Fest des hl. Laurentius
Von der Fruchtbarkeit des Weizenkornes
Geliebte Gottes!
Das Laurentiusfest war in Rom bis ins Mittelalter hinauf jenes Heiligenfest, welches nach der Festfeier der hll. Apostelfürsten Petrus und Paulus mit der größten Feierlichkeit begangen wurde. Das grausame und zugleich ruhmvolle Martyrium des gefeierten Erzdiakons aus dem 3. Jahrhundert machte offenbar einen so tiefen Eindruck auf die römischen Christen, daß auch zum Jahresgedächtnis des hl. Laurentius nicht nur eine, sondern mehrere hl. Messen für ein und dasselbe Fest gehalten wurden (vgl. „Liber Sacramentorum“; Bd. 8, S. 148 f.), was sonst nur an Weihnachten und am Fest der Apostelfürsten üblich war.
Der hl. Laurentius und sein ruhmvolles Martyrium
Wer war also dieser, bei den römischen Christen so hochangesehene Diakon Laurentius? – In Vesca, einer Stadt Aragoniens in Spanien geboren, war der hl. Laurentius ein Schüler des hl. Papstes Sixtus II. (257–258). Aufgrund seiner Vorzüge, insbesondere wegen seiner jungfräulichen Gesinnung, wurde er als junger Mann in die Zahl der sieben römischen Diakone aufgenommen und wenig später als Erzdiakon über alle anderen Diakone gestellt. Als solcher hatte Laurentius den unmittelbaren Altardienst an der Seite des Papstes, wenn dieser das hl. Opfer darbrachte, und außerdem auch die Verwaltung der Kirchengüter und die Sorge um die Armen zu versehen.
Im Jahr 257 brach auf Anordnung des Kaisers Valerian eine blutige Christenverfolgung los, wobei sich die Verfolger in erster Linie auf die Liquidierung der Bischöfe und Priester konzentrierten. So wurde auch Papst Sixtus ergriffen und am 6. August 258 zur Enthauptung geführt.
Laurentius wünschte so sehnlichst, mit seinem geistlichen Vater zu sterben, daß er ihm auf dem Weg zur Richtstätte hinterhereilte und ausrief: „Vater, wohin gehst du ohne deinen Sohn? Wohin eilst du, gottgeweihter Priester, ohne deinen Diakon? Du hast doch sonst nie das Opfer ohne deinen Diener dargebracht!“ Diese opferfreudige und todesmutige Klage beantwortete der Papst mit einer Prophezeiung: „Geliebter Sohn! Dir ist ein größerer Kampf für den Glauben an Christus aufbewahrt. In drei Tagen wirst du mir folgen. Bewahre den Schatz der Kirche.“
„Bewahre den Schatz der Kirche“, so lautete der letzte Befehl des scheidenden Papstes, und Laurentius wußte wohl, was damit gemeint sei. Gehorsam machte er sich sofort an die Ausführung und teilte das Kirchenvermögen, das ihm zur Verwaltung anvertraut war, unter die Armen aus. Nichts davon durfte den Heiden in die Hände fallen, damit nicht die Notleidenden ihrer Güter beraubt würden.
Eingedenk der Worte des Völkerapostels, die wir soeben in der Epistel gehört haben, wußte der hl. Laurentius, in welchem Geiste die Spenden gegeben werden müssen, damit sie vor Gott wohlgefällig wären. Sie müssen aus freien Stücken gegeben werden, nicht als lästige Pflicht. Sie sollen in hochherziger Weise gegeben werden; also von einem Spender, der sich als Verwalter jener Güter versteht, die ihm von Gott in die Hände gelegt wurden, um damit anderen Wohltaten zu erweisen. Hören wir noch einmal den Völkerapostel: „Brüder, wer sparsam sät, wird auch sparsam ernten. Wer aber reichlich sät, wird auch reichlich ernten. Jeder gebe, wie er in seinem Herzen sich vorgenommen hat, nicht mit Traurigkeit oder aus Zwang; denn Gott liebt einen freudigen Geber.“ (2. Kor. 9,6 ff.). In dieser Gesinnung veräußerte Laurentius selbst die kostbaren Kirchengeräte, denn er wußte, daß Gott, der das Samenkorn in der Erde wachsen und zu Ähren reifen läßt, die Frucht der Almosen, die man Ihm in der Person der Armen gibt, sowohl in dieser als auch in der nächsten Welt vermehren wird. Wie ein Sämann den Saatweizen auf dem Felde ausbringt, so schritt Laurentius mit vollen Händen durch die Reihen der Armen und füllte jede Furche einer leeren Hand reichlich mit Gütern. Damit erwies er sich als jener gottesfürchtige Mann, den der 111. Psalm mit den Worten seligpreist: „Reichlich hat er ausgestreut unter die Armen. Seine Gerechtigkeit bleibt für immer und ewig. Seine Kraft wird erhöht in Herrlichkeit.“ (8). Und in der Tat sollte schon wenige Tage später die Saat der großzügigen Almosen des hl. Laurentius aufgehen und ihm als reichliche Ernte die Gnade des Martyriums einbringen, wodurch seine Gerechtigkeit verewigt und seine Tugendkraft in staunenswertem Maße „erhöht wurde in Herrlichkeit“.
