Unser tägliches Brot gib uns heute

Geliebte Gottes!

Wie jeden Tag hasteten die Menschen in der großen Halle des Hauptbahnhofs von einem Bahnsteig zum andern. Auch eine Mutter war zusammen mit ihrem vier- oder fünfjährigen Töchterchen unter dem ganzen Treiben. Das kleine Mädchen hatte offenbar Hunger. Es zog die Mutter zur Auslage einer Imbißbäckerei, deutete auf ein Stück Gebäck und sagte mit spitzem Stimmchen: „Das will ich haben!“ Die Mutter reagierte sofort, indem sie ihre kleine Tochter ernst anschaute und wiederholte: „Ich will?“ Die Kleine hatte verstanden, änderte sofort den Tonfall und sagte: „Bitte!“

Erstaunlich ist das, weil bei weitem nicht mehr alle Eltern auf diese Dinge achten. – Das Kind muß bitten lernen. Selbstverständlich war die Mutter bereit, dem Kind zu geben, was es brauchte. Sogar mehr als es brauchte. Sogar das, was es sich wünschte! Aber das Kind muß bitten lernen! Sonst wächst etwas nicht mit in dem kleinen Kinderherzen: die Bescheidenheit, die Anspruchslosigkeit, die Rücksicht auf andere, das Wissen um die eigene Abhängigkeit. Es würde ein tyrannischer Mensch heranwachsen; ein kleiner Herrgott, der sich als den Nabel der Welt betrachtet, dem alles zu Diensten sein muß, um den sich alles zu drehen hat und der doch mit sich selbst und mit der Welt unzufrieden ist. Es ist also eine Wohltat, wenn man die Kinder bitten lehrt.

Abhängigkeitserklärung

Der hl. Paulus sagt, daß wir „Kinder Gottes“ heißen und es auch sind. Auch das Gotteskind muß bitten lernen! – Der eingeborene Gottessohn, unser Herr Jesus Christus, sagt: „Bittet, so wird euch gegeben. Suchet, und ihr werdet finden. Klopfet an, und es wird euch aufgetan. Denn jeder, der bittet, empfängt, und wer sucht, der findet und wer anklopft, dem wird aufgetan“ (Lk. 11, 9). Und Er hat uns, Seinen Adoptivgeschwistern, auch beigebracht um was wir den Vater im Himmel bitten sollten, als Er uns das „Vaterunser“ lehrte. Gott weiß natürlich, was wir brauchen. Er ist gütig und will es uns geben. Aber wir müssen bitten.

Wer lang genug das Bitten vor Gott gelernt hat, der ist einigermaßen gefeit gegen das Hadern, wenn er einmal Gottes Fügungen nicht verstehen kann. Wer lange genug und echt bitten gelernt hat, der ist ehrfürchtiger geworden. Und ehrfürchtige Menschen sind immer wertvolle Menschen, weil sie nämlich zu einer wertvollen Erkenntnis gelangt sind: Daß sie nicht Gott sind; kein kleiner Herrgott; und auch nicht der Nabel der Welt, sondern Geschöpf. Nicht etwas erstes, vorrangiges, sondern etwas zweitrangiges. Nicht unabhängig und selbstherrlich, sondern gänzlich abhängig von einem Höheren. Nicht nur abhängig in diesem oder jenem Bereich, sondern vollständig abhängig; mehr noch als das Kind von den Eltern.

Wissensverlust der Wohlstandskinder

Als Katholiken beten wir in der Regel täglich – vielleicht sogar mehrmals – das „Vaterunser“. Und dabei sprechen wir auch die Bitte um das tägliche Brot. Wir tun gut daran und sollten die „Brotbitte“ heute, mehr als je zuvor, ganz andächtig, in ihrem wörtlichen Sinn beten. Warum? Weil wir in einer technisierten Zeit und in einem Land leben, in dem sich durch die letzten Jahrzehnte hindurch, niemand um das tägliche Brot ernsthaft Sorgen machen brauchte.

