Von der stillen Heimsuchung Gottes

Geliebte Gottes!

Eine erfahrene Schulleiterin, die sehr viel Erfahrung mit schwererziehbaren Kindern gesammelt hatte, gab uns Seminaristen auf einem Pädagogikseminar während unseres Studiums einen sehr guten Ratschlag.

Wie bekomme ich Ruhe in die Klasse?

Die Frage lautete: „Was kann ein Lehrer tun, wenn seine Klasse besonders laut und unruhig ist?“ Wenn die Kinder aller Ermahnungen zum Trotz ungeniert weiterschwätzen, spielen oder sogar schreiend herumtoben, so laut, daß man sich selbst nicht mehr hören kann? Eine Situation, wie sie heute viele Menschen, die mit Kindern zu tun haben, vorfinden – nicht nur Lehrer in der Schulklasse. Eine Schwierigkeit, vor der nicht wenige entnervt kapitulieren. Was ist also zu tun, um einem solchen Radau ein Ende zu setzen? Muß der Lehrer noch lauter schreien, um den Lärm zu übertönen? Oder soll er mit voller Wucht auf den Tisch schlagen, um seine Autorität geltend zu machen? Nein! Diese Schulleiterin hatte mehrmals eine ganz andere Erfahrung gemacht: Um diese ungezogenen, aufsässigen Kinder zu beruhigen, muß der Lehrer ruhig sein. Er muß ganz leise reden oder eventuell ganz schweigen. Er muß geduldig warten. – Diese Ruhe zieht die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich, und die Kinder werden dadurch zum Stillsein bewegt.

Dieser Ratschlag ist von großer Bedeutung, um das große Geheimnis von Weihnachten zu verstehen. Derselben Pädagogik ist nämlich unser Herr Jesus Christus selbst gefolgt. – Um ein erfülltes Weihnachtsfest am kommenden Donnerstag begehen zu können, scheint es deshalb für uns hilfreich zu sein, diese Pädagogik Gottes genauer kennenzulernen.

Der Lärm der Geschichte

Im Evangelium des heutigen Sonntags beschreibt der hl. Evangelist Lukas mit der ihm eigenen wissenschaftlichen Genauigkeit die politische und religiöse Weltlage beim Auftreten des hl. Johannes des Täufers. „Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Landpfleger von Judäa, Herodes Vierfürst von Galiläa, sein Bruder Philippus Vierfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Vierfürst von Abilene war. Unter den Hohenpriestern Annas und Kaiphas.“ Und schon vorher, im zweiten Kapitel seines Evangeliums, hat er mit ähnlicher Genauigkeit den politischen Hintergrund bei der Geburt Christi beschrieben: „Es begab sich aber in jener Zeit, da erging ein Befehl des Kaisers Augustus, daß der ganze Erdkreis aufgezeichnet werden sollte. Diese war die erste Volkszählung, die stattfand, als Cyrinus Statthalter von Syrien war. Alle gingen hin, um sich aufschreiben zu lassen.“

Ja, man kann die Lage der antiken Welt unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Unter anderem darf man sagen, daß die politische und religiöse Welt der damaligen Zeit mit ihrer Betriebsamkeit, ihrem Lärm, ja ihrem Radau einer aufgewühlten, aufmüpfigen und lauten Schulklasse glich. Im römischen Reich hörte man den Lärm der Baustellen von Stadien, Thermen, Straßen, Tempeln und Aquädukten. Dazu das Getöse von Waffen, Kriegen und Triumphzügen. Den Aufschrei der Rebellion aus dem Mund der von den Römern eroberten und unterjochten Völker. Schließlich noch die Aufregung und Geschäftigkeit im Zuge der von Kaiser Augustus angeordneten Volkszählung. Da erhoben sich die Einwohner eines ganzen Weltreiches, um an ihre Geburtsstätten zu reisen. Ja, mit einem Wort: Die damalige Welt des Imperium Romanum ließ einzig und allein den Lärm des menschlichen Erfolgs, der menschlichen Macht, des Hochmuts und der Eitelkeit hören.