Der kaiserliche Statthalter hatte nämlich Laurentius – vielleicht durch dessen Wortwechsel mit Papst Sixtus auf dem Weg zu dessen Hinrichtung, wo der „Schatz der Kirche“ erwähnt wurde – als Hüter des Kirchenvermögens ausfindig gemacht und versprach sich durch die Ergreifung des Erzdiakons auch den Zugriff auf die sagenumwobenen Reichtümer und Schätze der römischen Kirche, von deren märchenhaftem Ausmaß ihm Gerüchte zugetragen worden waren. Vor seinem Richterstuhl bekannte sich Laurentius offen als Christ und bestätigte dem Statthalter auch, daß die Kirche tatsächlich über Schätze verfüge, welche die des Kaisers an Kostbarkeit bei weitem überträfen. Laurentius erbat sich eine kurze Frist, um einen Teil davon zusammenzutragen, dann würde er sie dem Statthalter zeigen. Und als die Zeit verstrichen war, da stellte Laurentius dem kaiserlichen Verwalter die Armen und Verachteten, die Lahmen und die Blinden, die Kranken und die Ausgestoßenen vor mit den Worten: „Siehe, das sind die unvergänglichen Schätze unserer Kirche.“ Strahlender als Gold und Diamanten leuchtet in ihren Herzen das Licht des Glaubens.
Daraufhin entbrannte der enttäuschte und gedemütigte Räuber vor Wut und versuchte nun, nachdem es kein Geld mehr gab, das er dem hl. Laurentius hätte entreißen können, ihm doch wenigstens das kostbare Gut des Glaubens durch grausame Martern zu rauben.
Da die leichten Grade der Folter nichts ausrichteten, ordnete der Richter schwerere an. Schließlich befahl der grausame Statthalter, den zerfleischten, durch einschneidende Geißelhiebe übel zugerichteten Leib des Laurentius auf einem eisernen Rost über einem schwachen Feuer zu braten, damit die Qualen weiter vermehrt, aber der Tod hinausgezögert würden. Trotz der entsetzlichen Brandwunden blieb der hl. Laurentius jedoch ruhig und heiter. Ja, er forderte den Statthalter sogar auf: „Siehe, die eine Seite ist nun genug gebraten. Wende mich nun um auf die andere. Und dann iß!“
Der Rost, auf dem der hl. Laurentius gebraten wurde, wird heute in der Kirche „S. Lorenzo in Lucina“ aufbewahrt. Der hl. Papst Damasus, der im Jahr 366 in diesem Gotteshaus zum Papst gewählt worden war, schmückte das Heiligtum mit einer seiner berühmten Inschriften: „Es ist nicht wunderbar, daß die trügerische Flamme nur droht / Und den Leib des Märtyrers verbrennt, ohne ihm zu schaden. / Sie lehrt, daß der Glaube inmitten des Feuers / Ohne rächende Strafe den Weg zum Himmel öffnet. / Dieses Feuer überwand nämlich der Märtyrer Laurentius / Und erwirkt durch seine großen Verdienste, daß er nicht stirbt.“
