide, die Demut ihre Zier.“ Sonnenumglänzt und sternenbekränzt, so sah der hl. Erzengel Gabriel die neue Bundeslade in dem verborgenen Kämmerlein von Nazareth stehen, und ihr Anblick bewog ihn zu dem ihre ganze Schönheit zusammenfassenden Gruß: „Gegrüßet seist du Gnadenvolle, der Herr ist mit dir.“ (Lk. 1,28).

Doch wie die Bundeslade nicht um ihrer selbst willen aus so edlen Materialien verfertigt war, sondern um eines höheren Zweckes willen, so war es auch bei Maria. Sie ist die unbefleckt Empfangene, die Gnadenvolle, die immerwährende Jungfrau, um des Inhaltes willen, der nach Gottes Ratschluß in sie hineingelegt werden sollte.

Anstatt der steinernen Tafeln mit den zehn Geboten sollte sie in ihrem Schoß den Gesetzgeber des Neuen Bundes tragen; das fleischgewordene Wort Gottes, das nicht mehr über den Umweg des toten Buchstabens, sondern mit machtvollen Worten zu den Menschen sprechen sollte. Und wie sich in der glatten Goldoberfläche der alttestamentlichen Lade alles gespiegelt hat, so sehen wir an Maria das vollkommene Spiegelbild des neutestamentlichen Gesetzes der Gottes- und Nächstenliebe. In Maria sehen wir die Erfüllung des göttlichen Gesetzes.

Moses hatte in die Bundeslade den blühenden Stab des Priesters Aaron hineingelegt. Aus Maria, der Wurzel Jesse, ist der ewige Hohepriester nach der Ordnung des Melchisedech entsprossen. Und ja, auch Maria selbst hat sich als der „gute Baum“ erwiesen, der nicht nur grünt und blüht, sondern der ausschließlich „gute Früchte“ hervorgebracht hat.

Das Manna aber, das in Maria hineingelegt wird, das ist derjenige, der von sich gesagt hat: „Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben das Manna in der Wüste gegessen und sind gestorben. Wer dieses Brot ißt, wird leben in Ewigkeit.“ (Joh. 6,48 f.).

Was Wunder also, wenn damals schon die alttestamentliche Bundeslade von König David auf den Sionsberg erhöht wurde, daß Christus, der König der himmlischen Herrlichkeit, an dem Tag, da Maria ihren irdischen Wandel vollendet hatte, ihren makellosen Leib und ihre unbefleckte Seele in einem Triumphzug in den Himmel einführte, der an Glanz und Herrlichkeit nur von seiner eigenen Himmelfahrt übertroffen wurde.

Der hl. Johannes von Damaskus führt dazu aus: „David, ihr Vater, frohlockt, mit ihm singen im Chor die Engel, es preisen sie die Erzengel; die Mächte verherrlichen sie, die Fürstentümer jubeln, die Kräfte lobsingen ihr, die Herrschaften freuen sich, die Throne begehen den festlichen Tag, die Cherubim loben sie, die Seraphim künden ihre Herrlichkeit. … Da sie hienieden schon ein lebendiger Himmel war, wird sie in die himmlischen Wohnungen aufgenommen. Wie könnte sie auch den Tod verkosten, sie, aus der uns allen das wahre Leben zugeflossen ist? … Wie könnte der Tod diese wahrhaft selige Frau verschlingen, die ihr Ohr (nicht wie Eva der Schlange, sondern) dem Worte Gottes lieh; die durch die Wirkung des Heiligen Geistes Mutter wurde, die auf die geistige Begrüßung durch den Engel hin ohne sinnliche Freude und ohne Umgang mit einem Manne den Sohn Gottes empfing, die Ihm ohne Schmerzen das Leben schenkte und sich ganz Gott weihte? Wie könnte die Totenwelt diese aufnehmen? Wie könnte Verwesung diesen Leib erfassen, in den das Leben aufgenommen wurde? … Denn wenn Christus sagt: ‚Wo Ich bin, da soll auch Mein Diener sein‘, wird da nicht erst recht Seine Mutter bei Ihm sein?“

Ja, seitdem Maria mit Leib und Seele in den Himmel erhöht worden ist, ist sie gleichsam der Thron der Gnade. Wer sich an sie wendet, zu dem läßt sich der allheilige Gott in Seiner unendlichen Güte, Milde und Barmherzigkeit herab, wie sich im Alten Bund die Wolkensäule auf die Bundeslade herabließ, um mit Moses und Aaron zu sprechen. Und keiner, der sich an Maria wendet, wird mit leeren Händen von dannen ziehen. Gewiß werden wir nicht immer das erhalten, worum wir bitten, doch jedes Gebet, das wir durch die Vermittlung Mariens an Gott wenden, wird nicht ungehört und nicht unerhört bleiben, sondern stets Segen bringen.