Die jüngeren Generationen kennen nichts anderes als Überfluß. Für manche ist heute der Luxus zum Standard geworden. Das zeigt sich in der Ungeduld, dem Anspruchsdenken und der Unzufriedenheit der Menschen. Die vollen Regale in den Supermärkten und die üppigen Auslagen auf dem Wochenmarkt ließen uns Menschen von heute zu leicht vergessen, daß es eben nicht selbstverständlich ist, daß da Jahr für Jahr genügend auf den Äckern, Feldern und Weinbergen wächst und in den Viehställen herangezüchtet wird. Bisher waren wir stets versorgt und durften um das tägliche Brot unbesorgt sein. Die Menschen in den ärmeren Gegenden der Erde wissen vielleicht weniger über die Gesetze der Biologie und der ökonomischen Ertragssteigerung als wir. Sie haben zwar genauso wie wir Erfahrungen gesammelt und wissen wie man sät und pflanzt, wenn sie dabei auch vielleicht nicht wissenschaftlich genau überschauen, wie die Wachstumsprozesse im Einzelnen vor sich gehen. In einem sind uns die Bewohner ärmerer Kontinente jedoch überlegen. Sie wissen aus unmittelbarer Erfahrung um die Naturgewalten, die nicht von ihnen beherrscht oder nennenswert gelenkt werden können. Darum flehen sie um Fruchtbarkeit und um Abwendung von Dürre und Unwetterkatastrophen. Sie wenden sich an Gott, von dem sie sich abhängig wissen.

Wir Kinder des Wohlstandes haben vielleicht größere naturwissenschaftliche Kenntnisse. Schon in der Schule hören wir von den Faktoren des natürlichen Wachstums; wir lernen, welche Prozesse und Zyklen sich bei der Zellteilung, der Eiweißsynthese und all den biochemischen Abläufen in einem Lebewesen abspielen. So gut und nützlich diese Kenntnisse sind, sie entzaubern insbesondere für den ungläubigen Menschen das Geheimnis der Fruchtbarkeit und lassen es als einen kalkulierbaren, beherrschbaren Wirtschaftsfaktor erscheinen, der möglichst effizient auszubeuten ist. – Selbst wenn der Landwirt auch in unseren Breiten das Wetter noch nicht selbst bestimmen kann, so hat er sich doch in weitem Maße von widrigen Einflüssen unabhängig machen können. Der gezielte Einsatz von Dünge- und Spritzmitteln erlaubt es, optimale Wachstumsbedingungen für die sprossende Saat zu schaffen. Und wenn einmal der Frost über die Frühjahrsblüte gekommen ist, dann brauchten wir bisher im Herbst nicht auf die Äpfel zu verzichten. Wenn eine Trockenheit oder Dauerregen die Getreideernte dürftig ausfallen ließ, mußten wir trotzdem nicht hungern. Auf dem Weltmarkt konnte bislang stets nachgekauft werden, was unsere eigene Landwirtschaft nicht hergegeben haben sollte. Dieses Fachwissen aus Biologie, Chemie, Ökonomie und Logistik ließ uns seither ruhig schlafen, führte jedoch dazu, daß uns das Wissen um die Abhängigkeit von Gott abhanden gekommen ist.

Auch die künstliche Energie- und Ressourcenverknappung durch die Regierenden und die inflationsbedingte Teuerung wird an dem Wissensverlust der Wohlstandskinder vermutlich nichts ändern, bringen diese doch nur die Abhängigkeit von erschwinglicher Energie und von einer stabilen Währung ins Gedächtnis der Menschen zurück, nicht aber die Abhängigkeit von Gott. Um sich an diese Tatsache wieder zu erinnern, müßten die Menschen – und vielleicht auch wir – wieder lernen, um das tägliche Brot zu bitten. Freilich sprechen wir täglich: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Aber oft sagen wir die Brotbitte doch nur auf, wie den Vers eines Gedichtes, weil eben nun einmal auch diese Zeile zum „Vater unser“ dazugehört. – Um wirklich zu beten, muß man zuvor verstanden haben was man da sagt. Lassen sie uns deshalb kurz darüber nachdenken, was eigentlich gemeint ist, wenn wir bitten: „Unser tägliches Brot gib uns heute“.