Der hl. Papst Leo d. Gr. gibt uns die genaue Erklärung dafür, warum das Feuer dem hl. Laurentius „ohne rächende Strafe“, d. h. ohne spürbare Qual, „den Weg zum Himmel öffnete“. Er sagt, an den heidnischen Richter des Laurentius gewandt: „Der sterbliche Leib wird deinen ausgesuchten Martern entzogen; Laurentius geht in den Himmel ein; du kannst nichts machen mit deinen Flammen. Deine Flammen konnten nicht seine heiße Liebe zu Christus bezwingen.“ Und nun kommt der Satz, der uns die wunderbare Heiterkeit des hl. Laurentius auf dem glühenden Rost erklärt: „Das Feuer, das außen brannte, war weniger stark als die Glut, die sein Inneres verzehrte.“ (in Nat. S. Laur.). Das Feuer, das außen brannte, war weniger stark als die Glut seiner Christusliebe, die im Herzen des hl. Laurentius loderte. Und derselbe hl. Papst Leo schloß seine Predigt: „So wie Jerusalem durch Stephanus verherrlicht wurde, so ist Rom berühmt geworden durch Laurentius. Fest vertrauen wir darauf, daß uns dieser Märtyrer allezeit seine Fürbitte und seinen Beistand angedeihen läßt. Der Apostel sagt: ‚Alle, die fromm in Christus leben wollen, werden Verfolgung leiden.‘ (2. Tim. 3,12). Darum soll uns der heilige Laurentius mit dem Geiste seiner Liebe stärken und mit der Ausdauer seines unerschütterlichen Glaubens rüsten, damit wir alle Versuchungen siegreich bestehen können.“
Ein beredtes Zeugnis von dem großen Vertrauen und von der hohen Verehrung der Römer für den hl. Laurentius legen insbesondere die vielen ihm geweihten Heiligtümer ab. Unter diesen tritt vor allem die prächtige Kirche „San Lorenzo fuori le Mura“ hervor, welche Kaiser Konstantin an der Via Tiburtina über dem Grab des hl. Erzmartyrers errichten ließ. Sie wurde von mehreren Päpsten weiter ausgebaut und ausgeschmückt und zählt bis heute zu den sieben Hauptkirchen der Ewigen Stadt. Ja, bis in die neuere Zeit herauf stand sie im Rang sogar über dem größten Marienheiligtum Roms, über „Santa Maria Maggiore“.
Aber auch an allen anderen Stätten, an die sich eine Erinnerung an das Leben oder an das Martyrium des hl. Laurentius knüpfte, errichteten ihm die Römer Gotteshäuser: So befindet sich auf dem Viminal „S. Lorenzo in Formoso“, an dem Ort „wo er verbrannt wurde“ (auch „in Panisperna“ genannt). Bei -„S. Lorenzo in Fonte“- soll der hl. Erzdiakon seinen Kerkermeister Romanus getauft haben. Dieser war von seinem Bekenntnis so beeindruckt, daß er Laurentius um die Taufe bat und wie dieser als Märtyrer in den Himmel einging. Das Fest des hl. Roman wurde gestern begangen. Die Kirche „S. Lorenzo in Miranda“ erhob sich über der Richtstätte; „S. Lorenzo in Damaso“ an der Stelle des Archives der römischen Kirche. An dem Ort der Kirche „S. Lorenzo in Lucina“ soll der Heilige gewohnt, bei „St. Laurentius supra Clementem“ seine Werke der Nächstenliebe an den Armen und Bedürftigen ausgeübt und in „St. Laurentius beim Cyriakustitel“ das Verhör bestanden haben. Außerdem befanden sich im Mittelalter beim Vatikan, am Lateran und in den verschiedenen Bezirken der Stadt eine Reihe weiterer Kirchen, die diesem hl. Märtyrer geweiht waren. Im Ganzen ungefähr 40! Nicht einmal die Apostelfürsten waren Patrone so vieler Heiligtümer.