Und nicht anders war es bei den Juden. Dort herrschte ebenfalls ein ähnlicher Lärm. – Wie der hl. Lukas bezeugt, war das jüdische Reich in vier Fürstentümer zerschlagen. Und diese politische Zersplitterung entspricht genau dem Zustand der Geister. Eine Vielzahl von Führern. Eine Vielzahl von Parteiungen und gegensätzlichen Meinungen. Man hört bei ihnen den Lärm des Zankes, der Eifersucht, der Spaltungen, der Verleumdungen und der Begierde. Es herrscht ein unbeschreiblich lautes Chaos. Zur Zeit der Geburt Christi herrschte ein allgemeines Getöse.

Vor diesem konkreten gesellschaftlichen Hintergrund nun sollte der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, Mensch werden und inmitten des auserwählten Volkes auftreten. – In diesem tosenden Lärm sollte das unerschaffene Wort Gottes hörbar werden, sollte seine Stimme zur Geltung kommen.

Alles war schon vorbereitet: Die Jungfrau Maria, die Unbefleckte Empfängnis, war bereits aus Gottes Schöpferhand hervorgegangen. Das vollkommenste Werkzeug war da, um das gewaltige Wunder der Menschwerdung ins Werk zu setzen. Schon hat die Jungfrau empfangen vom Heiligen Geist und befindet sich auf dem Weg nach Bethlehem. Was aber sollte Gott tun, um dem ewigen Wort, das am Anfang bei Gott war und selbst Gott ist, durch das alles erschaffen worden ist und nichts geworden ist außer durch dieses göttliche Wort – was sollte Gott tun, um sich im lärmenden Toben der Menschen Gehör zu verschaffen? Um in dieser unerträglichen Geräuschkulisse Aufmerksamkeit zu erregen? – Sollte Er noch lauter schreien? Sollte Gott Seine Allmacht der menschlichen Kraft entgegensetzen? Sollte Er die Stille der Menschen gewaltsam erzwingen? Einmal so richtig dreinschlagen, wie es sich so mancher in seinem Eifer wünschen würde? – Man möchte es fast meinen, denn seit drei Wochen betet die Kirche täglich: „Excita, Domine, potentiam tuam, et veni“ – „Biete, Herr, deine Macht auf und komm“. Und die Oration der heutigen Messe fügt hinzu: „Eile uns zu Hilfe mit starker Macht“! Und wir wissen, wie gewaltig und fürchterlich diese Macht Gottes sein kann. – Nun, wie sollte also die Allmacht Gottes, das ewige Wort Gottes, in dieser Welt erscheinen?

Gott im leisen Säuseln

Um uns die Pädagogik Gottes an Weihnachten klarzumachen, müssen wir uns kurz eine Gestalt aus dem Alten Testament in Erinnerung rufen.

Der Prophet Elias wurde im Jahre 856 v. Chr. zum Volk Israel gesandt, um es von seinem Abfall zum Götzendienst zu bekehren. Nach zahlreichen verschiedenen Ereignissen zog der Prophet Elias vierzig Tage und vierzig Nächte durch die Einöde und Wüste bis zum Gottesberge Horeb. Da wurde ihm die Strategie Gottes geoffenbart. Ja, Gott wollte ihm zeigen, wie er das Volk und die Menschheit eines Tages retten wollte. Elias stand traurig, erschöpft und ratlos in einer dunklen Felsenhöhle des Berges Horeb. „Da befahl der Herr. Tritt hinaus und stelle dich auf dem Berg vor den Herrn hin. Siehe, da zog der Herr vorüber. Ein starker, mächtiger Sturm, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach, ging vor dem Herrn einher. – Doch im Sturm war der Herr nicht. – Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. – Doch der Herr war nicht im Erdbeben. – Nach dem Erdbeben kam ein Feuer. Doch auch im Feuer war der Herr nicht. – Nach dem Feuer aber kam ein leises – zartes – Säuseln.“ – Und Elias hat hier die Pädagogik Gottes genau verstanden. Denn die Hl. Schrift berichtet weiter von ihm: „Elias vernahm es, verhüllte sein Gesicht“ zum Zeichen der Anbetung „in seinen Mantel.“ Ja, Gott ist da. Gott ist zugegen. Da kann der Mensch sich nur anbetend neigen. Wer ist Gott? Und was bin ich vor Ihm? Ich will Ihn anbeten!