Unser „morgiges“ Brot

Wenn wir uns den genauen Wortlaut der Brotbitte des „Vater unsers“ näher ansehen, bietet uns dieser eine ganze Menge Stoff zum frommen Nachdenken. – Daß unser Herr, als Er die Apostel beten lehrte, nicht deutsch gesprochen hatte, ist klar. Er sprach selbstverständlich die damalige Umgangssprache Seines Heimatlandes: Aramäisch. Wie diese Worte genau lauteten, als Er vor den aufmerksamen Jüngern das erste Vaterunser vorsprach, wissen wir nicht mehr. Der deutschen Übersetzung liegt der griechische Urtext des Evangelisten zugrunde. Die Übersetzer ins Lateinische und ins Deutsche haben es sich dabei etwas leicht gemacht, als sie sagten:_ „Unser tägliches Brot gib uns heute.“_ Das im gesamten Neuen Testament einmalig verwendete Wort, das im Griechischen dasteht (vgl. Mt. 6, 11; Lk. 11, 3), läßt sich nicht ganz so einfach übersetzen: „ἐπιούσιον“, von „epioúsios“, „vor-wesentlich“, hat nach Meinung mancher Schriftausleger die Bedeutung von: „morgig“! Wörtlich müßte es also heißen: „Unser morgiges Brot gib uns heute.“

Freilich, wenn wir darüber nachdenken, kommt es im Grunde auf dasselbe hinaus, wie unser „tägliches Brot.“ Es ist das gemeint, was eine Tagesration umfaßt. Aber es liegt noch eine bestimmte Nuance in dem Ausdruck „morgig“. Da sagen wir dem Vater im Himmel: Ich brauche keine Reichtümer, die mich für alle Zukunft absichern; ich brauche keine Aktienpakete, kein Immobilienimperium, keine Firmenbeteiligungen. Vielleicht wäre mir eine solche materielle Sicherheit gar schädlich, indem der Reichtum mich gierig, irdisch und fleischlich gesinnt machen würde. – Aber andererseits fürchte ich auch die Not, die krasse Armut, daß mir das Brot schon nicht mehr schmecken würde, weil es der letzte Bissen ist. Auch das könnte mich hindern, mit freiem und friedvollem Herzen gute Gedanken und Gottesgedanken zu denken. Darum Herr, gib mir soviel, daß es für morgen reicht. Daß ich heute mein Brot in Frieden essen kann. Denn für morgen ist gesorgt, und weiter wirst Du auch sorgen. In demselben Sinn betet die Kirche in ihrem offiziellen Nachtgebet: Herr, „gib mir weder Reichtum noch Armut; schenke mir nur das, was mir zum Leben nötig ist. Zwei Dinge erbitte ich von Dir; versage sie mir nicht, bevor ich sterbe. Gib mir weder Reichtum noch Armut; schenke mir nur das, was mir zum Leben nötig ist“ (1. So. i. Aug.; 6. Resp.).

Uns Menschen von heute fehlt es oft an Bescheidenheit und Genügsamkeit. Viele Menschen sind rastlos getrieben von einer inneren Gier. Man will nicht einfach nur leben, sondern besser leben. Man ist unzufrieden mit seinem Einkommen, und will den Gewinn steigern; um noch mehr zu erleben, um sich noch mehr leisten zu können, um noch „mehr vom Leben zu haben“ und, um dann die dabei gemachten Selfi-Bilder auf den sozialen Netzwerken, gleichsam als Beweisfoto, zur Schau stellen zu können: „Schaut, das kann ich mir leisten!“ – dieses Haus, dieses Auto, diesen Urlaub, etc. „Schaut, das habe ich miterlebt! Da bin ich dabeigewesen!“ – auf diesem Konzert, bei jenem Fußballspiel, bei dieser Veranstaltung, usw. – Ja, nicht selten kann dann die Jagd nach dem Geld und die unternehmungsfreudige Lebenslust zum Selbstzweck werden – zum Leistungsdruck. Da kommt es wie ein heilsamer Dämpfer über den hastigen, gejagten und gierigen Menschen unserer Tage, wenn er andächtig um das „tägliche Brot“, oder um das „Brot, nur für morgen“ beten soll. „Nur das, was mir zum Leben nötig ist.“ Wenn nur das gesichert ist, so genügt es!