Das Weizenkorn muß sterben
Als römisch-katholische Christen sind auch wir gewissermaßen Römer und sollen uns deshalb der Verehrung, welche die Kirche von Rom dem hl. Laurentius erwiesen hat und erweist, anschließen. Auf welche Weise sollen wir das tun? Indem wir den Heiligen nachahmen. Wie aber können wir den hl. Laurentius nachahmen? Sollen auch wir uns auf einem Rost braten lassen? Gewiß nicht. Darin können wir den hl. Laurentius nicht nachahmen, sondern sollen ihn hierfür nur bewundern. Nichtsdestotrotz hat uns der hl. Erzdiakon ein Beispiel gegeben, das wir nachahmen können, ja, das wir sogar nachahmen müssen! Denn der hl. Laurentius ist uns Vorbild als Nachahmer. Er ist uns Vorbild als Nachahmer Christi. Er ist uns Vorbild in seiner Christusnachfolge.
Von der Notwendigkeit der Christusnachfolge spricht der Heiland im heutigen Festtagsevangelium unter dem Bild des sterbenden Weizenkornes: „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch, wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht. … Wer Mir dienen will, der folge Mir nach, und wo Ich bin, da soll auch Mein Diener sein“ (Joh. 12,24 ff.). Mit diesem Wort belehrt der Herr an Seinem eigenen Beispiel, daß auch bei allen Seinen Jüngern die Leiden notwendigerweise der Verherrlichung vorausgehen müssen und daß man als Diener und Nachahmer Christi vor denselben nicht zurückschrecken darf.
Der Heiland selbst ist das Weizenkorn, das in die Erde gefallen und gestorben ist, um viel Frucht zu bringen. Von Ihm gilt zuallererst das Wort des Völkerapostels: „Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht zuvor stirbt.“ (1. Kor. 15,36). Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht zuvor stirbt.
Schon im Augenblick Seiner hl. Menschwerdung aus Maria, der Jungfrau, hat sich der ewige Sohn Gottes gewissermaßen dem Erdreich der Sterblichkeit ausgeliefert, um in dem dem Tode geweihten Menschengeschlecht vielfältige Frucht zu bringen. Das göttliche Wort kleidete sich in sterbliches Fleisch und wurde so fruchtbar. Auf welche Weise? Indem es uns durch den Vortrag Seiner Lehre dazu antrieb, die Früchte guter Werke und eine Ernte ewigen Verdienstes hervorzubringen.
Aber mit dem Almosen der göttlichen Lehre, Seiner Wunder und Krankenheilungen und all Seinen übernatürlichen Wohltaten allein konnte die Erlösung nach der bestehenden göttlichen Heilsordnung nicht gewirkt werden. Es bedurfte des Leidens und Sterbens und Begrabenwerdens des göttlichen Weizenkornes in Seiner heiligen Passion. Denn wie der hl. Paulus an die Hebräer schreibt: „Ohne Blutvergießen gibt es keine Sündenvergebung.“ (Heb. 9,22). Erst wenn das göttliche Weizenkorn in Seinem Kreuzesleiden gestorben ist, kann es die Frucht der Erlösung bringen. So hat es der Prophet Isaias vorhergesagt: „Wenn Er sich Selbst als Sühneopfer dargebracht hat, wird Er reichliche Frucht erwachsen sehen.“ (Is. 53,10–13). Der hl. Thomas von Aquin nennt drei dieser Früchte, welche aus dem Tod Christi hervorgegangen sind: 1. Die Frucht der Sündenvergebung. Sodann 2. die Frucht der Bekehrung der Heidenvölker. Und schließlich 3. die Frucht der ewigen Glorie des Himmels.
Schließlich wollte uns das göttliche Weizenkorn aber auch noch als das „Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist“, zur Speise der Unsterblichkeit werden, indem es unserer Seele die Frucht des übernatürlichen Gnadenlebens mitteilt, sie nährt und vermehrt. „Das Brot, das Ich euch geben werde“, sprach das göttliche Weizenkorn, „ist Mein Fleisch für das Leben der Welt.“ (Joh. 6,52). Auf dem Rost des Kreuzes gebacken, bringt sein Genuß ewiges Leben. „Wer Mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in Mir und Ich in ihm. Wer dieses Brot ißt, der wird ewig leben.“ (Joh. 6,57.59).
Auf diese Weise hat das göttliche Samenkorn durch Seine Erniedrigung bis in den Tod „dreißig-, sechzig- und hundertfältige Frucht getragen.“ (vgl. Mt. 13,3).