Der Triumphzug Mariens ist noch nicht zu Ende. Auch wenn die Gottesmutter in den Höhen des himmlischen Jerusalem ihre Ruhestätte gefunden hat, so soll die Festfreude über die Heimholung der neutestamentlichen Bundeslade in Ewigkeit nicht abreißen.

„O wenn du dich erkenntest!“

Auch wir wollen uns heute in diese ewige Prozession hinauf zum himmlischen Jerusalem in das Gefolge der Gottesmutter einreihen, als Kinder Gottes, als Streiter Christi, als Priester Jesu Christi. Und das geschieht, wenn auch wir uns selbst zu einer Arche des heiligen Gottes machen.

Auch unsere Seele ist ja durch den göttlichen Künstler, den Heiligen Geist, mit übernatürlicher Schönheit ausgestattet worden. Bei der hl. Taufe wurde sie in das Gold der heiligmachenden Gnade getaucht, mit den sieben Gaben des Heiligen Geistes und den übernatürlichen Tugenden geschmückt. Daran erinnert uns der große Theologe Matthias Joseph Scheeben, wenn er uns zuruft: „O wenn du dich erkenntest, goldene Bundeslade, nicht des Alten, sondern des Neuen Bundes, Altar der göttlichen Majestät, Schatzkammer der Gaben des Heiligen Geistes, Tempel des lebendigen Gottes!“ (Herrlichkeiten der göttlichen Gnade; S. 143).

An uns ist es, daß wir unsere Seele überziehen mit dem Feingold der Liebe zu Gott; daß unser Herz nicht wie steinerne Tafeln seien, in die zwar das göttliche Gesetz eingeschrieben, aber doch tot ist, weil es nicht zur Ausführung im Fleische gebracht wird, durch die standesgemäße Übung der Tugenden.

Auch in unserer Seele soll der Stab Aarons erblühen, indem wir unsere guten Werke, aber auch unsere Opfer, unsere Überwindungen, unsere Nöte und Leiden mit dem hl. Meßopfer verbinden, wodurch sie durch das göttliche Edelreis, den ewigen Hohenpriester Jesus Christus, veredelt werden und vor Gott Wohlgefallen finden können.

Zwei Hilfsmittel werden uns auf dem steilen Prozessionsweg in den Himmel hinauf Kraft und Ausdauer vermitteln. Einmal der Genuß des himmlischen Mannas, das uns Maria darbietet. Sie hat ja dem Sohn Gottes ihr makelloses Fleisch und Blut geschenkt, damit jeder, der davon unter der Gestalt des Brotes und des Weines davon ißt, nicht sterbe, sondern das ewige Leben habe. Wenn Maria uns in der hl. Kommunion so eng mit ihrem göttlichen Sohn vereint sieht, dann fühlt sie sich kraft dieser Blutsgemeinschaft umso mehr als unsere Mutter.

Das andere Hilfsmittel ist der immerwährende Zutritt zu Maria. Dieser Zutritt zum Thron der göttlichen Gnade steht uns allezeit offen. Die Gottesmutter ist „die fürbittende Allmacht“ bzw. „die Allmacht auf Knien“, wie man sie schon genannt hat. Sie wird gewiß die ganze Macht ihrer Fürsprache einsetzen, um uns zu helfen, daß wir die geistliche Arche Gottes, unsere vom Heiligen Geiste geheiligte Seele, dorthin retten, wo Maria, die geheimnisvolle Arche des Neuen Bundes, zur Ehre Gottes strahlt; daß also auch wir ihr nachfolgen in ihrer glorreichen Himmelfahrt. Amen.

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