Wenn der Mensch im Gebet wieder daran erinnert wird, daß Brot sein Anliegen ist, das Auskommen, das Notwendige, dann könnte ein andächtiger Beter die Entdeckung machen, daß es ihm ja reicht, was er hat; daß viel Unruhe, viele Zukunftsängste und Sorgen und auch viel Neid in seinem Leben gar nicht sein müßte. Dann wäre er am „Vaterunser“ weise geworden und dürfte sich wahrhaft als „Kind Gottes“ in der großen Gemeinschaft des wandelnden Gottesvolkes durch die Jahrhunderte erkennen. Denn, auch das wollen wir mit bedenken: Die Bitte um das tägliche Brot, um das Brot nur eben für heute, weckt die Erinnerung an die 40-jährige Wüstenwanderung der Israeliten, in der das auserwählte Gottesvolk vom Manna lebte – von dem Brot, das der Allmächtige täglich vom Himmel her schickte. Jeder durfte immer nur soviel davon sammeln, wie für den betreffenden Tag nötig war; nur am sechsten Tag durfte man die himmlische Gabe für zwei Tage aufsammeln, um so die vorgeschriebene Ruhe des Sabbatgebotes einhalten zu können. Jeder, der heute in dieser Gesinnung die Brotbitte des „Vaterunsers“ spricht, der sich täglich neu erfährt als allein von der Güte Gottes lebend und auf die Vorsehung Gottes vertrauend, der erneuert die Erfahrung des wandelnden Gottesvolkes, das damals selbst in der Wüste von Gott so wunderbar genährt wurde.

Danksagung für die göttlichen Wohltaten

Der ein oder andere mag sich vielleicht fragen, warum wir bislang die ganze Zeit vom Bitten gesprochen haben, obwohl doch heute Zeit zum Danken ist. Heute ist Erntedank! Die Antwort darauf lautet: Erst wer mit der richtigen Einstellung heraus Bitten gelernt hat, kann auch in rechter Weise Danksagen! Die Bitte lehrt uns, daß wir nicht auf Augenhöhe mit Gott stehen; daß das was Er gibt nicht nach den Gesetzen der strengen Gerechtigkeit von Gott geleistet werden muß – Gleiches für Gleiches. Sonst bräuchten wir nicht zu bitten, sondern könnten unser Recht einklagen. Eine Leistung, die auf eine Bitte hin gewährt wird, reicht über die Forderung der Gerechtigkeit hinaus und wird „Wohltat“ genannt. Eine Wohltat ist eine Tat zum Wohle eines Bedürftigen, zu der man rechtlich nicht verpflichtet ist. Sie geschieht nur aus Güte und Wohlwollen. Diesen Sachverhalt erkennt derjenige an, der Gott bittet. Er weiß sich als Bettler, der sich vor Gott auf kein Recht stützen kann, sondern der allein an das Wohlwollen, an die Güte und Barmherzigkeit des Gebers appelliert.

Wer aber nun eine Wohltat aus der Hand Gottes angenommen hat – und das tun wir jeden Augenblick – der macht sich zum Schuldner des Wohltäters, so daß derjenige, dessen Bitte erhört wurde, sich seiner Dankespflicht nicht entziehen kann, ohne sich einer häßlichen und unedlen Gesinnung schuldig zu machen. Die Dankbarkeit muß sich deshalb, nach dem hl. Thomas von Aquin, auf dreifache Weise äußern: 1. Die Gabe muß als Wohltat anerkannt werden; 2. Es muß für die Wohltat dankgesagt werden; und 3. Nach Zeit und Umständen muß man sich für die empfangene Wohltat erkenntlich zeigen. (vgl. S.th. II-II; q. 106).

Erst wenn wir soweit mitgedacht haben, können wir verständig in den Aufruf des Psalmisten folgeleisten: „Danket dem Herrn, denn Er ist gut; denn in Ewigkeit währt Seine Barmherzigkeit!“ (Ps. 106, 1). Und erst wenn wir bedenken, daß wir jeden Augenblick die Wohltaten Gottes aus Seiner gütigen Hand entgegennehmen, und zwar in weit größerem Maß, als wir Ihn darum bitten und weit mehr, als wir es nötig haben, erst dann können wir in das uns so vertraute Dankeslied der Meßpräfation vollen Herzens einstimmen, welches der Priester im Namen der ganzen Kirche tagtäglich anstimmt, unmittelbar bevor er das hl. Opfer darbringt: „Wahrhaft ist es würdig und recht, billig und heilsam, Dir immer und überall Dank zu sagen; Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott.“ Ja, wir stehen vor Gott in unendlicher Dankesschuld! Wir können Ihm unmöglich all das Gute vergelten, was Er uns jeden Augenblick tut. Nur eines können wir tun: Danken! Immer und überall danken! Das ganze Leben des Christen soll folglich eine immerwährende Danksagung sein. Sowohl zu den Zeiten des Wohlergehens, als auch in Zeiten der Widerwärtigkeiten und des Mangels.