Dieses Vorbild Christi hat der hl. Laurentius in erstaunlicher Weise nachgeahmt, als er sein Leben opferte und sich auf dem Rost braten ließ. In Seiner Christusnachfolge hat er sich als wahrer Diakon erwiesen. Denn Diakon bedeutet nichts anderes als „Diener“. Der Diener Christi aber muß dem göttlichen Weizenkorn in Seiner Großzügigkeit und insbesondere in Seinem Leiden und Tod nachfolgen, um fruchtbar zu werden und um zur Glorie der himmlischen Herrlichkeit zu gelangen: „Wenn einer Mir dienen will, der folge Mir nach, und wo Ich bin, da soll auch Mein Diener sein.“ (Joh. 12,26). Von diesem Märtyrergeist war die junge Kirche ganz durchdrungen. Denn nicht umsonst wurde der Ausspruch Tertullians über die Fruchtbarkeit des Märtyrerblutes zu einem geflügelten Wort: „Das Blut der Christen ist der Same der Christenheit.“ Oder wie Papst Gregor d. Große einmal sagte: „Einer ist aus jenem Volke gestorben, auf daß viele lebendig würden. Während ein einziges Samenkorn gläubig fiel, erwuchs eine reichliche Saat.“
In dieses Sterben müssen auch wir uns in unseren jeweiligen Verhältnissen einreihen: Zuerst müssen wir der Sünde sterben; also mit der Todsünde brechen. Sodann müssen wir dem „alten Menschen“ sterben; also den Lastern und den schlechten Gewohnheiten. Schließlich müssen wir der Welt und ihrer dreifachen Begierlichkeit „Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens“ absterben, damit wir in Christus neu werden können. Ja, und wenn es die Umstände erfordern sollten, müssen wir – wie der hl. Laurentius – auch unser Blut vergießen, um die Wahrheit des katholischen Glaubens zu bezeugen.
Im Feuer der Liebe geopfert
Der entscheidende Faktor, der uns zu der geforderten Christusnachfolge befähigt, ist die Liebe. Wie sagte noch einmal hl. Papst Leo über den hl. Laurentius? „Das Feuer, das außen brannte, war weniger stark als die Glut seiner Christusliebe, die sein Herz verzehrte.“
Der hl. Augustinus spricht in seinem Werk vom „Gottesstaat“ von zwei verschiedenen Formen der Liebe. Die eine ist die Gottesliebe, die in ihrer höchsten Vollkommenheit bis zur Verachtung des eigenen Ichs reicht. Die andere, ihr entgegengesetzte, ist die Eigenliebe, die in ihrer vollendeten Ausprägung bis zur Verachtung Gottes reicht. Gottesliebe und Eigenliebe sind die beiden einander entgegengesetzten Pole der Liebe, zwischen denen sich die Herzen der Menschen bewegen. Und so lieben die einen ihr Leben für Gott und nicht für sich selbst. Das sind die Heiligen. Die anderen lieben ihr Leben allein für sich selbst. Das sind jene, die in ihrer Eigenliebe unfruchtbar bleiben und zugrundegehen. Von diesen sagt der Heiland: „Wer sein Leben liebt, der verliert es.“ Wer also sein leibliches Dasein als höchstes Gut und letztes Ziel einschätzt, wer sein Leben in vollen Zügen genießen, auf nichts verzichten, nichts ertragen, nichts mitteilen will und dadurch Gott und den Nächsten hintansetzt; wer den Glauben verleugnet und die Gebote Gottes übertritt; wer sich durch Verleugnung Christi vor weltlichen Nachteilen oder vor dem zeitlichen Tod bewahren will; wer also nichts wagen und nichts einsetzen will für Christus, der „verliert“ das ewige Leben, der richtet sich und seine Seele zugrunde für die Ewigkeit. „Liebe deine Seele nicht, damit du sie nicht verlierst“, mahnt der hl. Augustinus, „liebe sie nicht in diesem Leben, damit du sie nicht verlierst im ewigen Leben.“ (in Joan. 51,10).