Gott war nicht im Sturm der Eitelkeit und des menschlichen Erfolgs. Gott war nicht im Erdbeben der Kriege und auch nicht im Feuer der Leidenschaften. Gott offenbarte sich im zarten Säuseln! Gott wollte schweigsam, bescheiden, schwach in die Welt eintreten – wie ein unbemerkter, leichter Luftzug. Bevor Gottes Wort zu sprechen begann, bevor er in Worten und Taten in das Geschehen der Welt einzugreifen begann, wollte Gott den Menschen zur Ruhe, zur Schweigsamkeit führen. Und durch diese Ruhe zur Gelehrigkeit.

Gewiß, eines Tages, am Ende der Welt, wird unser Herr Jesus Christus im Sturm und im Feuer, d. h. in Seiner unwiderstehlichen Macht und Herrlichkeit, erscheinen. Aber eben, das wird dann das Ende sein. – Bei Seiner Ankunft an Weihnachten handelt es sich noch nicht um das Ende, noch nicht um das Ziel, sondern um das Mittel, um die Welt zur Ruhe zu bringen. Die stille Wirkung der Demut und der Milde, Sein unbemerktes Wirken in den Seelen, das sind die Mittel, welche die Menschen kaum wahrnehmen, weil sie göttlich sind. Als Jesus in Bethlehem geboren wurde, hat man davon in Rom auf dem Forum oder in den Hallen des Senats nichts mitbekommen. Auch auf den Plätzen Jerusalems oder bei der Versammlung des Hohen Rates wurde nichts davon geredet. Sein Erscheinen hat keinen Lärm gemacht. Aber es hat uns gerettet! Ja, Gott wird mit voller Macht als Erlöser eingreifen: Gott beweist Seine Kraft, indem Er schwach geworden ist. Er beweist Seine Größe, indem Er klein geworden ist. Gott beweist Seine Gerechtigkeit, indem Er sich in Barmherzigkeit zu uns herabgelassen hat. Und warum? Eben, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erlangen, um die Welt zum Aufhorchen, zum Aufmerken und zur Ruhe zu bewegen. Und von dort zur Gelehrigkeit, zum Staunen und zur Liebe zu führen.

Wir alle müssen uns diese göttliche Pädagogik sehr gut einprägen. Sie ist für uns von sehr großer Bedeutung. Die Anwendung auf unsere Zeit ergibt sich ja von selbst: Das Leben in unserer Welt macht einen furchtbaren Lärm. Der Lärm der Medien, insbesondere der sozialen Netzwerke, die Tag für Tag durch Klingel-, Pieps- und Trillertöne unsere Aufmerksamkeit in Bann schlagen. Dann die beunruhigenden Nachrichten über die sich verschärfende Kriegsrhetorik und Kriegsvorbereitungen, über den Niedergang der Wirtschaft, die rapide steigende Arbeitslosigkeit und über die sich daraus ergebende Gefahr sozialer Verwerfungen. Dazu der Krach des tagtäglichen Wettstreits um Geld und Erfolg; der Schrei der Gottlosigkeit und des Lasters; das Getöse der Technik und der erregten menschlichen Leidenschaften. Dieser Krach ist im Grunde nichts anderes als ein Widerhall des unerträglichen Lärms der Hölle. – Und leider, um ehrlich zu sein, lassen wir in unsere Seele zu oft den Lärm der Welt eindringen. Er macht uns rast- und ruhelos, ja, kann sogar zu nervösen Spannungen führen. Statt der heiligen Stille von Bethlehem hört man in uns viel zu viel Lärm der Empfindlichkeit und der Kritik, den Lärm der Eifersucht und kleinlicher Eitelkeit sowie den Lärm der Ungeduld und der Überheblichkeit.

Was erwarten wir also vom kommenden Weihnachtsfest? Wird es ein lautes, außergewöhnliches, spektakuläres Ereignis? Erwarten wir eine gewaltige Erscheinung Gottes? Nein, heute wie vor 2000 Jahren will Gott durch die Stille eingreifen. Am kommenden Weihnachtstag will Gott dieselbe Pädagogik benutzen, wie Er sie dem Propheten Elias geoffenbart hat. Er ist ein erfahrener Lehrmeister. Gott weiß, daß die Stille und Ruhe das einzige geeignete Mittel sind, um uns Menschen innerlich zu beruhigen und um uns zur Besinnung und zur Reue zu führen.