Stets haben wir bedürftige Menschen Grund zum Dank, wie der hl. Ambrosius sagt: „Wann hast du nicht, was du Gott schuldest? Oder wann bist du ohne Gabe Gottes; du, der du täglich den Gebrauch des Lebens vom Herrn hast? Denn was hast du, das du nicht empfangen hättest? Darum, weil du immer empfängst, so rufe immer [bittend] an; und weil, was du hast, vom Herrn ist, so erkenne dich immer als Schuldner. Ich will aber, daß du deine Schuld zahlest, aus Liebe, nicht aus Zwang.“ Und der hl. Johannes Chrysostomus sagt: „Wir wollen alles der Huld des Himmels zuschreiben. Denn wenn auch die Natur wirkt, so wirkt sie doch nicht durch ihre eigene Kraft, sondern aus Gehorsam gegen den Befehl dessen, der sie gemacht hat.“ Wie das „tägliche Brot“ den Leib nährt und kräftigt, so sollen die Wohltaten Gottes den Glauben und das Vertrauen der Seele stärken.

Danksagung auf für die Widrigkeiten des Lebens

Unsere Dankbarkeit gegen Gott darf sich jedoch nicht nur auf die Zeiten des Wohlergehens und des Überflusses beschränken, sondern muß sich auch auf die Zeit der Widerwärtigkeiten und des Mangels erstrecken. – Der eben zitierte hl. Johannes Chrysostomus hatte als Patriarch von Konstantinopel viel zu leiden. Zweimal wurde er von seinen mächtigen Widersachern am Kaiserhof unter schweren körperlichen Entbehrungen in die Verbannung verschleppt. Nach seiner Rückkehr aus der ersten Verbannung sagte der Heilige in seiner ersten Predigt: „Was soll ich sagen? Was sprechen? Gepriesen sei Gott! Dieses Wort sprach ich fortgehend, dieses nehme ich jetzt in den Mund; und auch dort [in der Ferne] unterließ ich nie, es zu sprechen. … Die Dinge [Freud und Leid] sind verschieden, aber die Lobpreisung ist eine. … Winter und Sommer sind verschiedene Dinge; ihr Zweck ist einer: des Ackers Fruchtbarkeit.“ An anderer Stelle sagt er: „Für alles muß man Dank sagen, auch für das, was lästig scheint.“ Und als er schließlich auf dem Weg in die zweite Verbannung den Strapazen erlag, waren die letzten Worte des sterbenden Dulders: „Ehre sei Gott für alles. Amen!“

Freilich, um verstehen zu können, wie es möglich sein soll Gott in Widerwärtigkeiten, und sogar auch noch für die Widerwärtigkeiten und Entbehrungen selbst, Dank zu sagen, dazu müssen wir das Leben so anblicken, wie es die Heiligen getan haben. In ihren Augen erscheinen selbst die Widerwärtigkeiten – obwohl auch sie vor ihnen ihrem natürlichen Empfinden zurückschaudern – in Wahrheit als Wohltaten Gottes. Sie lösen uns von der Welt, die zugrundegehen wird, los, damit wir nicht, zusammen mit ihr, zugrunde gehen, sondern uns rechtzeitig aus ihrem Klammergriff befreien. Der hl. Augustinus sagt: „Wir sind Christen nur wegen der zukünftigen Welt. Niemand hoffe die gegenwärtigen Güter, niemand verspreche sich die Glückseligkeit der Welt, eben weil er Christ ist.“ Wer also die gute, wohlmeinende Absicht, die Gott mit den Menschen hat, im Licht des Glaubens betrachtet, wenn er ihnen Leiden und Verzicht auferlegt, der müßte davon eigentlich auch zum Dank bewegt werden. Der Glaube sagt uns, daß uns Christus den Weg in den Himmel vorangegangen ist. Der Weg, den Er beschritten hat, war aber kein anderer als der Kreuzweg. Wie sehr verdient also Gott unseren Dank, wenn Er uns auf diesem Himmelsweg voranführt! So offenbart Er, selbst wenn er schlägt, Seine wohlwollende Liebe gegen uns.