Der verhängnisvollen Eigenliebe stellt der Heiland die gotthingegebene Liebe gegenüber: „Wer aber sein Leben in dieser Welt haßt“, wer also wie der hl. Laurentius um Christi, des Glaubens und der Gebote willen Hab und Gut, Genuß und Freuden, Ehre und Ansehen, ja Freiheit und Leben einsetzt, darauf verzichtet; wer sich selbst verleugnet, also „nein“ sagt zu seinem eigenen, selbstsüchtigen Begehren; wer die eigenen Interessen und Wünsche dem Willen Gottes und den Forderungen des Evangeliums unterordnet; wer das Kreuz des Alltags, alle Krankheiten, Widerwärtigkeiten und seelischen Bedrängnisse willig und tapfer annimmt, der bewahrt sich und seine unsterbliche Seele für Christus und das „ewige Leben“. Das gilt insbesondere für das stille christliche Leben im Alltag, das in manchen Fällen auch ein unblutiges Martyrium sein kann.
Zusammenfassend bemerkt der hl. Augustinus in seiner geistreichen Beredsamkeit zu dieser erstaunlichen Gesetzmäßigkeit: „Liebst du deine Seele, so ist Gefahr, daß sie zugrunde geht. Also darfst du sie nicht lieben, da du ja nicht willst, daß sie zugrunde geht. Aber indem du nicht willst, daß sie zugrunde geht, liebst du sie.“ (Serm. 368,1). „Es ist ein bedeutsamer und wunderbarer Ausspruch, wie des Menschen Liebe zu seiner Seele ihr zum Untergang gereicht, der Haß aber zur Erhaltung dient. Wenn du sie schlecht liebst, dann hassest du sie; wenn du sie aber gut hassest, dann liebst du sie.“ (in Joan. 51,10). Wenn du sie schlecht – d. h. sündhaft – liebst, dann hassest du deine Seele; wenn du sie aber gut hassest – durch Enthaltung von der Sünde –, dann liebst du deine Seele.
Tief hinab, in den Himmel hinauf!
Sowohl am Martyrium des hl. Laurentius wie auch an der Lehre des Heilandes sehen wir, daß der wahre Gottesdienst und die echte Christusnachfolge zwei große, grundverschiedene Wegstrecken haben; eine irdische und eine himmlische; eine diesseitige und eine jenseitige. Erstere führt uns auf die Pfade der demütigen, armen und verachteten Kreuzesnachfolge. Und wenn wir diesen Weg konsequent bis zum Ende gehen, führt er bis zum Tod des „alten Menschen“ in uns. Wenn der „alte Mensch“ in uns jedoch abgestorben ist, dann bringt dieses Abgestorbensein viele Frucht und der verklärte Christkönig führt uns auf der zweiten Wegstrecke, wie den hl. Laurentius, empor und hinüber in die Region Seiner Gottherrlichkeit.
Damit wir auf der ersten Wegstrecke nicht erliegen, versichert uns der hl. Paulus, der große leidgeprüfte Gottesknecht: „Ich halte dafür, daß die Leiden dieser Zeit gar nicht der Rede wert sind im Vergleich zur Herrlichkeit, die künftig an uns offenbar wird. Nur müssen wir zuerst mit Christus leiden, um mit Ihm einst verherrlicht zu werden.“ (Röm. 8,17 f.). Wie groß muß also die Seligkeit sein, wenn selbst die gewaltigen Leiden eines hl. Laurentius im Vergleich zu der daraus erwachsenden Herrlichkeit nicht einmal der Rede wert sein werden!
Wir wollen schließen mit der Bitte an den hl. Erzmärtyrer Laurentius, daß er uns durch sein Beispiel und durch seine Fürsprache bei Gott zur liebevollen Nachfolge Christi ermuntere. Mögen wir, seinem Vorbild entsprechend, dieses irdische Leben, seine Güter und Genüsse gering achten, damit wir das ewige finden. Möge uns St. Laurentius am Throne Gottes jene Gnaden erflehen, derer wir bedürfen, damit wir die Flammen der bösen Begierden in uns auszulöschen vermögen und stattdessen immer mehr vom Feuer der heiligen Gottesliebe entflammt und durchglüht werden. Möge der ruhmreiche Blutzeuge unsere Opfer der Selbstverleugnung und unser geduldiges Kreuztragen mit seinen Verdiensten befruchten, damit aus der Saat auch unserer Liebe einst jene erneuerte Christenheit erzeugt werde, in der die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wieder deutlich vor aller Welt sichtbar in Erscheinung trete – zur Ehre Gottes und zum Frieden unter den Menschen, die eines guten Willens sind. Amen.