Die Heimsuchung Gottes

Fest steht: Gott will in den Tagen der heiligen Weihnacht auf besondere Weise in unserer Seele wirken. Diese erneute Heimsuchung Gottes in unserer Seele wird jedoch keinen Lärm machen. Dieser Schatz der Gegenwart und des Wirkens Gottes wird der Welt und den weltlichen Empfindungen verborgen bleiben. Es ist bewundernswert, wie der allmächtige Gott so leise sprechen und wirken kann. Tatsächlich besucht Er ständig unsere Seele. Jeden Tag, ständig, spricht Gott in unserer Seele! Etwa in Form eines kleinen Lichtes, das uns unsere Fehler zeigt; ein fast unbemerkter Einfluß der Gnade, der uns dazu bereit macht, dem Nächsten zu verzeihen; ein leises Säuseln unseres Gewissens, welches uns empfiehlt, ein Wort der Kritik hinunterzuschlucken. Das ist die Heimsuchung Gottes. Sehr oft jedoch bemerken wir diese Heimsuchung Gottes überhaupt nicht. Wir sind zu laut! Wir machen zu viel Lärm.

Falls Sie es noch nicht gemacht haben: Stellen Sie zu Hause eine schöne Krippe auf! Mit Hirten, Schafen, Hunden, Bäumen und Sternen; mit allem, was Ihnen zur Verfügung steht. Doch dann lassen Sie uns auch darauf achten, wie auffällig die Stille, die Ruhe, die Bescheidenheit dieser Krippe anhaften. Alles wacht! Alles wartet aufmerksam und hellhörig auf das bald kommende Wort Gottes. Alles schweigt, um das ewige Wort zu hören. Lassen wir uns von dieser Ruhe ergreifen. Lassen wir durch diese Ruhe den Lärm der Welt, den Lärm unserer Sorgen, unserer Ängste und unserer Ansprüche, den Lärm unserer Rast- und Ruhelosigkeit in uns verstummen, damit es uns nicht so geht wie den Einwohnern von Bethlehem. Diese waren damals viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und von dem Lärm, den die Volkszählung verursacht hatte, eingenommen. Deshalb haben sie den Herrn nicht erkennen können. Deshalb haben sie Seine leise Bitte um Herberge nicht gehört und Ihn von ihrer Schwelle abgewiesen.

Nur in der Stille kann sich die Seele sammeln. Nur in der Stille kann eine Seele die Tür ihres Inneren für Gott öffnen und zu Ihm sprechen: „Komme zu mir, mein Herr und mein Gott, mein Schöpfer und mein Erlöser! Wie sehnt sich meine Seele nach Dir und nach Deinem Frieden. Tritt ein! Mein Herz soll Dir eine Herberge, ein Kripplein sein. Tritt ein in meine Armut und bereichere mich. Tritt ein in meine Finsternis und erleuchte mich. Tritt ein in mein Schweigen. Dann rede, Herr, Dein Diener hört!“ So muß die Seele in stillem Sehnen beten.

Das Gebot der Stunde und der letzten Tage vor Weihnachten lautet also: Die Stille der inneren Sammlung suchen. In der Krippe meiner Seele darf nicht der Lärm der Ungeduld, der Unversöhnlichkeit oder des Anspruchsdenkens herrschen. Stattdessen muß dort das Feuer der Gottes- und Nächstenliebe die Wärme des Wohlwollens, des Verzeihens und der sehnsüchtigen Freude verbreiten.

In diesem Zustand des Schweigens und der Sammlung muß meine Seele beständig leben, damit sie die leise Stimme Gottes wahrnehmen und dem leisen Säuseln Seines Wortes mit Fügsamkeit Folge leisten kann. Dann erst wird dieses Weihnachtsfest in unserer Seele, in unserer Familie, in unserem Umfeld, ja und vielleicht auch noch einmal in der Welt etwas verändern können; nämlich die Bekehrung, die Heiligung, die Erlösung. – Möge uns das heilige Paar – die allerseligste Jungfrau Maria und der hl. Joseph –, das einsam und in stiller Anbetung die heilige Nacht durchwacht hat, diese Gnade der Stille in unserem Herzen erflehen, in der wir Gottes gnadenhafte Heimsuchung empfangen können. Amen.

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