Es klingt paradox, aber aus dieser Perspektive werden selbst die Widerwärtigkeiten des Lebens – Krankheiten, der Verlust lieber Menschen, Entbehrungen, Schmerzen, ja, selbst der Tod – zu jenem „Früchten“, die wir mit der Bitte um das „tägliche Brot“ erflehen. Es sind zwar bittere, aber doch heilsame Früchte, die unsere ergebene Liebe zu Gott ernähren, erhalten, vermehren und fruchtbar machen für die Ewigkeit. Man könnte die Widerwertigkeiten und Kreuze des Lebens mit der stinkenden Jauche vergleichen. Obwohl sich der Mensch von ihrem Gestank angeekelt abwendet, so wird sie doch als kostbares Gut gesammelt und aufgespeichert, um wieder als Dünger auf die Äcker ausgebracht zu werden. Der hl. Augustinus sagt von der Mistjauche: „Was der Mensch anzuschauen verabscheut, sucht er wegzuschaffen. Was also bereits verbraucht und weggeworfen schien, wandelt sich [auf dem Feld] zurück in Fett der Erde, das Fett in Saft, der Saft in Wurzel. Und was von der Erde in die Wurzel übergeht, wandert in unsichtbaren Zuflüssen in die Kraft über, verteilt sich in die Zweige, von den Zweigen in die Schößlinge, vom Schößling in die Früchte und in die Blätter. Siehe also, was du in der Fäulnis des Dunges verabscheust: im Schwellen und Grünen des Baumes bewunderst du es!“ (Serm. 361, 11). Beherzigen wir also die Mahnung desselben hl. Kirchenlehrers, auf welche Weise wir den segensreichen Dünger der Widerwertigkeiten und Kreuze aufnehmen sollen: „Überall sei er [der Christ] dankbar, nirgends undankbar. Er sei dankbar dem tröstenden und liebkosenden Vater, und er sei dankbar dem bessernden und schlagenden und züchtigenden Vater. Denn Er liebt immer, mag Er liebkosen oder drohen.“

Immerwährende Danksagung

Nur der Mensch, der nach all diesen Überlegungen erkannt hat, daß er täglich aus der Hand Gottes alles Notwendige – ob Freud oder Leid – zu seinem Wohle empfangen hat und empfängt, der kann auch seinen Dank in vollem Ernst ausdrücken, für das Übermaß der Güte Gottes, die stets gibt, was wir brauchen.

Auch im zurückliegenden Jahr ist es so gewesen. Trotz aller täglichen Drangsale und Plagen mußte niemand von uns Hunger leiden! Das ist nicht selbstverständlich. Die Mehrzahl der Menschen auf Erden wird nicht satt. Wir aber wohnen in einem Land, das Gott bislang im Übermaß gesegnet hat. Das ist dankenswert aber nicht notwendigerweise ein Dauerzustand. Gott könnte auch einmal wieder die Rollen vertauschen.

Lernen wir auch uns mit dem Vielen, was wir haben, zu bescheiden. Man kann nicht andächtig beten: „Unser tägliches Brot gib uns heute“ und dann alles, was einem unterkommt, in sich hineinstopfen. Man kann nicht andächtig um das notwendige Brot beten und dann gierig sein und unzufrieden, obwohl man satt zu essen hat. Entweder man betet nicht richtig, nur dann ist so ein Leben erklärlich. Oder man betet andächtig, dann kann man nicht Gott lästern, indem das Leben den Worten widerspricht.

Aus der täglichen Erfahrung heraus, daß Gott für das tägliche Brot gesorgt hat, wollen wir nun das Dankopfer darbringen und uns dabei vertrauend das „morgige Brot“ erflehen – das notwendige Brot der Freude und das notwendige Brot der Tränen. Wappnen wir uns also als „Kinder Gottes“ gegen Gedankenlosigkeit, Zukunftsangst und Verzweiflung, indem wir andächtig bitten: „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Amen.

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